Schöne Oper - kaum bekannt
Siegfried Wagner [1869-1930]
Rainulf und Adelasia
Oper in drei Akten
deutsch gesungen
entstanden zwischen 1920 und 1922, als op. 14
Libretto vom Komponisten
posthum veröffentlicht von Winifred Wagner
nach dem Roman von Adolf Friedrich von Schack (1815-1894)
Konzertante Uraufführung im Herbst 2003
zu den "Herbstlichen Musiktagen Bad Urach"
Dokumentation auf Tonträger 2006: CPO Georgsmarienhütte,
Dauer der Handlung, mehr als 250 Minuten
Personen:
Albiria, Gräfin von Alife (Mezzosopran)
Osmund, deren erster Sohn (Bariton)
Rainulf, deren zweiter Sohn (Tenor)
Adelasia, aus normannischem Adelsgeschlecht (Sopran)
Gilbert, ihr Bruder (Tenor)
Beata, Tochter eines Freigelassenen (Sopran)
Sebastian, Ein alter Diener der Gräfin (Bass)
Sigilgaita, eine Seherin (Sopran)
Graziella, eine Tänzerin (Sopran)
Ein Priester, (Bariton)
Heinrichs VI., Deutscher Kaiser (in Abwesenheit)
Der Gesandte Kaiser Heinrich des Sechsten (Bariton)
Marta, die Amme von Prinz Wilhelm (Sopran)
Prinz Wilhelm, jugendlicher Sohn König Tankreds (stumme Rolle)
Sibylle, Witwe König Tankreds (stumme Rolle)
Die Handlung spielt 1194 in Reggio di Calabria
Tancred von Lecce
HANDLUNG
Ouvertüre
Erster Akt:
Erste Szene und zweite Szene:
Normannen und Staufer kämpfen um die Vorherrschaft in Süditalien. Zum Königreich „Beider Sizilien“ gehört nicht nur allein die Insel, sondern auch der der italienische Stiefel bis zur Mitte. Die einheimischen Dynastien haben wenig zu melden und müssen sich entweder auf die eine oder die andere Seite schlagen. Schiffe feindlich gesonnener Sarazenen sorgen für Unruhe im Mittelmeer. Zwei Brüder, Söhne der Gräfin von Alife, gehen in Opposition aufeinander zu und kämpfen um den höheren Rang.
Osmund, der Erstgeborene, erklärt seinen Soldaten und den Opernbesuchern die Situation und hält eine flammende Rede. Er steht auf der Seite der Normannen und versucht, seine Soldaten auf Tankred von Lecce einzuschwören. Mit dem Aufruf, für das Vaterland zu kämpfen, will er in See stechen, um die feindlichen Sarazenen zu verjagen. Der Wind steht günstig und als Feldherr erfleht er Sieg und Segen zu Gunsten König Tankreds. Konstanze, die Tochter des verstorbenen Königs Wilhelm, gebürtig aus dem normannischen Hause Hauteville, aber dem Staufer Heinrich VI. ehelich verbunden, hätte das Nachsehen.
Schon allein um der Opposition Willen möchte Rainulf, ehrgeizig und intrigant, den Staufern den Weg zum Thron freihalten. Ohnehin wird Sizilien von fremdem Einfluss bestimmt, daher hält er Treue für dumm, selbst wenn die Antriebe von Natur aus edel sind. Gegen Trankred, den er nicht leiden kann, erhebt er den Vorwurf seiner unehelichen Geburt und weigert sich, ihm untertänig zu sein. Er will wissen, dass Sibylle von Lecce König Rogers Geliebte gewesen sei, aber zur beabsichtigten Ehe sei es nicht gekommen, weil der Letztgenannte völlig unvorhergesehen das Zeitliche segnete. Sehr bedauerlich, entgegnet Rainulf, aber Tatbestand sei doch, dass Tankred nicht im Ehebett geboren worden sei. Osmund mahnt den Bruder an seinen Treueschwur und wirft dem Untreuen Mangel an Dankbarkeit vor. Er leugnet die Gültigkeit seines Eides mit einer fadenscheinigen Begründung. Zudem habe Robert de Guiscard lediglich aus Eigennutz gehandelt und nicht aus Liebe zu den Sizilianern! Somit folge er also zu den Staufern, argwöhnt Osmund, kann aber mit seinem Vorwurf keinen Meinungsumschwung bewirken. Nur die Narren setzen auf Tankred, sind des Unbelehrbaren letzte Worte.
Dritte Szene:
Der Älteste der Söhne der Gräfin von Alife hat ein Liebesverhältnis zu einer Freigelassenen. Das verstößt gegen die höfische Etikette. Osmund versucht die Geliebte zu beschwichtigen, denn der Verängstigten fehlt der Beschützer, wenn er in den Krieg zieht. Den Spott der Höflinge, die ihr das Glück neiden, fürchtet sie ebenso wie seine Untreue. Osmund, die Biene, saugt an jeder Blume – er würde von einer zur anderen fliegen, gaukelt die Fantasie ihr vor. Seine Redlichkeit will der zu Unrecht verurteilte der Argwöhnischen unter Beweis stellen und noch heute mit ihr vor den Traualtar treten. Rainulf legt den Finger in die offene Wunde. Eine schöne Verwandschaft will man ihm unterschieben. Die Tochter eines Freigelassenen soll offenbar seine Schwägerin werden. Fürchtet Beata ihn? Nun, sie muss es ertragen, dass er sie nicht leiden kann. Beatas Ängste - in Siegfried Wagners schön gedrechselte Verse gekleidet - klingen so:
„Zur Gattin willst du mich erheben?
