Zweiter Akt (Fortsetzung)
Fünfzehnte bis siebzehnte Szene:
Adelasia greift Sigilgaita heftig bei der Hand, zieht sie auf ein Sofa und wehklagt. Die Hoffnung weicht, die Kräfte schwinden. Es ist zum Verzweifeln. Drei Nächte liegt sie schon auf der Lauer, ohne dass Rainulf sich im Schlaf geäußert hat. Man kann sich nur wundern, wie gut ein Verbrecher schlafen kann. Offenbar ist jede gute Regung in ihm erstickt, weil ihn nicht einmal nachts das Gewissen drückt. Wenn Sigilgaitas Kunst nichts nützt, ist ihre Ehre zum Teufel. Fliehen nutzt wenig, denn die Schande klebt bereits an ihrem guten Namen. Doch ein geheimes Hoffen lässt sie nicht aufgeben. Auf anderem Weg gibt das Schicksal ihr vielleicht ein Zeichen. Sigilgaita rät, Geduld zu haben. Zusammen werden sie es schaffen, den Bösewicht zu überführen. Hat Adelasia auch für einen Zeugen gesorgt? Nun, der Priester wurde unauffällig im Nebenraum installiert und Rainulf ist im Anmarsch. Die Seherin möchte mit diesem zunächst allein sein und Adelasia entfernst sich in Eile.
Rainulf lobt ihre Klugheit und sie soll weitermachen wie bisher.
„Versetze sie in Schlaf und lasse sie reden dann,
was im Innersten sie fühlt und sinnt.
Sicherheit der Liebende gewinnt,
ob wirklich sie mich lieben kann!“
Sigilgaita gibt weitere Instruktionen. Es bedürfe der Schlauheit, um die Mißtrauische gefügig zu machen. Zum Schein will sie zuerst ihn hypnotisch behandeln: „Ihr sprecht, als träumtet ihr von Eurer Liebe, eitel Gaukelwerk ich nur übe.“ Danach kommt sie an die Reihe, weil sie umständehalber dann nicht mehr ausweichen kann. Nur so kann sie dazu gebracht werden, ihr intimes Geheimnis auszuplaudern.
Dazu ist allerdings Dunkelheit erforderlich. Rainulf läutet dem Diener und befiehlt ihm, den Vorhang zuzuziehen. Der Aufgeforderte befindet sich in mürrischer Laune: „Dunkel am hellichten Tag! Was es da wieder geben mag.“ Zurechtgewiesen, erklärt er, dass er etwas auf dem Herzen habe. Er soll von sich geben, was es sei. Mit einem Sack auf dem Buckel, gefüllt mit Schätzen habe sich Giacomo per Schiff heimlich davon gestohlen. Die Leute behaupten, dass der Flüchtige den Klostermord begangen habe, dagegen gegen Graf Osmund ein falscher Verdacht gehegt würde.
„Die Gräfin Mutter, Gott gönne ihr des Himmels Licht!
Aber gerecht, nein, das war sie nicht!
Immer an ihm hatte sie zu mäkeln,
tät ordentlich das Leben ihm verekeln.“
Rainulf fragt den Alten, ob er der Ansicht sei, dass seine Mutter gelogen habe. Im Prinzip nein, aber sie sei von falschen Freunden eingefangen worden, und weil sie den Osmund nicht leiden kann, hat sie so getan, als ob sie seine Schuld glauben würde. Jetzt will Rainulf wissen, wer die Flüsterer sind, aber nur, wenn die Frage auch erlaubt ist, spottet er. Der Alte hat eine gute Beobachtungsgabe: „Es schleichen so manche hier herum, auf dunklen Pfaden, wirklich krumm. Mir war's, als hätt' ich eben einen kriechen geseh'n." Adelasia schwebt in tausend Töten und wispert Sigilgaita zu, dass er bestimmt den Priester gesehen haben könnte. Hoffentlich verrät er nichts. Rainulf sieht nun die Möglichkeit, die Schuld auf Giacomo zu schieben. Wenn der Verdächtigte geflohen ist, hat sich jede Spur verloren! Er ist der erste Spitzbub nicht, den das Land geboren!
Adelasia wendet sich an den Alten, ob er über den Hergang der Tat nicht mehr erforschen konnte. Nun gebärdet sich dieser unerträglich aufmüpfig und fragt Rainulf, „was die da“ die Sache kümmert. Noch bleibt Rainulf ruhig, fordert aber mehr Ehrerbietung. Doch Sebastian meint, dass Adelasia ihrer eigenen Ehre erst einmal Ehre erweisen soll. „Fort zum Schloss hinaus!“ „Willig verlasse ich dieses Lotterhaus!“ Adelasia wehrt dem Grafen, den Alten für seine Unbedachtsamkeit zu züchtigen. „Weine nicht, holde Adelasia“, tröstet er, umfasst die Schluchzende und küsst sie.
