Schöne Oper - selten gehört
E.T.A. Hoffmann [1776 - 1822]
Aurora
Große romantische Oper in drei Akten
deutsch gesungen
Libretto von Franz von Holbein
in Anlehnung an den Mythos von Kephalos und Prokris
Fertigstellung der Oper im Jahre 1812,
Uraufführung der revidierten Version am 5. November 1933 in Bamberg
Charaktere:
Erechtheus, König von Athen
Procris, seine Tochter
Polybius, Feldherr der Athenienser
Dejoneus, König von Phokis
Philarcus, Oberster der Leibwache des Dejoneus
Cephalus, ein junger Hirte,
Aurora, die Göttin der Morgenröte
Oberpriester
3 Sirenen
Ferner: Jäger, Priester,
Tritonen, Nymphen
und Volk
Das Geschehen spielt im antiken Griechenland
Dokumentation
Label: Bayer-Records 1995
Solisten des Bamberger Oratorienchors,
Dirigent: Hermann Dechant mit dem Jugendorchester Bamberg
HANDLUNG
Erster Akt
Erstes Bild:
Cephalus hat sich auf den Stufen des Tempels der Göttin Diana ein schönes Plätzchen ausgesucht, um mit seiner Hirtenflöte den Anbruch des neuen Tages zu begrüßen. Seine Weise bleibt nicht ungehört, denn ein hübsches Mädchen im Jagdgewand pirscht sich mit klopfendem Herzen heran, um den lieblichen Tönen ganz in der Nähe zu lauschen. Ihre Jagdleidenschaft muss man nicht ernstnehmen, denn ihren Bogen hat sie mit einer Blumengirlande umwickelt. Die kleine Plaudertasche, stellt fest, dass es genau diese Töne sind, die sie himmlisch wähnt, weil sie das Herz gleichzeitig mit Freude und mit Schmerz füllen. Der Hirtenknabe hat das hübsche Kind bemerkt und findet zur schönen Melodie auch sogleich die passende Ansprache. Die Himmlische soll doch ein bisschen verweilen, um ihm Gelegenheit zu bieten, zu ihren Füßen niedersinken zu dürfen. Doch die Angesprochene widerspricht ihrem angedichteten Status: Sie selbst sei irdischer Natur, klärt sie den Unwissenden auf, doch seine Töne habe er scheinbar dem Himmel entwendet. Des Weges unkundig, habe sie sich verirrt, denn seine Flötentöne haben sie vom rechten Weg gelockt und jetzt soll er sie bitte zu ihren Gefährten zurück geleiten. Gern, aber hat sie vielleicht die Güte, ihm ihren Namen zu nennen? Nun, sie heiße Procris. Ihr Anbeter wird plötzlich ganz traurig, denn er ahnt bereits, dass sie mit Sicherheit die Tochter Königs von Athen ist. Das ist richtig und ihr Vater lese ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Er selbst sei nur ein armer elternloser Hirte, den ein Greis am Ufer gefunden habe. Von ihm wurde er aufgezogen und aus Dankbarkeit hütete er seine Herden. Jetzt ist der Alte tot und die Schafe gehören ihm. Es ist schade um den toten Ziehvater, denn er war klug und weise und hätte ihm noch manches beibringen können. Wenn sie ihm erzählt, welche Wünsche sie hat, erzählt er ihr auch was er sich wünscht.
Doch dazu kommt es nicht, denn ein Jagdhorn ertönt und Procris rät dem Flötenspieler, er soll sich unauffällig unter das Gefolge mischen, wenn er in ihrer Nähe bleiben möchte.
Nein, ich kann dich nicht verlassen,
ohne dir es zu gestehen!“
„Dieses Glück ist nicht zu fassen,
dich in meinem Arm zu seh'n.“
„Unsere Seelen sich verstanden.
dein war ich beim ersten Blick!
Dank den Götterm! - Sie verbanden
uns zum höchsten ErdenglücK“
Zu einem kurzen Liebesduett reicht es gerade noch, denn sie muss sich jetzt den Jagdgefärten zeigen. Wie abgemacht, soll er sich unauffällig verhalten, damit kein Neid aufkommt und ihr taufrisches Glück zerstört. Procris steigt auf einen Hügel und winkt. Ihr Gefolge freut sich, dass sie nicht abhanden gekommen ist. Die Göttin Diana, zu deren Gefolge Procris gehört, sieht ungern, wenn unternehmungslustige junge Männer ihre Schutzbefohlene umlagern. Die Königstochter nimmt die Blumengirlande von ihrem Bogen und lässt die dem Hirten als Pfand ihres jungen Glücks zurück. Er verspricht, sie nicht aus dem Sinn zu verlieren.