Weißt du auch, was du beginnst?
Keine Edle ist es, die du gewinnst.
Ärmlich, aus niedrigem Stand, Obdach ich hier fand!
Mein einziger Besitz, das ist ein treues reines Herz!“
Zwei funkelnde liebe, holde Augen bedeuten Osmund mehr, als alle Schätze dieser Welt. Keine Zweifel sollen ihre Brust durchwühlen und nicht verzagen, denn dass er sie liebt, sollte sie eigentlich fühlen. Doch ohne den Segen der Mutter läuft gar nichts. Er schlägt vor, die Stufen zu ihrem Palast emporzusteigen. Doch wie der Engel im Garten Eden steht oben Adelasia und verwehrt den Zutritt: „Nicht jetzt! Denn Schlaf, gottlob, hat sie umsponnen! Ich rufe euch, wenn sie Kräfte wieder hat gewonnen!“
Vierte Szene:
Tief in seinem Herzen liegt ein mörderischer Hass auf seinen Bruder verborgen. Obwohl von der Mutter bevorzugt, kann er das Recht der Erstgeburt mit all seinen Vorzügen, für sich nicht in Anspruch nehmen. Sein Ärger entlädt sich in Zynismus und Bosheit. „Schade, dass es keine Göttin der Dummheit gibt, denn sie wäre von allen verehrt und geliebt! An tausend Stellen stünden Tempel, Kapellen, in endlosen Reihen würde man Statuen ihr weihen!“ Ohne es begründen zu können, sei der Dummen Allerdümmster sein Bruder Osmund, und der sitze am Steuer, gebiete dem Ruder. Das kann nicht so bleiben! Wohin soll das treiben? Es muss alles, alles anders werden!
Rainulf vergleicht sich mit Esau und der Bibelszene mit dem Linsengericht. Gegen eine leckere Mahlzeit verlor der Hungrige das Recht der Erstgeburt an Jakob. Wenn also Osmund eine Nichtadelige heiratet, kann ihm das Gleiche passieren, wenn die Mutter so verfügt. Sobald Adelasia einmal nicht in ihrer Nähe ist, wird er sie bereden. Er weiß es nicht, ob er selbst das schöne Normannenkind liebt. Von ihr ist ihm bekannt, dass sie Osmund zugeneigt ist, aber offenbar zu stolz, um sich Beata gegenüber als Rivalin zu gebärden. Ihre Liebe zum verhassten Bruder kann sich in Offenheit nicht entfalten. Hat er selbst bei Adelasia überhaupt eine Chance? Siegfried Wagner formuliert vorzüglich.
„Es zieht mich was hin zu ihr, mit geheimnisvoller Macht.
Der Liebe Fackel ist es nicht, die die Brust entfacht!
Ein anderes Gefühl! Ich kann es nicht nennen:
Ist es Scheu? Ist es Ahnen? Ist es ein Sehnen?
Ich ertrage es nicht, wenn sie mir ins Auge blickt?!
Wir Blitze durchzuckt es ihre Seele!
Es reizt mich, die Stolze zu zwingen.
In meine Macht zu bringen!
Sie zu demütigen, beugen ihren stolzen Sinn!
Ihre Tugend-Aureole schwände hin!
So hätte ich Sorge besiegt.“
Fünfte Szene:
Rainulf hat sich vorgenommen, den Hauskaplan zu necken. Die Vorstellung eines klaren Ziels, was er mit seinen dummen Sprüchen erreichen will, hat er nicht. Will der übermütige Graf ihn etwa reizen? Es wird ihm kaum glücken. Nun, dann muss er ihn noch dreister zwicken. Der Mutter gehe es sehr schlecht, verkündet der Gefoppte, man befürchte ihr nahes Ende und da zieme es sich für den Sohn nicht, so munter zu sein.
Es gibt noch weitere Neuigkeiten. Der Mord im Kloster dürfte ihm wohlbekannt sein. Zusätzlich wurde die Schatzkammer ausgeraubt, zu der auch ein wunderwirkender Smaragd gehörte. Jener fromme Bruder, der sich mit den beiden Räubern anlegte, sei seinen schweren Wunden erlegen. Hat man vom Täter eine Spur? Der Kaplan soll ihm erzählen, wie der kostbare Stein ins Kloster kam. Es sei ein Geschenk der Kaiserin Helena gewesen, die mit Recht heilig gesprochen worden sei. Der Smaragd, auf besondere Weise geschnitzt, hatte die Gabe, Kranke von ihren Leiden zu heilen. Man hätte ihn besser hüten sollen! Nun, dem Verbrecher sei man bereits auf der Spur. Die Tatwaffe wurde gefunden, sie stamme aus dem Haus, welchem er angehöre – allerdings sei Osmunds Name auf dem Griff eingeritzt gewesen. Die Lösung ist einfach, schlussfolgert Rainulf - ein anderer hat den Dolch gestohlen, um den Verdacht von sich abzulenken und Osmund zu verdächtigen. Allerdings scheine es ihm rätselhaft, weshalb Osmund so plötzlich Schiffe rüstet, um zur Insel zu eilen – angeblich um Tankred zu helfen. Aber das Pfäfflein möge sich bitte nicht damit abmühen, mit ihm zu streiten, denn es sei pfiffig und klug, um den wahren Täter ausfindig zu machen. Ein bisschen konfus über seinen standhaften Auftritt, beschließt Rainulf, den Priester bei guter Laune zu halten, denn man weiß nie, wie verschlagen die Brüder mit den frommen Gebeten sind.