Achtzehnte Szene:
Sigilgaita ruft ihre Mädchen, sechs an der Zahl, herbei, damit sie ihr bei der bevorstehenden Prozedur assistieren. Rainulf verspricht sich von ihrem Auftritt Kurzweil und Zeitvertreib. Obwohl rühmlich und weit bekannt, hält er sie für unachtsam und erkundigt sich, ob sie auch alle Vorbereitungen sorgfältig getroffen und den nötigen Kram beisammen habe:
„Was nötig zur Zauberei, hast du alles auch dabei?
Die Rose von Jericho in laues Wasser getaucht,
prophetischen Geist in die Seherin haucht!
Verschlucktest du wohl (ein beliebter Scherz)
ein rohes zuckendes Maulwurfherz?
Die sieben Ibis-Federn enthüllen Alles wahr und klar!
Und gar das Lorbeerblatt im Mund:
dann gibst du, Pythia, Alles kund.“
Rainulf habe von ihrer Kunst völlig falsche Vorstellungen, denn was er aufzählt, benötigt sie nicht. Sie erwähnt ein Buch, welches der Prophet Daniel geschrieben haben soll. Aus diesem zieht sie jene Essenz, die ihr verrät, ob sein Wunsch, König zu werden, sich erfüllen wird. Davon hat sie ihm bisher nichts gesagt, aber er ist begierig, davon zu erfahren und beginnt kurzerhand in dem Buch zu blättern. Natürlich sind seine Bemühungen vollkommen zwecklos, weil er die Schrift nicht kennt. Sigilgaita erklärt, dass sie ihn nur über den Weg der Traumdeutung informieren kann. Doch gleichzeitig warnt sie, dass es ihn möglicherweise nicht glücklich macht, wenn er vorzeitig von Dingen Kenntnis erhält, die ihm besser verborgen bleiben sollten. Rainulf besteht jedoch darauf, das fremde Land betreten zu wollen. Während Sigilgaita ihn nun in Hypnose versetzt, tanzen die Mädchen um ihn herum, um ihn in Stimmung zu versetzen. Unter den Kopf hat man ihm ein Kissen gelegt, damit alle deutlich hören können, was Rainulf im Traum Aufschlussreiches von sich gibt. Der Priester ist aus seinem Versteck hervorgetreten, um später aus befugtem Mund zu bezeugen, was er vernommen hat.
Sigilgaita ruft zwei Dämonen der Hölle an, deren Namen niemandem geläufig sind. Diese fleht sie an, ihren Geist zu erleuchten, damit ihr in seliger Verzückung und heiliger Entrückung Hellsichtigkeit zuteil werde. Die Schlangen, die ihre Höhlen hüten, sollen die Dämonen mit Honigkuchen füttern, damit die Biester gefügig werden, jene Dinge auszuplaudern, die Rainulf wissen möchte. Der Bangende empfange aus der heiligen Schlange prophetischem Munde mutig die ersehnte Kunde. Doch offenbar haben die Schlangen zu wenig Naschwerk bekommen, den sie erzählen dem Hypnotisierten gar nichts, sondern schicken dem Wissbegierigen eine Vertretung.
„Mutter, Du!
Wer hat dich geweckt?
Wer den Sarg dir aufgedeckt?
Verwehrt sei dir des Grabes Ruh'?
Und ich wäre schuld, dass du jammernd darbst,
weil du mit einer Lüge starbst?
Du drohst? Zornig dein Auge blickt!
Nun ist's zu spät, dass dich Reue drückt!
Warum hast du Osmund nicht zuvor gefragt?
Du wolltest ihn nicht seh'n, als du ihn verklagt!
Warum nicht? Du glaubtest es selber nicht!
Und übergabst ihn trotzdem dem Gericht!
Ja, ich hab ihn falsch verdächtigt!
Im Wege stand er meinem Willen!
Die Weissagung muss sich erfüllen!
Mich schützt das heilige Wunderzeichen;
Der Smaragd, der meine Brust beschützt,
gegen Gift und Verrat heilsam er nützt!
Drum freu' dich deines Sohnes Glück
und geh' beruhigt in dein Grab zurück!“
Hat Rainulf geträumt? Er sah die Mutter. Wenn er nur wüsste, ob er laut gesprochen und sich verraten hat. Auf Sigalgaita ist er wütend. Ob das alles war, was er von ihrer Kunst genießen durfte, will er wissen. Wenig genug! Versprochen wurde ihm, etwas über Daniels Weissagung über seine Aussichten als König zu herrschen in Erfahrung zu bringen.