Zweites Bild:
Polybius weilt beim König von Athen zu Besuch. Nicht sehr diplomatisch weiht der König ihn in seine Vorstellung ein, mit wem er Procris zu vermählen gedenkt. Zu seiner Überraschung erfährt sein Gast, dass sich der König von Phokis sich um die Hand der Königstochter beworben hat. Allein die Brautwerbung ist der Anlass seines eigenen Besuches. Im Grunde hat Erechtheus es sich gewünscht, den Dejoneus zum Schwiegersohn zu bekommen, obwohl er die Blüte der Jugend längst hinter sich gelassen hat. Mächtig ist er und tapfer und in den Frauenseelen willkommen. Seine Tochter liebt kühnen Mut, besonders dann, wenn er mit Schönheit gepaart ist. Doch weshalb zieht Polybius ein bitterböses Gesicht? Teilt er etwa die Freude seines Königs nicht? Polybius kommt die Sache in der Tat quer, denn er selbst hatte sich auch Hoffnung gemacht, das Mädchen heimzuführen. Hat der König auch bedacht, dass der Dejoneus schon fast so alt ist wie er selbst? Argumente interessieren nicht; Dejoneus wird sein Eidam und damit basta!
So leicht gibt Polybius nicht auf und erinnert den König an sein Versprechen, dass er seine Tochter doch ihm versprochen habe – als Belohnung für seine Taten als siegreicher Feldherr. Seine Wunden musste er oft teuer erkaufen. Der König soll sich doch seine verbeulte Visage einmal anschauen. Die Brandwunde entstand, als er die Tochter unter Lebensgefahr aus den Flammen rettete, und die Feinde seine Stadt zerstörten. Als zartes Kind hielt er die Kleine in den Armen und deckte sie mit seinem Mantel zu. Erinnert er sich nicht mehr, wie das Kind lächelte, als er es nach überstandener Schlacht zu ihm zurückbrachte? Voller Entsetzen gewahrte der Vater Blut an dem kleinen Körper. Trostreich konnte Polybius ihm zurufen, dass es sein Blut ist, welches aus noch immer einer Stirnwunde tröpfelte. Polybius zeigt mit dem Finger an seinen Kopf, um seine Aussage zu bekräftigen. Erechtheus ist sichtlich gerührt, denn es stimmt tatsächlich, dass sein Feldherr ihm sein Reich zurückgeben konnte. Polybius sieht auch ein, dass er selbst nicht mehr der Jüngste ist, aber das sollte doch kein Hindernis sein, sich an jugendlichen Blüten zu erfreuen. Aufteilen kann er seine Tochter nicht! Wenn er sie ihm gibt, stößt er damit alle seine Pläne über den Haufen. Aber Polybius erinnert ihn an sein königliches Versprechen, welches er erhielt, als er aus der Schlacht gegen die Euböer siegreich hervorging. Fordern kann er alles, aber ob er das liebe Kind bekommt, ist eine andere Sache. In der Tat kann in der Liebe nur die freie Gabe beglückend sein und ist nicht tauglich seinen Sold abzugelten, sieht Polybius ein. Der Feldherr weint, denn zu entsagen, habe er auch gelernt. Treu bleibt er seinem Souverän bis zum Grab - auch wenn er sein Glück verloren haben sollte. Erechtheus ist geknickt, denn zum Widerstand reizen will er seinen Feldherrn nicht. Deswegen schlägt er vor, dass die Tochter zwischen Feldherr und König frei wählen kann. Hat er etwa tatsächlich die Vorstellung, dass Procris ihn lieben könnte? Es könnte doch sein! Nun verkündet der König lautstark: „Wohlan, so wähle Procris zwischen dir und dem König Dejoneus!“ Hoffentlich ist das Mädchen gescheit und lässt ihr kluges Köpfchen sprechen, hofft der Vater.
Besuch - unverhofft, kommt oft! Die letzten Worte des Königs waren laut und deutlich. Dejoneus hat alles mitbekommen und ist entrüstet, dass Procris schon anderweitig versprochen war. Erechtheus beschwichtigt, dass er nur ein gegebenes Wort ehren wollte. Er sei sich sicher, dass das Mädchen selbstverständlich ihn wählen wird. Es ist doch klar, dass bei der Wahl zwischen Krone und Streitaxt, die Krone den Sieg davon träge.
