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Alexander Zemlinsky [1872-1942]

Der Zwerg

The Dwarf - Le nain


Ein tagisches Märchen für Musik  in einem Akt  
 deutsch gesungen

Libretto von G. C. Klaren

frei nach „Der Geburtstag der Infantin – The Birthday of the Infanta“
dem Märchen von Oskar Wilde
 

  Uraufführung am: 28. Mai 1922 in Köln  

Dauer:knapp 90min.

Charaktere:   
Donna Clara – Infantin von Spanien (Sopran)  
Ghita – ihre Freundin (Sopran)  
Don Estoban – Der Haushofmeister (Bass)  
Der Zwerg (Tenor)  
Erste Zofe (Mezzosopran)  
Zweite Zofe (Sopran)  
Dritte Zofe (Sopran) 

Das Geschehen spielt im Mittelalter am spanischen Königshof  



HANDLUNG

Donna Clara, die verwöhnte spanische Infantin, feiert den Tag ihrer Volljährigkeit mit großem Aufwand. Die Hofgesellschaft erwartet ein prachtvolles Fest und der Majordomus treibt die Dienerschaft zu Fleiß und fröhlichem Gelingen an, wobei das Herumalbern der Zofen mit den aufgebauten Geschenken nur stört. Übermütig und schlecht erzogen, kann Clara den Höhepunkt der Feierlichkeiten nicht erwarten und verlangt, die Geschenke schon vorher sehen zu dürfen. Aufgrund des strengen Hofzeremoniells ist dies aber nicht gestattet. Die Zofen, die Infantin und weitere Gespielinnen, liefern sich ein Gerangel um Eroberung und Verteidigung des Raumes, in dem die Geschenke deponiert sind. Don Estoban kann nur missmutig zusehen, wie sein Status als Hüter der Hausordnung missachtet wird. Noch bevor die Zofen einen erneuten Angriff starten, fleht der Würdenträger die Unruhestifter an, mit dem unzulässigen Radau aufzuhören und sich aus seiner Nähe zu entfernen. Der Ärmste bangt um seinen Job und das Ansehen seiner Person. Die Infantin hat sich bereits einen kleinen Eindruck über die reichhaltige Gabenflut verschaffen können und begibt sich mit ihren Begleiterinnen auf den Weg in den Garten.

Die Dienerschaft ist froh, die anstrengende Bande einen Moment los zu sein. Die mit Liebe und Sorgfalt ausgeführten floralen Arbeiten waren natürlich für die die Katz'. Nach und nach baut man die Geschenke wieder auf. Das schönste Geschenk, welches noch aussteht, sei allerdings scheußlich. Die Mädchen platzen ob der merkwürdigen Schlussfolgerung aus allen Nähten und Don Estoban macht seine gehässigen Ausführungen plausibel: Nach und nach richtet man die Geschenke wieder auf und Don Estoban erzählt von dem schönsten Geschenk, welches allerdings noch nicht angekommen sei:

Der Sultan sandte einen Zwerg, als Spiel der 
grausamen Natur. Er hinkt, die Haare sind feurige
Borsten, der Kopf hockt zwischen den Schultern, die zu hoch.
Ihn beugt eines Höckers Last, klein und 

verwachsen die ganze Gestalt, vielleicht kaum über 
zwanzig alt, vielleicht alt wie dir Sonne. 
Ein Ruf als Sänger eilt ihm voran aus fernem Land.“ 

Der Witz der Situation läge nun darin, dass der Missgestaltete offenbar von seinem schaurigen Aussehen keine Ahnung habe. In den Spiegel hat er noch nie geschaut. Er führe sich auf wie ein edler Ritter und werte das schallende Lachen derer, die ihn sehen, als außerordentliche Freundlichkeit. Entgegenkommend gibt der Majordomus die Anweisung, alle Spiegel im Escorial zu verhängen, damit der Zwerg nicht in die Verlegenheit gerät, hineinzuschauen. 

Die Geburtstagszeremonie findet statt, nachdem die Infantin einen zufriedenen Blick auf den Gabentisch geworfen hat. Der Pöbel produziert ausgelassen Fröhlichkeit und gratuliert dem Geburtstagskind zu ihrem Ehrentag. Die möglichen Störenfriede sind nicht mehr zugegen, als das wertvollste Geschenk von schwarzen Sklaven in einer Sänfte hereingetragen wird.