Sechste Szene:
Vom Park her eilt Graziella auf Rainulf zu, obwohl ihr der Zutritt zum Grundstück verboten wurde. Sie ist nur gekommen, um ihn zu warnen und wird gleich wieder verschwinden. Kennt er Giacomo? Vor diesem soll er sich in acht nehmen, denn er prahle mit seiner Freundschaft. Er war betrunken und gestern in der Schenke, klirrte er mit Münzen und sprach unzusammenhängendes Zeug. Rainulf tadelt Graziella, dass sie überhaupt in üblen Spelunken verkehrt. Aber sie muss für die Leute tanzen und singen, um damit ihr Brot zu verdienen. Sie hat eine kranke Mutter und einen faulen Vater, dazu vier Geschwister, die leben wollen. Er reicht ihr einen Beutel mit abgezähltem Kleingeld – bei vornehmen Leuten stecken solche Utensilien immer im Gürtel – sie solle jetzt verschwinden, denn die Mutter erscheint auf der Veranda. Er will sie wohl los werden? Ihr Herz trieb sie her, ihn zu warnen und so wird es ihr gelohnt. Sie wirft ihm den Geldbeutel vor die Füße. Scheinbar hat er es nötig, Graziella bei Laune zu halten und folgt ihr, um sie aus der Reichweite des mütterlichen Anwesens zu bugsieren: Sie soll doch endlich begreifen ...
Siebente Szene:
Okkupanten und Einheimische begegnen sich offenbar nicht spinnefeind und akzeptieren sich gegenseitig auf der privaten und gesellschaftlichen Ebene, denn wie könnte es sonst sein, dass eine normannische Adelige die beste Freundin der Gräfin Albiria ist. Die Letztgenannte steht der Dynastie von Alife vor, obwohl todkrank, versucht sie ihre beiden Söhne Osmund und Rainulf unter ihre Dominanz zu zwingen, stößt dabei aber auf heftige Opposition. Von ihrem Diener Sebastian und einigen vornehmen Frauen wird sie auf die Terrasse geleitet. Man richtet ihr ein bequemes Ruhelager, damit sie die Abendstimmung genießen kann. Doch mit dem Frieden ist es bald vorbei, denn Osmund naht und trägt ein unmögliches Anliegen vor. Zustimmung soll aus ihren Händen strömen, und bevor er als Feldherr in den Kampf zieht, möge sie ihm und der geliebten Beata den mütterlichen Segen erteilen, damit die Minne blühen und die Verbindung ein legales Mäntelchen bekommen kann. Die niedrige Magd soll Gräfin von Alife werden? Ist er verrückt geworden? Die ebenfalls anwesende Beata wird ausgiebig beschimpft. Wie konnte sie es wagen, den Sohn schamlos zu betören. Auf das Kreuzchen, welches ihr als Anhänger um den Hals baumelt, soll sie schwören, dass sie von Osmund die Finger lassen wird. Wenn sie es noch einmal wagt, sich ihm zu nähern, kann sie sicher sein, aus dem Palast gewiesen zu werden.
War das der Dank, dass man sich gnädig ihrer angenommen hat. Völlig eingeschüchtert, will Beata den gewünschten Schwur leisten, doch Osmund schiebt ihre Hände in eine andere Richtung. Will die grausame Mutter die zarten Bande zerreißen und den Sohn ins Unglück stürzen? Aufregung kann die Alte nicht mehr vertragen und sinkt erschöpft in ihre Kissen. Osmund erklärt ihr, dass sich das Schwören erübrigt, denn einen erpressten Eid muss man nicht halten. Adelasia hegt Wohlwollen für Osmunds Anliegen. Sich ihres Einflusses auf die alte Gräfin bewusst, mischt sie sich schlichtend in die Auseinandersetzung ein. Die Edelmütige ersucht die beiden Liebenden, gegenwärtig das Feld zu räumen, um sie mit der Mutter allein zu lassen.