In diesem Moment kommt Procris mit ihrem Jagdgefolge den Berg herunter. Wie die Göttin der Jagd zieht sie einher und doch wohnt sanfte Weiblichkeit in ihrem Herzen! Der Jägerchor artikuliert:
„Bekränzt mit grünen Zweigen
als Sieger uns zu zeigen,
kehren fröhlich wir zurück
und preisen laut das Jägerglück!“
Mit Landvolk und Jägern betritt Procris die Halle, um ihren Vater zu begrüßen. Cephalus befindet sich unter den Leuten und hat sich die Blumengirlande von Procris' Bogen wie eine Schärpe um die Schulter gelegt. Erechtheus platzt mit der Neuigkeit heraus, dass sein Kind ihm heute doppelt willkommen sei, denn er begrüße die Jungfrau als Braut. Über das Gesicht des Cephalus legt sich ein Schatten und Procris fixiert ihn vielsagend: „Gekommen bin ich wohl als Braut, wenn der Geliebte auf mich baut.“ Viele fühlen sich angesprochen, doch der König beschränkt den Kreis der Bewerber auf zwei Kandidaten. Nur Cephalus fühlt sich nicht beeindruckt, denn ihre Miene und ihre Blicke zeugen deutlich von seinem Glücke. Der König gibt seiner Tochter einen Fingerzeig und lässt sie dann raten: „Der eine stehet nah' am Throne, dir ein wohlbekannter Mann. Der andere bietet seine Krone und Schätze ohne Zahl dir an.“ Procris erklärt, dass sie mehr Wert auf die stillen Freuden legt. Vom Glanz eines Thrones kann sie sich gern trennen, denn dem bunten Flor der grünen Wiesen gibt sie den Vorzug. Im Moment stehe ihr der Sinn in erster Linie nach dem Geliebten! Aber welche Person meint Procris nur – alle schauen sich fragend an! Etliche fühlen ich berufen, aber nur einer wird der Erwählte sein. Der zu spät Gekommene fühlt sich bereits verschmäht, und der König muss ihn trösten. Dejoneus und Polybius flüstern: „Mir sagt ihrer Worte Sinn, dass ich der Auserwählte bin.“ Doch Cephalus weiß, dass er nicht nur der Auserwählte, sondern der Geliebte ist. Dem Chor der Landleute und Jäger ist es egal, wen Procris sich aussucht und singt „Ihn preisen wollen sie entzückt, den sie mit ihrer Wahl beglückt.“
Doch Procris hustet den Anwesenden etwas und erklärt, dass sie ihre Entscheidung vertagen will. Aber die Priester warten bereits im Tempel, um die Prozedur zu beginnen! Kann man den Klerus nicht einfach warten lassen? Ihre dunklen Worte, sagen dem Vater, dass er sich vielleicht in dem Mädchen getäuscht hat, doch Procris erklärt sich: Der Liebe süßen Schmerz hat ein anderer junger Mann entfacht. Ihm gab sie ihr unbefangenes Herz. Eine Rosenkette bindet sie an ihn und ihm hat sie ihr Leben geweiht. Dejoneus erwägt bereits militärische Schritte, wenn er ausgetrickst werden sollte. Dem Kandidaten ihrer Wahl gab sie Hyazinthen, Palmenblätter und Rosen zum Pfand, setzt die Wählerische ihre Ausführungen fort. Die Götter haben sein Glück begünstigt, denn vor Zeiten hat die Kleine ihm ein Tuch geschenkt, in dem diese Blumen eingewebt waren, jubelt Dejoneus. Erechtheus zieht seine Tochter näher zu sich heran und fragt mit strenger Stimme, ob sie dem Polybius nicht gestern einen Korb mit Blumen aller Sorten geschickt habe? Doch Procris weiß, dass sie den Vater um den Finger wickeln kann und entgegnet, bei den Blumen, die er meint, sein kein Korb dabei gewesen.
Drittes Bild:
Procris hat die Vorstellung, dass sie von einem großen edlen Herzen profitieren darf und entschließt sich, den väterlichen Freund zum Verzicht auf ihre Hand zu überreden. Im Moment ist Polybius allerdings von der Vorstellung beseelt, dass er sie zur Gemahlin bekommen wird. Er ist herbei geeilt, um seine Angebetete zu informieren, dass der König befohlen habe, so wie sie ist bald in der heiligen Halle zu erscheinen – ohne Prunk, eine Festtracht genüge vollauf. Sie kenne die Ungeduld und den eisernen Willen ihres Vaters!