Adelasia fragt scheinheilig, ob die Kunde, die er vernommen habe, ihn enttäuschte. Zweideutiges Zeug habe er vernommen. Weshalb fragt sie? War es nicht so, dass alle mitgehört haben? Nein, nur er allein sei im Land der Träume gewesen. Rainulf ist sich nicht im Klaren, ob sie lügt und nimmt sich vor, sich zunächst zu beherrschen. Den Vorhang sieht er wieder offen. Hat er kein weiteres Schauspiel zu erhoffen? Zweimal hintereinander zaubern geht nicht, denn das kostet zu viel Konzentration. Rainulf möchte sich durchsetzen, doch Sigilgata weigert sich. Wäre er Herr über Dunkel und Licht, zwingen kann er sie nicht! Die Seherin geht mit ihren Mädchen ab und verärgert bleibt Rainulf zurück. Das tückische Spiel soll der Hexe schlecht bekommen. Er wollte erforschen, nun ist er der Erforschte! An Adelasias verschleiertem Blick hat er es bemerkt. Verstummen muss auch dieser Mund, bevor er gegen ihn spricht.
Neunzehnte Szene:
Adelasia beobachtet den Sonnenuntergang und erwartet den Mondaufgang. Ihre Empfindungen – von der Abendstimmung begünstigt – sind lyrischer Natur, aber sie ahnt nicht, dass der Giftbecher bereits auf sie wartet.
„In rötlich gold'ner Glut
sinkt Phöbus' Wagen dort sanft in die Flut!
Zugleich von Osten mild
zeigt sich Lunas Bild
Silbern und golden gemischt,
Sicht uns nicht erlischt!
Und im Meer ein glitzernd Gefunkel!
Dreifaches Leuchten vertreibt das Dunkel!
So scheucht der Himmel, uns gütig gesinnt,
die Finsternis, dass sie nicht Macht über uns gewinnt!
Helle Nacht ist Feind der Dämonen,
des Mondes Glanz
lädt gute Feen zum Tanz!
Nur eines fehlt mir hier im Wunderland,
dem Kind in der nordischen Heimat traut bekannt:
der holden Vöglein Singen
soll hier mir nicht erklingen!
Nicht tönt's aus diesen Zweigen!
als starres totes Schweigen!
Dies grausame Volk versteht nicht der Tierlein Tönen
von Gier geleitet ertönt es, singendes Sehnen!
Der Glocken Klang, der Hirten Sang,
kann das schmerzlich Entbehrte ersetzen?“
Adelasia erklärt, dass Rainulf seine Belohnung nun redlich verdient habe. Könnte man der Beengtheit eines Raumes nicht ausweichen und zum Strand gehen, um in der freien Natur der Lust zu pflegen? Der Misstrauische ist sich nicht schlüssig, ob Adelasia höhnt oder es tatsächlich ehrlich meint. Jedoch, wenn sie redliche Absichten hat, aber aus dem Pokal, in den er Gift träufelte, getrunken hat, ist das Mädchen zur Liebe nicht mehr tauglich. Der Bruchteile von einer Sekunde genügt, um ihr den verhängnisvollen Pokal aus der Hand zu schleudern. Sein aufklärendes Geständnis muss Adelasia erst einmal in aller Ruhe verarbeiten. Sie geht voraus und er soll zum Stand unauffällig nachkommen.
Zwanzigste Szene:
Rainulf wird aufgehalten! Albiria erscheint ihm erneut, lässt ihr Wehklagen ertönen und fleht um Erlösung. Wenn Sie keine Ruhe finden kann, soll er auch keine finden! Zunächst glaubt der Verstörte, dass das Rauschen der Zypressen ihn genarrt habe, doch draußen herrscht Windstille. Ist etwa ein Kobold in der Nähe, der ihn ärgern will? Nein, es ist tatsächlich die Mutter, die sich von der Hölle verhöhnt fühlt. Falls eine Sünde sie bedrücke, kann er dafür nichts. Wenn Osmunds Schicksal ihr zu schaffen macht, soll sie allein dafür büßen, aber ihn in Frieden lassen. Selbst wenn er sich in die fernste Kammer flüchtet, wird ihm ihre Klage immer gegenwärtig sein. Auch das Verstopfen der Ohren nützt ihm nichts, selbst eiserne Tore können ihn nicht schützen, weil sie diese durchbrechen wird. Schöne Aussichten!
