HANDLUNG
Erste Szene: ZIMMER
Wozzeck leistet Dienst beim Militär. Vielseitig begabt, gehört es auch zu seiner Aufgabe, seinen Hauptmann zu rasieren. Dieser ist äußerst leutselig und kümmert sich sogar um die Lebensweise seiner Leute. Die moralische Haltung des Untergebenen kritisiert er, denn dieser hat seiner Geliebten ein Kind verpasst, ohne zuvor den Segen der Kirche in Anspruch zu nehmen. Er mache einen verhetzten Eindruck, welches auf ein schlechtes Gewissen schließen lasse. Trotzdem sei er ein guter Mensch, obwohl er keine Moral habe. Der liebe Gott wird für den armen Wurm schon sorgen! Tugend habe der Dienstverrichtende auch nicht. Wenn er ein feiner Herr wäre und Geld hätte, würde er sich Tugend zulegen. Außerdem denke Wozzeck zu viel, das zehre an der Substanz. Wozzeck bestätigt, was mühsam ist, zu widerlegen. Der Chor wiederholt immerzu den gleichen Spruch „Wir arme Leut!“ Eigentlich ist ein Chor in dieser intimen Kammerszene völlig unangebracht.
Zweite Szene: FREIES FELD
Seinem Kameraden Andres ist Wozzeck nicht geheuer, denn der liebe Kumpel hat öfters spaßige Visionen. Einmal sei ein Kopf vorbei gerollt. Als er ihn aufheben wollte, war es ein Igel. Auf einem Feld vor der Stadt schneiden die beiden Stecken. Zu was diese Tätigkeit gut sein soll, wird nicht erklärt. In Kombination mit Wozzecks absonderlichen Sprüchen wirkt das Abendrot auf Andres unheimlich. Er möchte, dass beide jetzt endlich nach Hause gehen.
Dritte Szene: DIE STADT
Marie liebt schmucke starke Männer, die auf den Füßen stehen wie ein Löwe. Sie steht am Fenster und wiegt ihr Kind, als die Nachbarin sich unliebsam bemerkbar macht. Maries Augen glänzen, wenn die Soldaten vorbei stolzieren. Die Nachbarin tauscht mir ihr Gehässigkeiten aus. Sie behauptet, sie selbst sei eine ehrenwerte Person, was man von Marie leider nicht sagen könne. Mit ihrem Blick gucke sie sieben Paar lederne Hosen durch. Margaret soll doch ihre Augen zum Juden tragen, damit er sie einmal gründlich putze. Die Glotzer bekämen dann endlich Glanz, so dass man sie als Knöpfe handeln könnte. Dann schlägt die sich unterlegen Fühlende das Fenster wütend zu und beschäftigt sich mit ihrem Kind. Sie singt ihm ein Liedchen vor, welches von Hansel handelt, der seine sechs Schimmel anspannen soll. Das arme Hurenkind muss noch nicht verstehen, weshalb Mama gut drauf ist, obwohl sie wirtschaftlich Not leidet. „Eia popeia, mein Bub juchu!“ Kein Mensch gibt ihr ein bisschen Geld dazu. Stimmt nicht ganz! Wozzeck kommt auf einen Sprung vorbei und bringt ihr ein paar Groschen, schaut allerdings das Kind nicht an. Mit seinen Wahnvorstellungen kann Marie nichts anfangen. Der Mann ist ihr nicht geheuer. Er habe Rauch aufsteigen sehen, wie von einem Ofen. Möglicherweise ist Franz übergeschnappt.
Vierte Szene: STRASSE
Der Tambourmajor macht Marie den Hof. Sie ist stolz, von ihm vor allen anderen Weibern favorisiert zu werden. Hat er nicht eine Brust wie ein Rind und einen Bart wie ein Löwe? Wenn er erst am Sonntag den großen Federbusch aufsetzt und seine weißen Handschuhe anzieht, gibt seine Erscheinung noch mehr her. Marie ist doch auch nur ein Weibsbild. Der Angehimmelte schlägt vor, mit ihr eine Zucht von Tambourmajoren zu eröffnen. Zum Schein ziert sich Marie noch ein bisschen, dann gibt sie grünes Licht. Schaut ihr der Teufel nicht aus den Augen?
Fünfte Szene: STUBE
Marie hat ihr Kind auf dem Schoß und einen Spiegel in der Hand. Sie singt von einem Zigeuner, der sie ins Zigeunerland entführen wird. Einen roten Mund hat Marie und sie findet sich viel schöner als die hochgestellten Damen, doch ihre soziale Minderwertigkeit bedrückt sie. Der Bub soll endlich die Augen zumachen.
Wozzeck kommt auf einen Sprung vorbei und gibt ihr seinen Monatslohn. Woher hat sie die schönen neuen Ohrringe? Gefunden hat Sie den Schmuck. Ist sie deshalb ein schlechter Mensch? Wozzeck reagiert misstrauisch. Gleich zwei Ringe auf einmal will sie gefunden haben? Schweißtropfen stehen auf seiner Stirn. Der tägliche Beruf ist schon anstrengend!
