musirony - Der Kreidekreis - Part 1
 

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Schöne Oper – gern gehört

 


Alexander Zemlinsky [1872-1942]

Der Kreidekreis

The Chalc circle


Oper in drei Akten

 

entstanden 1930-1932

op.21

 deutsch gesungen

 Text von Klabund (Alfred Henschke)

 Uraufführung am 14. Oktober 1933 am Stadttheater Zürich

Charaktere:

Tschang-Haitang (Sopran)
Frau Tschang, ihre Mutter (Alt)
Tschang-Ling, ihr Bruder (Bariton)
Pao, Kaiser (Tenor)
Ma, ihr Mann, ein Mandarin (Bass)
Pü Pei, seine Gattin ersten Ranges (Sopran)
Tschao, Sekretär bei GerichtTschu-Tschu, Oberrichter
Ferner: zwei Kulis, eine Hebamme, Zeremonienmeister des Kaisers,Gerichtspersonen, Soldaten, Polizisten

Das Geschehen spielt zu historischer Zeit in China

   Klabund

 

Dokumentation:
LABEL: Capriccio CD 1991.
RSO Berlin unter Stefan Soltesz
Gesangssolisten: Behle, Goldberg, Hermann, Lorenz, Ottental, Schreckenbach u.a.
 


 

HANDLUNG

Erster Akt:

Erstes Bild

1

Tong bittet die Opernbesucher untertänigst, sich vorstellen zu dürfen. Sein Name klingt so, als ob man leise ein missgestimmtes Gong anschlägt. Er sei der Besitzer des zwar bescheiden anmutenden, aber erstklassigen Etablissements. Mit der Polizei befindet er sich in bestem Einvernehmen. Der Herr Polizeipräsident lässt sich zuweilen herab, ihn zu beehrten. Im übrigen gewähre er nur Damen von besten Leumund Unterkunft. Hören Sie Musik? Seine drei Damen spielen die Frühlingsserenade.

Der Eunuch schlägt die Vorhänge zurück und der Theaterliebling sieht in drei Käfigen drei schöne Mädchen sitzen, welche die Instrumente spielen. Eine von ihnen stimmt ein Lied an:

Allen Männern zu gefallen
bin in Taumel ich und Tand.
Wenn sie ihre Wünsche lallen,
sitze ich abgewandt.
Geben Gold und geben Speise,
keiner gab ein gutes Wort.
Und so wein' ich wild und leise
meine süße Sehnsucht fort.
Gestern trieb nun das Gelüste
einen Jüngling zu mir her,
der mich auf die Stirne küsste,
ach ich sehe ihn nicht mehr.

Tong zieht die Vorhänge wieder zu, nachdem er einen Gong angeschlagen hat. Rein rhetorisch fragt er das Opernpublikum, ob es wisse, woran der Klang des Gongs ihn immer erinnert? An eine Hinrichtung!

In seinem früheren Beruf – die Herren werden es kaum glauben – war er nämlich Henker. Damals habe er Männern den Kopf abgeschlagen und jetzt verdreht er ihn nur mit Hilfe seiner Blumenmädchen. Um nicht selbst in Versuchung zu fallen und sein Geschäft durch unschickliche Handlungen zu stören oder zu beeinträchtigen, zum Beispiel etwa die Eifersucht der Herrn Klienten zu erregen, habe er freiwillig auf die Attribute der Männlichkeit verzichtet. Seinerzeit habe er sich einer kleinen Operation unterzogen. So stehter nun zwischen Mann und Weib, ist keines von beiden und so zur Mittlertätigkeit berufen und erwählt.

2

Die Dämmerung, die gewiegte Kupplerin der Nacht von altersher, naht und Tong hört Schritte die Gasse heraufkommen. Das Mädchen stellt sich dem Teehausbesitzer vor und plappert ihr Anliegend herunter.

Ihr Name sei Haitang und sie sei die Tochter der ehrwürdigen Dame an ihrer Seite, Frau Tschang geheißen. Sie sei erst sechzehn Jahre alt, habe aber schon viel erlitten und werde noch mehr erleiden. Viel Schmerz und ein wenig Glück seien ihr Schicksal – Rote Abendwolken nach einem düsteren Gewittertag. Das sei das Leben!