Rainulf merkt, dass er mit Drohen nicht weit kommt und verlegt sich aufs Bitten. „Mutter du Gute! Du liebtest mich über alles! Meine Wünsche zu erfüllen, war dir höchstes Gebot. So erfülle auch noch die letzte Bitte! Quäle mich nicht! Schweige, ich fleh' dich an!“ Sie verlangt von ihm, dass er seine Schuld bekennen soll, damit sie erlöst ist. Die furchtbare Stimme soll schweigen und nicht glauben, dass sie sein Hirn verwirren kann. Flennen bringe sie nicht weiter. Die Mutter soll gefälligst büßen und verschwinden. Die kaltherzig Abgefertigte flucht ihm in höchster Verzweiflung. Rainulf hat das Gefühl, dass wilde Erinnyen ihn noch zum Wahnsinn treiben. Erlösung kommt von draußen. Graziellas liebliche Stimme ruft aus dem Garten nach ihm und lässt den Spuk verblassen.
Einundzwanzigste Szene:
Graziella kommt nicht allein, sondern etliche Nachtschwärmer begleiten sie. Heil dem Herzog von Salerno! Heil und Glück! Freude und Frieden soll den Stolzen entzücken. Ihn umtanzen, umschwärmen und umjubeln wollen sie ihn. Zum Schloss sind sie gekommen, um ihm Segen zu wünschen. Rainulf fühlt sich beim Klang der fröhlichen Menschen spontan erleichtert.
„Befreiung! Willkommener Klang!
Befreiung aus der Gespenster Zwang!
Graziellas Stimme, lieblich hold!
Die ich verlassen, ob sie mir grollt?
Herauf, herauf, herauf! Euch brauch ich heute!
Ins düst're Haus bringt Licht und Freude!
Dem Bacchus lasst ein Fest uns bringen,
zu ihm in jubeldem Chor uns schwingen!
He, Diener, träges Gesindel! Schnell!
Pokale, Falerner, in Fülle zur Stell'!
Im Begeisterten Rausch die Gottheit zu schauen!
So bändigt ein Grieche nächt'ges Grauen!“
Da ist er! Heil! Graziella sollte dem untreuen Mann eigentlich zürnen. Doch sie behauptet von sich: Sie kann nur lieben. Alle fühlen sich wie Griechen und stimmen eine Hymne an. Griechenland, du verlorenes Paradies! Adelasia wartet am Strand vergeblich.
Dritter Akt:
Zweiundzwanzigste Szene:
Verwitterte Stufen führen in das Innere einer geräumigen Höhle. Ein altarähnlicher Opferstein auf einer Plattform, der von den Mädchen Sigilgaitas tanzend umkreist wird, bildet den Blickfang für den Zuschauer. Das Feuer auf dem Stein wird angefacht, damit die Priesterin mit der Zeremonie der Feueranbetung beginnen kann. Der Hintergrund gibt den Blick frei auf das offene Meer. Draußen ist helllichter Tag.
Sigilgaita lässt sich akustisch vernehmen und beschreibt die Attribute des Feuers, seinen Kontrast zum Wasser, und es wichtig sei, aufzupassen, dass es nie erlischt. Prometheus soll auf keinen Fall denken müssen, dass man seine Gabe nicht schätzt. Die Prozedur ist nicht sonderlich spannend und deshalb freut sich das Publikum auch, als im Hintergrund ein Boot anlegt. Doch es ist lediglich Rainulf, der aussteigt und unaufgefordert näher tritt. Eine flammende Anklage hat er vorbereitet und kündet der Tempelherrin, dass ihr heidnisches Treiben bekannt sei und sie jetzt ihren Mut zusammenfassen soll. Den Mund nimmt der Eindringling voll, denn Feuersglut soll die Betrügerin erleiden und ihre Seele zur Hölle geschickt werden, damit sie nicht länger Unheil stiften kann. Betrogen habe sie ihn und nicht gehalten, was sie versprach. Aus „Daniels Geschichten“ wollte sie ihm über seine zukünftige Karriere als König von Sizilien den Weg weisen, statt dessen bekam er das Stöhnen und Klagen der Mutter zu hören. Seine Enttäuschung sei groß. Nun verfolge ihn ihr Jammergewimmer auf Schritt und Tritt und sein Seelenfrieden sei zunichte. Wenn der Hexe ihr Leben lieb ist, soll sie den Geist bannen, weil dieser ihm Qual und Pein verursacht.
Sigilgaita ist wenig beeindruckt und antwortet ebenfalls großspurig. Der Feuertod käme für sie niemals in Betracht, denn der Feuergott sei schließlich ihr Bräutigam.
