Schöne Oper - selten gehört
Richard Wagner [1813-1883]
Das Liebesverbot
oder die Novize von Palermo
Große komische Oper in zwei Akten
deutsch gesungen
Libretto vom Komponisten
nach Shakespeares Komödie 'Measure for Measure'
Uraufführung am 29. März 1836 in Magdeburg
Dauer der Aufführung etwa zwei Stunden
Charaktere:
Friedrich, deutscher Gouverneur in Abwesenheit des Königs
Luzio und Angelo, sizilianische Edelleute
Antonio und Claudio, ihre Freunde
Isabella, Schwester Luzios, eine Novizin
Mariana, vormalige Geliebte Friedrichs, jetzt Novizin
Dorella, vormaliges Kammermädchen Isabellas
Brighella, Chef der Geheimpolizei
Danieli, ein Gastwirt,
Pontio Pilato, ein Schreiber
Volk von Palermo, Polizei und Spitzel
Das Geschehen spielt in Palermo im 16. Jahrhundert
HANDLUNG
OUVERTÜRE
Erster Akt:
Erstes Bild – PALERMO ZUR KARNEVALSZEIT
Es mutet schon seltsam an, dass ausgerechnet zur Karnevalszeit sämtliche Wirtshäuser von Palermo geschlossen sind. Der Stadthalter ist deutscher Abstammung und hat in Vertretung des Königs von Sizilien Lustbarkeiten amouröser Struktur strikt untersagt. So wie es aussieht, scheint sich die Staatsgewalt mit dieser realitätsfremden Maßnahme auch durchsetzen zu können. Ihre Spitzel, im Volksmund als Sbirren bezeichnet, sind äußerst zahlreich und überall. Die Aufgabe, die ihnen formell zugeteilt wurde, besteht darin, das Niveau sittlichen Betragens anzuheben und Verstöße zu ahnden.
Dem Statthalter Friedrich, der von sizilianischem Temperament keine Ahnung hat, obliegt die Aufgabe, den Geboten des Königs und der Kirche optimalen Respekt zu verschaffen. Was absolut nicht toleriert wird, ist die freie Liebe, denn ohne den Segen des Klerus und außerhalb einer ehelichen Verbindung Anstrengungen zu unternehmen, unbeabsichtigten Nachwuchs in die Welt zu setzen, ist der Anfang vom Chaos.
Im Karneval sind den Anreizen zu frivolem Handeln Tür und Tor weit geöffnet. Doch es gibt nichts, was man durch Gesetze nicht regeln könnte. Je drakonischer die Strafen, desto effektiver der Erfolg! Anfangs glaubte die Bevölkerung über spaßige Anordnungen lachen zu können, doch sie unterschätzten den emsigen Geheimdienst, der von Brighella geleitet wird. Schminken und sich maskieren war verboten und zog Verfolgung nach sich. Auf Härtefälle stand sogar die Todesstrafe. Eine solche Situation war gegeben, wenn sich ein Paar bei Ausübung fragwürdiger Gesten und unehrenhafter Handlungen, die mit dem Gesetz nicht in Einklang standen, erwischen ließ. Zu diesen Straftaten stand in der vorderen Reihe auch das Küssen. Gezielte Razzien verunsicherten die Schankwirte und schmälerte deren Gewinn.
Einen der ersten, den die Sbirren festnahmen war Danieli. Sie verhafteten nicht nur ihn, sondern auch sein Personal und die meisten seiner Gäste. Edle Abstammung schützt vor Strafe nicht! Claudio war mit Dorella beim Liebesvergnügen ertappt worden und soll nun nach Abziehen eines Schnellverfahrens am nächsten Tag hingerichtet werden. Doch sein Freund Luzio hat eine Idee. Vielleicht kann seine Schwester Isabella weiterhelfen. Sie ist Novize im Kloster der Heiligen Elisabeth und hatte schon immer das Herz auf dem rechten Fleck. Vielleicht hat sie nützliche Beziehungen oder einen Rat, der aber nicht von schlechten Eltern sein sollte.
Zweites Bild: DER KLOSTERHOF
Ein Nonnenkloster ist eigentlich ein Zufluchtsort für höhere Töchter, deren Eltern kein Geld haben, eine Aussteuer bereitzustellen, damit die Eingefriedeten sich einen Gatten zulegen könnten. Damit die persönliche Eitelkeit sogleich im Keim erstickt wird, tragen Nonnen eine textilaufwändige Kutte. Wenn auch durch einen Schleier eingerahmt, bleibt das Gesicht frei. Damit kommt der Vergleich mit einer Burka, so wie man sie am Hindukusch zu tragen pflegt, erst gar nicht auf. Wie gut, dass der König von Sizilien dieses Land noch nicht besucht hat. Wenn die Frauen das Gitter direkt vor dem Gesicht tragen, könnte an den Kosten des Strafvollzugs gewaltig gespart werden.