Im Prinzip sei ihres Vaters billiger Wunsch ihr Gebot, doch zuerst ein paar liebe Worte an ihn. Polybius gerät leicht in Verlegenheit, denn er verschließt sich der Vorstellung, dass die Angebetete ein kleines Luderchen ist. Sie weckt Gewissensnöte in ihm und findet es nicht nett, dass er das zarte Band des Dankes und der Kindlichkeit zerreißen will und plötzlich Appetit auf Früchte zeigt, die für ihn nicht gesacht sind. Er habe nie im Sinn gehabt, schmiegsame Kettchen zu zerbrechen, die er von zarter Hand verknüpft wähnt.
Seine väterliche Liebe und Sorgfalt für ihr Wohlergehen spannten aus Pflicht und Dankbarkeit die zarte Bande und sie würden sie ewig an ihn binden. Doch an Ketten hat sie nie gedacht, sie würde sie alle sprengen, denn nur die Liebe kann Ketten ertragen. Aber was ist mit den Hyazinthen, Palmenblüten und Rosen, die er einst in ein Tuch eingewoben von ihr bekommen hat? Er darf sie alle behalten, doch jetzt hat sie eine kleine Aufgabe für ihn: Er soll ihr dabei helfen, den Jüngling ihres Herzens zu erringen. Welchen Jüngling? fragt Polybius und gibt sich ahnungslos.
Nun muss Procris mit der Sprache heraus, dass sie ihr Herz an einen holden Knaben verschenkt hat. Polybius versteht die Welt nicht mehr, weil ein erfolgverwöhnter Feldherr vor einem Hirtenknaben das Feld räumen soll. Wie konnte es sein, dass seine heiße Sehnsucht ihn täuschte, aber er kann das Mädchen auch nicht hassen. Procris attestiert ihm, dass er sie wie eine Tochter liebt! Und die Liebe einer Gattin gönnt sie ihm nicht? Wird er sie jetzt verlassen, nachdem sie seine Erwartungen enttäuschen muss?
„Ich dich verlassen?
Ewig, ewig dir ergeben,
sei dein Wohl, mein Glück allein!
Oft schon weiht ich dir mein Leben.
Du, nicht ich, sollst glücklich sein!“
Doch wie will sie es anstellen, wenn der König befiehlt, dass – sie - wenn sie ihn verschmäht – den Dejoneus heiraten muss? Polybius ist auch nicht dumm, denn er rät dem Mädchen, ihn zum Schein zu heiraten. Auch in verheiratetem Zustand wird er sie wie eine Tochter behandeln, verspricht er. Die Zeit sei viel zu kurz, um umständliche Ränke zu schmieden. Wird Polybius sein Versprechen halten und in ihr nur die Tochter sehen? Schwer ist ihr das Herz!
Viertes Bild:
Der Tempelchor findet die Stunde, der er entgegensieht, ernst und heilig. Zusammen mit den Priestern fleht er, dass die Fürstin eine gute Wahl treffen möge und das Glück sie nicht im Regen stehen lässt. Polybius ist ein wenig ratlos und weiß nicht, wie er sich der Situation anpassen soll:
„Hört o Götter, hört mein Flehn,
Lasst den Beglückten mich erspähn!
Ich soll ihn an den Blumen kennen,
die über seiner Schulter hängen und
tröstend meinen Freund ihn nennen.
Und damit sein Mut nicht sinke,
ihm durch Worte und durch Winke
unsern Vorsatz kurz vertraun!-
Doch um sonst ist mein Bemüh'n!
Ich seh' mit Gold und Edelstein
des Landes Edle nur geschmückt,
aber mit keiner Blume, die sie selbst gepflückt.“
Bald erscheint Procris mit ihren weiß gekleideten Frauen und macht es sich zu Füßen des väterlichen Thrones bequem, in der Absicht, eine neue Bedenkzeit auszuhandeln. Doch diesmal hat sie auf Granit gebissen. Die drei Liebesvögel artikulieren leise - jeder für sich.
