Schöne Oper - selten gehört
Siegfried Wagner [1869-1930]
Sonnenflammen
Oper in drei Akten
deutsch gesungen
entstanden 1812
Libretto vom Komponisten
Uraufführung am 30. Oktober 1918, am Hoftheater in Darmstadt
Spieldauer: etwa 130 Minuten
HANDLUNG VOL. II (Akt 2 - 3)
Fortsetzung von Blatt I
Zweiter Akt:
Neunte Szene:
Aus dem Weinberg gegenüber der kaiserlichen Residenz erklingt das traurige Lied eines Winzers. Von seinem Mädchen hat man ihn getrennt und er sehnt sich danach, dass ihm die holde Maid einen Gruß über das Meer schickt. Den Klang der Heimat entbehrt er schon seit langer Zeit. Ein Lüftchen soll ihm den vertrauten Tonfall ihrer Stimme zuwehen, damit er sich daran laben kann. Sein Herz ist so schwer und die Holde soll ihn hier in der Fremde nicht allein lassen.
Eustachia wünscht sich, dass der Traubenpflücker seinen Gesang bald einstellt, denn die Melodie stimmt die Kaiserin traurig. Diese stickt an einer Altardecke und beachtet kaum ihren kleinen Sohn, der zu ihren Füßen spielt, denn trübe Gedanken bewegen ihre Seele. Irene ist mit ihrem Leben unzufrieden. Sie fragt sich, weshalb sie kein Gift mischt, um ihre Schmach zu beenden. Warum bestellt sie keinen Mörder, der aus dem Weg räumt, was ihr verhasst ist? Vielleicht wäre es noch besser, einen Liebestrank anzuwenden, um das Herz ihres Mannes wieder an sich zu fesseln. Ein ungestilltes Sehnen zieht sie zu ihm hin. Noch einmal möchte sie das Wonnegefühl erleben, welches in der ersten Zeit ihrer stürmischen Liebe Besitz von ihr ergriffen hatte. Trost ist nicht in Sicht! Hilfsweise möchte sie ihre Dienerin ein bisschen ärgern und ersucht Eustachia, ihr nocheinmal zu erzählen, weshalb ihre Schwester sich mit ihrem Kind ertränkt habe. Aus Abscheu vor einem rohen Mann, der sie vor anderen gekränkt und völlig unnötig gedemütigt hat, ist ihre unverblümte Antwort. Denkt Eustachia, dass der Suizid der Schwester ewigen Frieden verschafft hat? An den Unfug, den die Pfaffen erzählen, glaubt Eustachia ohnehin nicht, denn jeder ist für sich selbst zuständig und handelt eigenverantwortlich. Die Seelentröster sollen nicht wagen, die Ärmste zu verdammen, dann bekommen sie es mit ihr zu tun. Die Bewegte ist sicher, dass Gott die Unglückliche in den Himmel aufnehmen wird und es eines Tages mit ihr ein Wiedersehen gibt. Befriedigt, der Herrin gründlich Bescheid gegeben zu haben, rauscht die Alte davon.
Zehnte Szene:
Iris stürzt atemlos auf die Veranda und sucht Schutz bei der Kaiserin. Sie hat das Problem, aufzupassen, dass zwei verliebte Gockel im Wahn der Eifersucht befangen, nicht aneinandergeraten. Eunoë hat den Kaiser offenbar angeschwindelt und zu ihm gesagt, dass Iris ihn erwarte. Er ist erschienen, doch gleichzeitig hörte sie unter dem Fenster Fridolin nach ihr rufen und floh durch die Seitenpforte. Der Kreuzritter hat den falschen Verdacht geschöpft, aber sie vermeidet seine Umarmung, weil sie sich über ihre Liebe zu ihm nicht im Klaren ist.