Achte Szene:
Adelasia schlägt vor, dass die edle Gräfin sich mit ihrem Zorn die geruhsame Stimmung des Abends nicht nicht selbst verderben soll. Die Aufgemunterte glaubt allerdings, dass ihr Leben sich dem Ende zuneigt und sie bald in eine andere Welt hinüberwechseln wird. Ein Lebensabend kann lange währen, widerspricht die Freundin; ein Silberstreifen kann durchaus wieder Helle bewirken, damit Herz und Auge sich erneut laben können. Falsche Vorstellungen können Harmonie allerdings leicht entstellen. Beata wäre es wert, dass man ihr liebenswürdig begegne. Ihr Charakter sei gut und sauber, heiter und treu blicke sie in die Welt. Sie liebt ihren Osmund heiß und innig, hat ihm aber keineswegs umgarnt, sondern er hat sie umworben. Es sei keine gute Idee, die beiden Liebenden zu trennen. Albiria findet es sonderbar, dass Adelasia zugunsten Beatas spricht, denn die Gräfin glaubt zu wissen, dass sie Osmund ebenfalls liebt. Nun, weil das so ist, gönnt sie dem Liebsten das Glück, welches er sich vorstellt und leistet keine Hilfe, es zu zerstören.
Der alten Gräfin wäre es lieber, wenn sie Osmund ehelich verbunden an ihrer Seite sähe, dann könnte sie getröstet in die Gruft sinken. Stolz sein sollte der törichte Sohn, statt dessen gib er sich mit einer feilen Magd ab. Was hat Adelasia eigentlich gegen Rainulf einzuwenden? Warum weist sie diesen kalt von sich? Adelasia weicht aus und stellt fest, dass die Mutter den Jüngeren dem anderen Kind prinzipiell vorzieht. Möglicherweise sei ihr das nicht bewusst, aber es schmerze sie tief, wenn die Mutter den Ältesten hart behandele. Habe Osmund es an kindlicher Liebe jemals fehlen lassen? Tatsächlich hat Adelasia der Mutter nun das schlechte Gewissen wachgerufen, denn Stichhaltiges hat sie nicht zu entgegenen. Es handele sich um ein Geheimnis, welches eine Mutter nur in Zwiesprache mit sich selbst ergründen könne. Ohne weiter zu forschen steuert Adelasia direkt auf ihr Ziel zu:
„Nun, so schließe wieder Frieden!
Zum Kampf ruft ihn sein heiliger Eid.
O denkt, er fänd' im Streit den Tod.
Ohne Versöhnung wär't ihr geschieden!
Reue würde das Weh nicht stillen!
In Eures Lebens Abendstunden
schmerzgetrübt durch seelische Wunden!
Nein, das Antlitz, das eben noch zürnte,
glänzt jetzt huldvoll mild verklärt.
Ich eile hin. Ich tu's ihnen kund,
der Mutter Segen schützt den Bund.“
Neunte Szene:
Rainulf faselt unerträglich. Was könnte seiner Liebe zur Mutter, der liebsten und besten aller Frauen, wohl gleichen? Mit Betrübnis sieht er im Mienenspiel, dass sie sich über böse Menschen geärgert hat. Zur Hölle mit ihnen! Frohgemut fühlt er ihre traute Nähe. Er ist ihr Trost und ihr Glück und der Himmel soll huldvoll auf ihn herniederschauen. Hierzu hat der Himmel jedoch keine Veranlassung, denn der intrigante Rainulf hat nichts anderes im Sinn, als sich in Vorteil zu setzen und das liebe Mutterherz zu bekümmern. Er bezieht sich auf den kürzlichen Überfall auf das fromme Kloster und kündet der Unvorbereiteten, dass man die Tatwaffe gefunden habe. Der Name Osmund sei darin eingeritzt gewesen, so dass es möglich sei, dass er, Rainulf, selbst auch noch fälschlich in Verdacht geraten könne.
Seine Mutmaßung bringe seine Vorstellungen von seiner Zukunft völlig durcheinander, aber er habe eine Vision gehabt, dass ein Adler sich auf den Pflug setzte, als er gerade einem Bauern bei der Arbeit half. Prompt rief das Volk: „Das ist ein Wunderzeichen. Die Königskrone wird man ihm reichen!“ Ein anderes Mal flog ein kecker Hahn auf seine Schulter. Man solle ihn nicht verscheuchen, rief eine weise Alte, denn das könnte Wichtiges zu bedeuten haben. Vielleicht ist es ein Hinweis auf seine Thronfolge. Ganz so weltabgewandt, wie Rainulf es gern hätte, ist Albiria jedoch noch nicht. Er soll aufpassen, dass er der Glut nicht zu Nahe komme, denn dann hätte er das Missgeschick des Ikarus zu teilen. Der Grafensohn fasst zusammen, was allerdings andere auch denken:
„Es drängt die Macht zu Kraft und Ruhm!
Schlimm steht es um der Normannen Herrschertum!
Tankred fällt, dazu verhilft uns der Staufe!
Und dann kann ja auch Herr Heinrich stürzen!
Was brauchen wir Fremde hier?
Ein Volk, dessen Wappen Raben zieren!
Ein heimischer Fürst soll das Land regieren!“
Wie er es mit seinem Treueeid halte, will Albiria wissen? Rainulfs Antwort ist raffiniert:
„Ich hab ja die heidnische Hand gereckt.
Du ließt mich ja taufen nach Irländer Art:
den ganzen Balg ins Becken gesteckt;
nur dem rechten Arm blieb die Taufe erspart.
Berührt hat ihn nicht das Wasser kühl,
drum kann er handeln, wie er will.“
Albiria legt sieht keinen Zusammenhang mit den Geschehnissen im Kloster.
