HANDLUNG
ERSTER AUFZUG
Erste Szene:
Es ist Karneval in Paris und alle freuen sich auf die junge Zigeunerin Esmeralda, die für sie tanzen wird. Phoebus kann an dem bunten Spiel, welches sich immer froher entfaltet, nicht so recht Gefallen finden. Er ist verliebt in das schöne Zigeunerkind, welches Rosenketten um sein Herz geflochten hat. Allerdings befürchtet er, nicht unbedingt auf Gegenliebe zu stoßen. Esmeralda ist nämlich nicht nur schön, sondern auch tugendhaft und - wie sich später herausstellt - verheiratet. Ein anderer Gardist meint, dass dem Eitlen die Schüchternheit gut zu Gesicht stehe. Allerdings der Fall, dass ein Weib einen Gardeoffizier verschmäht, sei etwas ganz Neues. Tatsächlich lächelt Esmeralda ihn manchmal süß und verheißungsvoll an, aber im nächsten Augenblick wird einem anderen das gleiche Glück zuteil. Es ist wie mit dem Sonnenlicht. Es lacht und leuchtet allen gleich, von Gunst kann da niemand sprechen. Phoebus möchte allerdings bevorzugt behandelt werden und verlässt sich auf seinen Bonus. Vor zudringlichem Gesindel hat er sie Schöne einst mit seinem Degen bewahrt, aber er will dafür nicht Dankbarkeit, sondern Liebe. Heiß ist sein Verlangen und sollte es mit ihrer Anhängerschaft zum Streit kommen - mit fünfzehn Lumpenkerlen wird er schon fertig, prahlt der herrliche Phoebus. Allerdings ein Dolchstoß, ausgeführt in dunkler Nacht, kann das Lebenslicht schnell zum Erlöschen bringen.
Das hübsche Zigeunermädchen hat einen Herold, der ihren Auftritt als Tänzerin und die Qualität ihrer Darbietung wie ein Marktschreier ankündigt. Es ist Gringoire, der unterwürfige Gatte, eine Mischung aus Philosoph und Vagabund. Phoebus kann es nicht glauben, dass Esmeralda diesem Individium die Treue hält. In holder Anmut, stolz und hoheitsvoll, schreitet sie wie eine Königin. Durch ein leichtes Kopfnicken erwidert sie lächelnd den feurigen Gruß des Gardeoffiziers. Ein unliebsamer kleiner Zwischenfall lenkt die beiden ab. Die Menge will Quasimodo, den körperbehinderten Glöckner von Notre Dame, zum Narrenpapst krönen. Der Gefoppte lässt sich dies jedoch nicht gefallen und setzt sich zur Wehr. Er verfügt über Bärenkräfte, erworben beim Läuten der schweren Glocken, und wenn seine Fäuste niedersausen, denkt der Getroffene, ein Pflasterstein habe ihn am Kopf getroffen. Nein, mit Quasimodo ist nicht zu spaßen. Rippen wird er brechen und diese zu Mehl zermahlen. Den Würmern, die ihn angreifen, will er das Hirn auspressen. Der Klotz hat wirklich alle gegen sich aufgebracht. „Schaut nur, wie diese Bestie die Zähne fletscht“, rufen sie sich zu. Sogar mit dem Gardeoffizieren legt Quasimodo sich an. Den herrlichen Phoebus beschimpft er als Kleiderpuppe und will ihn auf das nächste Dach werfen. Für diese Frechheit soll der Ungehobelte mit dem Leben bezahlen. Phoebus zieht seinen Degen, aber es ist Esmeralda, die Partei für den Unbewaffneten einnimmt und gegen ihr Lächeln und ihre Vorhaltungen kommt Phoebus nicht an. Quasimodo hat in seinem Kopf registriert, dass es noch ein zweites Wesen auf dieser Welt gibt, welches ihm zugetan ist.
Die erste Person, die ihm Zuwendung erwiesen hat, ist sein Chef, der Archidiakon von Notre Dame. Der Geistliche drängt sich durch die Menge und erscheint rechtzeitig, um seinem Schützling beizustehen. Er rügt den Pöbel, mit ihres lieben Nächsten Hässlichkeit Hohn und Spott zu treiben und unterbindet unter Strafandrohung die Wahl von Narrenpäpsten für die Zukunft. Warum hat Quasimodo am schnöden Spiel des Pöbels teilgenommen? Ihm war verboten, an diesem Tag überhaupt auf die Straße zu gehen. Auch Phoebus bekommt einen Teil der Strafpredigt ab. Er soll Mut und Schwert für ernsthafte Angelegenheiten reservieren. Der Archidiakon versteht es, sich mit gesetzter Rede Respekt zu verschaffen. Esmeralda hat sogar Angst vor ihm und teilt ihre Befürchtungen Phoebus mit. Ist der hohe Herr ihr etwa zu nahe getreten? Noch nicht, aber was nicht ist, kann noch kommen.
