Schöne Oper - selten gehört
Die spanier besetzen die Niederlande
Walter Braunfels [1882-1954]
Ulenspiegel
Till Eulenspiegel
Oper in drei Aufzügen
deutsch gesungen
Libretto vom Komponisten nach dem Roman „Thyl Ulenspiegel“ von Charles de Costers
Urauffühung am 04. November 1913 am Königlichen Hoftheater Stuttgart
Dauer der Aufführung: ca. 120 Min.
Charaktere:
Klas, ein alter Kohlenbrenner (Bass)
Till, Sein Sohn (Tenor)
Nele, Tills Geliebte, ein Findelkind (Sopran)
Militärischer Vollzugsbeamter des Herzogs Alba (Bass-Bariton)
Jost, ein alter Freiheitskämpfer, eine Ketzerin, ein Mönch, ein junges Mädchen;
Schneider, Seifensieder, Schreiber, Schuster, Schreiner, Ablasspriester, Bürger, Geusen und deren Anführer
Die Handlung spielt im 16. Jahrhundert in Gent, Vlissingen und Damme
HANDLUNG
Erster Akt:
Die spanische Besetzung der Niederlande bereitet den Bürgern der Stadt Gent erhebliches Kopfzerbrechen. Herzog Alba ist ihr rabiater Widersacher und die Zunftgenossen befürchten eine Beschneidung ihrer Privilegien. Zur Nachtzeit haben sie sich versammelt, um zu überlegen, wie den Übergriffen der Okkupanten begegnet werden kann. Der Profoss, ein hoher militärischer Beamter der Spanier, erscheint in Begleitung von Wachen und Ablasspriestern und löst die Konspiration auf. Absolute Unterwerfung wird den verängstigten Bürgern abgefordert; Opposition wird man unverzüglich im Keim ersticken. Ein herzoglicher Erlass legt genau fest, was erlaubt und was verboten ist. Im Bereich der Religionsfreiheit herrscht keine Toleranz!
Nicht alle Bürger der Niederlande sind bereit dem „Blutherzog“ Gefolgschaft zu leisten. Da wäre der als Schalk bekannte Till Ulenspiegel zu nennen, welcher die Angewohnheit hat, die verängstigten Bürger und gewalttätigen Spanier gleichermaßen zu verspotten. Meistens gelingt es dem Aufrührer, sich einer Bestrafung zu entziehen, indem er den Umständen Rechnung tragend, für sich eine Ortsveränderung vornimmt. Spaß macht es nicht, denn auf das Vaterhaus, in dem auch sein geliebtes Mädchen wohnt, muss er zeitweilig verzichten bis Gras über seine ausgefallenen mit Humor gespickten Extravaganzen gewachsen ist. Einem aufrichtigen Menschen fällt es immer schwer, wenn er gegen seine Natur ankämpfen soll.
Doch kaum hat Till sich auf die Schnelle von seiner lieben Nele verabschiedet, packt die spanische Justiz zu und verhaftet den Vater. Wenn der Widerspenstige nicht sagen will, wo sich sein aufrührerischer Sohn aufhält, droht ihm schlimme Folter. Woher soll Klas wissen, wo der Schalk gerade sein Unwesen treibt? Er fühle sich als Ermittlungsperson nicht talentiert. Till ist überall und nirgends! Die Soldateska soll die Leute auf der Straße fragen, wo sein Sohn sich herumtreibt.
Zweiter Akt:
Man kann nicht unterstellen, dass der Leser auf Anhieb sich eine Vorstellung machen kann, was ein Geuse ist. Im Zusammenhang mit den Glaubenskriegen in den Niederlanden gaben sich ironischerweise die Widerstandskämpfer diesen Namen. (Hierzu auszugsweise ein Zitat von Wikipedia zur Begriffserklärung und Beleuchtung der damaligen politischen Situation: Der Begriff „Geusen“ leitet sich aus dem französischen Wort „gueux“ für Bettler ab. Nach zeitgenössischer Darstellung hat diese Bezeichnung ihren Ursprung aus der Übergabe einer Bittschrift des niederländischen Adels von 1566 an die von Spanien als Statthalterin eingesetzte Margarethe von Parma. Die Bittschrift fordert die Beendigung der Inquisition und der Verfolgung der Protestanten sowie die Wiederherstellung ihrer ständischen Freiheiten. Hierbei soll Graf Karl von Berlaymont der Margarethe von Parma ins Ohr geflüstert haben, dass sie sich vor einem Haufen von Bettlern nicht fürchten soll. Dieser Haufen bestand damals aus zweihundert Berittenen, die friedlich in Brüssel einzogen, um die Bittschrift zu übergeben.)
