Im Hof des Palastes zu Mykene herrscht unter den Mägden eine angeheizte Stimmung. Ihre Aggression richtet sich gegen Elektra, die von ihrer Mutter und ihrem Liebhaber von der königlichen Tafel verstoßen, nun verachtet im Palast ohne angemessene Kleidung und Unterkunft ein unwürdiges Leben fristet. Rhetorisch weiß Elektra sich ihrer Haut zu wehren und hält die Zudringlichkeit der Dienerschaft auf Distanz, die sie verhöhnen, wenn sie „zur gewohnten Stunde um den Vater heult“. Elektra schreit ihnen nach, dass sie „etwas Fettes oder etwas Süßes essen sollen“, damit genügend Ablenkung haben.
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Vor längerer Zeit trug sich in diesem Hause eine schaurige Bluttat zu. Elektras Vater, König Agamemnon, wurde nach seiner Heimkehr aus dem Trojanischen Krieg von seiner Gattin verraten und ihm im Badezimmer vom Buhlen der Schädel gespalten. Wegen Ehebruch und Amtsanmaßung – Aegisth hatte sich bereits zum König ausrufen lassen – befand sich das Paar in Zugzwang, um dem königlichen Donnerwetter zu entgehen, was die Bluttat zumindest erklärt.
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Die Königskinder erlebten zur Nachtzeit aus unmittelbarer Nähe mit Grausen die Beseitigung des Vaters. Aegisth hatte den Vater bei der Schulter genommen und aus dem Badezimmer geschleift, „den Kopf voraus und die Beine hinterher“. Das offene Auge starrte ins Leere und der königliche Stirnreif „speiste sich mit Blut aus des Hauptes offener Wunde“.
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Während es Chrysothemis im Laufe der Zeit gelang, sich mit dem Schicksal zu arrangieren, kocht in Elektra ein unbändiger Hass. Die Einzelheiten der Bluttat erlebt Sie in einer Vision täglich aufs Neue und es gelingt ihr, auf metaphysischer Ebene eine Verbindung zu ihrem Vater herzustellen. Sie hält Zwiesprache mit dem Ermordeten was ihre seelischen Schmerzen beruhigt, ergeht sich aber zum Schluss in Vorstellungen fürchterlicher Rache gegen die beiden Straftäter
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Die Aussichten stehen nicht schlecht, denn Elektra hatte ihren kleinen Bruder in der Blutnacht aus dem Palast geschmuggelt, damit er eines Tages als Rächer und Vollstrecker zurückkehren kann, aber dann seine Spur verloren.
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Nun erscheint Chrysothemis, um der Schwester zu erklären, dass man sie in einen Turm einsperren will. Niemandem ist Elektra, die ihrem Hass freien Lauf lässt, geheuer und das kriminelle Paar befürchtet insgeheim, das die Rasende etwas anstellen oder Außenstehende mobilisieren könnte. Chrysothemis empfindet Bedauern mit der Schwester und vor allem mit sich selbst, denn sie stellt sich ein Leben auf dem Lande vor, verheiratet zu sein und Kinder zu haben. Ihre Beschwichtigungsversuche bringen Elektra nur noch mehr in Rage.
Klytämnestra hat Angst, höllische Angst, vor den Furien, vor Elektra und vor ihrem Sohn Orest, der heimkehren könnte, um Rechenschaft für den toten Vater zu fordern. Körperlich fühlt sie sich überhaupt nicht wohl, hat es mit der Leber, nimmt Aspirin gegen Kopfschmerzen und geht am Stock. Die Königin erhofft sich Linderung durch magische Kräfte, denn die Bluttat belastet sie doch sehr. Das ewige Gezänk ihrer Dienerinnen verabscheut sie, und sie wünscht sich ein freundliches Wort, selbst wenn es von Elektra käme. Ihr unterstellt sie, Kenntnisse in der Heilkunde durch Kräuter und Steine. Von ihr will sie nun heraus bekommen, welche Oper gebracht werden müssten, damit ihr körperlicher und geistiger Zustand sich verbessert. Ihre Antwort kleidet Elektra in ein Orakel, lässt die Bittende in Ungewissheit. Eine Dienerin erscheint und flüstert der Königin zu, dass Orest von seinen eigenen Pferden zerrissen worden sei. “Warum lacht das Weib“, will Elektra wissen.
