Schöne Oper – selten gehört
Georg Rauchenecker [1844-1906]
Die letzten Tage
von Thule, Teil II
Last Days of Thule
Romantische Oper in vier Akten
deutsch gesungen
entstanden 1889
Libretto von Otto Schönebeck und Louis Gallet
Uraufführung am 2. April 1889 in Wuppertal-Elberfeld
Charaktere:
Hermida, Meeresgöttin – Sopran
Puck, Oberster Führer der Nixen – Alt
Der Skalde – Bass
Blondel, ein Fischer – Tenor
Der Hofnarr – Bariton
Helda, Hofdame und Geliebte des Königs – Mezzosopran
Floki, Thronfolger – Bariton
und weitere
HANDLUNG
Dritter Akt:
Dreizehnte Szene:
Ohne große Abwechslung, aber leicht und locker gestaltet sich das Leben der Meermädchen an den Gestaden von Thule. Hören wir, wie sie ihren Tagesablauf verbringen:
„Wir wallen und weben
in lieblichen Reih'n
Wir singen und schweben
beim nächtlichen Schein.
Die Fluten erbeben
in Liebe und Lust
wenn Kühlung sie geben
der lechzenden Brust.
Von unseren Lippen
tönt süßer Gesang
durch Felsen und Klippen
die Ufer entlang.
Wir wallen und weben
in nächtlichen Reih'n
Wir singen und weben
beim nächtlichen Schein.“
Vierzehnte Szene:
Hermida schickt die Wassernixen an die Arbeit, lässt aber das Opernpublikum im Unklaren, was es in Nachtschicht zu bewerkstelligen gibt: „Geht, geht! Schon ist verschwunden des Tages goldene Pracht. Es ziehen hinauf die Stunden der stillen trauten Nacht. Des Mondes blasser Schimmer erhellt den weiten Plan und mit dem Sterngeflimmer geht Eure Arbeit an.“
Fünfzehnte Szene:
Die Meereskönigin befindet sich in der Begleitung ihres Faktotums und lässt sich von ihm bedauern. Puck bittet Hermida, ihm ihren Schmerz anzuvertrauen, nachdem ihn ein tiefer Seufzer, der bang aus ihrem zarten Busen dringt, ihn vermuten lässt, dass ein tiefsitzender Kummer sie bedrückt. Geteilter Schmerz erträgt sich leichter, tröstet der muntere Geselle. Die Bedauernswerte lässt sich erschöpft auf eine Bank nieder und legt los:
„Ein Vöglein flog hernieder,
zog mir ins Herze ein
und sang dort seine Lieder
von Lust und süßer Pein!
Und immer hört ich's klingen,
es sang mir traulich zu.
Da rief ich: Lass dein Singen,
Du raubst mir meine Ruh!
Bald war es fort geflogen,
es singt und kling nicht mehr.
Des Schmerzes wilde Wogen
die brausen nun daher.
Lieb Vöglein kehre wieder
hier in mein Herze ein
und singe deine Lieder
von Lust und süßer Pein.“
Fürwahr, es sei ein unglückliches Los, so reich und doch so arm zu sein, lässt Puck sich vernehmen. Er tadelt einige Nixen, die vorzeitig zurückkehren, weil ihnen das Meer zu unruhig geworden ist.
Sechzehnte Szene:
Eine Nixe hält einen kostbaren Becher in der Hand, den die Brandung wieder hochgespült hat. „Königin, schau, wie perlender Tau glitzert dies Pfand in unserer Hand“, übertreibt sie. Ist es Strandgut? Nein, Hermida erkennt das Gefäß wieder. „Ha! Seht, das ist der Becher, den ich dem Ahnherrn Thules gab; Fluch dem, der in die Wellen das Kleinod frevelnd warf hinab.“ Andere Nixen erscheinen aus der Ferne und berichten, dass ein Mensch mit den Fluten kämpft. Die Meerjungfrauen bitten ihre Herrin um Weisung, ob er gerettet werden soll. Ihr pochendes Herz verrät Hermida, dass es der Geliebte ist. Eile tut Not! Sie springt auf und hebt gebietend ihre Flosse: „Ihr zürnenden Wellen beruhigt Euch, ihr Ströme und Schnellen, versieget sogleich. Du Ozean füge dich meinem Wort: Zerfließe und wiege Dich still hinfort!“
"Holder Knabe, steig nieder!