Tong will nicht vorlaut erscheinen, bringt aber seine Verwunderung zum Ausdruck und bezeugt sein Bedauern. Die Damen betreten in Trauerkleidung das Haus der Freude! Hat es in der Verwandtschaft einen Todesfall gegeben, so bitter er nachsichtig sein innigstes Beileid entgegenzunehmen.

Haitang führt aus, dass es kaum eine Stunde her ist, dass sie den ehrwürdigen Herrn Tschang in die Erde senkten. Er war von Beruf Seidenraupenzüchter und Gemüsegärtner, dazu der Gatte der Dame, die sie begleitet, und ihr Vater. Mit ihren eigenen Händen habe sie die Erde aufgerissen und den Sarg eingebuddelt, denn einen Totengräber konnten sie sich finanziell nicht leisten.

Frau Tschang schluchzt, sie habe ihren Gatten geliebt und liebt ihn nun noch mehr, da er nun bei den Ahnen weilt, was ihr die Gelegenheit bietet zu seinem Gedächtnis morgens und abends Räucherkerzen zu entzünden. Tong möchte gern wissen, wodurch der Tod des Herrn Vaters so plötzlich eingetreten ist.

Haitang senkt den Kopf, statt ihrer antwortet die Mutter: Das Rad des Unglücks sei über sie dahin gerollt. Ihr treu ergebener Gatte, habe seinem armseligen Leben, das nur noch wie ein altes Kleid an ihm hing, selbstherrlich ein Ende gemacht. Haitang verbirgt ihren Kopf in den Falten ihres Ärmels.

Die Dämonen der Unterwelt mögen ihm gewogen sein und der Herr der ewigen Nacht ihm ein mildes Urteil sprechen, tröstet Herr Tong. Darf man sich nach dem Grund seiner plötzlichen Abreise in die unteren Gefilde erkundigen? Haitang hat sich ein wenig gefasst und gibt zu Protokoll, dass der Mandarin und Steuerpächter Ma sie um Geld und Gut gebracht hat. Vorgestern war die Steuer fällig. Wir hatten an Wertsachen nicht zu eigen als einen Sarg, der schon vor Jahren für das erste Mitglied ihrer Familie, welches sterben würde, angeschafft worden war. Herr Ma schämte sich nicht, diesen Sarg durch den Gerichtsvollzieher beschlagnahmen zu lassen. Da ging ihr Vater vor das Haus des Mandarinen und erhängte sich mutig an seinem Türpfosten. Frau Tschang ergänzt noch, dass das Volk ihm mit Steinen die Fenster eingeworfen habe. Die Rache der Geister wird ihn treffen. Durch alle sein Träume wird der Erhängte wandeln, bleich, und die blaue Zunge wird ihm aus dem Mund hängen. Ein Wolf soll sein Blut trinken. Tausend Wespen werden ihm seine Augen stechen, dass er erblindet.

Wer spielt so schöne Musik? Meine Trauer beginnt in diesen Tönen zu schweben wie ein Schmetterling in der Luft. Tong antwortet stolz, dass es die Bewohnerinnen dieses Hauses sind, die diese Melodien hervorlocken.

Für Frau Tschang ist nun der Zeitpunkt gekommen, ihr Anliegen in Worte zu fassen. Sie kam hierher um den hochwohlgeborenen Herrn Tong zu bitten, Ihre Tochter Haitang als Tochter der Freude in sein achtbares und geachtetes Haus aufzunehmen. Sie seinen völlig ruiniert und wissen nicht, wovon sie leben sollen. Sie müssten verhungern und sieht sich deshalb gezwungen ihre Tochter als Blumenmädchen zu verkaufen.

Haitang bietet an, dass sie die Laute, die Flöte und das Instrument Kin spielt. Sie vermag zierliche Geburtstagskarten zu malen und kann tanzen und singen. Die Mutter mischt sich ein und fordert das Kind auf, Herrn Tong vorzutanzen, damit er ihr Talent schätzen lernt. Nach der Musik, die ertönt und dann wieder abbricht, tanzt Haitang ein paar Takte.