Gringoire drängt Esmeralda, sich für ihren Auftritt fertig zu machen. Das Geschwätz mit dem Laffen – er meint Phöbus – sei überflüssig. Dieser hat jedoch ein Stelldichein mit seiner Angebetenen vereinbart. Im Haus der alten Falourdel will er das Objekt seiner Begierde um acht Uhr treffen. Den unscheinbaren Ehemann übersieht er vollkommen. Wenn sie ihn liebt, wird sie kommen! Die Leute wollen jetzt ihre Tanzvorstellung und rufen nach ihr. Esmeralda! Esmeralda!
Zweite Szene:
Den königlichen Gardeoffizier soll der Abgrund verschlingen! Gringoire, einst bester Theologie-Schüler des Archidiakonus, klagt diesem sein Leid. Die Liebe hat ihn ins Elend gestürzt. Wenn sein Auge ihn ärgert, soll er es ausreißen! Leider zu spät, Esmeralda ist sein Weib. Allerdings zur intimen Zweisamkeit ist es nie gekommen. Der Archidiakon will es nicht glauben und der Zerknirschte erzählt ihm seine Geschichte. Bei einem Überfall wollte er dem Zigeunermädchen zur Hilfe eilen, ist aber gegen die Übermacht nicht angekommen, sondern niedergeschlagen worden. Zum Glück kam zufällig ein Gardeoffizier vorbei, der die Angreifer mit seiner Waffe vertrieb. Irrtümlich wurde er, Gringoire, für einen der Übeltäter gehalten und vom Klan zum Tode verurteilt. Gemäß Brauch unter den Zigeunern, kann ein Verurteilter freikommen, wenn eine Frau des Stammes sich bereit erklärt, ihn zu heiraten. Da sich niemand meldete, war Esmeralda in ihrer Nächstenliebe so freundlich, ihm aus der Schlinge zu helfen. Er wurde mit ihr verehelicht, aber die Lust auf Liebe konnte er schon am Hochzeitstag beerdigen. Ihre Kammer sperrt sie jeden Abend ab. Der Sinn steht ihr nach dem Lebensretter, dem strahlenden Phoebus. Heute abend gegen acht Uhr werden seine Wünsche voraussichtlich in Erfüllung gehen und der Ehemann geht wieder leer aus. Gringoire ist todunglücklich. Begreift der Archidiakon überhaupt die Größe seines Elends? Ein anderer darf jubelnd genießen, was ihm so schnöde verwehrt. Im Kopf des Archidiakons arbeitet es und Gringoire weiß nicht, welches Süppchen der Arglistige kocht. Er bekommt den Rat, Esmeralda, deren Gesang aus der Ferne zu vernehmen ist, nicht von der Seite zu weichen und wenn sie im Schlaf liegt, sich ganz leise aufzumachen, und ihn zu holen. Xx Der Plan geht nicht auf. Als Gringoire auf den Platz kommt, ist Esmeralda nicht mehr da. Irgendwo im Festzug, der sich gerade formiert und durch die engen Gassen zieht, wird sie sein. Es lebe der Prinz Karneval, der Bacchus, Frau Venus und der Wein. Maskengruppen mit Fackeln und Lampions ziehen über den Platz, bis die Bühne leer ist. Das Abendrot beleuchtet die Silhouette von Notre Dame.
VERWANDLUNG
Für die Opernbesucher gibt es jetzt das sehnlich erwartete Wunschkonzert: „Zwischenspiel aus der Oper NOTRE DAME von Franz Schmidt“ Die sphärenhaft erhabenen Musik leitet über zur
Dritten Szene
Das Rattennest ist leer und für Beleuchtung hat die alte Faroundel nicht gesorgt. So kann Gringoire sich in aller Ruhe verstecken, bevor Phoebus in Begleitung Esmeraldas eintrifft. Die Vermieterin bekommt ein paar Münzen für Wein und Beleuchtung, damit die beiden Gäste ihr Liebesduett nicht im Dunkeln singen müssen. Das Täubchen soll keine Furcht empfinden. Er ist bei ihr und die zu vernehmenden Geräusche macht der Wind auf dem morschen Dach. Zunächst tut Esmeralda schamhaft, aber dann bricht die Leidenschaft doch aus ihr heraus. Sie liebt seinen Heldenmut und seinen Degen, nachdem er sie aus Räuberhänden gerettet hat. Die süße Schwärmerin! Um die Gegensätze zwischen Edelmann und Zigeunerkind auszugleichen, hat Gott die Liebe eingesetzt.