Komm zu mir, sei ewig mein.
Komm, mein Atem haucht Dir wieder
Lust zu neuem Leben ein!
Lass die Welt und ihr Getriebe,
Wirf das Joch des Lebens hin,
hier genießt Du reine Liebe,
reines Glück ist Dein Gewinn!“
Siebzehnte Szene
Man weiß nicht genau, ob sich der Palast der Meereskönigin in einer Lustblase auf dem Meeresgrund befindet oder in einer Felsgrotte am Ufer versteckt liegt. Möglicherweise ist das Bauwerk mehrgeschossig und erstreckt sich oberhalb und unterhalb der Meeresoberfläche. Es hängt alles davon ab, wie der Bühnenbildner entschieden hat, jedenfalls möbliert wurde nur sparsam. Blondel wird von mehreren Meerjungfrauen herangeschleppt. Ob er Klamotten anhat, hängt davon ab, wie er ins Wasser gesprungen ist. Hat er sich Zeit genommen, vor seinem Tauchgang seine Oberbekleidung abzulegen? Blondel befindet sich in höchster Erregung:
„Ihr Götter, steht mit bei, wo mag ich sein?
Wie blendet mich der Hölle Zauberschein?
Umhüllte mich nicht eben dunkle Nacht?
Weh! Weh! Zu welchem Los bin ich erwacht!
Weit hinter mir blieb Stadt und Land.
Weit, weit, der Heimat grüner Strand.
Weit, Helda, meine Sonne.“
Er sieht sich erstaunt um. Ha, welche Pracht! Ein Gott wohnt sicher hier. Mit Seerosen und Wasserlilien ist der Raum dekoriert. Blondel macht sich Sorgen, wie es ihm wohl ergehen wird. Hermida stellt sich persönlich vor und tröstet ihn, dass ihre Macht ihn schützt. Der Überraschte bedankt sich bei ihr und den unsichtbaren Mächten, dass sie seinen Schritt hierher gelenkt haben. Sofort gewahrt er den Becher in der Hand einer Schönen. Hermida fordert ihn auf, sich an ihre Seite zu legen und den Tanzkünsten der holden Schwester zuzuschauen.
BALLETT
Reges Interesse hat Blondel nicht, denn er fixiert immerzu den Becher - er möchte ihn nicht aus den Augen verlieren. Hat der Fischer einen Wunsch? Hermida will ihn gern gewähren. Sie denkt dabei vermutlich an ein Schäferstündchen. Ist Blondel nun taktlos oder gar unverschämt. Er hat nur Helda im Kopf und zeigt auf den Becher. „O Königin, die Liebe eines Weibes ist dieses Bechers Preis! Ach, gib ihn mir! Dein Blick lehrt mich, Du weißt was Liebe ist!“ Hermida lacht. Jawohl, sie kennt diese Liebe! Die Liebe gleicht den Meereswellen, die steil zum Himmel aufbrausen. Es folgt ein kühnes Wachsen, Überschwellen, und dann geht es in raschen Lauf bergab. Die Welle, die sich erhoben, erstirbt auf steiler Höhe in Schaum und die Liebe verfließt wie jeder Jugendtraum. Jetzt weiß Blondel Bescheid, aber er ist gegenteiliger Ansicht. Bei ihm schwindet die Liebe zu Helda nie, zudem gab sie ihm ihren Schwur. Hermida rät, dem Schwur des Weibes nie zu trauen, denn er sei wie Spreu, die der Wind verweht. Die Göttin baut exklusiv für Blondel eine Vision auf. Der Mond spiegelt sich auf der Oberfläche des Meeres und man hört Heldas wohlklingende Stimme „Die Schätze im Leben entfliehen, entschweben. Ein flüchtiges Glück! Doch was wir empfinden in seligen Stunden, das bleibt uns zurück.“Blondel in großem Erstaunen: Sie ist es. Er hört ihre Stimme! Jetzt wird er das saubere Pärchen auch optisch gewahr. In seinem Nachen kommen Floki und Helda näher. Er soll aufmerksam sein und schauen, fordert Hermida ihn auf.