„Nein, ich kann es nicht ertragen!“ jammert Cephalus,
„Welch ein sonderbar Betragen!“ kritisiert Dejoneus
„Wie mich rühren ihre Klagen!“ bedauert Polybius
In Übereinstimmung mit dem Tempelchor beschließt Erechtheus, unerbittlich zu sein. Cephalus fleht die Götter an, ihm den Tod zu schenken. Nun fasst Procris ihren ganzen Mut zusammen und nennt den Namen des Geliebten, dem sie ihre Zukunft weihen will. Der Knabe soll sich seines Glückes nicht freuen. König Dejoneus zieht sein Schwert und reckt es hoch empor. Doch an einem schmählichen Abgang ist Cephalus nicht interessiert, blitzschnell entwendet er einem halbeingeschlafenen Personenschützer sein Schwert, klemmt den Knauf an geeigneter Stelle fest und ist entschlossen die Spitze des Schwertes für einen Suizid zu nutzen. Was noch fehlt, sind die passenden Abschiedsworte. „Geliebte lebe wohl!“ Doch die Genannte hat schon oft bewiesen, dass sie ein flinkes Köpfchen hat und lässt sich mit dem Geliebten auf ein Handgemenge ein. Sie schiebt ihn aus der Gefahrenzone und stürzt in seine Arme.
Unbesiegbar ist des Königs Grimm, denn Da Maß ist voll - er wurde hintergangen. Die Priester finden, dass der Tempel durch ruchlose Absicht entweiht wurde. Doch das Volk steht wie immer auf Seiten der Liebenden und formuliert: Das Auge sieht betroffen das Unverhoffte an. Die Götter sollen dem liebenden Paar einen Erretter senden. Doch diese lassen sich Zeit, denn zunächst einmal hat der schwerfällige Polybius die veränderte Situation begriffen und befiehlt den Soldaten: „Werfet ihn sogleich in Ketten, keine Gottheit soll ihn retten!“
Doch alles entwickelt sich ganz anders, denn im folgenden Teil schaltet die Göttin Aurora sich ein.
Zweiter Akt:
Fünftes Bild
Polybius ist gar nicht so böse wie er tut, sondern lediglich genötigt, die beiden Könige zu täuschen. Er hat den Auftrag, dem in Ungnade gefallenen die Hände auf dem Rücken zu binden und von einem Felsen ins Meer zu stoßen. Stattdessen lässt er ihn durch eine Geheimtür des Gefängnisses entweichen und kommt sogar selbst mit. Er zeigt ihm einen Ort, wo er sich vorübergehend aufhalten kann, bis der Beschützer einen geeigneten Platz für ihn erkundet hat, an dem ihn auch die Geliebte besuchen kann. Dattelpalmen mit köstlichen Früchten werden seinen Appetit stillen.
Cephalus befindet sich in einem Refugium, welches Aurora, die Göttin der Morgenröte, gepachtet hat, um ihrer Trauer zu frönen, denn hier hat sie ihren Liebling das erste Mal zu Gesicht bekommen. Es ist noch Nachtzeit: Cephalus hört die Brandung rauschen und sieht über sich den funkelnden Sternenhimmel. Sein Gönner hat ihm versprochen, Neugierige nach seinem Befinden so abzuspeisen, dass er, dem Befehl des Königs gehorchend, den Bösewicht seiner verdienten Strafe zugeführt habe. Cephalus ist überrascht, dass ausgerechnet Polybius ihm zum Retter wird, obwohl er ihm das Herz der Heißbegehrten entrissen hat.
Was ist mit Procris? Wird Polybius sie unterrichten und sie seine Ausführungen auch verstehen? Es stimmt nicht ganz, was der Fragensteller sich vorstellt, denn durch die Fesseln der Dankbarkeit bleibt er Procris, in der er nun seine Tochter sieht, verbunden. Cephalus soll sein Refugium nicht verlassen, denn hier kann er nicht entdeckt werden. Es sei ein heiliger Ort, den Unbefugte niemals aufsuchen! Die Göttin Aurora hat ein Herz für unglücklich Liebende, denn sie selbst hat auch ein schlimmes Schicksal durchlitten. Ihr Liebling Thitonis wurde ihr entrissen, noch bevor sie ausreichend Zeit und Gelegenheit fand, ihm beim Göttervater durch inständiges Flehen Unsterblichkeit zu vermitteln. Zur Erinnerung hat sie an diesem Strand eine eherne Säule errichten lassen, die innen hohl ist. Der Wind pfeift hindurch und entlockt ihr klagende Töne.
Aus den tiefen des Ozeans taucht Aurora mit ihrer Karosse jeden Morgen auf und verpasst der Säulenspitze ein violett getöntes Rot, um des Verstorbenen zu gedenken. Ihre Tränen benetzen anschließend das niedere Gesträuch, den Strandhafer und die kelchförmigen Standwinden, deren Rand in Dauerpose schon eine violettrosafarbene Tönung angenommen haben. Der Ort hier ist der unglücklichen Liebe geweiht, exakt der richtige Platz für ihn, stellt Polybius zynisch fest.