Vortrefflich, ausgezeichnet, eine seltene Begabung, ein fast dramatisches Talent“ kommentiert Herr Tong und fragt die Mutter, was der Preis ist, welches er für das Fräulein fordert. Haitang bricht zusammen und legt sich auf den Boden. Hundert Taels in Gold fordert Frau Tschang. Tong findet dass das immerhin eine bedeutende Summe, auch für so ein gutsituiertes Unternehmen wie das seine ist. Das Fräulein sei schön, daran bestünde kein Zweifel, aber wenn seine alten Augen ihn nicht täuschen, so hat die Dame im Nacken einen kleinen störenden Leberfleck. Frau Tschang geht im Preis auf neunzig Taels herunter.

Sie sei zwar klug und gebildet, versteht zu tanzen, aber ihr Tanz war ihm zu melancholisch. Es fehlt die leicht schwebende Lustigkeit, die die Männer fortreißt. Frau Tang trumpft mit den Vorzug auf, dass die Tochter noch unberührt sei. Nun, dann sagen wir, mit achtzig Taels soll der Handel gültig sein. Frau Tschang ist einverstanden und Herr Tong wird sich gestatten, die Summe sofort auszuzahlen

3

Tschang-Ling hat seine Schwester überall gesucht. Von Straße zu Straße ist er geeilt. Abgefallene Blütenblätter haben ihm den Weg gewiesen. Hier muss er die Blüte nun völlig entblättert vorfinden. Haitang erwidert, dass sie die Blüte, die sie im Gürtel trägt, noch kein Blütenblatt verloren hat. Doch Tschang-Ling prophezeit, noch ehe die Nacht um ist, wird sie welk sein. Die Pflicht als Tochter gebietet ihr, für die Mutter zu sorgen. Wie kann das mütterliche Herz damit einverstanden sein, dass ihre Tochter den entwürdigenden Beruf eines Teehausmädchens ergreift?

Die Mutter mischt sich ein und ist der Ansicht, dass es eigentlich an ihm sei, für die Familie zu sorgen, aber die paar Keks, die er durch Abschreiben verdient, trägt er zu den Mädchen in zweitklassigen Teehäusern. Uns er wagt es, auf die eigene Schwester, die den gleichen Beruf ergreifen will, Schmutz zu werfen.

Haitang beschwichtigt, sie will auch versuchen, zu dem Lebensunterhalt des Bruders beizusteuern. Das Haus des Herrn Tang ist angesehen. In ihm verkehren gutbetuchte und freigebige Gäste.

Will das Verworfene Geschöpf ihn etwa zu seinem Mitschuldigen machen? Er spielt den Entrüsteten und schmiert ihr eine. Die Mutter klagt, dass sie selbst an allem schuld sei und wünscht sich, niemals Kinder geboren zu haben. Hasserfüllt stürzt Tschang-Ling davon.

Tong hat das Geld herbeigeschafft und zählt es Frau Tschang in die Hand. Darf er ihr jetzt noch den goldenen Käfig zeigen, in dem das Mädchen ihr schönes Gefieder spreizen soll. Herr Tong geleitet die Mutter zur Tür.

Haitang hat ihren Arbeitsplatz im Käfig eingenommen und singt die Weise:

4

Am Ufer unter Weiden steht das Haus,
ein zartes Mädchen sieht zur Tür hinaus.
An der Voliére steht der Mandarin,
ein zarter Vogel singt und hüpft darin.
Verschließ den Käfig! Hüte gut das Haus!
Sonst fliegt der Vogel in den Wald hinaus!“

Zweites Bild

5

Haitang gibt ihr Debut als Teehausmädchen. Ein junger Prinz betritt den Raum, Tong tänzelt unterwürfig vor ihm her und verschwindet dann im Hintergrund. Prinz Pao hält sich für einen Abenteurer und einen träumerischen Helden, der trunken durch diese Welt stolpert. Tausend Schwerter hat er schon gegen seine Feinde geschwungen, aber den Kampf ersehnt er eigentlich nicht. Sein Herz hat er der Liebe gewidmet und es bedarf nur einer Kantilene, um es zum schwingen zu bringen.

6

Er hat eine Nachtigall gehört und ist ihrem Ruf gefolgt. Doch statt dessen hat er eine Blume gefunden, deren Duft ihn verwirrt. Die trägt das weiße Gewand der Trauer und der Kelch ist geschlossen. Er will versuchen, sie ein wenig zu erheitern, damit die Blüte sich öffnet. Haitang weiß zu antworten: Diese Sprüche pflegen die jungen Herren in den Anstandsstunden zu lernen. Sie kommen von den Lippen und berühren nur leise das Ohr. So soll es geschehen, sie soll seine Lippen ihr Ohr berühren lassen.

