musirony - Der Kreidekreis - Part 2
 

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Schöne Oper – gern gehört

 

Kaiser Qianlong

Alexander Zemlinsky [1872-1942]

Der Kreidekreis

The Chalc circle


Oper in drei Akten

entstanden 1930-1932,

op 21

deutsch gesungen 

Text von Klabund (Alfred Henschke)

Uraufführung am 14. Oktober 1933 am Stadttheater Zürich

Charaktere:

Tschang-Haitang (Sopran)
Frau Tschang, ihre Mutter (Alt)
Tschang-Ling, ihr Bruder (Bariton)
Pao, Kaiser (Tenor)
Ma, ein Mandarin (Bass)
Pü-Pei, seine Gattin ersten Ranges (Sopran)
Tschao, Sekretär bei Gericht
Tschu-Tschu, Oberrichter
Ferner: zwei Kulis, eine Hebamme, Zeremonienmeister des Kaisers,
Gerichtspersonen, Soldaten, Polizisten

Das Geschehen spielt zu historischer Zeit in China


HANDLUNG, Fortsetzung von Blatt 1

Dritter Akt:

 

Fünftes Bild:

21

Vorspiel

Die Gerichtshalle schmückt ein Gobelin mit dem Bildnis des fünfklauigen Drachen, links und rechts daneben hängen lange schmale Fahnen mit chinesischen Schriftzeichen. Vor dem Sessel des Richters ist ein Kreidekreis gezogen, in dem die Angeklagte zu knien hat. Der Aufenthaltsort für das Publikum ist durch Barrieren abgetrennt.

22

Der Name des Richters ist Tschu-tschu. Er sei von seiner kaiserlichen Himmlischen Majestät zum obersten Richter hier eingesetzt. Wie er sieht, besteht das Publikum aus einer Gesellschaft miserabler Kreaturen, die sich zu seinem Abscheu hier versammelt habe. Die Gerichtsverhandlung beginnt um 9 Uhr. Jetzt wird erst einmal in Ruhe gefrühstückt; er knabbert an einem Früchtchen und beißt in ein Stück Brot. Das Frühstück gehöre zu den angenehmsten Dingen des Lebens. Mit vollem Magen lässt sich zum Beispiel ein Dieb mit gutem Gewissen zum Galgen verurteilen. Heute hat er allerdings ein bisschen Kopfweh, denn die letzte Nacht hat er im Hause des Herrn Tong in Gesellschaft dreier reizender Damen verbracht. Er berichtet nun von den Vergnügungen, die er mit Yu, Yei und Yau hatte. Nach ausgiebigem Genuss von Reiswein wurde er in Schlaf musiziert. Vorher haben sie Tuschzeichnungen von völlig unbekleideten Mädchen in allen möglichen Körperstellungen angeschaut. Dem ersten Preis musste er wegen ihrer kleinen Brüste der kleinen Yei zuerkennen.

23

Tschao bittet um Vergebung, wenn er den Richter in seiner Meditation stört. Frau Ma, die Klägerin, welche heute zuerst an die Reihe kommt, habe ihn beauftragt, seiner Exzellenz als Zeichen ihrer Unterwürfigkeit einen kleinen Beutel übersenden zu dürfen. Ah, es klingt wie Pagodenglocken, wenn Gold über den harten Tisch rollt. Frau Ma ist ein überaus freigebige Dame, die ihr Recht finden dürfte.

Aber er will sich jetzt noch ein bisschen in das Strafgesetzbuch vertiefen. Die Paragraphen über Beamtenbestechung werden ihm keine Kopfzerbrechen machen. Ritsch, ratsch! Er reißt die Blätter aus seinem Buch heraus. So schwört er auch keinen Meineid, denn wenn er Gesetze und Verordnungen des Herrscherhauses der Mandschus gar nicht erst kennt, braucht er sie auch nicht zu beherzigen und sein Herz bleibt rein wie die Wolle eines jungen Lämmchens

24

Frau Ma winkt die Hebamme heran und sagt ihr, dass sie aufpassen und nicht versehentlich in den Zauberkreis treten soll, da dieser sie banne und dann sie möglicherweise noch selbst angeklagt werde. Womit hat sie das nur verdient, dass sie aufs Gericht kommen muss. Die Schande, die Schande! Ihr Herz schlägt, als wolle es ihr die Brust zerschlagen. Sie habe solche Angst, erklärt sie Frau Ma. Was wird mit ihr geschehen? Wird man sie foltern?