Die Tugendhafte soll sich hinsetzen und sie unterhalten, während sie an dem Tuch stickt, fordert Irene das Mädchen freundlich auf. Sie soll Alexios, in Ruhe herankommen lassen – mit der Macht ihrer Stimme wird sie ihn schon dämpfen. Liebt sie den Fridolin eigentlich? Sie weiß es nicht, aber zunächst einmal möchte sie stolz auf ihn sein und davon ist sie im Moment noch weit entfernt. Seine Liebe, die ihn alles vergessen lässt, achtet sie also nicht? Irene denkt, wenn er selbst sich seiner Liebe erst sicher ist, wird er auch sein törichtes Gelübde erfüllen.
Iris hat die Vorstellung, dass er sich zunächst einmal von ihr losreißen und zur heiligen Stätte gehen soll. Sein blutendes Herz soll er dem Gelübde freudig opfern, damit sie erkennen kann, dass er ein großer und wahrhafter Mensch ist. Und was sei mit ihr, wenn ihn der Tod trifft, forscht Irene weiter?
„Sein Auge zu schließen eilte ich hin!
Seine Leiche würde ich beweinen
und trauernd ewig ihn lieben.“
Iris jammert deshalb, weil Fridolin den zahlreichen Recken nicht gleicht, die in den Heldensagen der höfischen Literatur anklingen. Die blonden nordischen Helden waren wackere Streiter, sich ihres Mutes und ihrer Kraft bewusst. Treue und Ehre hatten sie in der Brust, unbekümmert und lachend erwachten sie beim morgendlichen Weckruf. In Roms Mauern drangen sie einst jauchzend ein, um die morschen Prachtbauten in Trümmer zu legen. Die zündenden Flammen schlichen durch die Korridore der Lüge bis sie in sich selbst zusammenbrachen. Der dekadenten römischen Gesellschaft zeigten sie, zu welchen Taten Barbaren fähig sind.
Sie glichen dem brausenden Sturmwind und scheuchten die giftigen Dünste, die mit ihrem Pesthauch alles Gesunde ringsherum scheußlich verseuchten. Einen solchen Helden, wie sie ihn in ihren Träumen sah, möchte Iris ihr eigen nennen. Aufblicken möchte sie zu ihm, wie zu einer Gottheit, denn nur Bewunderung kann ihr Herz zur Liebe entzünden.
Elfte Szene:
Abrupt taucht Fridolin auf der Terrasse auf, ohne von Irene Notiz zu nehmen. Er beabsichtigt, Iris, die verlegen an einem Tuch stickt, zur Rede stellen. Doch die Kaiserin rügt das unangemeldete Eindringen des Besuchers in ihren Wohnbereich und tadelt erzürnt seine ungehobelten Manieren. Als Buße muss er Garn entwirren und zu einem Knäuel formen, dann darf er auch in Iris Nähe bleiben. Allerdings macht Fridolin die ihm aufgetragene Arbeit unordentlich, so dass ihm die Kaiserin droht, dass Pallas Athene ihn in eine Spinne verwandeln wird.
Alexios hat es aufgegeben, in ihrem Heim auf Iris zu warten. Ärgerlich betritt er die Terrasse, erfasst mit einem Blick den fränkischen Hausgast und überlegt, wie ob er den Nebenbuhler mit List entfernen oder Gewalt anwenden soll. „Wie neckisch anzusehen“, höhnt Alexios; er möchte allerdings nicht, als Störenfried gelten. Er solle doch Platz nehmen, ermuntert ihn Irene: Wenn beide Männer Hand anlegen, geht die Arbeit schneller voran. Alex soll sich ein Beispiel an Theseus nehmen! Bevor er den Minotaurus bezwang, hatte Ariane ihm ein Knäuel Garn in die Hand gedrückt, damit er es abrolle, wenn er aus dem Labyrinth nicht nach Hause zurückfindet.