Sie soll ihm etwas zuhauchen, was man mit Worten nicht sagen kann. Aus einem Hauch wird leicht ein Wind und aus einem Wind ein Sturm. Will der Prinz nicht eine Partie Schach mit ihr spielen? Die Figuren sind schon aufgestellt. Weiß beginnt und schwarz zieht nach. Schach der Dame! Sie sei keine Dame – Schach dem König! Er sei auch kein König. Zum Gegenzug gehe sie vor wie ein hochdekorierter Feldherr. Er gibt das Spiel auf. Um ein besseres zu spielen. Und an welches Spiel denkt er? An das Spiel der Liebe denkt Pao. Haitang wusste nicht, dass die Liebe ein Spiel sei. Er sei so nachdenklich. Soll sie für ihn tanzen? Den Tanz der Jahreszeiten, den Tanz des Südwindes oder den komischen Tanz des Herdfeuers? Oder soll sie etwas für ihn malen?

7

Haitang malt mit weißer Kreide auf ein schwarzes Papier einen Kreis. Pao führt aus, dass der Kreis das Symbol des Himmelsgewölbes ist. Der Ring schmiedet die Gatten aneinander. Zwei Kreise ineinander verschachtelt seine zwei Herzringe. Nun wird Haitang philosophisch. Was außerhalb des Kreises liegt, ist das Nichts; was innerhalb des Kreises liegt ist das All. Was verbindet das Nichts mit dem All? Im Kreis, der sich drehend fortbewegt, ist das Rad. Haitang sei an das Rad geschmiedet, an das Rad des Schicksalswagens, welches die Sonnenrosse ziehen. Ein junger Gott steht mit feuriger Peitsche im Wagen und treibt die Rosse an, ohne ihren Jammer und ihre Tränen zu beachten.

Das philosophische Gespräch setzt sich noch endlos fort, so dass Pao den Eindruck bekommt, dass das Mädchen nicht nur schön, sondern auch gescheit ist. Plötzlich durchstößt innerhalb des Kreidekreises ein Kopf die Papierwand; beide weichen erschrocken zurück.

8

Sein Name sei Ma, ganz einfach Ma, ganz einfach Ma. Wenn er den Namen Ma nennt, so sollte das eigentlich genügen, dass jedermann sich ehrfurchtsvoll vor ihm verneigt, denn er besitzt sehr viel Geld, so dass er sich alles kaufen kann, was er will, wonach er Gelüst und Sehnsucht trägt. Er sieht ein schönes Pferd und besteigt es. Sieht er ein schönes Weib, so entführt er es. Wenn es ihm passt, geht er sogar durch die Wand, wie in vorliegendem Falle. Er bezahlt alles. Im Gericht habe er einen Sitz erkauft und spricht Recht, obwohl er nicht einmal recht sprechen kann. Er ist Steuerpächter und treibt die ihm zustehenden Steuern rücksichtslos ein. Dabei gehe et streng, aber gerecht vor. Undank ist der Welt Lohn. Erst vorgestern erhängte sich ein gewisser Gärtner Tschang vor seinem Hause in der Absicht, ihm Ungelegenheiten zu bereiten, was dem Lumpen auch gelang, obwohl er ihm die Steuerschuld schon einmal gestundet hatte. Der Pöbel hat ihn als Blutsauger beschimpft und ihm die Fenster eingeworfen. Um sich von der Aufregung zu erholen, habe er nun das Haus des ihm wohlbekannten Herrn Tong betreten, denn er liebt Blumen und die Wiesen auf denen sie wachsen. Für Liebesunternehmungen sei der heutige Tag besonders günstig, hat sein Astrologe ihm verraten und ihm sein Horoskop gestellt.