Wird die Göttin auch nicht zürnen? Die Hoffnung ist in seinem Herzen neu erwacht und der Mut zurückgekehrt, seine Procris wiedersehen zu können. Bald wird Aurora den Schleier der Nacht heben und sich ihr zorniger Blick auf ihn richten. Er wird ihr zu Füßen fallen und durch hilflose Gesten und klagende Worte ihr Mitleid erringen. Gewiss ist sie eine sanftmütige ältere Dame und er jung und talentiert, der Rhetorik mächtig. Weshalb sollte die Sache kein günstiges Ende finden?
Jeden Morgen wiederholt sich die gleiche Prozedur: Aurora kurvt purpurfarben gewandet - mit Sternenkrone auf dem Haupt und einer Fackel in der Hand - mit ihrem Gefährt heran und gewahrt den Eindringling. Was sieht sie? Wer wagt mit kühnem Mut die heilige Einsamkeit dieses Ortes zu stören? Cephalus wagt es nicht, die Göttin anzusehen. Der Dialog, der sich entspinnt, ist knapp und präzise. Die Göttin soll sein heißen Flehen hören und ihn die Teure wiedersehen lassen. Aurora ist nicht abgeneigt, aber er soll sich doch bitte einmal umdrehen, damit sie das Gesicht des betrübten Jünglings sehen kann.
Über eine Wolkenbrücke, die sich aus den Wellen hebt, war Aurora näher herangekommen. Die Säule tönt, weil der Wind hindurch fegt. Cephalus weist die Göttin darauf hin, dass sie selbst der Liebe Sorgen zur Genüge kenne, denn jeden Morgen klage sie an diesem Ort. Das Metall gibt ihrer Liebe Leben. Will sie seinem Herzen keine Hoffnung geben? Vom Klang seiner Stimme fühlt die Göttin sich angezogen und erklärt dem Jüngling, dass sie jetzt seine Freundin sei. Hoppla, das ging aber schnell! Er soll aufstehen und ihr in ihre rosigen Gefilde folgen. Sein liebend Herz wird fortan eine neue Heimat finden. Darf er damit rechnen, in ihrer Wohnung auch seine teure Procris wiederzufinden. Er soll unbesorgt sein, Seligkeiten werden seiner harren. Beide singen davon, dass nun Glück und Liebe winken, aber jeder sieht die Situation anders. Doch Cephalus will nicht mitkommen. Er müsse hier warten, damit sein Retter, wenn er zurückkommt, ihn auch wiederfindet. Ohne List geht es in dieser Welt nichts, denkt Aurora!
„Schon hast du sie gefunden,
die dich ewig liebt,
Dir ewig frohe Stunden,
dir Seligkeiten gibt“
Aurora meint sich und Cephalus denkt, sie meine seine Freundin. Unbesonnen steigt der Jüngling ein: die Karosse fährt über die Wolkenbrücke, verschwindet in den tiefen Fluten und die Wogen schließen sich über ihren Köpfen. Die Göttin hat fü ihre Mission beendet, die Morgenröte hat ihren Zweck erfüllt, denn der Vormittag bricht an.
Sechstes Bild:
König Erechtheus zeigt nun sein wahres Gesicht. Für Procris heißt es endgültig „Schluss mit Lustig“! Er entschuldigt sich bei Polybius, dass er ihn noch nicht zu seiner Tochter ließ, denn er habe Befehl gegeben, ihm jedes männliche Wesen vorzuführen, welches sich vielleicht sonst noch zu dem Mädchen drängen wollte. Seine Absicht sei es gewesen, das Kind auf das Schreckliche vorzubereiten, entgegnet der Feldherr. Wurde sein Befehl vollzogen? will der König endlich wissen. Polybius lügt, der Jüngling bezahle für die Schmach, die er an ihnen beiden verübte, mit seinem Leben. Erechtheus erkennt in der Entwicklung der Situation seinen klugen Schachzug: Den Mörder ihres Lieblings wird sie hassen und sich mit dem Purpur, in den Dejoneus sie kleiden wird, anfreunden. In Gegenwart der Tochter soll der Henker die Schreckenstat in allen Einzelheiten berichten, damit er die Gesichtszüge des unschuldigen Kindes ausgiebig studieren kann. Der hinzukommende Dejoneus darf ebenfalls zuhören, wie er seinen Stolz und seine Ehre rächte, ladet der Sadist den abgewiesenen Liebhaber ein.