Zwölfte Szene:
Alexios möchte von Iris wissen, weshalb sie fortgelaufen sei. Bitte den Scherz am kommenden Abend nicht wiederholen, wispert er ihr zu. Wohin hat sie den schönen Schmuck getan? Welchen Schmuck? Nun, denselben, den er ihr gab! Warum trägt sie ihn nicht? Fridolin ärgert sich, weil die beiden geheimnisvoll tun und nur leise miteinander sprechen. Die Verlegene behauptet, dass sie sich schäme! Doch zum Fest muss sie sich damit schmücken. Fridolin ärgert sich still vor sich hin und Irene unterstellt, dass es ihn freue, sie zu kränken. Hoffentlich ist das grausame Spiel bald zu Ende!
Ohne Rücksichtnahme auf seine Frau agiert Alexios unbekümmert. Alle Welt soll wissen, dass er Iris liebt. Denkt sie noch daran, was er ihr versprach? Fridolin wird immer ungehaltener. Nun hat er eine Erklärung für die Kälte der Geliebten, ihren Blick hat sie auf den Kaiser gerichtet. Dieser wird zudringlich und rückt Iris dicht an die Seite. Die heftig Umworbene mahnt zur Zurückhaltung. Niemand soll von seinen Intimitäten etwas mitbekommen! Die Kaiserin höhnt, dass er sich keinen Zwang antun soll, denn sie kann sich alles Weitere ohnehin zusammenreimen. Alexios hat keine Lust, Fridolin schonend zu behandeln und fährt ihn an:
„Fridolin hör, ich sann etwas aus:
Seit lang bist du hier im Haus,
nur süßen Freuden in Ruhe ergeben!
Genügt einem Kämpfer solch Leben,
wo alle Manneskraft erschlafft?
Gern boten wir dir Gastfreundschaft!
Zur zweiten Heimat ward dir Byzanz!
Wie wär' es nun? Es könnte sein,
dass Wolken umdüstern des Friedens Schein.
Mutig und ohne Wanken,
lobt man euch freie Franken.“
Alexios führt weiter aus, dass er geneigt sei, Ehre und Ruhm auf ihn zu häufen, doch hierzu sei Byzanz nicht der geeignete Ort. Wie wäre es mit einem Einsatz in der Ferne? Fridolin dankt für solcher Gnade Zeichen, möge der Friede niemals von ihm weichen. Die Kaiserin winkt die Dienerinnen herbei, damit sie die Stickarbeit wegschaffen sollen. Der Ritter sei von seiner Tätigkeit nun entlastet. Er möchte Iris gern allein sprechen, weiß aber nicht, wie er es anstellen soll. Irene gibt Iris ein Zeichen ihr zu folgen. Sie schickt sich an, ihr zu gehorchen, doch Alex hält sie am Ärmel fest und küsst sie.
Hört der Ritter nicht? Die Audienz sei beendet! Widerwillig entfernt sich der Verabschiedete, hält dann aber inne, als ob er noch etwas auf dem Herzen habe. „Zum Donnerwetter, ist der Ritter noch immer da!?“
Dreizehnte Szene:
Fridolin fasst Iris scharf ins Auge und will von ihr wissen, wo sie letzte Nacht gewesen sei und was Alexios eigentlich von ihr will. Nichts kann sie dazu zwingen, seine Fragen zu beantworten. Aber Fridolin besteht darauf, dass sie ihm Rechenschaft ablegt. Woher nimmt er den Mut? Solche Kühnheit kennt sie bisher gar nicht von ihm! Merkt er nicht, dass er lästig wird? Zweifel und Ungewissheit haben sich den anderen Qualen zugesellt. Sie soll an den letzten Kuss denken, der ihn so sehr entzückte. Ihre Lippen waren nicht kalt!, als sie ihn willig erwiderte. Ein Beben und leichtes Zucken verrieten ihm, dass er ihr nicht abhold sei. Nun, man wird sich doch wohl mal vergessen dürfen! Warum muss es unbedingt sie sein, die er liebt. Er hat doch ein Weib und eine Geliebte zu Hause sitzen. Zu diesen beiden soll er sich begeben. Das harte Mädchen mache ihm immerzu Vorwürfe, aber sie soll ohne Sorge sein, seinen Ritterschwur wird er einhalten und nach Jerusalem fahren, denn er will ihrer wert sein. Aber welche Sicherheiten hält sie für ihn bereit, damit er sich nicht umsonst abmüht?