Achtzehnte Szene:
Floki lässt eine Liebeserklärung vom Stapel, später wechseln die beiden sich im Text ab:
„In Deinem Auge, dem blauen,
lass all mein Glück mich schauen!
Geliebte, Du bist mein!
O seliges Entzücken,
Dich fest ans Herz zu drücken,
von Dir geliebt zu sein!
Im Wachen und Träumen
das Leben soll schäumen.
Es währet nicht lang!
Von rosigen Lippen,
lasst selig uns nippen
berauschenden Trank.“
Blondel reicht es bis zum Abwinken. Ihr Götter, weh! Was muss er schauen? Soll er auf ihren Schwur noch bauen? Die Erscheinung ist verschwunden. Blondel ist traurig und niedergeschlagen.
Neunzehnte Szene:
Hermida spricht beschwörend auf Blondel ein:
„O bleibe, banne diese Liebe,
die Dir das Herz vor Kummer bricht.
Weit liegt die Welt, weit ihr Getriebe,
wo alles gilt, nur Treue nicht!
Dein Liebstes hat man Dir genommen,
gebrochen ist der Liebe Schwur.
Dir tönt kein herzliches Willkommen
entgegen auf der trauten Flur!“
Doch Hermida hat sich verrechnet. Blondel hält alles für Lug und Trug. Schattenbilder der Nacht sind es, die wie Nebel zerrinnen müssen, damit heller Sonnenschein ihm lacht.Blondel springt auf. Ha, diese Zweifel erträgt er länger nicht. Fort, fort von hier! Gewissheit will er und Licht in die Sache bringen. Hermida ist mutlos und startet einen letzten Versuch, den Geliebten umzustimmen.
„Umsonst ist all mein Flehen,
vergeblich mein Bemüh'n
Nein, nein! Du darfst nicht gehen
Ich lasse Dich nicht zieh'n!
Dort in dem Weltgetriebe
herrscht die Vergänglichkeit;
hier ewig reine Liebe
und die Unsterblichkeit!“
Selbst wenn er der Liebe Qualen mit dem Tod bezahlen muss - er stürbe gern. Hier unten hält ihn nichts länger. Er fordert Hermida auf, ihn ziehen zu lassen. Hermida bleibt hartnäckig und sucht unter Körpereinsatz ihn festzuhalten „O bleibe, geh' nicht fort. Nein, nie lass ich Dich ziehen. Ich fleh' auf meinen Knien: O bleibe, geh' nicht fort.“ Blondel rudert sich frei und versucht Hermida fortzustoßen. „Nein, nein, hinweg. Hier bleibe ich nicht länger!“ Niedergeschlagen gibt Hermida auf.
„Nun denn, so geh'! Nimm diesen Becher,
er bringt Dir nicht, was du von ihm gehofft.
Doch bist Du dort des Lebens satt und müde
und ist Dein Herz wie leichtes Schilf gebrochen,
so trinke dreimal aus dem Zauberbecher
und rufe dreimal meinen Namen laut.
Dann werd' ich kommen, Dich und mich zu rächen!
“„Hermida, Leb' wohl!“ „Aufwiederseh'n!“ Von Schmerz überwältigt sinkt Hermida nieder!
Vierter Akt:
Zwanzigste Szene:
Floki und Helda feiern ihr Hochzeits- und Krönungsfest und sind dem Anlass entsprechend festlich gekleidet. Die „Blutperle“, die Blondel gehört, wurde gefunden und schmückt nun die Krone Heldas.
„Jubelt und singet dem bräutlichen Paar,
kommt und bringet Huldigungen dar.
Lasset die Sorgen verflossener Nacht,
seht wie der Morgen so heiter uns lacht!