Obwohl er tief gekränkt wurde, weilt der Pupurträger noch immer in seinen Mauern, anstatt mit seinem siegreichen Heer die Zinnen seiner Burg zu besetzen, denn er hofft noch auf einen Sinneswandel der Jungfrau. In der Tat ist Procris seinem Herzen teuer, und sein Sinn steht auch nicht nach Rache gegen seinen Nebenbuhler, denn welchen Stellenwert hat ein Schafhirt schon gegen ihn? Und was den Polybius anbelangt, so hat er schlechte Karten, denn in einer Position als Feldherr ist er nicht befugt, sich ein Königskind unter den Nagel zu reißen. „Edler Fürst“ verbeugt sich Polybius spöttisch.
Doch nun geht Dejoneus zu weit, denn er verlangt, dass ihm die Jungfrau im Angesicht des Volkes als Sklavin übergeben werde, damit die Distanz auch angemessen ist, ein kleines dummes Mädchen zu sich emporzuheben. Vergessen und Verzeihen will er durch diese liebenswürdige Geste deutlich machen. Nimmermehr wird das geschehen, entrüstet sich der König. Erechtheus und Polybius danken den Göttern für ihre Unterstützung. Der Sklavin könnte Dejoneus vielleicht solche Untat verzeihen, die er an der Königstochter rächen müsste, funktioniert die Logik des Verblendeten.
Bis jetzt ist Procris noch nicht gefragt worden. Zunächst gilt es, den Vater zu besänftigen. Er solle doch bitte die Glut seines Zornes mäßigen und der Armen verzeihen:
„Sieh hier zu deinen Füßen
meine Tränen fließen,
sieh mich die Hände ringen,
lass meine bitteren Klagen
zu deinem Herzen dringen!“
Gerührt ist aber nicht der hartherzige Vater, sondern die beiden Liebhaber. Könnten sie doch nur ein Wort des Trostes sagen. Unmöglich kann Dejoneus den Anblick ertragen. Das Herz will ihnen zerspringen.
Procris bittet, dass man dem Schäfer Freiheit und Leben schenken möge. Es ehrt die beiden Rivalen, dass sie ein mitleidvolles Beben verspüren, doch der Vater hat für das Flehen seines geliebten Kindes nur eine Antwort, dass sie ihren Frevel schon noch bedauern wird, denn in tiefer Gruft ruht bereits das Gebein
„Sein Los ist entschieden,
er ruhet in Frieden,
sein Blut musste fließen,
den Frevel zu büßen!“
Die beiden abgewiesenen Liebhaber schalten sich erneut ein: „Wie klopft das Herz so ängstlich mir!“ „Mein Fürst du bist zu hart zu ihr!“ Die Rache der beiden Alten verwandelt sich in Mitgefühl. Dejoneus lenkt ein:
„Mein Stolz soll mich nicht hindern,
Deinen Zorn zu lindern.
Ich entsage dem Verlangen,
sie als Sklavin zu empfangen,
will vergessen und verzeih'n
und liebend ihr mein Leben weih'n!“
Doch nun trumpft Polybius auf und flüstert Procris zu, dass nur sie es hören kann „Ätsch, der Cephalus ist überhaupt nicht richtig tot.“ Ein Aufschrei des Mädchens lässt die Kleine an ihrem Verstand zweifeln. Zu des Polybius Füßen will sie ihren falschen Argwohn büßen. Dieser empfiehlt, dass man dem armen Kind Ruhe gewähren möge, denn ihr Verstand versage und wenn man sie gewähren lässt, würde sie noch mehr dummes Zeug reden.
Dejoneus lässt sich von Vater noch einmal sein fürstliches Wort bestätigen. Dieser ist sich sicher, dass sie den Mörder des Geliebten gewiss nicht wählen wird. Erechtheus hatte nicht mitbekommen, was Polybius seinem Kind zugeflüstert hat.
Siebtes Bild:
Im Gefolge der Göttin Aurora befinden sich auch Tritonen, die ihre Aufgabe darin sehen, Hörner erschallen zu lassen, um überall auszuposaunen, dass ihre Herrin eine neue Wahl getroffen habe. Cephalus kniet vor ihr und sie ermahnt ihn, dass er endlich das Klagen sein lassen soll, denn dazu gibt sie es keinen Grund. Procris steht nicht zur Verfügung und sie sieht nicht ein, ihr Glück aus den Händen zu geben. Aber sie habe ihm versprochen, dass er seiner Liebsten hier unten begegnen würde, und beklagt sich nun, dass er angeschwindelt wurde. Doch die Verschmähte setzt dagegen, dass ihr Herz ihm liebend entgegen tönt und andere männlichen Götterwesen ihn beneiden würden. Die aufgeputzte Alte bringt die Sirenen in Bewegung, ihm etwas vorzusingen, damit er seine Verflossene vergisst. Obwohl mit Lyra und Piccoloflöte ausgestattet, ist Cephalus nicht zu bewegen, seine Empfindungen zu verlagern: Er will Procris und sonst gar nichts!