„Im Feuer vereinigt,
durch Feuer gereinigt,
aus dem ich einstens kam,
zu Friede und Glück
kehr ich zurück
ins selige Urheimatland,
aus dem mich ein Drang hergesandt,
der Menschen Wahl und Leiden
hellsichtig zu deuten!“
Wenn er sie konsultieren will, solle der Ungebetene sich in Zukunft bitte an die Sprechstunden halten, die Türglocke betätigen und ihren heiligen Tempel durch die Höhlentür betreten. Der Ankerplatz sei privater Natur und für Unbefugte gesperrt.
„Was hat die Mutter zu klagen?“ Es sei so undeutlich, dass er den Sinn nicht versteht. "Was könnte es sein, was sie sagen will?" Rainulf weicht aus und artikuliert, dass das Leben keines Menschen schuldfrei sei. "Kann seine Kirche ihm kein Mittel geben, damit das Klagen der Mutter verstummt?" Er habe alles versucht, aber umsonst. Und nun kommt er zu ihr? Rainulf schmeichelt: „Du bist mächtig! Ich glaub an deine Kräfte! Du kennst aller Pflanzen geheime Säfte. Hoffnung spendend dein Auge leuchtet. Drum lasse deinen Geist mir Antwort künden! Kann ein Böser Erlösung finden?“
„Ganz schlecht sei keiner“, tröstet ihn die Angesprochene. Doch Rainulf plagt das schlechte Gewissen, denn wer es vermag, seine Mutter zur Lüge zu zwingen, um die Schuld von sich zu laden, wer einen schuldlosen Bruder, um Macht zu gewinnen, der Schmach und dem Tod zuführt, wer an der Leiche der Mutter Herz Entrüstung heucheln kann, wer aus Gier Ehre und Wahrheit abgetan: solch einer ist schlecht! "Kennt Rainulf jemanden, der dieser Person gleicht?" „Es gibt sie, sie ist der Erlösung wert.“ Sigilgaita hat eine kluge Antwort und bedeutet ihm, dass er viel wandern und sich wandeln müsse. Geduldig leiden, und sich überwinden, muss er lernen, dann würde die Hoffnung ihn tröstend grüßen. Keinem bleibt der Sieg verwehrt, der Schlechteste wird auch einmal erhört! Denn ein Funke des Guten glimme selbst in ihm: die Liebe zur Mutter. "An ewige Verdammnis glaube sie also nicht?" Dem Schlechtesten selbst leuchtet der Hoffnung Licht? Wie viel eher findet die Mutter dann den Frieden! Vielleicht ist er ihr schon beschieden und was er höre, sei eine Tonstörung seiner Seele. Rainulf erwidert, was die Ursache sei, das kümmere ihn nicht. Ihre Schuld solle die Mutter allein büßen und ihn in Ruhe lassen. Ihr Stöhnen will er sich nicht nicht mehr länger anhören. Rainulf fordert Sigilgaita auf, den Geist, den sie aufgescheucht hat, zurückzudrängen. Das gehe nicht, denn das könne nur er allein. Sie soll ihm sagen, wie er das machen soll, das Zauberkraut möge sie ihm nennen! Er solle sein Gewissen fragen und Mitleid haben. Mitgefühl habe er nur mit sich selbst, kündet ihm die Hellsichtige. Traut sie ihm Mitleid etwa nicht zu? Soeben habe sie gesagt, dass auch im Schlechtesten der Funke zum Guten glimme, nämlich die Liebe zur Mutter. Obwohl das Gespräch eigentlich als beendet erklärt worden ist, gibt Rainulf keine Ruhe.
Die Gescheite soll ihm nur noch sagen, was in Daniels Geschichten steht, denn gemäß ihrer Aussage stehe eines jeden Herrschers Geschick in dem Buch. Die Antwort bringe ihm keinen Gewinn. Sie zeigt ihm eine leere Seite. Versteht er den Sinn? Sigilgaita lässt Rainulf stehen, winkt ihre Mädchen herbei und setzt die Feueranbetung fort. „Feuer, du hehre Himmelsgabe, Feuer ,du heilige Glut ….“
Plötzlich tauchen am Horizont Schiffe auf. Sie Galeeren segeln auf Reggio zu. Herzog Rainulf soll sich aufmachen und seine Stadt schützen! „Hopp, Hopp!“
ZWISCHENSPIEL
Dreiundzwanzigste Szene:
Auf dem Platz vor der Benediktinerkirche gestikuliert der Pöbel wild durcheinander. Die Katastrophen bündeln sich und der Herzog ist nicht zur Stelle. Hunger und Seuchen breiten sich in der Stadt aus. Der Scirocco weht heißen Sand aus der Sahara herüber und gibt den Schiffen der angreifenden Sarazenen Rückenwind. Die Galeeren kommen in Windeseile näher. Wann kommt Hilfe? Rainulfs Bundesgenosse, Pisas Flotte, lässt auf sich warten. Wehe, wenn der Herzog gelogen hat!