Was wir empfunden in trauriger Zeit
ist überwunden, all Kummer und Leid!
Heut ziehet wieder Freude hier ein,
lustige Lieder beim Spiele und Wein.
Öffnet die Herzen der Liebe und Lust.
Lachen und Scherzen beseele die Brust!
Jubelt und singet dem bräutlichen Paar,
Kommt und bringet die Huldigungen dar!“
Während der Chor singt, treten die Gäste, nach Paaren sortiert vor und verneigen sich. Floki hält eine Ansprache: Bestimmt haben die Gäste noch in Erinnerung, dass der Ahnherr von Thule seine Buhle hochhielt und die Genüsse, die das Leben bot, schätzte:
„Der Liebe heiße Flammen
löscht ihm der kühle Wein,
doch mit dem Trank zusammen
sog neue Glut er ein.
So will auch ich es üben,
die Sinnenlust, der Wein,
ein Lied vom heißen Lieben
soll meine Losung sein.“
Der Chor stimmt überein, dass er es genau so halte. Zwei Pagen holen den Skalden herbei, damit er mit seinem stimmungsvollen Gesang das Fest würze.
Einundzwanzigste Szene:
Er soll in das Gold seiner Saiten greifen, und seinen Vortrag so gestalten, wie das Herz ihm gebietet, fordert Floki ihn auf. Doch dem greisen Skalden ist nicht nach Frohsinn zumute, denn er hat die Bilder der nahen Zukunft vor seinem geistigen Auge vorbeiziehen sehen. Sein Seherblick kündet, dass der Nordwind durch die welken Bäume braust und das Laub vor Schmerz und Weh erbebt. Er selbst wird in Eis und Schnee erstarren. Der Winter zieht ins Tal hinab, hat ein großes Leichentuch dabei und verwandelte die Welt in ein weites ödes Grab. Der schwachsinnige Alte soll kein Totenlied singen, sondern andere Saiten aufziehen. Er soll Sorge tragen, dass er seinen Gesang nicht bereut. Floki erhält zur Antwort, in diesen Hallen noch von Freude zu singen, sei nicht zu verantworten. Der Nordwind ist im Anzug und wird den stolzen Bau in Trümmer fallen lassen. Im offenen Meer ist genügend Platz, um die unzähligen Leichen aufnehmen. Floki fühlt sich verschaukelt und wird wütend. Im Affekt holt er mit seinem Schwert aus und verwundet den Alten tödlich. Das hat er nun von seinem Hohn! Der Getroffene hält sich am Stuhl fest und gibt Floki noch ein paar Sprüche mit auf den Weg, bevor er sich aus dem Leben verabschiedet.
„Fluch Dir, du stolze Feste,
wo bleicher Schrecken thront;
Fluch Dir, Du frecher Räuber,
der Du mit Blut gelohnt.
Nie soll Euch wieder leuchten
der Sonne heller Schein;
versunken und vergessen
das soll die Strafe sein!
Euch fleh' ich an, ihr Götter
im Meer, im Luftrevier,
wollt diese Schmach hier rächen,
gewährt ein Zeichen mir!“
Allvater blitzt und donnert, der Seher gibt seinen Geist auf und die Pagen bringen den Toten weg. Das Meer fängt an zu brausen und Angst und Schrecken zei sich auf allen Gesichtern.-
Die Stimmung schwingt um. Vom Eingang her hört man plötzlich lautes Jubeln und Jauchzen. In Begleitung des Narren ist Blondel von seinem nassen Ausflug zurückgekehrt.
Zweiundzwanzigste Szene:
Der Becher ist gefunden, stimmt in den Jubel ein.
Heil, heil, dem Kühnen Manne, er soll gepriesen sein.
Kommt alle, lasst uns seh'n,
ein Wunder ist gescheh'n,
ein neuer Tag bricht an.
Das hat ein Gott getan.
Der Becher ist in seiner Hand.
Drum sei auch sein, die Kron', das Land.
