Schöne Oper - gern gehört
Paul Hindemith [1895-1963]
Das Nusch-nuschi
Erotische Komödie für birmanische Marionetten
op 20
deutsch gesungen
Libretto von Franz Blei
Uraufführung am 4. Juni 1921 am Landestheater Stuttgart
Charaktere:
Mung Tha Bya, Kaiser von Birma
Ragweng, der Kronprinz
Kyce Waing, der Feldgeneral
Susulü, der Eunuch des Kaisers
Bangsa, Erste Frau des Kaisers
Osaka, Zweite Frau des Kaisers
Twaise, Dritte Frau des Kaisers
Ratasata, Vierte Frau des Kaisers
Der schöne Zatwai, Vornehmer Chinese
Tum tum, sein Diener
Erster Herold
Zweiter Herold
Der Zeremonienmeister
Erste Bajadere
Zweite Bajadere
Drei dressierte Affen
Das Nusch-nuschi
Ein Henker
Ein Bettler
Die Handlung spielt in Birma zu jeder Zeit
Erstes Bild
Tum tum ist der Diener des schönen Herrn Zatwai und bekommt regelmäßig Schläge, wenn er die Aufträge seines Herrn, der ständig verliebt ist, nicht zu dessen Zufriedenheit ausführt. Dieser hat sich nun in den Kopf gesetzt, dass eine der Frauen des Kaisers ihm heute morgen aus dem Fenster ein eindeutiges Zeichen gemacht hat und Tum tum soll sie jetzt holen. Zur nächtlichen Stunde hat er sich vor dem Frauenpalast eingefunden, weiß aber nicht, welche der liebeshungrigen Gemahlinnen er nun entführen soll. Er hat die Weisung, den Schrei des Liebesvogels nachzumachen. Sie wird dann die Strickleiter herunterkommen und in seine Arme fallen, aber nicht drin bleiben.
Zwei Bajaderen kommen vorbei: Kann der Schiefmäulige ihnen vielleicht sagen, ob sie auf dem richtigen Wege zum Hause des Herrn Zatwai sind? Was haben die beiden dort zu suchen? Herr Zatwai hat heute nacht schon etwas anderes vor. Ach so, tanzen sollen sie, stimmt das auch wirklich? Ein Weilchen sollen sie sich gedulden, dann wird Tum tum sie hinführen. Sind die Damen auch gut parfümiert? - Der Dickwanst soll seine Nase von ihnen abrücken! Ein Bettler kommt vorbei und gibt seinen Senf dazu, was die beiden Bajaderen veranlasst, sich aus dem Staub zu machen.
Bangsa, des großen Kaisers Mung Tha Bya erste Frau, hat den Boten bereits ausgemacht und bewegt sich vorsichtig die Strickleiter herunter. In der Morgenfrühe hat sie einen schönen Mann gesehen, der ihr Zeichen gegeben habe, erklärt sie sicherheitshalber. Ihm gehöre das Haus mit den gelben Affen in der ersten rechten Gasse. Wie sehr sich auf ihn freue. Bis zum ersten Hahnenschrei werden sie miteinander spielen.
Es kommt noch eine weibliche Person die Strickleiter herunter, welche die Zeichen von Herrn Zatwai auf sich bezogen hat. Es ist Osaka, die zweite Frau des großen Kaisers Mung Tha Bya.
Jung und schön war der junge Mann, den sie gesichtet hat, und es wird mit ihm ein Vergnügen werden. Twaise die dritte Frau des Kaisers möchte nicht zurückstehen. In heißer Nacht wird Herr Zatwai ihr einen kühlen Trunk für ihren Durst anbieten. Die Strickleiter hört nicht auf zu schwingen. Als vierte stellt Ratasata sich als Frau des großen Kaisers Mung Tha Bya vor. Wie es sie nach dem Schönen hungert. Einen leckeren Bissen wird er ihr vorsetzen.
Hat sein Herr nicht ein Juwel von einem Diener? Gleich vier Damen wird er ihm vorführen. Die Richtige, welcher er Zeichen gegeben hat, wird schon dabei sein. Eine hatte er gerade von der Leiter herunter geholt, schon hatte die nächste ihr Füßchen auf die erste Sprosse gesetzt, wird er vortragen. Herr Zatwai soll sich nicht mit einer begnügen, sondern alle der Reihe nach durchnehmen. Aber wenn die Geschichte im Palast herauskommt, beim Rhama, wird es kein Spaß für ihn werden. Bis jetzt war alles soweit ganz lustig, wie die Vögelchen niedlich in der Luft schwebten, aber nach dem Hinsehen kommt jetzt das Nachsehen. Am besten, er haut ab und sucht sich gleich einen neuen Herrn, Vielleicht einen soliden alten Herrn, der nichts mehr mit der Liebe zu tun hat, weil sie nichts mehr mit ihm zu tun haben kann. Ein Vogel fliegt durch die Luft und macht „Sü-ü-ü-süi“.