Sechste Szene: STRASSE
Der Hauptmann und der Doktor, die sich nicht wohl gesonnen sind, begegnen sich zufällig auf der Straße. Verbale Verletzungen sind beabsichtigt. Die Art und Weise, wie die beiden Herren miteinander umgehen, kann man schon als plump bezeichnen. Wozzeck will rasch vorbeigehen, doch die beiden Vorgesetzten reagieren sich nun an ihm ab. Er soll nicht wie ein offenes Rasiermesser durch die Welt laufen. Man könnte meinen, dass er Katzenschwänze zu rasieren habe. Hat er nicht ein Haar von einem Tambourmajor in seiner Suppe gefunden? Wenn er sie nicht in der Suppe findet, dann vielleicht auf den Lippen seiner braven Frau! Wozzeck bittet, ihn mit Späßen zu verschonen, er sei ein armer Teufel.
Siebte Szene: MARIENS STUBE
Die bösen Sprüche haben gezündet. Vollkommen aufgelöst kommt Wozzeck zu Hause an und weiß nicht wie er seinen Ärger wieder loswerden soll. Eine Sünde, die so dick und breit wie Marie daher komme, müsse eigentlich stinken, dass man damit die Engelchen aus dem Himmel hinausräuchern könnte. Aber sie hat auch einen roten Mund und keine Blasen drauf. Wirklich nicht? Marie sagt, dass ihr im Moment ein Messer im Leib lieber sei, als dass er sie anrühre. Die Atmosphäre ist explosiv.
Achte Szene: WACHSTUBE
Andres kennt ein Lied von Frau Wirtin, welche eine Magd hat, die Tag und Nacht in ihrem Garten sitzt und schaut, welche Soldaten vorbeigehen. Es ist schönes Wetter und am Abend ist Musik und Tanz vor der Stadt. Viele Weibsbilder wird man dort antreffen. In welchem Lokal wird er Marie finden? Wozzeck ist denkbar beunruhigt, weil er befürchtet, dass sein Mädchen sich dort vergnügen könnte. Vergeblich macht Andres einen zaghaften Beschwichtigungsversuch.
Neunte Szene: WIRTSHAUS
Ein Jäger aus der Pfalz ritt einst durch einen grünen Wald. Halli! Halloh! Immerzu, immerzu dreht und wälzt sich Marie. Wozzeck ist es ein Rätsel, weshalb Gott nicht die Sonne auslöscht. Alles wälzt sich in Unzucht übereinander! Mann und Weib und Mensch und Vieh! Wie er an ihr herumgreift und wie schrill sie dazu lacht! Wozzeck wird es rot vor den Augen.
Zehnte Szene: FREIES FELD, NACHT
Wozzeck fasst den Plan, die Zickwölfin totzustechen. Die Stimme kommt aus dem Boden, die es ihm befiehlt und die Pappeln sagen es auch.
Elfte Szene: KASERNE, NACHT
Wozzeck klagt Andres, dass er nicht schlafen kann. Wenn er die Augen zumacht, sieht er sie immerzu. Er hört die Geigen und die Stimme spricht jetzt auch aus der Wand. Der Wahnwitzige sieht in einer dunklen Gasse ein Messer auf einem Ladentisch blitzen. Wenn er es an sich nimmt, gehört es ihm! Der Herr soll ihn nicht in Versuchung führen.
Zwölfte Szene: KASERNENHOF
Der Tambourmajor brüstet sich vor Andres mit seiner Potenz. Ein Weibsbild besitze er, welches ungewöhnliche Attribute vorzeigen könne. Busen und Schenkel seien prächtig entwickelt. Zur Zucht von Tambourmajoren wird er die Bereitwillige heranziehen. Augen hat sie wie glühende Kohlen. Den Wozzeck soll er fragen, wer sie ist. Andres schürt in seiner Einfalt noch die Eifersucht seines Kameraden, der sich darauf besinnt, was er in der Nacht geträumt hat. Sie war sein liebes Madel. Doch bald wird sie nicht mehr sein. Jetzt geht er für den Hauptmann Wein holen.
Dreizehnte Szene: MARIENS STUBE
Marie quälen düstere Vorahnungen und sie sucht Ablenkung in der Bibel. Ein ausführlicher Monolog beschreibt ihren Seelenzustand. Die Ehebrecherinnen lässt sie Revue passieren und beruhigt sich mit der Erkenntnis, dass fast alle noch einmal schadlos davongekommen sind. Für sich selbst erhofft sie Ähnliches. Es beunruhigt sie, dass Wozzeck zwei Tage lang nicht nach Hause gekommen ist. Sie macht sich Sorgen um ihren Buben und liest ihm eine Geschichte vor. Ein König hatte eine goldene Krone, eine Königin und einen kleinen Sohn. Alle aßen Leberwurst! Marie fühlt instinktiv, dass sie an ihrem Lebensgefährten nicht korrekt handelt und theoretisch Buße fällig wäre. Die Religion soll ihr einen Ausweg aus dem Dilemma zeigen.