Vierzehnte Szene:
Für Liebesgeplänkel ist keine Zeit mehr, denn Gomella verkündet seinem Irrlichtchen, dass ein Staatsempfang zu Ehren des Gesandten der Republik Venedig stattfinden wird. Das Herrscherpaar von Byzanz hat die Warteschlange der favorisierten Ehrengäste abgeschritten und ist am Thron angekommen. Doch was macht Alexios? Er ruft nach Iris, damit sie zu seiner Rechten auf dem Thron Platz nehme. Die Kaiserin fühlt sich gedemütigt und zweifelt, ob Alexios ihr diese Schmach tatsächlich antun wird. Der Gereizte beachtet ihren Einwand nicht. Gomella belehrt seine Tochter, dass es heißt, zu gehorchen, wenn der Kaiser befiehlt und schiebt sie kurz und bündig an seine Seite. Die Kaiserin protestiert und will sich stolz entfernen. Sie habe den Saal nicht zu verlassen, bestimmt der Kaiser diktatorisch! Er winkt Fridolin herbei und bedeutet ihm, dass zu Füßen seiner Gattin noch ein Plätzchen für ihn frei sei. Der Empörte verweigert den Gehorsam und spielt den Beleidigten.
Der Kaiser fragt die verstörte Iris, weshalb sie die Halskette nicht trage, die er ihr geschenkt habe - ihr Kragen wirke völlig nackt. Gomella flucht der besitzergreifenden Eunoë, die den Schmuck an sich genommen hat. Die Sklavin, die dumme Gans, habe die Kette verlegt und halte sich zur Zeit versteckt, hilft Gomella seiner Tochter aus der Verlegenheit. Im Gänsemarsch erreicht die Gesandtschaft inzwischen den Thron und wickelt ein Geschenk vom Dogen Dandola aus. Alexios behauptet, diesen Namen noch nie gehört zu haben und findet ihn äußerst komisch. „Dandolo, nimm deinen Sandolo! Komm nach Byzanz zum Tanz!“ Die Pergamentrolle mit einer Huldigung vom Dogen gleitet zum Spaß von einer Flosse zur anderen und wieder zurück. Der venezianische Gesandte wird allmählich aggressiv und will wissen, ob er das Ziel von Spottlust geworden sei. Alexios bittet, seine Heiterkeit zu entschuldigen, aber einen Fürsten der Dandandandolo heißt, könne er nicht ernst nehmen. Der Gesandte droht, dass man schon recht bald von seinem Herrscher hören wird. Venedig sei die Königin der Meere und lasse Verunglimpfung nicht auf sich sitzen. Da die Heiterkeit kein Ende nehmen will, verlassen die Gesandten den Saal.
Alexios hat begriffen, dass er sich unpassend benommen hat und fürchtet für seinen kleinen Scherz ernstliche Konsequenzen. Deshalb heißt es, zweckmäßig gerüstet zu sein. Fridolin wird zum Feldherrn ernannt. Er liebt die Stadt am Bosporus und deshalb gibt es keinen besseren als ihn, sie gegen den Feind zu schützen. Der blonde Ritter bekommt einen Orden umgehängt und alle Byzantiner jubeln ihm zu. Doch Fridolin weigert sich zu aller Überraschung die Ehre anzunehmen. Unter den Venezianern seien auch Kreuzfahrer gleich ihm, und gegen seine Brüder mag er nicht kämpfen. Wozu die Bescheidenheit, über die Vermehrung seines Ruhmes sollte er sich doch freuen!