9

Eine neue Blume im Garten des Herrn Tong sieht er! So zart ist sie, dass er nicht wagt sie anzufassen, denn sie könnte zerbrechen. Er klatscht dreimal in die Hände und er bekundet Herrn Tong, dass diese junge Dame ihm gefällt und sein Herz rührt. Der Teehausbesitzer erklärt, dass sie noch unberührt und somit Jungfrau sei. Ma glaubt ihm nicht und erklärt, dass er schon mehrfach versucht habe, ihm eine falsche Jungfrau anzudrehen. Beleidigt entgegnet Tong, dass er diesmal nicht flunkert. Ma entschließt sich daraufhin ihm die Dame mit Leib und Seele abzukaufen. Keine Widerrede! Er bietet hundert Goldstücke So wenig? Das holde Kind hat ihn selbst zweihundert gekostet!

Pao tritt aus den Hintergrund hervor und bietet 300. Die beiden wechseln sich ab im Überbieten, zuerst heißt es 400 und dann 5OO Tong reibt sich die Hände. Ma bietet schließlich 1000 Goldstücke und damit ist für Prinz Pao die Schmerzgrenze erreicht. Er verneigt sich vor dem Objekt seines Interesses und informiert Ma: „Die Dame gehört Ihnen!“

In seinem Selbstgespräch beklagt Haitang leise ihr bitteres Schicksal: Ihren Vater hat er in den Tod getrieben. Das Schicksal wirft sie in seine Arme. Sie ist nur ein Mensch. Was soll sie tun? Die Götter werden in ihrem Namen handeln. Herr Tong möge eine Botschaft an ihre Mutter schicken, dass sie sich noch heute mit Herrn Ma vermählen wird. Tong verneigt sich und fragt sicherheitshalber, ob sie auch weiß, was das Weib dem Mann schuldet, bevor er sich abschließend vor ihr verbeugt.

Haitang hat schon in ihrer Kindheit auswendig gelernt:

Das Weib hat zu schweigen, wenn der Mann spricht,
es hat zu lächeln, wenn er tadelt,
zu bitten, wenn er grollt,
zu danken,
wenn er züchtigt,
zu lieben, wenn er verachtet und hasst!“

Zweiter Akt

Drittes Bild:

10 Vorspiel
(Im Garten und auf der Veranda des Hauses Ma)

11

Die erste Gattin und Gemahlin erster Klasse heißt Yü Pei und beklagt sich beim Opernpublikum, dass es jetzt ein Jahr her ist, dass Herr Ma sich eine zweite Gattin ins Haus genommen hat. Es sei eine unausstehliche Person namens Haitang, über deren sittlichen Qualitäten sie sich nicht äußern will. Aber es sagt wohl schon genug, dass Herr Ma sie von der Straße aufgelesen hat. In einem Teehaus hatte sie die zweifelhafte Rolle einer Kurtisane gespielt. Sie sei in tiefster Seele verletzt, dass Herr Ma, ihr, seiner Gattin ersten Ranges, eine solche Person vorzieht. Zu allem Überfluss hat sie ihm einen Knaben geboren, einen Erben, während ihr Schoß unfruchtbar geblieben ist. Welches Los hat sie nun zu erwarten, wenn sie ihr Geschick nicht selbst entschlossen in ihre kleinen Hände nimmt? Zum Glück wird ihr jemand beistehen, der ihr auf Leben und Tod ergeben ist.

Und das ist niemand anders als ihr untertäniger Knecht Tschao, Gerichtsbeamter am hiesigen Amtsgericht. Herr Ma hat ihn in einer geschäftlichen Angelegenheit zu sich gebeten, aber er sei noch nicht unterrichtet, um was es sich handelt, quittiert er die Neugierde von Frau Ma.

Yü Pei umgarnt ihn und Tschao fragt, wann es endlich so weit sei, dass sie einander völlig angehören dürfen - frei vor aller Welt, und nicht heimlich wie jetzt im Garten, wenn Herr Ma ausgegangen ist. Vielleicht schon eher, als er meint, lockt Yü Pei Die Zeit schreitet ihm zu langsam vorwärts. Er ist schon ganz verzweifelt und er denkt darüber nach, dass es vielleicht würdiger sei, seinem Leben ein Ende zu setzen, als langsam dahinzusiechen. Im Tempel des Wu-Wang hat er einem Mönch ein kleines Fläschchen mit einer Flüssigkeit abgekauft, welches er in den Falten seines Gewandes immer bei sich trägt.