Sie soll keinen Unsinn reden. Sie ist nur als Zeugin geladen um Zeugnis abzulegen, dass der Knabe Li ihr Kind ist und nicht Haitang gehört. Aber wie soll sie ein solches Zeugnis ablegen, da es doch nicht wahr ist. „Pst!“ Sie war es doch selbst, die die Nabelschnur zwischen dem Kind und Frau Haitang trennte.

Nein, Frau Lien irrt sich in diesem Punkt. Hier sind zwanzig Goldstücke, um ihrem Gedächtnis auf die richtige Spur zu helfen. Frau Ma ist zu gnädig. Jetzt dämmert es ihr. In der Dämmerung muss ihr eine Verwechslung unterlaufen sein. Hat sie Frau Ma doch tatsächlich mit Haitang verwechselt. Diese stolze und hochmütige Person, obwohl aus dem gleichen niedrigen Stande wie ich, hatte sie nie ein freundliches Wort für sie gehabt - Immer von oben herab!

Das ist ja auch kein Wunder. Herrn Ma, meinen geliebten Mann. Hat sie sogar vergiftet! Was sie nicht sagen! Vergiftet! Ja, ja es gibt böse Menschen auf der Welt, da kann auch wohl das Kind nicht von ihr sein. Frau Lien soll doch bitte nach Ende des Prozesses zu ihr nach Hause kommen. Sie hat noch einige abgelegten Kleider, glänzend erhalten, da wird sich gewiss noch ein Staatskleid für sie darunter zu finden sein.

Frau Ma ist noch um weitere Zeugen bemüht. Auf der Straße hat sie zwei Kulis aufgelesen und schmeichelt sich bei ihnen ein. Sie seien doch auch Männer und wissen, was sich schickt. Gewiss wollen sie der Gerechtigkeit zum Siege verhelfen! Oder etwa nicht? Gerechtigkeit! Was ist das? Frau Ma erläutert: „Gerechtigkeit ist, wenn ich Euch hier ein paar Münzen gebe und ein Päckchen Kautabak, und ihr sagt hier als Zeugen vor Gericht das auf, was ich Euch vorsagen werde. In der Schule haben die Ganoven immer nur auswendig lernen müssen. Sie soll also losschießen. Gut, Sie müssen lediglich bezeugen, dass sie Nachbarn von Herrn Ma gewesen sind, der, als sie seinerzeit den Knaben Li gebar, ein Fest für das ganze Stadtviertel gab. Sie müssen ferner beschwören. Dass der Knabe ihr Kind sei und nicht das Kind Haitangs ist. Die beiden Ganoven grinsen und heben zwei Finger. Der Eid wird geschworen, darauf kann die gute Frau Gift nehmen, dass Haitang Herrn Ma Gift in den Tee gerührt hat. Frau Ma ist eine Mörderin, sie sollen das nicht vergessen.

Die Prozedur beginnt. Die Gerichtsglocke ertönt. Die Tapetentür öffnet sich und es erscheinen in gemessenem Schritt: Tschu-tschu, Tschao und noch drei Richter nehmen ihre Plätze ein. Die Angeklagte wird hereingeführt. Zwei Gerichtsdiener halten Zeugen und Publikum, darunter Tschang Ling in Schach. Der Richter ersucht Haitang, ihren Platz innerhalb des Kreidekreises einzunehmen und gibt Herrn Tschu Anweisung zu protokollieren. „Sehr wohl Exzellenz !“

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Der Richter nimmt die Personalien von Tschang-Haitang, Tochter des Tschang, Frau des hochgeborenen Herrn Ma. Auf „Falsch Herr Richter!“ unterbricht Die Klägerin ihn. Es muss nämlich heißen: Nebenfrau des hochgeborenen Herrn Ma. Sie war seine bloße Beischläferin, Konkubine sozusagen in einem Freudenhaus aufgelesen – die Gattin ersten Ranges sei die Klägerin. Haitang setzt sich angemessen zur Wehr und führt aus, dass sie Herrn Ma rechtlich angetraut war. Deshalb plante er, sie in den Rang einer Hauptfrau zu erheben und sich von Frau Ma scheiden zu lassen.

Sie lügt wie eine Elster!“ Wann war das denn, dass sie ihm ein Kind geboren haben will? Tschu bittet Frau Ma sich zu beruhigen. Im Laufe der Verhandlung wird sich alles der Wahrheit gemäß herausstellen. Der Richter setzt das Zeremoniell fort und will nun wissen, wer Anklage erhebt. Einen Staatsanwalt gibt es offenbar nicht.