Was aber suchen Frauen überhaupt im Kloster? Nun, nachdem sie dem himmlischen Vater und der Hausordnung Armut, Keuschheit und Gehorsam gelobt haben, widmen sie sich dem Gebet und der Nächstenliebe. Hildegard von Bingen hat sich zusätzlich noch mit einem Selbststudium für Gesteins- und Arzneimittelkunde befasst. Um den Alltag im Kloster zu verschönern, werden liturgische Gesänge eingeübt. Übernachtet wird in der Klosterzelle und nicht im Schlafsaal. Man ruht auf Stroh – ein Himmelbett gibt es erst, wenn der Zeitpunkt, die Erde zu verlassen, gekommen ist.
Eine Ausnahme von der Regel bietet Leonore von Calatrava. Familiärer Kummer trieb sie ins Kloster, in welchem sie unter den Augen der Mönche die höfischen Klamotten abwarf und neu eingekleidet wurde. Doch im Moment sind wir bei Wagner und wollen uns nicht zu Verdi vergaloppieren.-
Was suchen Isabella und Mariana eigentlich im Kloster? Die Letztgenannte ist die frischgekürte Freundin Isabellas und war einst die Geliebte Friedrichs, der sie verstieß, weil ihm ihr andauerndes Geplapper auf die Nerven ging. Im Kloster sind die Lebenslustigen zunächst erst einmal auf Probe, damit sie sich den endgültigen Schritt gründlich überlegen können. Das Opernpublikum glaubt nicht, dass die extrem weltlich eingestellten Damen es länger als sechs Wochen aushalten werden und die strengen Regeln dürften ihnen auf Dauer Unbehagen verursachen. Falls die Anwärterinnen mit ihrer Familienapanage regelmäßig das spärliche Budget des Klosters auffrischen, wird der Himmel die gute Tat vergelten und die Äbtissin freut sich, wenn das Praktikum auf unbefristete Zeit verlängert wird.
Luzio ist zur Besuchszeit im Kloster aufgekreuzt und informiert Isabella, dass ihr Bruder zum Tode verurteilt wurde. Kaum zu glauben, denn von ihrer Freundin hat sie erfahren, dass genau das gleiche Vergehen zur Diskussion ansteht, welches Friedrich sich selbst hat zuschulden kommen lassen. Isabella wird Mariana als Zeugin vorgeschlagen und sie wird den Sachverhalt aufdecken. Das Volk von Palermo wird sich vor Vergnügen nicht zu lassen wissen, den Statthalter überführt zu sehen. Es es kann nicht angehen, dass eine Person in Vorbildfunktion für eine begangenes Delikt straffrei ausgehen soll, welches einen anderen an den Galgen bringt!
Der Dialog bringt beide in Hitze und Luzio verliebt sich augenblicklich in die schöne Klosterfrau. Er beschwört die Schwester seines besten Freundes, das Kloster für immer zu verlassen, um seine Gemahlin zu werden. Isabella entrüstet sich, eilt aber trotzdem mit Luzio zum Gerichtsgebäude, um die Anklageschrift aufsetzen zu lassen.
Drittes Bild: DER GERICHTSSAAL
Zum Erstaunen des Publikums hat Brighella neben dem Aufspüren von Straftaten auch noch die Funktion eines Staatsanwalts inne, dem nichts besseres in den Sinn kommt, als sich heftig in Dorella zu verlieben und mit ihr zu flirten. Damit ist aber sofort Schluss, als der Statthalter den Gerichtssaal betritt und das Karnevals-Verbot neu interpretiert. Hochmütig wertet er die Liebe ab und ermahnt das Publikum animalische Begierden unter Kontrolle zu halten. Zum Leidwesen Brighellas verhängt er nach eingehender Begründung das Todesurteil nicht nur über Claudio, sondern auch über dessen Geliebte, die Brighella aber geschont sehen möchte, weil er sich mit Dorella ebenfalls eine Liaison verspricht.
Isabella fasst Mut und bittet den Statthalter um eine Unterredung unter vier Augen. Sie argumentiert, dass das Verhalten des Bruders menschlich zu erklären und daher verzeihlich sei. Ihre Bitte, das Todesurteil für das Paar auszusetzen erntet Spott. Jedoch verspricht Friedrich, ihren Antrag zu prüfen, wenn auch sie ihm Wohlwollen entgegenbringt. Die schöne Novizin schließt aus seiner plötzlichen Bereitschaft zum Einlenken, dass Friedrich zu ihr in Zuneigung entbrannt ist. Sie schaltet unverzüglich auf Entrüstung und droht, das Volk herbeizurufen, um das schändliche Doppelspiel der hohen Gerichtsperson offenzulegen. Damit hat sie wenig Glück, denn dem in die Enge Gedrängten gelingt es, sich aus der Affäre zu ziehen, indem er alle Anschuldigungen abstreitet und nochmals die Schwere des Vergehens hervorhebt, dessen Claudio sich schuldig gemacht habe.
Nun bleibt Isabella nur noch die Anwendung einer List, deren Gelingen all denen, die von dem unhaltbaren Gesetz betroffen wurden, zugute kommen soll. Isabella wechselt ihre unnahbare Haltung und verspricht dem irritierten Friedrich mit zuckersüßem Lächeln ein Entgegenkommen für die kommende Nacht. Wartet auf die verblüfften Anwesenden etwa ein lustiges Abenteuer?