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Nun will Elektra die Rache selbst in die Hand nehmen und versucht, Chrysothemis zur Komplizin zu gewinnen. Letztere fühlt sich mit der ihr zugemuteten Mittäterschaft an der Ermordung der eigenen Mutter trotz intensiven Schmeicheleinen Elektras psychisch überfordert und ergreift die Flucht vor der wutschnaubenden Schwester.
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Die Rasende holt aus dem Versteck das Mordbeil, um die Tat allein auszuführen, als plötzlich ein Fremder hinter ihr steht. Es ist Orest, der vorsätzlich das Gerücht von seinem Ableben ausgestreut hat, um die Palastbewohner in Sicherheit zu wiegen. Das Wiedersehen ist unbeschreiblich. Zutiefst erschüttert tasten beide aneinander heran.
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Die Wiedererkennungsszene der beiden Geschwister ist das Tiefgreifendste, was Richard Strauss überhaupt komponiert hat. Elektra jubelt: „Orest, Orest, Orest, Orest! Es rührt sich niemand. Oh lass deine Augen mich sehn, Traumbild mir geschenktes Traumbild, schöner als alle Träume.“ Die Verzückung will kein Ende nehmen. Der Pfleger Orests warnt vor unnötigem Lärm und dann besinnen sich beide auf das, was in dieser Nacht geschehen muss. Eine Dienerin kommt mit einer Fackel und lässt die beiden Männer in das Schlafgemach Klytämnestras. Elektra besinnt sich plötzlich, dass sie Orest das Beil nicht geben konnte, doch dieser hat seine eigene Werkzeugtasche dabei. Ein Schrei! Noch ein Schrei! Elektra ruft: „Triff noch einmal“, und siehe da, Klytämnestra schwimmt in ihrem Blute. Aegisth ist abwesend, denn die beiden hatten in letzter Zeit getrennte Schlafzimmer, weil die Königin von Albträumen geplagt, die Nachtruhe des Bettgenossen störte. Nun ist Aegisth zur Stelle, kann das Licht nicht finden und Elektra fragt, ob sie ihm leuchten darf. Aegisth will wissen, ob die beiden Fremden, welche die gute Nachricht vom Tode Orests brachten, auch anständig bewirtet werden. „Natürlich“ erklärt Elektra, „Sie ergötzen sich gerade mit deiner Frau“ Elektra verschaukelt den argwöhnischen Stiefvater noch eine Weile, bis auch er unter dem Mordbeil Orests fällt. Im Palast ist man erwacht, Chrysothemis begreift als letzte: „Nun ist der Bruder da und Liebe fließt über uns wie Öl und Myrrhen. Elektra! Ich muss bei meinem Bruder stehn!“ Elektra hat nur einen Wunsch, schweigen und tanzen, und fordert die umstehenden auf, das gleiche zu tun. Die Anspannung der letzten halben Stunde ist für den Racheengel zu viel. Während des Tanzes bricht ihr Kreislauf zusammen.
Anmerkungen:.
Die Zusammenarbeit zwischen Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal begann mit der „Elektra“. Das Drama des Sophokles verwandelte der Dichter in eine Stimmung, dessen Expressionismus die Menschen der Zeit nach der Jahrhundertwende zunächst erschreckte. Hierzu komponierte Strauss eine Musik, die in ihrer brutalen Gewalt einem Abschied von der Romantik gleichkam. Richard Strauss schien über sein Werk selbst erschrocken gewesen zu sein, denn mit dem nachfolgenden „Rosenkavalier“ flüchtete er sich unverzüglich in die Geborgenheit der Melodie, um Ähnliches nie wieder in Angriff zu nehmen. Anfangs verhalten aufgenommen, weil die musikalische Form entsetzte und der Salome noch eins drauf gab, hat die Oper bis heute von ihrer Anziehungskraft nichts verloren. Wenn eine ausdrucksstarke und stimmgewaltige Elektra als Darstellerin zur Verfügung steht, kann das Opernhaus mit frenetischem Beifall und ausverkauften Plätzen rechnen.
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Musirony 2006 – Engelbert Hellen