Sebastian sieht schwarz und macht die Menge noch verrückter, als sie ohnehin schon ist: Der Himmel sendet üble Zeichen! Blitze künden Gottes Groll! Alle sind verloren! Ein religiöser Umzug mit Priestern, Mönchen und Laien ergießt sich über den Platz. Fahnen mit Bildern der Heiligen Jungfrau und der heiligen Agathe, der Schutzpatronin des Landes, unterstützen die religiöse Inbrunst. Man kniet nieder und betet zum heiligen Michael, dass er sein kühnes Schwert zücken und die Feinde vertreiben möge. Rainulf ist zuversichtlich und versucht zu besänftigen, aber das Wetter kann er natürlich auch nicht beeinflussen:
„Nicht ungehört bleibt euer Fleh'n!
Bald wir Euch Heil ersteh'n
Ich glaub' an meinen Stern
Pisas Hilfe ist nicht fern!“
Adelasia denkt, dass Worte nicht helfen können. Der Himmel schenke der Stadt deshalb kein Gehör, weil sich ein Verbrecher in ihr versteckt halte. Dieser trage auf der Brust verborgen einen Smaragd, den er dem Kloster geraubt habe. Die Schuld sei gesühnt, meint die Menge, denn Osmund fand den Tod. Die eigenen Mutter habe ihn verklagt. Er wurde schuldlos verurteilt, setzt Adelasia dagegen, denn die vom Tode Gezeichnete wurde getäuscht.
Ein Frauenchor kommentiert: Wenn außer Osmund noch ein anderer als schuldig in Betracht kommt, wird dieser nicht zögern, das Volk zu retten. Sein Verbrechen soll verziehen sein und die Kirche wird Milde walten lassen, wenn er frei bekennt. Man soll diese Botschaft in der Stadt proklamieren. Adelasias Spiel ist gewagt. Sie behauptet der Schuldige befände sich ganz in der Nähe. Sie hält einen Zauberspiegel in der Hand. Im Prinzip könne jeder das Risiko eingehen, hineinzuschauen, wenn er reinen Gewissen sei. Doch wenn er ein Verbrechen begangen habe, müsse der Schuldige an seinem grellen Schein erblinden. Mit gewohnter Virtuosität versucht Rainulf Adelasias Angriff im Keim zu ersticken und höhnt:
"Adelasia als Zauberin!
Ging wohl zu Sigilgaita hin?
Sieh dich vor, dass dir nicht das gleiche Los droht!
Ich meine den süßen Feuertod!
Fort mit dem kindisch heidnischen Zeug.
Zu ernst ist die Not, zu bang die Zeit,
dass man mit Zauberei sie vergeude!
Mich dünkt, du hättest wenig Grund,
als hehre Richterin hier aufzutreten!
Du, von der jede Reine sich wendet,
die schamlos ihre Reize spendet,
die ehrlos in mein Haus gedrungen,
nicht ruhend, bis sie Lieb' erzwungen!
Da Osmund nichts von ihr wollt wissen,
suchte sie Trost in Rainulfs Küssen!
Vielleicht hat sie die Mutter belogen,
aus Rache, dass Osmund ihr nicht gewogen!
So blick doch selbst in das Zauberspiegelein,
ob dir noch bleibt der Augen Schein?"
Adelasia folgt dem Vorschlag und schaut in den Spielgel, ohne dass ihre Sehkraft Schaden nimmt. Die Umstehenden drängen hinzu und bestehen den Test ebenfalls. Zur Antwort auf Rainulfs infamen Angriff betont Adelasia, dass sie nicht weichen werde, so lange die Wahrheit nicht ans Licht gebracht sei. Hat der Herzog nun bitte die Freundlichkeit, auch in den Spiegel zu schauen? Rainulf kommt die Sache nicht geheuer vor, entreißt seiner Gegnerin den Spiegel und schleudert ihn zu Boden, damit er zerbricht.
Rainulf wendet sich an die Menge, dass man die Gauklerin packen soll. Der Priester soll nicht müßig herumstehen. Gerade er sei es doch, der so gern gegen Zauberei wettere. Es mache ihm doch Spaß, das Holz zum Brand herbeizuschleppen, um Unschuldige braten zu lassen. Die Schuldigen lässt er laufen, weil diese sich mit Gold freikaufen können.