Die Meinungen spalten sich: Nein, Floki soll der König sein; wir stehen alle für ihn ein! Die Parteien stürmen aufeinander ein, um sich körperlich auseinanderzusetzen. Blondel ist vernünftig und versucht zu schlichten:
„Haltet ein, seid ruhig, hört mir zu!
Kein Zank und Streit soll uns die Stunde trüben.
Sie sei der Freude nur allein geweiht.
Zum Heil uns Segen soll sie uns erblühen,
gefeiert von der Nachwelt allezeit.
Doch wessen Kron' die Stirn soll zieren,
wem Helda will zu eigen sein,
wer hier in Thule soll regieren,
entscheide, Helda, Du allein.“
Helda spielt nun das Zünglein an der Wage. Sie gibt Blondel erwartungsgemäß eine Absage, kleidet diese aber in taktvolle Worte und lässt es an Wertschätzung der Person nicht fehlen. In der Sache hat sie recht – trotz der Sympathie für Blondel sollte das Opernpublikum auch gerecht urteilen. Eine Krone ist kein Wertstück, welches man nach Gutdünken und Lust verhandelt kann. Es gilt das Erbrecht! Und das liegt auf Seiten Flokis, das muss Blondel auch einsehen, selbst wenn das Herz bricht. Seite Erwartungen waren einfach überzogen; seine Absage an die Meeresgöttin war aber genau so kaltschnäuzig.
„Die Tat, die Du mit kühnem Mut vollbracht,
hebt Deinen Ruf hoch bis zum Sternenzelt.
Gepriesen wirst Du sein für alle Zeiten.
Ein Held dem Volk, ein Gott der späteren Welt.
Auch will ich dankbar mich Dir zeigen,
jedweder Wunsch sei Dir gewährt,
doch nimmer kann ich sein Dein eigen,
da Floki Recht und Kron' gehört."
Blondel wendet sich sich von höchstem Schmerz ergriffen ab und wankt aus dem Saal. Man kommt überein, dass Floki König sein soll, wogegen auch nichts spricht. Zum Leidwesen Blondels bringt Floki einen Toast auf die Meeresgöttin an:
„Der Becher mache die Runde,
ihr Pagen schenket ein.
Reicht mir das goldne Kleinod,
gefüllt mit kühlem Wein.
Aufs Wohl der Liebesgöttin
trink ich den Becher aus,
dass schirme sie und schütze
das Reich, mich und mein Haus.
Hermida lebe hoch!"
Der Chor wiederholt den Trinkspruch, die Becher klirren. Blondel hat – schneller als erwartet – den Schicksalsschlag verwunden, kommt zur Einsicht und wechselt nun die Fronten:
"Hermida, Hermida, o süßer Name,
ein Wonnelaut schließt eine Welt mir ein.
Du klingst so lieblich und so traut.
Hermida, ich bin Dein!
Wie nach dem Wintersturm die Sonne
durch schwarze Wolken freundlich blickt
und leises Wehen, Frühlingswonne
sich zitternd durch die Lüfte schwingt
so zieht durchs Herz mir ungesehen
nach langem schweren Erdenleid
der reinen Liebe süßes Wehen,
der Odem der Unsterblichkeit.
Drum, was soll ich länger weilen
auf der rauhen Erdenbahn.
Zu Hermida will ich eilen.
Flieh dahin, du eitler Wahn.
Dreiundzwanzigste Szene:
Blondel besinnt sich auf Hermidas Versprechen, dass er – falls alle Stricke reißen – er zu ihr zurückkehren kann. Er sieht wie der Becher die Runde macht und bittet Helda, als Dank für seinen Dienst, auch aus dem Becher trinken zu dürfen. Helda gestattet es und denkt, dass er ihr mit einem Trinkspruch huldigen will, ahnt nicht, wie falsch Blondel sein kann.
„In einem Wundergarten,
da blüht ein Blümelein,
das strahlt so hell und lieblich
wie goldner Abendschein.
Kein Sturm, kein Regenschauer
raubt Jugend, Schönheit ihr;
nein ewig wird sie blühen
zu schönster Pracht und Zier.