Esmeralda trägt als Amulett einen kleinen Schuh bei sich. Sie selbst ist eigentlich keine Zigeunerin, sondern wurde – wie es oftmals passiert - von Zigeunern gekidnappt. Der Schuh, den sie bei der Entführung trug, ist das Andenken an ihr Elternhaus. Das Leder wurde von einer alten Zigeunerin verflucht. Sobald sie einem Mann ihre Gunst schenken wird, verliert der Schuh seine Zauberkraft und sie nie mehr nach Hause zurückkehren. Deshalb hat auch der Ehemann bisher nicht die kleinste Gunst erfahren. Esmeralda will davonstürzen, doch Phöbus hält das Kleinod fest und taktiert: Wenn sie bleibt und nicht entflieht, will er vor ihr im Staube liegen. Faroundel, die alte Schlampe, hat den Fußboden nicht gekehrt. Gringoire hat seinen Empfindungen zu viel zugemutet. Hass und Unterlegenheit beflügeln seine Körperkräfte. Er zückt den Dolch und trifft den Liebhaber mit voller Wucht in sein Wams. Die Revanche wartet er nicht ab, macht einen Satz aus dem Fenster und stürzt kopfüber in die Seine. Der Tisch kippt um und das Licht verlöscht. Die alte Faroundel ist wach geworden. Hilfe, ein Mord, ein Mord in ihrem Haus! Die Zigeunerin, die alte Hexe, ist die Schuldige!
ZWEITER AUFZUG
Vierte Szene:
Esmeralda hat den Ernst ihrer Lage nicht erfasst. Nur eine Hexe kann dem Tod so friedlich entgegenschlummern. Kommt sie aus dem Himmel oder aus der Hölle? Der Archidiakon, der Esmeralda im Kerker besucht, um sie auf das Ende vorzubereiten, weiß es nicht und steht gedankenverloren vor der Schlafenden. Böse Gelüste hat sie durch Gesang, Tanz und verführerisches Auftreten in dem Sohn der Kirche geweckt. Den Weg zu Gott und seine Seelenruhe von früher wird er erst wiederfinden, wenn der Henker die Schuldige vom Leben zum Tode befördert hat. Solange die Zigeunerin seine Sinne verwirrt, kann er seinen Schülern den Weg zur Wahrheit nicht mehr weisen. Esmeralda soll jetzt beichten, ihre Schuld bekennen und bereuen. Vor den Richtern hat sie geschwiegen, aber der Archidiakon möchte jetzt die Wahrheit hören. Hat sie etwa ihren Mann Gringoire verleitet, die grausige Tat zu begehen. Esmeralda klagt, dass Gringoire auf dem Grund der Seine liegt und als Zeuge für ihre Unschuld nicht mehr in Betracht kommen kann. Die Todgeweihte hofft, den Geliebten im Reich der Schatten wiederzutreffen. Eine kleine Stichverletzung haut einen Gardeoffizier nicht um. Der Hauch des Todes hat ihn nur gestreift, korrigiert der Beichtvater die Wissenslücke der Todgeweihten.
Der mächtige und edle Herr soll sich doch bitte für sie einsetzen und sie zum Geliebten bringen, wenn auch nur ein Hauch von Menschlichkeit in ihm ist. Unmöglich, er kann ihr nur den Pfad ins Jenseits weisen. Hat sie das Sterben schon vergessen? Der Archidiakon zeigt ihr die Eisentür, aus der sie aus dem Leben schreiten wird. Esmeralda will nicht sterben. Der Gutherzige soll den Richtern sagen, dass sie unschuldig sei. Seine Macht ist so groß wie seine Weisheit! Zu spät erkennt der Archidiakon, dass man einen Engel verdammt. Die Söldner sind bestechlich! Er hält ihr die Hand entgegen, damit sie ihm folgen soll. Aber sind seine emotionalen Probleme mit einer Geste der Milde gelöst. Er verwirft die positiven Regungen, welche die Unschuldige dem Leben zurückgegeben hätte. Im Zwiespalt seiner Gefühle und in Anbetracht seiner Position als ehrwürdiger Theologe und moralisches Vorbild schleudert er die Bittende von sich. Zur Hölle soll sie fahren, von wo die Teufelin ohnehin zu Hause ist. Die Verzweifelte gibt das Spiel verloren.