Der Priester wird wütend und erläutert dem Herzog die politische Lage. Kaiser Heinrich sei mit Rom verbündet, deshalb solle er sich in Acht nehmen. Rainulf kann es sich vorstellen, dass der Bannfluch bald geflogen kommt, doch für seinen persönlichen Schutz garantiere der Kaiser von Byzanz.
Der feindliche Ansturm gegen die Stadttore hat begonnen. Die Bevölkerung ist auf Tod und Schmach gefasst. Die Frauen flehen den Herzog an, dass er die Situation retten und sie schützen soll. Nun setzt Adelasia zum Endspurt an. Weiß das Volk eigentlich, vor wem es kniet? Rainulf sei der Schuldige. Sie habe dafür Zeugen. Rainulf stellt ihre Aktion als trefflichen Witz hin und greift auch den Geistlichen an: Er agiert sehr virtuos, diffamiert das „Pfäfflein“, weist sich selbst als Befreier von Staufern und Normannen aus und fordert vom Volk Dankbarkeit ein. „Blendwerk sind deine Worte, du glatter Aal“ Nicht ganz so virtuos wie ihr Gegner zischt Adelasia. Sie fordert Rainulf konkret auf, dem Kloster den entwendeten Stein zurückzugeben, damit das Volk ihn preisen kann.
An blendender Rhetorik Rainulf unterlegen, bekommt die Anklägerin jedoch plötzlich unerwartete Unterstützung. Sebastian hat von seinem Ausguck beobachtet, dass ein Kriegsschiff mit der Flagge der Grafen von Alife in den Hafen einläuft. Unter den Sarazenen sei Verwirrung entstanden, sie suchen ihr Heil in der Flucht und driften ab. Das Volk drängt den Patrioten, von seiner Warte aus mehr zu berichten.
Rainulf wendet die Information sogleich zu seinem Vorteil: Hatte er nicht gesagt, dass Rettung eintreffen wird? Eine gute Sache schützt der Himmel immer. Doch die ihn umstehenden Feiglinge hatten schon verzagt und einem verleumderischen Paar Ohr und Gefolgschaft geliehen. Deren Ränke hat der Allerhöchste vernichtet. Entlarvt stehen sie nun da - durch IHN gerichtet.“
Adelasia zweifelt an sich selbst. Wenn der Himmel tatsächlich auf der Seite ihres Widersachers steht, ist sie es, die unnützen Aufwand getrieben hat. Entehrt, und vom Schicksal betrogen, hadert sie mit sich selbst. Hatte der Priester es ihr nicht gesagt? Nun wird auch er noch in die Sache hineingezogen, empört sich dieser.
Vierundzwanzigste Szene:
Es ist Graf Gilbert, den die jubelnde Menge begrüßen kann, doch ihn begleitet ein Ritter, der sein Visier noch geschlossen hält. Rainulf sieht, wie Adelasia scheu zur Seite weicht und hat für sie und den Priester sogleich einen Spruch zur Hand: „Gerichtet seid ihr. Verachtung sei Eure Strafe!“
Das Volk brüllt: „Heil sei unseren Rettern!“ Doch Gilbert weist den Applaus bescheiden zurück und zeigt auf seinen Begleiter, dem alle Ehre gebühre. Gottes Huld sei ihm beschieden! Rainulf möchte verständlicherweise gern wissen, wen er vor sich habe. Das Opernpublikum ahnt es bereits!
„Du verhüllst uns dein Antlitz?
Sind wir in den Schranken?
Lass uns seh'n,
damit wir wissen, wem wir danken!“
Der Ritter öffnet das Visier. Es ist Osmund. Rainulf prallt entsetzt zurück und glaubt, ein Gespenst sei der Hölle entstiegen. Ohne lange zu überlegen, zieht er seinen Dolch, um sich auf den Bruder zu stürzen. Doch meldet sich in diesem Augenblick die Stimme der erregten Mutter: „Rainulf, Lass das!“ Es sei jetzt der Zeitpunkt gekommen, zu bekennen, damit sie erlöst und er gerettet sei. Mit seiner Beherrschung ist Rainulf am Ende; Einsicht hält Einzug, ein Monolog ist angesagt. Es bleibt auch noch Zeit, den kostbaren Smaragd dem Priester zurückzugeben, damit der Himmel keinen Anlass mehr hat, zu zürnen. Natürlich ist der Stein jetzt entweiht, nachdem der Missetäter ihn auf der Brust getragen hat. Der Priester soll ihn aufs Neue weihen, es wird eine seiner leichtesten Übungen sein. Zum guten Schluss zieht Rainulf eine Ampulle hervor und leert den Cocktail in einem Zuge. Da er anschließend tot umfällt, schlussfolgert das Publikum, dass das Fläschchen Gift enthielt und ursprünglich für Adelasia gedacht war.