Fünfzehnte Szene:
Der Bruder des Kaisers hat eine Verschwörung geplant, in die Gomella in falscher Einschätzung seiner Person dummerweise einbezogen wurde. Doch der Hofnarr ist seinem Souverän treu ergeben und gibt ihm einen Wink, dass Verrat lauere.
„Schöner Tanz, Meuchelmord in Tanz gewickelt
ist die neueste Medizin.
Man hat mich reichlich zwar bestochen.
Doch Verrat ist doppelter Gewinn!“,
murmelt Gomella vor sich hin.
Während eines Balletts mit dem Titel, welches während der Vorführung von einer Tanzdeuterin mit Harfenbegleitung interpretiert wird, soll der Anschlag ausgeführt werden. Das Stück heißt „Die Rache der Artemis an Ophis“ und stellt eine Episode aus der antiken Mythologie dar. Die schwarze Ophis soll dem Kaiser ein Messer in den Rücken jagen, während er durch Musik und Tanz abgelenkt ist. Das Mädchen streikt und die Balletttänzer dringen mit gezücktem Dolch auf den Kaiser ein. Vorgewarnt hält er dem ersten Angriff mutig stand und die herbeieilenden Leibwächter – von Gomella instruiert - machen die Täter sogleich kampfunfähig und binden ihnen die Hände auf den Rücken.
Den Nebenbuhler loszuwerden, hatte Fridolin sich zu früh gefreut gefreut und seine Heiterkeit offen zur Schau gestellt. „Heil, Strafe des Himmels! Ich bin gerächt!“ Mitgefangen, mitgehangen! Iris sieht es und bebt. Sie eilt zur Kaiserin, um für den irregeleiteten Geliebten zu flehen, damit sie ihn schütze. Die Verzweifelte erhält von Irene den Rat, dass der Bejammernswerte Wahnsinn heucheln soll – Gomella solle es ihm zutragen - damit der Gefährdete den Passus der Strafunmündigkeit für sich in Anspruch nehmen kann. Das gelingt ihm vorzüglich, denn er ist tatsächlich wahnsinnig vor Glück, weil die liebe Iris sich für ihn eingesetzt hat. Geistesgestörte genießen - wie überall auf der Welt - einen gewissen Schutz, doch der Kaiser lässt sich nichts vormachen. Er durchschaut den Trick und von Irene ein bisschen gesteuert, spielt er gönnerhaft mit. Gomella komme langsam in die Jahre – was dieser allerdings bestreitet - und wird sein Amt als Hofnarr bald nicht mehr bekleiden können.
Wenn Fridolin sein Leben lieb ist und es behalten möchte, bietet ihm der Kaiser die Chance, Gomellas Nachfolger zu werden, denn der Witz des Alten vertrockne langsam. Einen neuen frischen Narren hätte er dringend nötig! „Schere oder Schwert?“ Der Gefangene vor diese Alternative gestellt, soll sich entscheiden. Nachdem ihm die Postion eines Feldherrn nicht behage, bleibe ihm als Todeskandidat keine andere Wahl! Fridolin sucht Iris' Blick. Wird sie ihn ohne seine blonden Locken noch akzeptieren? Zum Zeichen seiner neuen Würde wird ihm der Schädel kahl geschoren. Mädchen eilen herbei, um den Gefesselten für seine Glanzrolle herzurichten. Der Opernchor singt:
„Schnell, Schere, schneide, schnipsle weg!
Mäht den Kopf wie frisches Heu.
Armes Kornfeld, Weizen, Roggen!
Grimmer Sense fallen Locken.
Immer weiter, schneiden, hobeln.
Bald sind es nur Ehren-Stoppeln.
Andere würden vor Schande rot,
doch Fridolin wählt den Locken- und Ehrentod.
Hei, seht den neuen Narren!