Zweiter Akt:
Viertes Bild: IM GEFÄNGNISHOF
Isabella besucht Claudio im Gefängnis und ist grenzenlos enttäuscht, weil der Bruder ihre Opferbereitschaft überhaupt nicht zu schätzen weiß. Glaubt er etwa, dass es ihr Spaß macht, sich mit dem Fremdling aus Germania einzulassen, um dem Witzbold von Bruder den Galgen zu ersparen? Wie abfällig werden die Leute nach ihrer Entehrung durch den allmächtigen Gouverneur über sie herziehen? Doch sie hat es sich selbst versprochen, das Brüderlein zu retten und dabei bleibt es!
Ihr Plan ist es, Friedrich unter Druck zu setzen, den Karneval zu genehmigen, weil sie nur maskiert an den Belustigungsort seiner Wahl erscheinen kann, um sein Image zu schützen und nicht ruchbar werden soll, dass sie ihre Ehre verscherbelt hat. Sie selbst beabsichtigt allerdings nicht zum Stelldichein zu erscheinen, sondern seine verschmähte Marina wird - ebenfalls maskiert - am Bestimmungsort auf ihn warten. Das Leben an seiner Seite hatte ihr gefallen und jetzt gilt es, den kalten Kaffee noch einmal aufzubrühen.
Dem Luzio will sie noch eins auswischen und informiert ihn über das angebliche Stelldichein mit den Gouverneur in der Absicht, ihn rasend eifersüchtig zu machen. Isabella gibt sich äußerst frivol, obwohl ihr danach gar nicht zumute ist.
Fünftes Bild: IN DER RESIDENZ DES GOUVERNEURS
Friedrich wartet auf die endgültige Antwort Isabellas, dass sie zum Rendezvous erscheinen wird. Dorella bringt das wichtige Papier und findet die Zeit, dem Brighella den Kopf zu verdrehen, der bei seinem Vorgesetzten eingeladen ist. Als Colombina will sie kommen und er soll sich doch bitte als Pierrot verkleiden, ist Dorellas Vorschlag.
Sechstes Bild: LUSTHÄUSCHEN IN DEN NÄCHTLICHEN PARKANLAGEN
Es wissen nur Wenige von dem Platz und davon, dass dort das Karnevalsverbot ignoriert wird - doch das übermütige Treiben ist um so ausgelassener. Luzio feiert mit und stimmt an der gedeckten Tafel ein Lied auf den Karneval an.
Isabella und Mariana haben ihre fromme Tracht im Kloster gelassen und erscheinen beide im gleichen Kostüm. Woher soll Friedrich wissen wer von beiden Isabella ist, wenn ihm kein Zeichen gegeben wird Mariana winkt ihn zu sich heran und zieht ihn mit sich fort. Der Schwindel kommt erst heraus, als es schon zu spät ist und der Ehemalige nicht mehr davonlaufen kann.
Luzio eilt ihnen nach, weil er denkt, dass Marina die von ihm begehrte Isabella ist, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Und Dorella lässt ihren Pierrot stehen, um sich an Luzio heranzumachen. Isabella, die sich in Wirklichkeit Luzio verbunden fühlt, es aber nicht zugibt, kommt sich wie Brighella, gleichermaßen betrogen vor, denn sie erkennt, dass das Ränkespiel ihr entgleitet. Unter den Maskierten entdeckt Isabella den Gerichtsschreiber Pontio Pilato, den sie bestochen hat, damit er ihr das Begnadigungsschreiben nach Fertigstellung unverzüglich aushändigen kann. Doch sie liest mit Entsetzen, dass sie das Todesurteil Claudios in Händen hält.
Wutentbrannt stellt Isabella Friedrich und Mariana vor, damit die Festgäste selbst in Augenschein nehmen können, dass Friedrich sich an die für alle verfassten Gesetze selbst nicht hält. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung, hat er nun keine andere Wahl mehr – nachdem er selbst als Übeltäter entlarvt wurde - als das fatale Gesetz zu annulieren. Auf die Liebe und den Karneval wird ein Loblied intoniert. Die Paare arrangieren sich nach Zugehörigkeit zu einer Abschiedsprozession: Friedrich hat sich Mariana wieder zugesellt. Dorella fühlt sich dem Brighella zugehörig, nachdem Claudio einstweilen noch eingesperrt ist und Luzio findet sich an der Seite Isabellas ein, die als Novize von Palermo offensichtlich ausgespielt hat.
Shakespeare
Anmerkung:
Das Opernpublikum will es nicht recht wahrhaben, dass es in Wagners erster zur Aufführung gebrachten Oper zugeht, wie in „Cosi fan tutte.“ Doch ab seinem Rienzi - als Vorläufer zu seinem Fliegenden Holländer - hat Richard Wagner seinen Kompositionsstil markiert. Seine Jugendsünde hat man ihm eigentlich nie verziehen, denn außer der Einspielung aus Wien im Jahre 1963 unter dem Dirigenten Robert Heger gibt es zur Zeit nur noch die Wiederauflage von 1983 unter Wolfgang Sawallisch.
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2011 musirony - Engelbert Hellen
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