Rainulf bringt nun die hohe Politik ins Spiel. Da Osmund offenbar zu Tankred hält, bringt er allen das sichere Verderben, denn König Heinrich nahe mit seinem Heer über die Alpen. Der Weg der Rettung liegt in der Notwendigkeit, dass der Fehlgeleitete vorher ausgeschaltet wird. Die Mutter halte die Fäden in der Hand, indem sie unter Einsatz ihrer hochadeligen Autorität vor Zeugen den Osmund des grausamen Überfalls auf das Kloster bezichtige. Oder will sie, dass man ihn, ihren Liebling, der Tat für schuldig befände? Was ist aber, wenn Osmund auch unschuldig ist, bohrt die Misstrauische weiter. Der Dolch spricht als furchtbarer Beweis gegen ihn. Soll die Sonne so ins Meer sinken? Die Mutter soll nichts fürchten. Sein Leben wird geschont, denn man wird dem Schändlichen einen Fluchtweg freilassen. Trotz allem ist die Schmach furchtbar! Ist Rainulf sich auch ganz sicher, dass Osmund der Täter war? Der Befragte tut empört und blockiert das Mißtrauen ab. Kennt sie ihn so schlecht?
Albiria will mit sich zu Rate gehen und bittet den Sohn, sie allein zu lassen. Ein heftiger Kampf durchtobt ihre Brust. Sie spürt, dass das Schicksal ihr vor ihrem nahen Tod noch die Entscheidung abverlangt, welcher ihrer Söhne in Ehren bestehen soll. Rainulf ist ein Kind der Liebe. So wie Tankred ist er unehelich geboren - nur die Welt weiß nicht, von wem sie ihn empfing. Heißes Begehren zwang sie zur Untreue und Bangen begleitete ihr Leben wie eine böse Fee. Was sie im Dunkeln entschwunden wähnte, taucht vor ihrem Gewissen wieder auf. Viele Sorgen hat Rainulf der Mutter gebracht und zum Schluss kommt ihre schwerste Prüfung. Rainulf muss Sieger werden, denn die das Haus Hauteville hat verspielt und der Staufer Stern leuchtet auf. Osmund geht den falschen Weg und Rainulf steht für den Sieg. Der Adler auf dem Pflug wird ihm den Weg weisen!
Zehnte Szene:
Bevor Albiria ihren Geist aushaucht, sorgt sie für anhaltende Bestürzung - der böse Samen, den ihr Sprössling gelegt hat, geht auf. Von Rainulf herbeigerufen, eilen alle herbei, um zugegen zu sein, wenn die alte Gräfin ihren letzten Seufzer tut. Schnelle Hilfe verpasst ihren Zweck.
„Lebe wohl!
Ich fühle, es naht das Ende!
Es wäre nicht traurig
denn mich trösten heilige Sakramente,
wenn nicht diese Brust ein Schmerz bedrückte,
den nur ein Bekenntnis bannt:
Unser Haus, das der Himmel
mit Ruhm und Ehre beglückte,
unser Haus sank in Schmach und Schande!
Das Verbrechen im Kloster, wisst ihr, wer es beging?
Osmund, mein Sohn!“
Die Anstrengung der falschen Schuldzuweisung aus diffusen rationellen Überlegungen war zu groß. Die Überbeanspruchte sinkt tot zurück. Osmund, der mit Beata abseits am Eingang stand, hat die letzten Worte seiner Mutter vernommen, beginnt mit einer zünftigen Grabrede, um sich trefflich zu verteidigen.
„Tod! Erhabenes Schweigen! Geheimnisvolles Übergehen!
Vor dem gewaltigen Tor ehrfurchtsvoll wir stehen;
Sein Schloss zu berühren, wer wollte sich trauen
Wer wollte es wagen, hineinzuschauen
in jenes Land, dessen Glanz uns erblinden ließe.
Zu Ende ist der Erde Qual, Not und Leid.
Es winkt froh der Befreiten
des Paradieses lichter Glanz.“
Den Tod des Vaters hat Osmund so erlebt, dass ein stiller Friede sich auf seinem Gesicht ausbreitete, als ob er den Flügelschlag eines Engels vernehmen würde. Doch bei dem Tod der Mutter bietet sich ihm ein ganz anderes Bild. Die kalten Züge sind hart und verzerrt. Rhetorisch richtet er die Frage an den Tod, wer seinen Frieden verletzt habe, weil er als Feind und nicht friedlich naht. Ist es etwa Gottes Wille, dass Engel die sterbliche Hülle meiden, weil Satan dazwischen getreten ist?