Es kommt jemand geschwankt. Tum tum erkennt in ihm den kaiserlichen Feldgeneral Kyce Waing, Besiegter in zahllosen Schlachten, total betrunken, große Klappe und zu nichts fähig. Dieser soll sein neuer Herr werden! Er beklagt sich, dass von den Nachtschattengewächsen niemand zur Stelle sei, um einen vom Felddienst müden Krieger nach Hause zu bringen. Durchlaucht scheinen erschöpft zu sein. In Pfützen und Löcher wird der Beklagenswerte treten, wenn keine Kakerlake zur Stelle ist, um ihn zu stützen. Das ist wahr, die Nacht ist schwül und dunkel, man sieht nicht, wohin man tritt und ehe man es sich versieht, kommt so ein Nuschnuschi aus dem Fluss um den fürchterlichen Rachen aufzusperren und zuzuschnappen. Dem Opernbesucher muss an dieser Stelle erklärt werden, dass ein Nuschnuschi ein Zwitterwesen aus der Zoologie ist, halb Ratte, halb Kaiman, kriecht langsam und schnauft.
Kyce Waing sieht gar nichts, durchaus nicht, er ist kurzsichtig und hat seine Brille verloren. Sein Begleiter borgt sich das Schwert des Generals aus, denn das Nuschnuschi ist dem Sumpf soeben entstiegen, um den Krieger tätlich anzugreifen. Welch ein Glück, dass der mutige Tum tum zur Stelle ist und mit viel Tam tam das schröckliche Tier resolut bekämpft. Warte du Vieh, raß raß sa sai tschang, will es diesen guten tapferen Herrn wohl in Ruhe lassen. Sa sai! Kyce Waing schreit fürchterlich. Jetzt beißt es ihn schon ins Hinterteil. Gleich hat der Schalk es erschlagen. Irgendwann verschwindet das Ungeheuer zu Tode getroffen im Sumpf, von wo es gekommen ist. War das ein schweres Stück Arbeit. Durchlaucht ist gerettet.
Wie heißt der Retter? Der General will es wissen. Tum tum, der letzte seiner Sklaven. Nicht doch, sein Schwertträger soll er in Zukunft sein. Jetzt will der General ins Bett. Der Kampf hat ihn müde gemacht. Mit einem Schlag hat der Überfallene das Ungeheuer niedergestreckt. Die Dichter werden zu tun haben, das Lob seiner Tapferkeit zu singen.
Zweites Bild
Die vier kaiserlichen Gemahlinnen, sowie die beiden Bajaderen haben sich im Hause des schönen Herrn Zatwai ohne Begleitung Tum tums eingefunden. Der Verkehr wird relativ züchtig abgewickelt. Sobald eine der vier kaiserlichen Gemahlinen das Vergnügen hatte, verlässt die das Schlafgemach des Hausherrn. Die nächste löst sich aus der Warteschleife und darf eintreten. Ähnlich wie beim Zahnarzt geht es zu. Die beiden Bajaderen übernehmen den musischen Teil des Abends mit Gesang, Tanz und Literatur. Einen verschlüsselten erotischen Dialog führen sie miteinander, der von den drei anwesenden Affen nicht verstanden und mit „Rai Rai Rai“ quittiert wird. Dem Opernbesucher wird auffallen, dass der Librettist wegen des geringen Wortschatzes die Vokalpartie der Affen extrem reduziert hat. Diverse Liebesgötter werden angerufen, damit sie beraten und assistieren. Madana soll dafür sorgen, dass sich die beiden beißen, Ragaranta, soll den Lingam stark machen wie einen Wurfspeer und Ratanarischta drängt auf ständige Wiederholung der Leibesübungen.
Drittes Bild
Im Palast weiß man längst, dass die kaiserlichen Damen einen ungezügelten Appetit haben. Aus den entferntesten Provinzen reisen die Kavaliere an, um mit ihnen ihre Bekanntschaft zu gestalten. Der kaiserlichen Bestrafung am nächsten morgen entgehen die Ahnungslosen nicht. In einem ordentlichen Verfahren wird der Verstoß in der großen Gerichtshalle nach geltendem Recht abgeurteilt und die Missetäter müssen einbüßen, womit sie gesündigt haben. Die kaiserliche Majestät Mung Tha Bya, der Kronprinz Ragweng und der Zeremonienmeister sind bei der Prozedur zugegen. Mit einem feierlichen Tasang, Tasang werden die Erhabenen zur Prozesseröffnung begrüßt. Während der Kaiser leicht den Kopf neigt, erwidert der leicht angeschlagene Kronprinz den Morgengruß mit „Höh Höh“.