Gern ist er bereit, die Göttliche zu verehren, aber damit soll es auch sein Bewenden haben. Aurora legt sich mächtig ins Zeug. Nymphen schleppen schmucke Waffen und einen Purpurmantel an, aber Cephalus ist mit solchem Tand nicht zu berücken. Damit sie ihn ziehen lässt, verspricht ihr schließlich, jeden Morgen am Strand zu erscheinen und ihr einen saftigen Morgenkuss zu verabreichen. Schweren Herzen begleitet Aurora ihn wieder auf dem kürzesten Weg nach oben.
Dritter Aufzug
Achtes Bild:
Orakel haben stets die Angewohnheit, sich unklar auszudrücken, wenn eine Aufforderung ergeht, etwas zu verkünden, falls der Auskunft Begehrende Vergangenes oder Zukünftiges erfahren möchte. Auf diese Weise gerät Spannung in die Situation - verkehrt geraten, werden die falschen Maßnahmen ergriffen.
Im vorliegenden Fall ist Diomede, die verstorbene Frau des Dejoneus die Schuldige. Vom Apollo-Orakel in Delphi hat sie sich erzählen lassen, dass ihr kleiner Sohn dem Vater wegnehmen würde, was er am Liebsten habe. Sie spinnt herum und glaubt irrtümlich, dass sie gemeint sei und es ihr später einmal an den Kragen gehen könnte. Sie entschließt sich, den Neugeborenen verschwinden zu lassen und kann einen Untergebenen ihres Mannes, namens Philarcus, für ihr Vorhaben gewinnen. In einem Korb wird das Kind der Flussströmung ausgesetzt, welche das Gebinde aber nicht in Meer spült, sondern ans andere Ufer schaukelt. Von einem Hirten gefunden, wächst er in dessen Obhut auf. Der aus dem Kriege heimkehrenden Dejoneus wird belogen und glaubt, das Kind sei gestorben.
Der Opernbesucher hat richtig geraten, dass Cephalus der Findling ist - die handelnden Personen müssen auf der Bühne die Wahrheit erst noch ertasten. Zu diesem Zweck verknüpft der Librettist den Handlungsfaden auf unmögliche Weise.
Philarcus ist das Faktotum, welches im Garten des Erechtheus liegt und ätzende Träume hat. Von Dejoneus belauscht, erfährt dieser nun, dass er es vor langer Zeit nicht über das Herz bringen konnte, den kleinen Sohn des Königs ins Jenseits zu befördern. Er entschuldigt sich nachträglich bei der toten Diomede für seine Pflichtverletzung und hat auch herausbekommen, das Cephalus mit dem Findling identisch sein muss, denn er hat das Mal erkannt, welches er dem totgeweihten Säugling auf die Schulter gebrannt hat. Cephalus hat eine Narbe an der gleichen Stelle – sie ist nur größer geworden. Philarcus Zerknirschung ist groß und er würde dem Dejoneus seinen Sohn gern wiedergeben. Das funktioniert aber nicht, denn der böse Polybius hat ihn vom Felsen gestoßen. Alles Unsinn! Aurora, die ohnehin alles besser weiß, taucht auf und gibt korrekte Antwort auf alle irrtümlichen Vermutungen. Sie übt Großzügigkeit und überlässt der jungen Königstochter, den jungen Mann, den sie selbst gern für sich gehabt hätte.
Neuntes Bild:
Nachdem Polybius dem Dejoneus gestanden hat, dass er des Cephalus Leben geschont hat, arrangiert er ein Zusammentreffen mit dem Vater. Dieser freut sich, einen Sohn in die Arme schließen zu können und verzichtet darauf, weiterhin als Rivale aufzutreten. Der letzte Akt findet im Tempel der Athene statt. Der Klerus wartet noch immer, die Vermählung durchzuziehen zu können. Nun steht der Kandidat endlich fest. Procris schließt ihren Hirtenknaben in die Arme, Aurora ist Trauzeugin, Dejoneus, mimt den Schwiegervater, Polybius der Freund der Familie und Erechtheus der königliche Brautvater müssen sich keine Gedanken mehr machen, wer für seine Tochter der korrekte Freier ist.
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musirony 2011 – Engelbert Hellen