Der Zauber ihrer Reize
wird nie geseh'n, gekannt.
Doch selig, dreimal selig,
der ich dies Blümlein fand.
Ein namenloses Sehnen
ergreift mit Herz und Sinn
zu ihr der Wunderblume
zieht es mit Macht mich hin."
Helda fühlt sich geschmeichelt, denn auch die Gäste denken, dass nur sie gemeint sein kann. Der Page füllt den Becher. Doch der Narr, der sich bisher zurückgehalten hat, deckt blondels Schwindel auf und lenkt die Poesie in eine andere Richtung.
„Wohl kenn ich jene Blume,
der galt Dein schönstes Lied.
Sie gleicht dem blut'gen Nordlicht,
das pupurfarben glüht,
schön schillern ihre Farben,
bestrickend Herz und Sinn,
doch findest Du im Kelche
ein süßes Gift darin.
Und wer in vollen Zügen
dies süße Gift sog ein,
der starb den Tod im Herzen
vor Schmerz und Höllenpein.“
Der Narr spielt auf seinen Freund, den toten König an. Es entsteht Unruhe unter den Anwesenden. Helda hat die Spitze in dem Vers erkannt und kann sich nicht beherrschen. Die Knechte sollen den Narren ergreifen, sich Folterqualen ausdenken und ihm die spitze Zunge herausreißen, damit der lose Mund verstummt. Weil sie zuerst gestochen wurde, will nun die Schlange stechen, aber das besorgt er selbst. Er zieht sein Schwert und gibt sich den Tod. Nun hat Helda endlich Ruhe, nachdem der Leichnam weggeschafft wurde. Helda reicht Blondel nun endlich den Becher und fordert ihn auf:
„Hier, trink aufs Wohl der Blume,
der galt Dein schönster Sang,
dass glühe sie und blühe
ihr ganzes Leben lang.“
Blondel ergreift hastig den Becher und hebt ihn empor:
„Du Preis der schönsten Frauen
Dir galt allein das Lied;
Du bist die Wunderblume,
die nie verwelkt, verblüht.
Du Königin im Meere
Dich Göttin rufe ich;
Geliebte, denke meiner
Hermida, höre mich.
Du Königin im Meere,
Dich Göttin rufe ich!
Geliebte, denke meiner, Hermida räche mich."
Das Meer fängt furchtbar an zu tosen und leitet den Untergang von Thule ein. Hermida erscheint in einer großen Muschel, die von einem Delphin gezogen wird, und lässt ihren Schatz einsteigen, während alles andere versinkt. Ab sofort genießt er reine Liebe und pures Glück ist sein Gewinn.
Anmerkung
Den Begriff „ultima Thule“ gibt es schon seit dem vierten Jahrhundert. Der Grieche Pytheas von Massila ist dort vorbeigekommen und hatte das Gefühl, am Ende der Welt zu ein. Thule liegt hoch im Norden an der Westküste Gröndlands, und diente dem Polarforscher Knud Rasmussen als Ausgangspunkt für seine Expeditionen. Gegen Gewährung willkommener Wirtschaftshilfe wurde die Gegend 1951 von den Amerikanern zu einem Militärstützpunkt ausgebaut. Der Lärm, den die landenden und abfliegenden Flugzeuge machten, zerstörte das Gleichgewicht der Natur und vertrieb die wenigen Polareskimos aus ihrem Jagdrevier. Die Einheimischen flohen 150 km nach Norden, nannten den Ort aber Qaanaaq.- Der Untergang von Thule wurde in Wirklichkeit nicht – wie in der Oper berichtet – durch eine Springflut verursacht, sondern die Gegend wurde verstrahlt. Am 21. Januar 1968 stützte ein Militärflugzeug ab, welches vier Wasserstoffbombern geladen hatte. Bei der Bergungsaktion kamen viele Bewohner zu Schaden. Bei Temperaturen, die zeitweilig 60 Grad Celsius betragen, leben in der Region heute etwa 800 Menschen.
***
2012 musirony - Engelbert Hellen