Susulü, der kaiserliche Obereunuch trägt nun die Anklage vor. Als er am Morgen nachsehen ging, wie den Damen die Nacht bekommen sei, fand er wie immer die Betten leer. Alle vier Betten waren leer, so leer, dass sie nicht einmal warm waren, wovon sich seine Hand überzeugte. Gerade in dem Moment, wie er vor Schreck erstarren wollte, hört er, wie unter dem Fenster die kaiserlichen Damen nach ihm rufen, er möge doch die Tür aufmachen, sie seien ein wenig spazieren gegangen und wollen nun ins Haus. In Wirklichkeit sei die Sache aber so gewesen, dass ein Bettler der Morgenwache seine Beobachtungen ausgeplaudert habe. Über eine Strickleiter hätten die Kaiserinnen das Haus verlassen und ein Bursche sei gekommen, um sie abzuholen und seinem Herrn zuzuführen. Den Burschen habe er ausfindig gemacht und mitgebracht, er heiße Tum tum. Was hat der Zeuge zur Anschuldigung zu sagen? Völlig richtig, die majestätischen Damen hat er zu seinem Herrn geführt, der es ihm befohlen habe. Ein Diener muss gehorchen! Wo ist sein Herr? Im Bett, wo sonst! Und wer ist der Herr? Ein sehr würdiger und guter und ein höchst angesehener Herr! Einen Herrn, wie es keinen zweiten gibt, was seinen Mut und sein Stattlichkeit betrifft. Wenn er den Namen nicht sagen will, wird die Strafe an ihm vollzogen, kündet das Gericht. Bei Krischna, jetzt ist er vom Regen in den Wolkenbruch gekommen. Er will es ja gern sagen, es ist der Herr Feldgeneral Kyce Waing.
Mit furchtbarer Stimme wiederholt der Kaiser den Namen Kyce Waing. Der Kronprinz räuspert sich schadenfroh mit einem deutlichen „Höh höh.“ Der Herold soll nun den durchlauchtigsten General fragen, ob Tum tum sein Dieser sei. Der Kaiser gibt sich tief bestürzt, dass sein treuer General ihn auf diese Weise verraten hat. Noch liegt der General erschöpft zu Bett und kann selbst nicht vorbeikommen. Er lässt aber bestätigen, dass Tum tum sein treuer Diener sei und ihm letzte Nacht einen großen Dienst erwiesen habe. In seiner Richterfunktion stellt der Zeremonienmeister fest, dass der General Kyce Waing, um es mit Respekt zu sagen, die letzte Nacht mit den kaiserlichen Gemahlinnen verbracht hat. Die Kaiserliche Majestät soll nun das Urteil verkünden. Es lautet: Das Übliche.
In Vorfreude, seines Amtes walten zu dürfen, tritt der Büttel vor: Schneide, schneide scharfes Messer. Tum tum hat einen Einwand: Diese Operation, die allgemein höchst unbeliebt ist, wird seinen guten Herrn nicht freuen. In der Halle des Gerichtes geht es jedoch nicht um Vergnügen, sondern um Gerechtigkeit. Der Henker wird losgeschickt, um den General mit seinem Werkzeug im Bett zu überraschen. Völlig aufgelöst kommt dieser nach einer Weile zurück. Seine Kunst ist blamiert, sein Messer entweiht und seine Ehre befleckt. Nun, wurde das Urteil vollstreckt? Es war nicht mehr nötig! Ein anderer war ihm vor Zeiten zuvorgekommen. Allgemeine Erleichterung und mit Gesang und Tanz - die Dichtkunst wird nicht ausgeklammert – geht man zum gemütlichen Teil der Vorstellung über.
Anmerkungen:
Paul Hindemith gehörte zu den Führern der Avantgarde nach dem Ersten Welt Krieg. Das Nusch-Nuschi ist das Mittelstück einer Triologie, die mit „Mörder, Hoffnung der Frauen“ (Text Kokoschka) einsetzte und mit „Sancta Susanna“ endete. Insbesondere das erste Stück war bestens geeignet, die traumatisierten Menschen nun restlos zu verstören. Mit der Schaffung derartige Bühnenwerke, sollten entweder die Gräuel des Krieges verdrängt oder verarbeitet werden. Mit „Mathis der Mahler“ gelang Hindemith 1938 schließlich doch noch der große Wurf und er wurde einer der beliebtesten Komponisten der Klassischen Moderne. Intelligenz, Humor und Virtuosität sind die Merkmale seiner Kompositionen.
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Musirony 2006 - Engelbert Hellen