Heute entwindet sich ihm, sonst für ihn ein vertrautes Wort, das Wort 'Mutter' mit Grauen. Bei ihrer Seligkeit und im Namen der Wahrheit und des Guten soll sie noch einmal aufwachen und das Gesagte richtigstellen, damit sie nicht mit einer Lüge auf den Lippen stirbt und der ewigen Seligkeit verlustig gehe. Die Züge der Toten entstelle eine furchtbar grässliche Lüge, weil Dämonen sie umschwirrten und der Wahrheit Bild vernebelten. Osmund klagt, dass die Lüge nicht ihn, sondern sie vernichte. Ihm hilft sein reines Gewissen, doch um zu büßen habe die Mutter keine Chance, denn sie sei verdammt und verloren. Sein Auge wende sich scheu von der Bahre, denn was er sieht sei eine hässliche Fratze. Das ist keine Mutter mehr, sondern eine Mähre. Das Gespenst soll verschwinden. Er will sie wecken, damit der Sohn sie hört. Um ihres Heiles willen soll sie aufwachen, denn ihn vernichtend, hat sie sich selbst zerstört. Als tot kann er nicht bezeichnen, was sie entstellt. Verdammt in Ewigkeit soll sie sein und ziellos herumirren, wenn kein Mitleidiger sie befreit.
An virtuoser Rhetorik steht ihm Rainulf nicht nach. Schurkisch nutzt er die Hysterie von Osmunds Anklage gegen die tote Mutter aus und appelliert an Entrüstung und Emotion seiner Zuhörer. Grauenvoll sei ein Sohn, der seiner Mutter fluche. Denjenigen, den man allgemeine für edel und heiter hielt, zeigt heute sein wahres Gesicht. Vor strengem Gericht habe er Angst, denn er suche, die Schuld von sich abzuwenden und scheute sich nicht, eine Tote zu schmähen. Rainulf schwingt sich auf, im Namen aller zu sprechen.
„Entsetzt wenden wir uns von ihm,
der frech sich erdreistet,
an der Leiche zu stehen, die sein Opfer ist!
Ja sein Opfer! Die Schmach hat sie getötet!
O tragt die Leiche in die Halle!
Den Fluch zu scheuchen, betet, betet.
Die Teure liebtet ihr ja alle!“
Osmund lässt sich tatsächlich in die Flucht schlagen und gibt sein Schwert ab. „Solch hehre Waffe flieht den Schlechten“ bedeutet man ihm. Auf Geheiss Rainulfs wird er von seinen Leuten gefesselt und abgeführt. "O Schmerz, o Schmach!“ der eigene Bruder muss das rufen!
Der Leichnam der Gräfin wird aus der Halle getragen. Der Priester sieht keinen Grund, an den Worten der Mutter zu zweifeln. Beata sinkt weinend an die Brust des Geliebten. Adelasia sieht Osmund fest in die Augen und erkennt keine Schuld an ihm.
Elfte Szene:
Im Finale des ersten Aktes hat Adelasia ihren großen Auftritt mit einer Bravourarie von zehn Minuten: Verhielte es sich so, dass Osmund tatsächlich ein Verschulden anzulasten sei, wäre er ein schamloser Heuchler und die Wahrheit auf ewig in der Versenkung verschwunden. Sein Klagelaut kam jedoch aus tiefstem Herzen. Selbst der größte Verbrecher würde es nicht vollbringen, die Seele der Mutter zum ewigen Herumirren zu verdammen, auch wenn er schuldig wäre. Den Klang wahren Schmerzes erkennt nur das Ohr der Liebe. So treffend könnte Heuchelei nicht nachgeahmt werden, wie Osmund seine Unschuld beteuerte. Ja, sie fühlt es, der Edle hat nicht gelogen. Sie kennt ihn und sie liebt ihn. Der Himmel steht auf seiner Seite, wenn sein Herz rein ist. Weshalb er gegenwärtig seine Gunst von ihm abgewandt hat, wird sich möglicherweise noch ergeben. Um den harten Entschluss zu begreifen, ist es erforderlich, in Demut die weitere Entwicklung abzuwarten.
Doch die Mutter!
Die leibliche Mutter zeiht den Sohn
der grässlichen Schuld!
Wer bewusst mit einer Lüge schied,
beraubt sich selbst der himmlischen Huld.
Graust es sie nicht vor dem letzten Gericht?
Wie tritt sie hin vor Gottes Thron?
Gellt ins Ohr das Wort ihr nicht?
„Verdammt ist deiner Untat Lohn“?
So wäre Osmund schuldig?
Ich glaub es nicht! Ich kann es nicht fassen!
Ein Nebel hat sich um uns gelegt,
die Wahrheit umschleiernd in fahlem Erblassen!
Weiche du feuchter Flor!
Sonne dringe hervor!
Falls Gott ein Medium braucht, um seinen Willen auszuführen, bietet Adelasia der Vorsehung ihre Dienste an. Sie fühlt die notwendige Schubkraft, sich auch für schwierige Aufgaben bereit zu halten, wenn durch ihre Mithilfe die Wahrheit ans Tageslicht kommen wird. Im Geiste sieht Adelasia den Pfad vor sich, den sie betreten soll. Der Abgrund zur Seite ist gefährlich und dornenreich; er führt durch grelles Licht und dunkle Nacht. Ihre Vorahnungen gaukeln Adelasia fatale Situationen vor: Schwindel erfasst sie und Koboldstimmen wollen sie betören. Sie vernimmt warnendes Flüstern:
„Närrin nicht weiter hier,
Du verirrst dich im Dornengewirr!
Du zerreißt Dein Kleid o Schand',
Deiner Keuschheit, deiner Ehre Gewand.