Vollkommen unsympathisch war unser Bösewicht nicht. Als Herrscher hätte er eher getaugt, als Osmund. Intelligent und charmant, das nötige diplomatische Geschick war vorhanden, um im Verbund mit Osmund als Heerführer sein Vaterland aus der Fremdherrschaft von Staufern und Normannen zu befreien.
Beata sinkt ihrem totgelaubten Osmund mit einem Aufschrei an die Brust, wie es sich für eine treue Gelibte gehört. Die Menge quittiert, dass sich die Liebenden nach langer Trennung wiederfanden. Das Nachsehen hat Adelasia, die für ihre Liebe alles geopfert hat, aber trotzdem nicht ganz leer ausgeht. Dem kühnen edlen Herzen lacht ewig Osmunds und Beatas Dank. Nachdem der Priester die jubelnde Menge aufgefordert hat, ihm in den Dom zu folgen, sinkt Adelasia von schmerzlichem Glück erfasst in stillem Gebet nieder.
Fünfundzwanzigste Szene:
Der schicksalhaften Tragödie von Raimund und Adelasia wird noch ein tragisches Finale nachgeschoben. Von den Staufern wird aus politischem Kalkül dem letzten Nachkommen von Robert de Guiscard das Augenlicht genommen. Dem Schutz des erst dreizehnjährigen Wilhelms möchte Adelasia ihr weiteres Leben widmen. Bei einem Hirten in den Bergen werden sie Zuflucht finden. De normannische Adelige legt schützend ihren Arm auf seine Schulter und verlässt mit ihm den Schauplatz bitteren Geschehens. Wilhelm trägt eine Augenbinde.
Anmerkung:
Von einem verkannten Komponisten kann man heutzutage nicht mehr sprechen. Die Veröffentlichung fast all seiner Opern in mustergültigen Interpretationen haben ihn aus der Warteschleife erlöst. Siegfried Helferich Wagner - in der schönen Schweiz geboren - hatte es selbst vorausgesehen, dass ihm eines Tages die Ehre zuteil würde, die ihm als Komponist gebühre.
Seine Zeitgenossen hatten den Blick ausschließlich auf den Vater gerichtet, der sich im Blickfeld der Öffentlichkeit sonnte und alle Aufmerksamkeit für sich in Anspruch nahm. Doch Siegfried war zäh und willensstark. Er legte sich eine Strategie zurecht, die vorsah, den Übervater auf keinen Fall zu kopieren. Das ererbte Talent reichte vollkommen aus, eigene Pfade zu betreten. Den ursprünglich vorgesehenen Beruf eines Architekten legte er zur Seite, um schicksalhaft seiner Berufung zu folgen.
Doch sein gesellschaftliches Umfeld akzeptierte seine Bemühungen nicht und spottete seiner was ihn kränkte, aber auch beflügelte. Seinen Zynismus und seine Erwartungen ließ er in seine Opernfiguren einfließen und meißelte auf diese Weise seine Charaktere, die er meistens in ein historisches Umfeld stellte. Erfindungsgabe in der der Gestaltung von Situationen und Schauplätzen waren seine Stärke. Hochdramatisch setzt er seine Dichtkunst in einen plausiblen, wenn auch manchmal etwas skurillen Rahmen. Das Vermaß ist eher robust als poetisch. Lakonisch formuliert der Verfasser seiner eigenen Libretti seine Aussagen so knapp, wie zuträglich.
Zur Musik muss man sagen, dass sie sich der Dichtkunst des doppelt Begabten unterordnet. Handwerklich geschickt und reizvoll arrangiert, hat der Funke des Prometheus nicht mit der Wucht eingeschlagen wie bei dem mit ihm befreundeten Richard Strauss. Der eine schätze die Werke des anderen nicht; man verstand sich aber auf der sozialen Plattform. Siegfried Wagner bleibt sich selbst in seiner kompositorischen Arbeit - ohne vor- oder zurückzublicken,- immer treu und lehnt sich an niemanden an. Intellektueller Anspruch schlägt sich selten als Beliebtheit nieder. Der Kreis seiner Bewunderer ist international daher klein, aber vorhanden.
Das Schicksal, erst posthum gewürdigt zu werden teilt der Schüler Engelbert Humperdincks mit Alexander Zemlinsky, dessen Opern auch erst in jüngster Zeit achtbaren Zuspruch erhielten.
***
Januar 2010 musirony - Engelbert Hellen