Die Scher' hat ausgeschnipselt,
die Sense hat gemäht!
Ehre weg, Locken weg!
Närrlein fein, Närrlein fein!“
Iris hat unbemerkt eine abgeschnittene Locke vom Boden aufgehoben und bei sich geborgen. Ach, Iris, Haare wachsen wieder nach! Die übrigen Verurteilten sind schlimmer dran. Sie wird man wahrscheinlich des Hochverrats bezichtigen und rädern:
„Lausch' die römischen Mönche sind's.
Sie geleiten die Verräter zur letzten Pein
und murmeln dazu tröstendes Latein."
Dritter Akt
Sechzehnte Szene:
Fridolin wird von Gomella in seine zukünftige Tätigkeit eingewiesen, welche Worte ein Narr wählt, um zu schmeicheln und wie man tänzelt und mit dem Schellenring klappert. Gomella macht es vor und Fridolin ahmt nach. Alexios ist nicht zufrieden. Ist der Humor von gestern etwa heute schon verschwunden? Nun, aller Anfang ist schwer; es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen!
Siebzehnte Szene:
Gomella hakt sich bei Fridolin ein und zieht ihn mit sich fort. Eustachia hat diesen Moment abgepasst, um dem Kaiser einen Abschiedsbrief von Irene zu überreichen. Er bewertet den Inhalt in der Weise, dass Irene sich ertränkt und das Kind mit in den Tod gerissen hat. Gewissensbisse klopft bei ihm an! War er zu roh zu ihr? Kränkte er sie zu heftig? Die Eifersüchtige hätte sich besser beherrschen und ihn nicht ständig zur Weißglut bringen sollen! Geliebt hat er sie nicht! Betroffen ist er trotzdem. Eustachia fand die verhängnisvolle Botschaft auf dem Estrich liegend in ihrem Gemach. Die Nachricht vom Unfall der Kaiserin soll vorerst geheim bleiben, damit beim morgigen Fest keine Missstimmung aufkommt, legt Alexios fest. Er beauftragt die Dienerin, wie gewohnt die Mahlzeiten der Verstorbenen in ihrem Gemach abzustellen und später wieder zu entfernen. Waren zum Zeitpunkt des Ablebens keine Mägde bei ihr? O Freveltat!
Achtzehnte Szene:
Volkslärm dringt nach oben. Ein Wanderprediger kündet auf der Straße als Strafe für begangene Missetat den Weltuntergang an. Die Leute sollen ihre Sünden wegwerfen, sich reinigen und sich für ein Leben im Jenseits rüsten. Der Prophet soll nach oben kommen, denn der Kaiser möchte eine Zeitangabe hören, wie lange er das Sonnenlicht noch genießen kann. Nicht nur schwätzen kann der Scharlatan, sondern auch aus der Hand lesen. Der Kaiser soll die Lanze des Feindes scheuen und den Totentanz fürchten. Fridolin will wissen, was mit ihm ist und hält seine Handfläche zum Studium hin. Zunächst hält der Weißbärtige sich mit Auskunft zurück, doch dann erklärt er:
„Noch ehe die Welt zu Grunde geht,
hast du selbst dich weggemäht.“
Seine Schande, die er gewählt hat, um zu leben wird ihn töten. Man soll dem Alten mehr Geld geben, dann werden auch die Auskünfte automatisch besser!