Du, sonst so stolz und tugendlich
und blutig ritzt du die Glieder.
Bald stürzt du jämmerlich nieder.
Ist Reinheit dir wert, so fliehe.
Fliehe zurück, du bist verloren.“
Und wenn dem so ist – an ihr liegt ihr nichts. Das Schicksal habe sie erkoren, damit sie das Lügengespinst entwirrt. Weiter dringt sie in die Tiefe des Dickichts mit blutendem Fuße und zerkratzter Hand. Zerrissen ist ihrer Ehre Gewand, bevor sie zur Höhle gelangt, wo die Lüge kauert. Sie fasst sie am Schlangenhaar und zerrt sie ans Sonnenlicht. Der Lichtscheuen zeigt sie das strahlende Leuchten, damit sie am Glanz sich selbst vernichte. Die Absicht lässt sich aber nur verwirklichen, wenn des Himmels Gnade sie mit Kraft, Mut und Trost ausstattet. Der Schutzengel heilige Schar fordert Adelasia an, damit sie auf Schritt und Tritt segnend umschwebt wird. Der Glaube soll ihr gestärkt werden und eiserner Trotz ihren Mut beflügeln. Das kühne Werk sei gewagt, denn das Herz flammt in heiliger Glut.
Zweiter Akt
Zwölfte Szene:
Rainulf übt sich, wie man hofhält. Von einer glänzenden Gesellschaft umgeben, empfängt er den Gesandten Heinrichs des Sechsten. Dieser entledigt sich seiner Mission, indem er mit einleitenden Worten auf den Himmel verweist, der dem Land, welches soviel gelitten habe, nun hellen Glanz beschere. Dem Grafen soll höchster Huld teilhaftig werden, weil er rühmlich für Recht gestritten hat. Als Zeichen aus des Kaisers gnädiger Hand empfängt Rainulf ein Dokument, welches ihn zum Herzog von Salerno ernennt. Die Edelleute huldigen dem ehrenvoll Bedachten, dem der Kaiser der Staufer soviel Gnade erzeigt. Doch umsonst gibt es gar nichts, die bittere Pille in Form einer unangenehmen Aufgabe wird nachgeschoben. Die Gäste haben sich entfernt und unter vier Augen rückt der Gesandte mit seinem Auftrag heraus und erklärt zunächst die politische Situation, damit das Opernpublikum seinen Ausführungen sachkundig folgen kann:
„Günstig steht es um Konstanzes und Heinrichs Sache.
König Tankreds plötzlicher Tod kam gelegen!
Sein Söhnchen Wilhelm soll den Thron besteigen.
Witwe Sibylle möchte das Erbe verwalten!
Der Prinz, so hört ich, weilt in Reggios Mauern.
Ihn und seine Mutter sollt ihr fesseln!"
Im Prinzip hat Rainulf keine Skrupel, doch leicht lässt sich die Sache nicht durchführen - noch hält der Pöbel fest an Tankreds Stamm. Auf Einwände lässt der Staufer sich nicht ein und schmeichelt, dass es Rainulfs Klugheit schon gelingen werde, das gewünschte Resultat zu erzielen. Dieser sieht seinen Traum von Adler und Hahn bestätigt, denn er hat auf dem Weg zur Macht eine weitere Stufe erklommen.
Dreizehnte Szene:
Mit dem kindlichen Prinzen an der Hand tritt Adelasias Bruder Gilbert forsch auf, wähnt den Kleinen im Palast der verstorbenen Gräfin in guten Händen und hat naturgemäß keine Ahnung, wie die augenblickliche Situation zu bewerten ist und was sich im Hintergrund abspielte. Wilde Erregung hat das Volk erfasst, denn es hat sich das Gerücht verbreitet, dass auf Heinrichs Befehl der kleine Prinz geblendet werden soll. Gilbert glaubt, Rainulf zur Rede stellen zu müssen und handelt sich sogleich massive Opposition ein. Es sei ein Gerücht, welches die tobenden Volksmassen verbreiten und der Ankömmling solle nicht alles glauben, was er hört. Das Volk sieht den Kleinen als ihren König an und bekundet lautstark seine Vorstellungen. „Heil König Wilhelm!“ Rainulf sei verpflichtet, seine Jugend zu schützen ihm ebenfalls Treue zu schwören, aber bitte nicht mit dem rechten Arm. Wäre es Gilbert lieber, wenn er mit dem linken Fuß schwört? Offenbar ist dem Anmaßenden nicht klar, dass er dem Herzog von Salerno gegenüberstehe und es am schuldigen Respekt fehlen lasse. Er sei nur Herzog von der Staufer Gnaden. Vor ihr beuge Gilbert sich nicht. Ob er Würden aus Bastardhänden höher einschätze, pariert Rainulf in geübter Weise. Nur über den unerlaubten Umweg über Konstanze maße der Staufer sich Erbrechte an. Beide streiten sich nun, ob Bastarde und Frauen überhaupt erbberechtigt seien. Wenn es Graf Gilbert Freude mache, auf ein sinkendes Schiff zu setzen, dann soll er sich ergötzen und sich als Narr verlachen lassen. Ihm, Rainulf, gelte nur eins: Das Recht und dieses Volkes Heil. Das Volk begutachtet Rainulfs Ansicht. „Was er sagt ist eigentlich wahr. Es hört sich klug und rechtlich an und der Kaiser ist sein Freund. Besser so, als wäre er unser Feind.“ Rainulf schaut höhnisch auf den Mob herab und bezeichnet ihn als feiles, feiges Volk. Er hat es sogleich umgestimmt. „Sieger bleibt, wer das Maul am vollsten nimmt!“
Adelasia ist unauffällig hinzugekommen. Marta fragt, wo Graf Osmund sich aufhalte, denn seine Aufgabe sei es, den Knaben zu schützen. Der Amme erklärt Adelasia zum Schein, dass dieser die Strafe bekommen habe, die er verdiene. Nur der Tod könne solch schweres Verbrechen sühnen. Rainulf empört sich: Wer habe ihr gesagt, dass Osmund tot sei? Kerker oder Verbannung sei Strafe genug. „Ein Gesetzt gilt für alle. Ob Graf, ob Knecht. Was sagte Rainulf soeben, er stritte für Recht?“
Nun ist Marta ratlos. Der Feind lauert überall, der edle Herzog möge das Kind in diesen Mauern bergen. Ausnahmsweise ist Rainulf einmal ehrlich und mitfühlend. „Ich darf nicht, doch zur Flucht lasse ich euch Zeit!“. Das Opernpublikum ist erstaunt, denn Heuchelei, das Gegenteil zu tun von dem was er verkündet, wäre praktischer gewesen, doch Rainulf zeigt Mitleid.