Ist es Gift? Er soll es ihr geben! Er darf es nicht bei sich tragen in seinem Zustand, da sein Gemüt verdunkelt ist. Sie wird es aufheben. Niemand weiß, ob nicht die Stunde kommt, da sie gemeinsam die Reise in die unteren Bezirke antreten werden? Mit ihr zusammen zu sterben wäre Seligkeit. Jetzt soll er mit ihr leben und diese Seligkeit wird süßer ein, erwidert sie und zieht ihn hinter einen Baum. Beide umarmen sich.

12

Nach ihrer letzten Zusammenkunft hat Tschao die Gesetzbücher auf einen strittigen Punkt durchgesehen und sich über die Frage Gewissheit verschafft, wer der Erbe von Haus, Geld und Gut ist, wenn der Besitzer stirbt. Erbe, und zwar Alleinerbe ist die erste Frau, die Gattin erster Klasse. Doch in der Erfolge tritt eine Änderung ein, falls sie kinderlos bleiben sollte! Frau Ma stößt mit dem Fuß auf. Hat eine Nebenfrau einen Knaben geboren, dann tritt sie und das Kind in die Rechte der Alleinerben ein, und die Hauptfrau wird auf einen Pflichtteil gesetzt.

Das ist also ihr Schicksal, wenn Ma stirbt. Hat sie ihm nicht treu gedient, als diese Hure von Haitang noch gar nicht auf der Welt war? Jetzt soll sie ihr Alter in Armut und Elend wie einen Leinensack tragen, während sie mit ihrem Bankert in goldener Sänfte an ihr vorbeigetragen wird und sie am Straßenrand hocken muss, um ein paar Münzen zu erbetteln.

Tschao tröstet sie, dass das nie geschehen wird, solange er lebt. Was redet er da? Ist er nicht arm wie eine Tempelmaus. Muss sie ihm nicht immer Reis und Kuchen schicken? Ohne sie wäre er doch längst verhungert! Sieht sie einen Weg aus ihrem Elend? Sie sieht einen, aber wird er auch versprechen, ihr auf dem Weg zu folgen, auch wenn es ein krummer werden sollte. Wird er die Augen schließen und sich ganz ihrer Führung anvertrauen – ihr zu Liebe? Er kann es getrost versprechen, weil er keinen Weg sieht.

13

Herr Ma ist mit Haitang sehr zufrieden und bringt es poetisch formuliert zum Ausdruck. Der Yang-tse-kiang, so sagt man, berge Perlen in seinen schwarzen Wassern. Wer um Mitternacht, mit reinem Sinn und Zauberspruch begabt, sich ans Perlenfischen macht, dem ist zuweilen wohl ein seltener Fund vergönnt. Er ging zur Nacht an seinen dunklen Ufern und fand fand ganz ohne Zauber das Herz, nicht ganz so rein, wie die Beschwörung fordert, aber er fand ein Perlchen und hob es auf. Und strahlender als durch des Mikados Perlen wurde ihm die Nacht erleuchtet, süßer als alle Perlen Indiens hat die das Mädchen ihn beglückt.

Frau Ma und Haitang bringen zwei Strohmatten, um sie sie auszubreiten.

14

Die beiden Frauen werden fortgeschickt und Ma und Tschao lassen sich auf der Matte nieder. Nachdem Ma den schönen Sommertag ausgiebig gelobt hat und ein paar Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht worden sind, rückt er mit seiner Sache heraus. In einer juristischen Angelegenheit, die ihm schon lange im Kopf herumgehe, soll Tschao ihn vor Gericht vertreten.

Er hat beschlossen, sich von seiner Gattin ersten Ranges, Yü Pei, scheiden zu lassen und Haitang in ihren Rang zu erheben. Er liebt Haitang, denn sie hat ihm einen Erben geschenkt. Er beauftragt ihn mit der Erledigung der juristischen Formalitäten. Tschao beteuert, dass er trotz seines Rheumatismus selbstverständlich entzückt ist, ihm behilflich sein zu können.

Es würde die Lösung erleichtern, wenn man Frau Ma eine Untreue nachweisen könnte, irgend ein Verhältnis mit einem Mann, das die Sittenlehre billigt. Tschao empfiehlt, einen Ehebruch zu konstruieren. Ma sieht, dass der Beamte ihn verstanden hat und geleitet ihn bis ans Tor.