Neunzehnte Szene:
Ein Diener kündigt Fridolin, dass er Besuch aus dem Frankenland bekommen habe. Sein Vater wartet vor der Tür und begehrt, ihn zu begrüßen. Fridolin wickelt schnell ein Tuch zu einem Turban, damit der alte Herr seinen Kahlkopf nicht wahrnehmen kann. Der Vater schließt den Langvermissten in die Arme und wundert sich über seinen ulkigen Aufputz. Zum morgigen Maskenfest habe er die ärgerliche Anprobe hinter sich gebracht. Als Geschenk überreicht ihm der Angereiste den Ehering seiner lieben Gattin, die immerzu an das Sühneopfer denken muss, welches er ihr zuliebe auf sich genommen hat. Sie grollt ihm nicht mehr, denn der Zahn der Zeit hat die Wunde, die er ihr zufügte, geschlossen. Nun ist es ihm erlaubt, wieder mit ihm nach Hause zu fahren. Seines Gelübdes sühnende Kraft habe sie aus qualvoller Nacht des Leidens wieder ans Licht zurückgebracht. Albrecht will wissen, ob sein Herz jetzt geläutert ist? Das Billet für die Heimreise ist schon gebucht – das Schiff wartet bereits im Hafen.
Der Sohn soll ihm von Jerusalem erzählen und vom heiligen Krieg. Der Vater wird lachen, aber bis jetzt ist er noch nicht dazu gekommen, sich nach Jerusalem auf den Weg zu machen. Scherzt der Bußfertige etwa? Wo ist er die ganze Zeit gewesen? Nun in Byzanz am Hof des Kaisers war er zu Gast. Eine kleine Verzögerung - gewiss wollte er mit dem zweiten Heer ins Heilige Land ziehen? Keineswegs, das Gelübde zu erfüllen, habe er keine Lust mehr.
Gomella schafft Fakten! Er reißt dem Sünder den Turban vom Kopf, so dass es den Vater drängt, nach dem Verbleib der blonden Locken zu fragen. Die Antwort gibt Gomella, dass Narren keine Locken tragen. Wer der Unverschämte sei, will Albrecht wissen? Er sei der weltberühmte Gomella, stellt der Provozierte sich vor. Für Söhnchen sei es ein Vergnügen auf weichgepolstertem Abgrund seine Sünden glattzurutschen. Beim Kreuz, dem er zu dienen gelobte, bei der Mutter, die ihn gebar, bei der Liebe seiner Gattin soll Fridolin erklären, was mit ihm los ist. Die passende Antwort kleidet sein Ausbilder in schöne Verse:
„Fridolins Ehr' ist arg getrübt,
seit er am Kaiser Verrat geübt!
Doch Alexios gnädig die Wahl ihm bot:
Schere oder Schwert! Leben oder Tod!
Söhnchen natürlich für Schere entscheidet!
Ist man doch längst nicht zu sterben bereit!
Denn Leben heißt Lieben und Fridolin liebt!
Meine Iris ist's, mein Töchterlein!
Sein Paradieschen! Und seine Höllenpein!
Für sie ward er Narr; Vergaß ganz der Ehr'!“
Die Locken, leicht und licht, lockten die Schere und somit wurde er sein Zögling und verwaltet sein Erbe. Damit der Brummbär nicht glaubt, alles sei Hohn, zahlt er Fridolin im voraus seinen Wochenlohn. Gomella reicht Fridolin einen Beutel mit Goldmünzen. Albrecht zieht sein Schwert und will sich auf Gomella stürzen. Doch Fridolin fährt dazwischen, tadelt den Vater und fordert ihn auf, die Wahrheit nicht zu bestrafen. Der verruchte Sohn soll sich in einen Scheiterhaufen stürzen und auf diese Art den Rest seiner Ehre retten. Albrecht verflucht den Entarteten und macht sich auf die Heimreise. In Byzanz hat Fridolin gelernt, schlimme Sachen gelassen zu verarbeiten. Anmutig tändeln wie Flaum im Wind, man muss die Dinge nehmen, wie sie sind! Nordisch wildes Schneegestöber mit Hagel Blitz und heiliger Entrüstung passen nicht in die Welt von Byzanz.
Gomella hat einen Einfall. Er schwört dem Bedrückten, dass Iris nicht beim Kaiser war. Der Verdacht sei falsch, denn sie liebe nur ihn. Damit ist der Unmut seines neuen Zöglings vorläufig gestillt.