Vierzehnte Szene:
Gilbert begegnet seiner Schwester mit Kälte. Die Begrüßung ist frostig, denn er hat in Erfahrung bringen müssen, dass Adelasia die Geliebte Rainulfs geworden ist. Der Schein gibt ihm Recht, doch will er sie nicht zunächst erst einmal anhören? Wenn ihr Wort nicht durch Lüge entstellt ist, darf sie reden. Sie sei sich bewusst, wie gefährlich ihr Spiel ist, doch wenn sie verliert, sei auch ihr Leben verloren. Die Stimme in ihrem Inneren will nicht verstummen. Diese sagt ihr, das Osmund unschuldig ist. Es ist die Stimme der Liebe, ist Gilberts Ansicht, denn Liebe kennt keine Vernunft. Im Gegenteil, denn wo die Fackel der Vernunft nie hindringt, da leuchtet die Liebe. Ein anderer müsse der Täter sein und sie sei dabei, ein Truggewand in Fetzen zu zerreißen. Beweise hat sie nicht, aber ein einziger Blick verriet ihr alles. Es gilt nicht, selbst überzeugt zu sein, sondern sie muss andere zu ihrer Ansicht bekehren. Tollkühn gibt sie ihre Ehre preis, aber um Rainulf zu überführen, bedarf es handfester Mittel.
Adelasia behauptet, in Sigilgaita eine starke Verbündete zu haben. Die edle Seherin habe ihr verraten, dass Rainulf sie begehre, sich aber nicht traue, offen seine Wünsche zu äußern. Sie solle die Angebetete durch ihre Kunst zuvor in einen Zauberschlaf versetzen. Dann könne sie bequem herausfinden und ihm erzählen, was Adelasia über ihn denke, damit er sich nicht der Gefahr einer Blamage aussetze. Sigilgaita war jedoch nicht geneigt, sein Begehren zu erfüllen und habe es vorgezogen, sich ihr zuzuwenden. Die beiden Frauen haben nun ausgetüftelt, dass er sich der gleichen Probe unterziehen soll, wenn sie im Gegenzug ihre Bereitschaft erklärt. Unter Hypnose stehend, wird er sein Geheimnis verraten. „So locken wir listig den Listigen ins Netz.“ (Mit dieser sprachlichen Verrenkung macht Siegfried Wagner ausnahmsweise eine kleine Anleihe beim Herrn Vater).
Gilbert möchte sein Gemüt beruhigen und die Schwester soll ihm klar sagen, ob sie Rainulfs Geliebte ist. Nun, seinen Küssen kann sie nicht wehren, sie müsste sich sonst verraten. Doch sie habe sich ausbedungen, dass er die Probe der drei Tobiasnächte zu bestehen habe, denn sie müsse sich versichern, dass seine Liebe echt und nicht körperliches Begehren allein die Ursache seiner Werbung sei. Hat sie etwa gelobt, seine Gattin zu werden, will Gilbert wissen. Beileibe, nein! Möchte er etwa der Schwager eines Räubers werden? Was mit ihrer Ehre sei? Man wird sie verachten! Gott schaut in die Herzen. Was Kröten und Kreuzottern von ihr denken, gelte ihr wenig. Wenn ihr Irrtum sie auf eine falsche Fährte gelockt hat, wird der Tod die Schmach enden. Die dritte Tobiasnacht ist um und theoretisch wäre sie nun heute Nacht seiner Gier verfallen. Alle Heiligen sollen ihr helfen, sie vor Schmach zu bewahren. Schon naht Sigilgaita, um ihr mit Ränken auszuhelfen.
Fünfzehnte Szene: Neues Blatt für Volumen !!