Deshalb ergreift Frau Ma das Wort. Die rechtmäßige Hauptgattin des verewigten Herrn Ma, Yü pei, klagt Haitang des versuchten Kindesraubes und des vollendeten Giftmordes an Herrn Ma an. Was hat die Angeklagte zu dieser außerordentlich präzisen Anklage zu bemerken, will Herr Tschu wissen. Haitang bedauert. Diese Frau Lügen strafen zu müssen. Aber es geht um ihr Leben. Im Gefängnis hat man ihr das Kind verweigert und sie ohne Nachricht von ihm gelassen. „Li, mein Knabe, erkennst Du mich?“

Frau Ma verdächtigt Die Angeklagte, dass sie heuchelt. Wie kann sie Muttergefühle vortäuschen, da ihr Schoss verdorrt ist wie ein Baum in der Wüste Gobi ohne Wasser? Wortgewandt protestiert Haitang, dass ihr Schoß nicht unfruchtbar ist und beschreibt die Wonnegefühle, welche die Mutterschaft ihr bisher gebracht haben.

26

Der Richter ordnet an, das nun die Hebamme zu vernehmen sei, die der Mutter bei den Geburtswehen des Knaben Li behilflich war. Frau Lien soll vortreten. Womit hat sie das nur verdient, dass sie vor dem hohen Gerichtshof erscheinen muss. Tschu beruhigt sie, dass sie sich nicht fürchten muss. Also wie war der Hergang? Ach, das war ein großes Durcheinander, als der Knabe Li geboren wurde.

Kennt Frau Lien die Angeklagte? Es ist Haitang, die Nebenfrau des verstorbenen hochgeborenen Herrn Ma. Tschu will nun wissen, ob sie die Mutter des Knaben Li ist. Die Antwort ist sehr behutsam, denn die Hebamme hat aus taktischen Erwägungen Rücksichten zunehmen. Sie hat den Knaben wohl oft auf den Armen getragen, gewartet und in den Schlaf gewiegt, wie es die Pflicht der Nebenfrauen ist; aber die Mutter des Knaben ist jene und sie zeigt auf Frau Ma. Obwohl das Zimmer der Wöchnerin wie üblich verhängt war und man in der Dunkelheit kaum die Mutter vom Kind unterscheiden konnte, so ist doch kein Zweifel , dass Frau Ma den Knaben geboren hat.

Haitang appelliert an Frau Lien, der Wahrheit die Ehre zu geben. Es ist ihr Kind! Frau Ma schaltet sich ein:

Das listige Weib macht sich der Beeinflussung der Zeugin schuldig. Tschu erwägt die Angeklagte wegen ungebührlichen Benehmens vor Gericht ins Gesicht zu schlagen. Im Wiederholungfall soll sie auf Glassplittern knien oder man wird ihr die Knöchel zerquetschen.

Haitang ist poetisch zumute:

Wie Feuer brennt mein Rücken.
Wie Sturm weht mein Atem.
Verflöge doch meines Lebens Hauch,
der Nachtschmetterling.

Das Kind beginnt zu weinen und Tschu gebietet Stille, weil er das Kind zur Ordnung rufen will. Frau Lien wird vereidigt und stottert, dass sie bei den „Beinen“ ihrer Ahnen, die reine Wahrheit gesagt hat.

27

Die beiden Kulis treten als Zeugen vor. Leiern in einem Zug synchron herunter, was sie auswendig lernen mussten. Haitang beschuldigt sie der Lüge und erklärt, dass sie vom Frau Ma bestochen wurden. Ihre Aussage zu beschwören, haben die beiden Gauner keine Probleme. Die Zeugenvernehmung über den geplanten Kindesraub wird geschlossen.

Bleibt nur die Frage nach dem Giftmord noch unbeantwortet. Wer hat gesehen, dass die Angeklagte ihrem verewigten Gatten statt Zucker Gift in den Tee schüttete, um sich unrechtmäßig Knabe und Erbteil anzueignen?

Frau Ma gibt die Anwort „Ich!“

28

Haitang verzweifelt! Frau Ma beschwört bei den Gebeinen ihrer Ahnen, dass die, die nicht die Mutter des Kindes ist, ihren Gatten mit Gift aus dem Wege geräumt hat, um sich unrechtmäßig Knabe und Erbteil anzueignen. Haitang ist entsetzt: Frau Ma schwört versehentlich die Wahrheit.

Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Tschu verkündet das Resultat im Namen seiner Himmlischen Majestät: Tschang Haitang wird im Sinne der Anklage wegen versuchten Kindesraubes und wegen vollzogenen Giftmordes an Herrn Ma zum Tode durch des Henkers Schwert verurteilt. Die Gerichtsdiener sollen ihr den neunpfündigen Block um den Hals legen.

