Charaktere:
Hamlet I
Hamlet II
Hamlet III
Ophelia
3 Ophelia-Doubles
Marx, Lenin, Mao
3 Stimmen aus dem Sarg
4 Lachende
3 Schreiende
Horatio
Das Kind
Claudios
Die Madonna am Trapez
Struktur:
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Familienabläufe
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Das Europa der Frau
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Scherzo
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Pest in Buda – Schlacht um Grönland
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Wildharrend / In der furchtbaren Rüstung / Jahrtausende
EXPOSÉ - Versuch einer Analyse
„Die Hamletmaschine“, Oper in fünf Teilen, von Wolfgang Rihm (Jahrgang 1952), in den Jahren 1983-1986 komponiert, halte ich für die am schwersten verständliche Oper des zeitgenössischen Musiktheaters.
In der Regel hat ein Komponist das Anliegen, seine Botschaft vielen zugänglich und verständlich zu machen. Der Tonschöpfer gerät ins Schleudern, wenn er selbst nur eine vage Vorstellung von dem hat, was er eigentlich übermitteln will. Diese Unsicherheit wird offenkundig, wenn einer der bedeutendsten Klassiker der Weltliteratur als Orientierungshilfe herhalten muss. Ein surrealistisches Libretto trägt zum besseren Verständnis auch nicht bei, besonders wenn die Wortgestaltung ständig ins Läppische abrutscht, sobald der Librettist mit seiner Weisheit am Ende ist. Ich denke schon, dass Rihm seine Komposition als „Gesamtkunstwerk“ verstanden wissen wollte, in dem die weltanschauliche Idee, die Ausformulierung des Librettos, die optimale Bandbreite der Instrumente und die Strapazierfähigkeit der menschlichen Stimme gleichen Stellenwert haben und miteinander verschmelzen sollen.
Was mich an der Einspielung aus Mannheim im März 1987 so maßlos gewundert hat, ist die Bereitschaft von Gabriele Schnaut, diesem Spektakel ihr Talent zur Verfügung zu stellen. Sie singt die Partie der Ophelia, die aus dem Grab aufsteht, im Rollstuhl sitzt und sich noch wahnsinniger gibt, als sie vorher schon war.
Wolfgang Rihm zelebriert in dem Werk Überdruss und Nihilismus. Der Kommentator im Textheftchen beginnt „Nichts ist sicher, selbst der doppelte Boden könnte vierfach oder gar nicht existieren“. Rihm schießt in seiner Musik und in der Wahl des Textes von Heiner Müller, welchen der Komponist sich für seine Zwecke zurecht gestutzt hat, weit über dessen Formulierung hinaus, weil er die Ordnung des Universums infrage stellt.
Für mich ist das Universum auch ein Chaos, aber ein geordnetes, welches unabänderlichen Regeln unterworfen ist; den Gesetzen von Ursache und Wirkung, von Werden und Vergehen und dem Fakt des Dualismus. Rihm entwirft akustisch eine Kraterlandschaft, die von seelisch und körperlich zerstörten Lebewesen erfüllt ist, die in Verzweiflung und Schrecken planlos herumschreien. Allerdings behält der Komponist seine Konsequenz nicht bei, die „Hamlet-Maschine“, die zu Ende des dritten Bildes in die Ausweglosigkeit tackert – rhythmisch und musikalisch ist diese Szene das unangefochten orchestrale Prunkstück der Oper - stürzt ab.
Das Textbuch hat keinen linearen Handlungsablauf und es unterliegt surrealistischen Gepflogenheiten. In der Handlung, soweit man von einer solchen sprechen kann, geht es von „Hölzchen auf Stöckchen“, die einzelnen Verszeilen haben häufig keinen Bezug zueinander und gefallen sich in ausgefallenen Wortkombinationen und Schaubildern. Nicht alles ist Shakespeare was da blubbert und stört, sondern zu Beginn des vierten Bildes wird ein Volksaufstand geschildert, der Witz und Horror zusammenfügt und tatsächlich zum Zuhören einlädt.
Musikalisch wird die menschliche Stimme auf das Äußerste strapaziert, ob sie nun singt oder deklamiert, Geschrei oder Gelächter produziert. Das Personenverzeichnis sieht 3 Schreiende, 4 Lachende und zusätzlich „3 Schreiende aus dem Sarg“ vor. Hinzu kommt „Die Madonna am Trapez.“
Den Darstellern gehört weniger mein Applaus, sondern eher mein Bedauern, dass sie sich dieser Prozedur unterziehen mussten, doch künstlerisch geben sie wirklich alles.
Positiv beurteile ich das kompositorische Gesamtbild. Rihm zieht alle Register und geht auf die Erfordernisse des abstrusen Textes sensibel ein. Der Einsatz der Schlaginstrumente ist meisterhaft koordiniert. Abwechslung wird geboten und die Spannung ständig wach gehalten. Man kann die Musik wegen der ständigen Dissonanzen als ätzend empfinden; manche mögen das und sehen darin ein positives Attribut. Jeder Mensch hat eine andere Wahrnehmung. Dem Konsumenten wird die Entscheidung aufgezwungen, ob er sich von dem Bühnenwerk angetörnt oder verschaukelt fühlt.
Zweifellos ist es ein bedeutendes Werk des zeitgenössischen experimentellen Musiktheaters. Wer sich einen lückenlosen Überblick über die Musikgeschichte der Gegenwart verschaffen will, kommt nicht umhin, „Die Hamletmaschine“ zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn sich keinerlei Affinität entwickeln sollte.
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2005 musirony - Engelbert Hellen