Später teilt Tschao Frau Ma brühwarm mit, dass ihr Mann sich von ihr scheiden lassen will und ihn mit den Formalitäten beauftragt habe. Frau Ma ist empört und entschließt sich sofort zu handelt, denn jeder Aufschub wäre Torheit und Verrat am eigenen Geschick. Was will sie tun? Er solle die Augen schließen, der Gott der Dunkelheit solle mit ihm sein.

Nachdem Frau Ma ins Haus gegangen ist, erscheint völlig zerlumpt am Gartenzaun Tschang-Ling.

15

Tschang-Ling geht es wirtschaftlich sehr schlecht und er verzweifelt. Er hat keine Heimat, wenn nicht das Feld. Er hat kein Haus und auch kein Geld, nicht einmal ein Lächeln, das hält. In Fetzen hängen ihm einige Lumpen am Leibe und sein Magen sei eine gedörrte Pflaume. Vor den Stempeltüren flüstert er leise: Der edle Same des Menschentums darf nicht unter dem Unkraut der Unmenschlichkeit erstickt werden. Ein solches Unkraut ist Herr Ma, der Besitzer dieses Hauses. Er hat seinen Vater in den Tod, ihn ins Elend getrieben und seine Schwester gezwungen, sich ihm zu verkaufen.

Sein Name ist in der Liste der Bruderschaft längst mit einem Kreidekreis umgeben. Das bedeutet seine Trennung von dieser Welt. Sein Urteil ist gesprochen und er ist erkoren, es zu vollstrecken.

16

Haitang erscheint am Zaun und erkennt ihren Bruder nicht sofort. Dieser bittet demütig um eine Schale Reis. Er sei der Sohn eines Vaters, der sich erhängte und einer Mutter, die vor Kummer starb, als ihr Bruder in der Fremde weilte. Sie soll ihm verzeihen, dass er sie einst schlug, so wie man auf ein Maultier eindrischt. Herr Ma achtet und ehrt sie und hat ihr ein Kind geschenkt. Wie, sie hat sich dazu hergegeben und erniedrigt, diese verfluchte Rasse des Ma fortzupflanzen? Es ist auch ihr Kind, welches auf Erden wandelt, wenn ihr Leib schon längst im Sarg fault. Sie fleht ihn an, es nicht zu hassen. Tschang-Ling erklärt, er sei Mitglied der Bruderschaft vom weißen Lotos, die das Urteil über sie Sache längst gesprochen hat.

Haitang befragt das Orakel des Kreidekreises und wirft ein Messer hinein, welches exakt die Kreislinie und nicht die Mitte trifft. Sie bittet den Bruder mit der Tötung des Säuglings zu warten, bis die Götter sich klarer ausgedrückt haben. Er wird es der Bruderschaft berichten. Wie schaut der liebe Bruder so armselig ins Wetter! Sie schenkt ihm ihren Pelzumhang und wünscht ihm gute Weiterreise.

17

Nun stellt sich Frau Ma neben Haitang und fragt, wer der fremde Mann gewesen sei. Schämt Haitang sich gar nicht, auf der Straße mit fremden Männern anzubandeln? Sie hat wohl ihre Teehausmanieren noch nicht verlernt. Die Ehre des Herrn Ma, ihres hohen Gebieters und Herrn, tritt sie mit Füßen. Was sieht sie soeben? Wo ist der kleine Mantel geblieben, den sie heute früh noch über dem Kleid trug? Sie habe ihn verschenkt! Wie, ein Geschenk des Herrn Ma hat sie fort gegeben? Sie hat ihn jenem armen Mann am Zaun geschenkt. Es war ein Bettler – er war so arm und sie seien so reich. Sie ist also schon so weit heruntergekommen, dass sie sich unter Bettlern ihre Liebhaber sucht! Aber das Gesetz gebietet den Armen Wohlzutun. Es gibt so viel Elend in der Welt, wollen sie beide nicht versuchen, es zu lindern.

Viertes Bild:

18

Vermutet Frau Ma richtig, dass Haitang seit einiger Zeit seinem Herzen besonders nahe steht? Das sei richtig geraten, denn sie habe ihm einen Erben geschenkt. Seit Monaten habe die Frau ersten Ranges nicht mehr den nächtlichen Besuch des Hausherrn erhalten! Darüber sei er ihr keine Rechenschaft schuldig, kommt es umgehend zurück.