Tschang protestiert vergeblich gegen das Urteil und ruft nach ihrem Kind. Das unverschämte Geschöpf sollte man mit dem Pantoffel ins Gesicht schlagen. Es soll sich merken, wenn der Richter ein Urteil spricht ist es gerecht, die Verhandlung führt er unparteiisch und alles geht gesetzmäßig zu.

29

Haitang wird abgeführt. Parallel betritt eine Stafette aus Peking den Gerichtssaal.

Tschu ist erschüttert über die Nachricht, die ihn erreicht und ersucht alle Anwesenden mit der Stirn die Erde zu berühren. Seine himmlische Majestät ist im hohen Alter von 75 Jahren an Altersschwäche verschieden. Zum Nachfolger wurde durch das Los Prinz Pao erkürt, der den kaiserlichen Thron bestiegen hat. Alle Todesurteile werden suspendiert und kraft seiner Machtvollkommenheit Richter und Gerichtete nach Peking berufen. Denn seine erste Amtshandlung soll im Zeichen der Gerechtigkeit stehen.

Tschang-Ling meint, dass der neue Kaiser auch nicht besser als der alte sein wird. Sie Armen werden wie bisher auch unter einem Drachenbanner rechtlos am Straßenrand verrecken. Haitang ist unschuldig,sie soll nicht sterben. Mit seinen Fäusten will er dem Henker das Beil aus der Hand reißen..

Tschu entrüstet ich. Der Kerl der seine Majestät lästert bekommt den Block auch um den Hals gelegt. Seine Majestät wird sich ihm dafür erkenntlich zeigen. Auf nach Peking!

ZWISCHENSPIEL



Sechstes Bild

30

Tschang Haitang und ihr Bruder werden in militärischer Begleitung nach Peking deportiert und geraten unterwegs in einen Schneesturm. Kann die Tochter einer Schildkröte ihre Beine nicht flinker bewegen? Für ihre Bewacher ist der Marsch auch kein Vergnügen. Ein guter Tod ist das halbe Leben! Sie klagt, dass die Knie ihr brechen. Wer ein Verbrechen begangen hat, muss es auch büßen. Warum hat sie ihren dicken Mann auch umgebracht? Die Frau wendet ein, dass sie keinen rechtschaffenen Richter gefunden hat. Wo ist mein Kind? Bei seiner Mutter, verstocktes Weib! Selbst der Holzblock bringt sie nicht zur Buße und Einsicht.

Tschang-Haitang schreit ihre Klage in den Schneesturm. Zu lange haben die Wachen das Quaken des Wasserfroschs mit angehört. Doch sie hat Glück im Unglück. Ihr Bruder, der sich ebenfalls auf dem Transportweg befindet, hat ihre Stimme erkannt. Wenn man das Bruderherz und sie Schwesterseele zusammenbindet, werden sie leichter vorwärtszutreiben sei. Vorwärts nun zum Kaiser!

31

Soldat, Soldat! Du bist mein Kamerad.
Wenn unsere Knochen bleichen,
Mond fällt auf uns wie gelber Rauch,
der Affe schreit im Bambusstrauch.
Soldat, Du bist mein Kamerad,wenn unsere Knochen bleichen.

Siebtes Bild

33

Weise Worte schmücken die Worte der Stufen zum Thron, die er Kaiser soeben emporsteigt „Sprich leise. Handle leise, denke leise!“ Jeder, der das Wort ergreift solle daran denken. Der Kaiser fordert von Tschang-Ling eine Erklärung, weshalb er mit einem Mädchen zusammengebunden ist. Wieso bleibt er stehen und fällt nicht auf die Knie? Was ist sein Verbrechen hat er begangen? Nun, gäbe es Gerechtigkeit in diesem Land, stünde er nicht im Block vor ihm. Wer so viel litt, kniet vor keinem Menschen mehr. Förmlich wendet der Kaiser sich nun an Tschu und ersucht um Auskunft. Er habe die geheiligte Majestät, des Himmels Sohn, gelästert. Keine Strafe kann für ihn zu hoch sein! Er möchte davon absehen, die Worte zu widerholen, weil die Zähne sie nicht freilassen. Er geäußert, der neue Kaiser würde auch nicht besser sein, als der alte. Tschang-Ling bekennt, dass er auch noch sagte, unter seiner Herrschaft die Armen am Straßenrand verrecken würden wie bisher. Der Angeklagte weint, aber nicht um sein Geschick, sondern um sein Vaterland. Der Kaiser ordnet an, dass ihm der Halsblock abgenommen wird, denn wer solche Tränen weint, ist kein Verbrecher. Der Kaiser liest im Protokoll von Tschang-Haitang. Die beiden kreuzen ihre Blicke und erkennen sich.

