Schöne Oper – selten gehört
Oskar Kokoschka
Paul Hindemith [1895-1963]
Mörder, Hoffnung der Frauen
Oper in einem Akt
op. 12, entstanden 1919
deutsch gesungen
Libretto von Oscar Kokoschka
Uraufführung am 4. Juni 1921
an der Staatsoper in Stuttgart
Dauer der Aufführung etwa 25min
Charaktere
Der Mann (Bariton)
Die Frau (Sopran)
Erster Krieger (Tenor)
Zweiter Krieger (Bass)
Dritter Krieger (Tenor)
Erstes Mädchen (Sopran)
Zweites Mädchen (Alt)
Drittes Mädchen (Sopran)
und weitere
INHALTSANGABE
In tiefer Nacht erscheint eine Gruppe von Kriegern an einem Turm und erleuchtet ihn mit ihren Fackeln. Die vermummten Männer haben sich um ihren bleichen Hauptmann geschart und besingen dessen Führungsqualitäten und Stärke. Eine Schar von Frauen kommt aus dem Turm, gefolgt von deren drallen, rotgekleideten Anführerin. Das markante Weibsbild preist seine unwiderstehliche Ausstrahlung und bemerkt den Fremden. Die Männer machen zweideutige Andeutungen, was die Frauen anwidert. Sie bitten ihre Herrin, die Krieger nicht mit in die Burg zu nehmen. Doch sie nähern sich den Frauen, welche angstvoll zusammenrücken. Ein Mischgefühl aus Angst und faszinierter Angezogenheit lässt die Anführerin der Frauen auf den Hauptmann zugehen, woraufhin der gepanzerte Wilde ihr die Kleider vom Leib reißt und sie brandmarken lässt. Sie schreit fürchterlich, zieht ein Messer und stößt es dem Hauptmann in die Seite. Er singt blutend ein Lamento. Kaum liegt der einst vergötterte Krieger am Boden, wenden sich die Soldaten von ihm ab, verleugnen seine Kenntnis und kopulieren lieber mit den Griechenmädchen. Der verendende Hauptmann stört die bunte Orgie durch seine Präsenz und wird auf eine Bahre in den Turm gelegt, dessen Gitter heruntergelassen wird.
Die Frau geht mit einer Mischung aus Sorge und Triumph am Gitter auf und ab. Als sie ihre Dienerinnen anweist, das Tor zu öffnen, geben diese vor, den Schlüssel verloren zu haben. Sie leugnen ihrerseits die Kenntnis der Frau und widmen sich wieder ihrem Treiben. Als der Mann siechend an das Gitter kommt, verhöhnt ihn die Frau und freut sich bösartig, seine Macht in einen Käfig gesperrt zu haben. Doch er beginnt unerwartet zu sprechen. Die unermessliche Kraft des Mannes fasziniert sie immens und lässt sie sich an das Tor schmiegen. Doch sie erwacht schließlich aus ihrer Ekstase und äußert erneut den Wunsch nach dem Tod des Kriegers. In innerem Zwiespalt bricht sie zusammen. Der Krieger ist indes wieder munter, reißt das Stahlgitter auf und berührt die sich aufbäumende Frau ein letztes Mal, woraufhin sie die Stiegen zum Untergeschoss herabstürzt und dabei eine Fackel herunterreißt, die alles in einen Funkenregen hüllt.
Der Turm gerät in Brand und vor der schauerlichen Kulisse steht breitbeinig der Krieger. Die Männer und Frauen halten ihn für den Teufel persönlich, versuchen zu flüchten, werden aber von dem Krieger verfolgt und wie Mücken erschlagen. Den Turm zerreißt es in zwei Hälften und in der sich bildenden Feuergasse verschwindet der Mann. In der Ferne kräht ein Hahn.
Ludwig Sievert (Bühnenbild 1922)
Anmerkung:
Mit der Oper „Mörder, Hoffnung der Frauen“ schreibt der junge Hindemith das erste Werk eines Tryptichons dreier experssionistischer, einaktiger Opern. Zusammen mit Puccinis Tryptichon „Il trittico“ sowie Kreneks „Diktator“, „Schwergewicht“ und „Das geheime Königreich“, zählen diese frühen Werke Hindemiths zu den bedeutendsten Gattungsbeiträgen. Besonders dieser Erstling ist in seiner unverblümten Darstellung von Sex und Gewalt sowie durch den abstrakten Text von Oskar Kokoschka besonders verstörend.
Kokoschka lieferte wenige Jahre später auch das Libretto für die frühe Oper „Orpheus und Euredyke“ von Ernst Krenek, welches mit einer ebenfalls extrem bizarren Textgestaltung des antiken Sagenstoffes aufwartet.
Der Expressionismus traf genau den Zahn des beginnenden 20. Jahrhunderts. Die immense Maschinisierung und der Schock des ersten Weltkriegs spiegelten sich in einer grellen, oft brutalen Kunstgestaltung. Hindemith, eher als gemäßigter Neoklassizist bekannt, nahm in seinen jungen Jahren maßgeblich am expressionistischen Kunstleben Teil. Doch die frühen, eher unbekannten Seiten seines Werkes lohnen sehr aufgrund ihrer starken musikalischen Sogwirkung und der Radiaklität ihrer Tonsprache.
Die eingangs gegebene Synopse kann lediglich als Deutung des Musikdramas gesehen werden. Eindeutige Gefühlsregungen und Handlungsabläufe werden allzu oft mit widersprüchlichen oder unverständlichen Textpassagen gekontert, sodass eine Zerrissenheit auftritt, wie sie wohl auch der Turm am Ende der Oper oder gar die Gesellschaft am Ende des Ersten Weltkrieges erfahren haben mögen.
© 2011- Raphael Lübbers