Nun legt Frau Ma los: Haitang betrüge ihn. Sie sah, wie sie mit einem fremden Mann am Gartenzaun stand. Vielleicht hat sie dunkle Pläne, wer weiß? Dem Fremden hat sie ihren mit Pelz besetzten Überwurf geschenkt, den ihr Mann ihr zum Geburtstag verehrte.

Haitang bringt den Tee und Herr Ma befragt sie, ob die schlimmen Dinge wahr seien, die man ihm von ihr berichtet, dass sie mit einem fremden Mann am Gartenzaun geredet habe. Sie habe lediglich mit einem Bettler gesprochen! Hat sie ihm den kleinen Mantel mit dem Pelz gegeben? Achtet sie so die Geschenke ihres Mannes, der sie liebt?

Sie dient ihrem Herrn in Demut und weiß seine Güte zu schätzen. Der Bettler hatte nur Lumpen auf dem Leib und fror. Er dauerte sie. Sah sie den Bettler heute das erste Mal? „Nein!“ „Erkennt Herr Ma nun endlich ihre Treulosigkeit?“wirft Frau Ma ein. „Wer war der Bettler?“ „Mein Bruder!“ Glaubt er der verlogenen Person etwa, ärgert sich Frau Ma.

Herr Ma gesteht, dass er ihr glaubt, weil sie sein Herz verwandelt habe. Er sehe keinen Grund, ihr nicht zu trauen, denn durch sie habe er gelernt, an ein höchstes Wesen zu glauben. Sie ist immer gleichmäßig sanft. Tränen der Freude steigen Haitang ins Auge, da der Herr ihr nicht zürnt und die Sonne wieder lacht.

19

Haitang schilt sich nachlässig, weil sie vergaß, Zucker in den Tee zu geben. Frau Ma bemächtigt sich der Tasse und schüttet heimlich die Flüssigkeit hinein, die Tschao von dem trügerischen Mönch erhalten hat. Sie gibt sie Tasse Haitang, damit sie ihrem Herrn den Tee kredenze. Wenn sie Labung von ihr komme, tut sie ihm besonders gut. Während er trinkt soll Haitang ihm das Märchen von der Lotosblüte erzählen. Haitang beginnt ihre Geschichte, er trinkt und lässt die Tasse sofort fallen. Die Scherben klirren und Herr Ma fasst Haitang am Handgelenk und stöhnt: „Ich sterbe!“

20

Hört ihr lieber Mann sie nicht mehr? Haitang kniet vor ihm und bettet seinen Kopf in ihren Schoß. Au Ma ruft um Hilfe: „Hier ist jemand ermordet worden. Herr Ma ist vergiftet.“ Diener und Dienerinnen laufen ziellos um her. An der Straße tauchen Tschao und Tschang-Ling auf. Eine Polizeipatrouille erscheint. Au Ma flüstert Tschao leise zu, dass Ma tot ist und sie nun endlich frei seien. Tschao weicht entsetzt zurück und fragt, wer ihn getötet habe. Die Polizei will der Sache auf den Grund gehen.

Frau Ma bringt sich in Positur: „Diese Person da, Herr Mas zweite Gattin, ehemals ein Teehausmädchen niedersten Ranges, hat meinen erlauchten Gatten, Herrn Ma, vergiftet!“ Die Polizei fesselt sie an den Handgelenken. Haitang trauert, dass sie Herrn Mai – kaum dass sie ihn kennengelernt hat – schon wieder verlieren muss. Man solle ihr ihr Kind geben und es nicht von ihr losreißen.

Frau Ma tut entrüstet. Der Geist der Verworfenen sei verwirrt und voll böser Anschläge. Sie hat gar keine Kind. Das Kind im Hause sei ihr Kind, welches sie von Herrn Ma empfangen habe, welches sie als Kindermädchen nur gehütet hat.

Haitang kniet vor der Leiche ihres Herrn und wischt sich die Tränen aus den Augen. Der Ordnungshüter gibt Weisung, Haitang abzuführen. Tschang-Ling kann sich die Bemerkung nicht verkneifen, dass Gott die Verbrecherin gerichtet habe.

Fortsetzung Volumen 2 - siehe neues Blatt

 

 

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