Vierzehnte Szene: KRAMLADEN
Wenn man jemanden töten will, empfiehlt sich zur Tatausführung eine Waffe. Das Pistölchen ist zu teuer. Dem Ladenbesitzer ist es egal, er sieht zwei Möglichkeiten: entweder entscheidet sich der Interessent dafür oder dagegen. Zwei Gulden für das Messer! Will er sich damit den Hals abschneiden? Er weiß mit einem Messer mehr anzufangen, als damit nur ein Brot zu zerlegen. Den Juden interessiert das Geld, welches er dafür bekommt. Mit dem Messer kann er selbstverständlich machen was er will. Hihi! Hihi!
Fünfzehnte Szene: STRASSE
Die Ruhe vor dem Sturm wird durch einen Kinderchor markiert. Wie schön steht doch das Korn in Blüte und wie prächtig scheint die Sonne. Es folgt ein unzusammenhängendes Liedchen von einem Pfeiffer und einem Geiger in roten Schuhen. Von der Großmutter wollen die Kinder wissen, warum die Sonne scheint. Die Alte ist nicht in Stimmung und singt ein trauriges Lied von einem armen Kind, welches weder Vater noch Mutter hat. Marie kritisiert, dass die Großmutter ihr das Herz schwer macht.
Sechzehnte Szene: KASERNE
Wozzeck verteilt seine Habseligkeiten an Andres. Er redet wirr. Dreißig Jahre ist er alt. Er soll einen Schnaps trinken, damit das Fieber weg geht.
Siebzehnte Szene: WALDWEG AM TEICH, ES WIRD DUNKEL
Wozzeck und Marie machen einen Spaziergang. Sie möchte den Weg in die Stadt nehmen. Ihr Begleiter verwehrt es ihr. Sie setzen sich auf eine Bank.
„Bist weit gegangen Marie.
Sollst Dir die Füße nicht mehr
wund laufen. Es ist still hier!
und so dunkel!“
Weiß Marie noch, wie lange es jetzt her ist, dass sie sich kennen? Zu Pfingsten sind es drei Jahre. Was meint sie, wie lange es noch dauern wird? Marie fürchtet sich. Es wird kalt und die Nacht fällt.
Wer kalt ist, friert nicht mehr. Beim Morgengrauen wird sie nicht mehr frieren. Marie hätte diesen Spruch gern erläutert. Der Mond geht rot auf wie ein blutiges Eisen. Er setzt ihr das Messer an die Kehle. Durch den Chor wird das Publikum informiert, dass Marie nun tot ist, denn die Sänger benutzen zweimal den Ausdruck „Mörder“.
Achtzehnte Szene: WALDWEG AM TEICH, NACHT
Wozzeck hat versehentlich sein Messer bei der Leiche zurückgelassen. Er kehrt zurück und wundert sich über das rote Halsband, welches Marie am Hals trägt. Sie hat es sich mit ihrer Sünde ehrlich verdient. Das Messer könnte ihn verraten. Bestimmt liegt es im Teich. Wenn die Leute im Sommer dort nach Muscheln tauchen, könnten sie es finden. Blutige Flecken findet er an seiner Kleidung überall. Wozzeck verspürt das Bedürfnis, zu baden und erleidet bei dieser Gelegenheit einen Badeunfall.
Zwei Bürger kommen vorbei und hören im Teich ein Geräusch. Jemand ächzt. Es ist schon lange her, dass hier jemand ertrunken ist. Doch gerade eben passiert es. Der Mond ist rot und der Nebel grau.
DER EPILOG ist eigentlich überflüssig.
Anmerkung:
Man kann davon ausgehen, dass Manfred Gurlitt die etwas früher entstandene Version des „Wozzeck“ von Alban Berg nicht gekannt hat, denn diese erlebte ihre Premiere erst vier Monate zuvor in Berlin. Das Psychodrama vom beruflich wie privat geschundenen Menschen hat Anspruch auf Allgemeingültigkeit und weckt Anteilnahme am Schicksal des Antihelden, weil der Zuschauer der heutigen Zeit Episoden und Reaktionen seines eigenen Lebens wiedererkennt.
Die Abschnitte des knapp gefassten Texte stehen hart nebeneinander und provozieren eine Musik, die in ihrer Kompromisslosigkeit dem Handlungsgeschehen gleichkommt. Der rote Mond, der in den Report einbezogen wird, erinnern an die Anwendungsbeispiele der Neuen Wiener Schule. Die Kompositionstechnik gleicht sich an.
Die Vertonung des Büchner-Textes durch Alban Berg hatte den eindeutig größeren Erfolg. Die massiven Anfeindungen des Dritten Reiches, die in ihren Ausläufern auch in der Nachkriegszeit noch Wirkung zeigten, mögen die Ursachen gewesen sein, das Schaffen von Manfred Gurlitt, der in Japan eine neue Heimat gefunden hatte, zu ignorieren. Ein Tondokument aus dem Jahre 1995 revidiert alte Vorurteile und wertet den Komponisten gewaltig auf.
***
musirony 2008 - Engelbert Hellen