Zum besseren Verständnis der Situation sei eingefügt, dass das spanische Herrscherhaus eine Vorliebe für zwergwüchsige Menschen hatte. Es kann sich so verhalten haben, dass die Inzuchtprodukte der Habsburger Linie einen Kontrast brauchten, um mit ihrer wulstigen Unterlippe in der Schönheitsskala optisch nicht ganz unten angesiedelt zu werden. Eine schöne Stimme war ein Attribut, mit dem man Wertschätzung und eine gehobene gesellschaftliche Position erringen konnte. Die angesehendsten spanischen Maler wurden verpflichtet, die Kleinwüchsigen zu porträtieren, um ihre Auffälligkeit den nachfolgenden Generationen zu dokumentieren. Spott und Ironie wurden erst von der Nachwelt hinzugepackt – der türkische Sultan sah die Situation unter Bezugnahme auf die Nachwelt gewiss gegenteilig.

Die Damen machen sich lustig über den in vollendeter Grandezza agierenden Kleinwüchsigen, zügeln aber ihren Spott, um das Spiel nicht zu verderben, welches Donna Clara gekonnt erwidert. Sie gibt sich liebenswürdig und angetan von dem „Ritter“ und bittett, dass er ein Lied singe. Der Aufgeforderte gibt eine Probe seines Könnens und singt eine Weise von Liebe und Tod. Die Prinzessin ist begeistert und bietet dem Künstler als Dank an, eine der anwesenden, nunmehr aber schockierten Damen zu ehelichen. 

Gnade, Infantin, Gnade! Lieber gleich den Satan! - Ich bin verlobt! Ich auch!“ 

Der Zwerg wählt keine der durchaus hübschen Hofdamen oder Zofen, sondern richtet seinen Blick auf die Prinzessin selbst, in die er sich verliebt hat. Alleingelassen spielt Clara ihr Spiel mit ihm und stachelt seine ehrliche Liebe weiter an. Als er sie küssen will, weicht sie allerdings zurück. In dem Moment kommt auch Ghita, die Lieblingszofe Claras hinzu und bittet sie Infantin in den Ballsaal. Sie nimmt den Zwerg mit an der Hand, und Ghita und die anderen Zofen beobachten, wie die Begehrenswerte ihm eine weiße Rose schenkt. Später wird sie die Freundin allerdings ersuchen, den Zwerg über sein Äußeres aufzuklären und ihn von seinen falschen Erwartungen zu heilen.

Voll Glück und freudiger Betrachtung der Blume taumelt der Zwerg hinaus. Ghita fasst sich ein Herz und fragt ihn, ob er wisse, wie hässlich er sei. Einen Spiegel habe er noch nicht gesehen, aber auf dem Schiff eines Spaniers, der ihn raubte, sei ihm im blanken Säbel ein „feindliches Bild“ gesehen, welches ihn zeitweilig verfolge, erhält sie zur Antwort. Als Ghita ihm einen Toilettenspiegel geben will, zeigt sie im letzten Moment Skrupel und zieht ihn unter albernem Getue wieder zurück. 

Alleingelassen träumt der Zwerg von seiner Liebe zu Donna Clara und hält sich einen Moment an einem Vorhang fest, der herunterfällt und einen großen Spiegel preisgibt. Der Zwerg ist zutiefst erschrocken und erkennt nach und nach, dass er selbst die hässliche Gestalt ist, die ihm gegenüber steht. 

Die Infantin findet den zutiefst getroffenen an Boden liegend und klärt ihn auf, dass sie ihn aus „Mitleid und Ekel“ liebe und er ihre „drollige Puppe“ sei. Dem Zwerg zerbricht die Seele und er will Donna Clara einen versöhnenden Kuss geben. Von der Geste abgestoßen, wird der Kleine sich der grausamen Erkenntnis seiner Missgestalt bewusst und gibt seinen Geist in die Hände seines Schöpfers zurück. Vorher bittet er um die weiße Rose, die Donna Clara ihm geschenkt hat und Ghita schiebt sie ihm mit einem milden Lächeln zu. Über den Verlust ihres neuen Spielzeugs sieht die Infantin gedanken- und gefühllos hinweg und tanzt fröhlich mit den anderen. 

Bemerkung: 

Die hochtragische und zynische Geschichte um einen durch naiven Spott zu Tode gequälten Hofzwerg verarbeitete Alexander von Zemlinsky, welcher selbst unter seinem nicht gerade apollonischen Äußeren litt, zu einer packenden, einaktigen Oper, welche in ihrer Konsequenz und dem musikalischen Sog Richard Strauss „Salome“ in nichts nachsteht. Oscar Wilde, auf dessen Texten beide Libretti beruhen, traf mit seinen erotikgeladenen Seelendramen genau den Nerv des Beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts. Nicht verwunderlich also, dass zwei der besten Orchestrierer aller Zeiten ihr ganzes können aufbieten um die dramatische Vorlagen gebührend auszumalen. So auch Zemlinsky: Die raffinierte Orchesterbehandlung ist zwar im Vergleich zu etwa seiner „Florentinischen Tragödie“ weniger opulent, doch schillert die Partitur in den nuancierten Farben expressiv-spätromantischer Tradition.

© 2011 – Raphael Lübbers


 

 

 
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