Fünfte Szene
Esmeralda hat kein Verbrechen begangen und will deshalb auch nicht bereuen, nicht büßen, nicht beten, sondern Phoebus besuchen. Im Büßerhemdchen mit einer Kerze in der Hand steht sie auf den Stufen der Kathedrale und wartet, was man mit ihr machen wird. Der Archidiakon gestaltet das Programm in lateinischer Sprache und betet um einen reibungslosen Ablauf der Prozedur. Nun ist Quasimodos große Stunde gekommen, um dem geliebten Wesen, welches ihm einst aus der Verlegenheit geholfen hat, seine Dankbarkeit zu bezeugen. Behände stößt er aus dem Hauptportal hervor, klemmt sich seine Wohltäterin unter den Arm und schreit aufgeregt: „Asyl! Asyl!“ Mit der Geretteten verschwindet er in der Kathedrale und das Portal knallt zu. Die Bevölkerung, platt vor Erstaunen, lobt die Tat eines braven Mannes.
Letzte Szene
Sinnend steht Esmeralda auf der Plattform der Kathedrale zwischen den beiden Türmen. Zuviel ist in den letzten Tagen auf sie eingedrungen und sie kann nicht einschlafen. Es ängstigten sie der Totengesang der Priester und sie erinnert sich der Faust, die sie unversehend packte und durch die Lüfte trug. Denkt Phoebus noch an sie? Quasimodo ist rührend um sie besorgt und versucht sie zu trösten, so gut es geht. Er macht seinem Schützling aber auch begreiflich, dass er trotz der frischen Luft, die er hier oben atmet, ein Gefangener ist, der das schützende Asyl auf keinen Fall verlassen darf. Jeder Schritt nach draußen kann das Grab bedeuten. Hier oben ist ihre Unversehrtheit garantiert. Der Weg zum Versteck kann nur einzeln betreten werden und jeden der es wagen sollte, das Asylrecht zu verletzen, schlägt Quasimodo nieder. Doch Esmeralda will nicht bleiben. Der Glöckner weiß für den Notfall einen unterirdischen Geheimgang, der an den historischen Gräbern vorbei zum Fluss führt. Der Fluchthelfer öffnet die Turmpforte und die beiden sehen sich, von Soldaten umgeben, dem Archidiakon gegenüber. Esmeralda sinkt vor Schreck bewusstlos zu Boden. Das Asylrecht hat der Hausherr durch Königswort außer Kraft setzen lassen und fordert nun die Soldaten auf, ihre Pflicht zu tun. Des Volkes Stimme hat sich gewandelt. sie ruft: Zum Galgen mit der Hexe. Quasimodo verlegt sich aufs Bitten, handelt sich aber von seinem Herrn und Meister nur Schelte ein. Er bricht einen Gesteinsbrocken aus der Ballustrade und wirft ihn auf die tobende Menge – eine Geste der Verzweiflung und der Ohnmacht. In seiner religiösen Verbohrtheit sieht der Archidiakon die Rettung seiner Seele im Tod von Esmeralda. Die Vorhaltungen des Glöckners, das Asylrecht entweiht zu haben, welches einer Unschuldigen Schutz gewährte, stößt auf geistige Abwesenheit. Der Dialog entgleitet, Herr und Diener verlieren die Kontrolle über ihre Äußerungen. Es kommt zum Ringkampf, bei dem der Archidiakon über das Geländer in die Tiefe stürzt. Die Hexe tanzt nicht mehr, die Strafe hat sie ereilt! Der Retter blieb fern und der Teufel ließ sie im Stich! Die beiden einzigen Menschen, die Quasimodo je geliebt, sind tot. Sie sollen ein Grabgeläute bekommen, wie es die Welt noch nicht erlebt hat. Möge der Riesenbau in seinen Grundfesten erzittern und ihn mit seiner Verzweiflung begraben.
Anmerkungen
Das vorzügliche Libretto ist dramaturgisch geschickt aufgebaut und reduziert sich auf das Wesentliche aus dem Roman von Victor Hugo. Die Sprache ist entbehrt nicht der Poesie, ist aber für romantische Begriffe erstaunlich kühl und sachlich.
Franz Schmidt war Cellist der Wiener Philharmoniker und hatte kein gutes Verhältnis zu Gustav Mahler. Dieser war zu jener Zeit Operndirektor und verschleppte eine Aufführung um ein Jahrzehnt. Das berühmte Zwischenspiel wurde jedoch vorher schon konzertant aufgeführt, so dass die hochgesteckten Erwartungen sich bestätigten und der Uraufführung ein glänzender Erfolg beschieden war.
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musirony 2007 - Engelbert Hellen