Politisch motiviert, ist es Till gelungen, zum Versteck der Wassergeusen in Vlissingen vorzudringen. Er hat ein schlechtes Gewissen, weil sein kesses Verhalten seinen Lieben vielleicht Schaden eingebracht haben könnte. Seine Befürchtungen bestätigen sich, denn Nele konnte entwischen und berichtet, dass der Vater der Inquisition zum Opfer gefallen ist. Nicht zuletzt, weil er es nicht wusste, hat er das Versteck Ulenspiegels trotz Folter nicht verraten. Auf dem Scheiterhaufen hat hat er ein furchtbares Ende gefunden. Aus einem friedlichen Leben als Fischer, wie er es mit Jost geplant hat, wird nichts. Till schwört Rache und kann seine Mitstreiter gewinnen, ohne weiteres Zögern in den Kampf zu ziehen. Nele hat dabei gute Überzeugungsarbeit geleistet.
Dritter Akt:
Die Inquisition wütet! Stroh und Anmachholz für die Scheiterhaufen werden geschichtet. Patriotinnen werden als Hexe deklariert und sollen auf dem Scheiterhaufen sterben. Die Verbrennung steht unmittelbar bevor. Fromme Mönche stimmen das Dies Irae aus dem lateinischen Requiem an; schaurig klingt es in den Ohren.
Plötzlich überfallen Widerstandskämpfer die düstere Szene und befreien unter Tills Führung die wehrlosen Frauen aus ihrer fatalen Situation. Die Flucht ist nicht ohne Risiko! Während des Tumults wird Till von den Spaniern gefangen genommen und ins Gefängnis gesteckt.
Mit welchen Tricks es Nele gelungen ist, den Einlass zu ihm ins Gefängnis zu erzwingen, bleibt Till ein Rätsel. Ihr Wunsch sei es mit ihm zu fliehen und mit ihr in Abgeschiedenheit ein glückliches Leben in Frieden zu führen. Doch Till sieht sich berufen, weiter zu kämpfen bis der Tod des Vaters gerächt ist.
In Damme findet die Entscheidungsschlacht statt. Till war es gelungen, mit Nele aus dem Gefängnis zu entfliehen und kämpft erneut mit den Vlamen gegen die spanischen Besatzer. Die Chancen stehen schlecht und die Luft wird immer dünner. Im Kampfgetümmel hat der Profoss seinen verhassten Widersacher ausfindig gemacht. Mit dem Schwert versucht er ihn zu töten, doch Nele wirft sich schützend dazwischen und wird tödlich erwischt. Erschreckt wird sich Till des blutigen Geschehens bewusst, ist jedoch erpicht, weiter zu kämpfen um Rache für seinen ermordeten Vater zu nehmen und nicht zuletzt für die Befreiung der Niederlande von den bösen Spaniern.
Die Inquisition in der Niederlande
Anmerkungen:
Braunfels Oper „Ulenspiegel“ ermangelt es vorrangig eines ausgewogenen Librettos. Die Szenenwechsel finden zu überraschend statt und sind unglaubwürdig. Nele scheint Till stets überall und problemlos finden zu können. Furthwänglers Rat an Braunfels sich einen „versierten Librettisten“ zu suchen, stößt Zeit Braunfels Leben auf Ungehör.
Musikalisch offenbart sich in Unlenspiegel schon ansatzweise die orchestrale Delikatesse von „die Vögel“ oder geistlichen Werken wie dem „Te Deum“ und der Großen Messe. Besonders die Eröffnungsszene des 3. Aufzugs, in welcher der süsse Wehgesang der verurteilten Hexen und das brutal skandierte Dies Irae der Mönche zu einer einzigartigen Melange verarbeitet sind, zeigt die musikalische Originalität und Meisterschaft des Komponisten Braunfels.
Eine gelungene Wiederentdeckung war im Zuge der allgemeinen Braunfels-Renaissance an den Bühnen der Stadt Gera (Spielzeit 2010/11) jüngst zu erleben.
© 2011 – Raphael Lübbers