Zwanzigste Szene:
Fridolin fühlt sich in seiner Narrenrolle absolut nicht wohl. Die Sehnsucht nach der Heimat erfasst ihn mit Urgewalten. In einen endlos anmutenden Monolog verpackt er seine Liebe zur angestammten Heimat und gedenkt ihrer Schönheiten und Schätze. Im Geist sieht er Wiesen mit bunten Blumen und hört der Wälder harziges Rauschen. Todessehnsucht erfasst ihn und er fühlt, dass ihn das Frankenland niemals mehr wiedersehen wird.
„Heimat, geliebte, dich muss ich missen,
deine Blumen darf ich nicht mehr grüßen.
Wie der Falter hin zur Flamme fliegt,
so zog es mich hin zur fremden Sonne
zu ihrer Strahlen sengenden Wonne,
zu anders wehenden schwülen Lüften.
Es halten Arme mich fest umschlungen!
Vergebens habe ich mich ihnen entrungen.
Sie klammern sich fest! Ich fühle ihre Kraft,
an ihnen ist all mein Wille erschlafft.
Ach, hätte das Licht mich geblendet,
des Sehens Qual hätte es geendet! … „
Eine Schar Tänzerinnen lässt Fridolin seinen Trübsinn fallen. Er soll das närrische Getue vergessen und wieder der Alte sein. Ausgelassen ziehen sie ihn mit sich fort.
Letzte Szene:
Das angekündigte Fest beginnt mit allerhand Mummenschanz bei welchem Puppen unliebsamer Herrscher verbrannt werden. Das Phantom der ertrunkenen Irene erscheint und will mit Alexios tanzen. Es verrät ihm, dass er in jener Nacht nicht Iris, sondern die verlarvte Eunoë beglückt hat. Alexios fragt, ob alle Puppen verbrannt sind oder welche als nächstes an die Reihe komme. Fridolin sieht sich in einem Anfall geistiger Umnachtung als nächstes Opfer und ersticht sich. Gomella fragt sich, was Iris zur verkorksten Situation beitragen wird. Es ist kein Narrenwitz, Fridolin will den Geist tatsächlich aufgeben. Iris bittet, seine Totenruhe nicht zu stören.
Die Feinde sind gelandet und zünden die Stadt an. Waffenlärm ertönt und Kreuzfahrer Gottfried erscheint als ruchloser Anführer auf der Bildfläche. Gomella will ihm verraten wo die Kronjuwelen versteckt sind, wenn Gottfried ihn am Leben lässt. Der sterbende Fridolin trägt dem Freund auf, in der Heimat den Vater zu grüßen. Iris soll sich beeilen und fliehen, denn ihn erwarte die finstere Nacht.
Anmerkungen:
Siegfried Wagner wollte in 'Sonnenflammen' keinen historischen Bilderbogen aufrollen. Deshalb sollte man sich dem Werk auch nicht unter falschen Voraussetzungen nähern. Dem Komponisten lag daran, Verhaltensmuster der Menschen zu karikieren und er wählte hierzu eine flappsige Sprache, die zum intellektuellen Anspruch in seltsamen Kontrast steht. Seine selbstgeschaffenen Libretti, teilweise skuriller Art, setzte der Komponist in eine Klangsprache, die sich der auslaufenden Romantik angleicht. Die großen Knallbonbons, welche die Werke seines Vaters auszeichneten, fehlen bei Siegfried gänzlich. Trotzdem ist die Beschäftigung mit dem Stammhalter nicht ohne Reiz und es lohnt sich, tief zu schürfen. Die gebratene Taube fliegt nicht in den Mund, man muss das Werk eingehend studieren. Die Zeit hat Siegfried Wagner rehabilitiert, denn fast alle Musikdramen liegen in vorzüglichen Tondokumenten vor.
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musirony 2011 – Engelbert Hellen