34

Diese Dame soll ihren Mann ermordet und um sich die Erbschaft zu sichern, des Kindes seiner ersten Frau bemächtigt haben. Der Kaiser zweifelt und fragt die Angeklagte direkt, die aber schweigt. Seine Majestät ist wie ein Spiegel, der die Angeklagte blendet. Unsinn, verbessert ihn Tschu. Seine Majestät ist die Sonne, die sie alle blendet. Nun erkundigt sich der Kaiser nach dem Beruf, den sie hatte, bevor sie Herrn Ma heiratete.

Haitang antwortet poetisch:

Am Ufer hinter Weiden steht ein Haus,
ein kleines Mädchen sieht zur Tür hinaus.
An der Volière steht ein Mandarin.
Ein kleiner Vogel singt und hüpft darin.
Verschließe den Käfig, hüte das Haus,
sonst fliegt der Vogel in den Wald hinaus.“

Du warst also Blumenmädchen, zieht der Kaiser seine Schlussfolgerung. Und wer waren die Besucher des Hauses hinter den Weiden? Herr Ma holte sie aus dem Haus. Hat sonst niemand sie dort besucht? Ein junger Herr besuchte sie! Wer war der junge Herr? Ich nenne seinen Namen nicht. Sie fordert Gerechtigkeit sonst nichts. Der Kaiser setzt das Verhör fort: Die beschworenen Zeugenaussagen hier in den Akten besagen, dass das Kind, das Du für Dich in Anspruch nimmst, nicht Deine Kind ist. Haitang schweigt, aber Tschang Ling mischt sich ein: „Die Zeugen sagen falsch aus. Sie sind bestochen von der ersten Frau.“ Frau Ma behauptet, dass er lügt. Der Richter sei dazu bestellt, wahres und falsches Zeugnis zu unterscheiden, erfolgt unverzüglich die Belehrung. Tschang Li antwortet dem Kaiser, dass die Zeugen bestochen waren. Richter Tschu bezichtigt ihn ebenfalls der Lüge.

Die erste Frau des Mandarinen ist im Saal. Wo ist sie? Sie soll vortreten! Der Kaiser knöpft sie sich vor: „Weib sprich, wer ist die Mutter des Kindes, das Du auf dem Arm trägst?“ „Ich bin es, Majestät.“ Der Zeremonienmeister möge ein Stück Kreide nehmen und einen Kreis auf dem Boden vor seinem Thron ziehen und den Knaben in den Kreis legen. Es ist geschehen.

35

Und nun ihr beiden Frauen,
versucht den Knaben aus dem Kreis zu ziehen,
zu gleicher Zeit.
Die eine packe ihn am linken,
die andere am rechten Arm.
Es ist gewiss,

die rechte Mutter wird die rechte Kraft besitzen,
den Knaben aus dem Kreis zu sich zu ziehen.“

Die Frauen tun wie geheißen. Haitang fasst den Knaben nur sanft an. Frau Ma zieht ihn brutal zu sich hinüber. Der Kaiser weist auf Haitang und bemerkt. Dass diese Frau nicht die Mutter sein kann. Sonst wäre es ihr wohl gelungen, den Knaben aus dem Kreis zu ziehen. Die Frauen sollen den Versuch wiederholen. Wieder zieht Frau Ma den Knaben zu sich. Kritisch beobachtet der Kaiser, dass Haitang nicht die geringste Anstrengung unternimmt, das Kind auf dem Kreis zu sich herüberzuziehen. Was bedeutet das?

36

Haitang bleibt die Antwort nicht schuldig. Sie hat das Kind neun Monate unter ihrem Herzen getragen und habe alles Süße mit ihm genossen und alles Bittere mit ihm gelitten. Wenn es fror, wärmte ich seine Gliederchen, denn sie sind sehr zart und zerbrechlich. Ich würde sie ihm ausdrehen, wenn ich daran zerren wollte, wie jene Frau. Wenn ich mein Kind nur dadurch bekommen kann, dass ich ihm die Arme ausreiße, so soll nur jene, die nie die Schmerzen einer Mutter um ihr Kind gespürt hat, es aus dem Kreis ziehen.

Der Kaiser ist aufgestanden, erkennt die ungeheure Macht, die in dem Kreidekreis beschlossen liegt. Jene Frau trachtete sich das ganze Vermögen des Herrn Ma zu bemächtigen und raubte darum das Kind. Da nun die wahre Mutter erkannt ist, wird auch die wahre Mörderin zu finden sein. Ich lese in den Akten den Wortlaut des Schwures, den Frau Ma gesprochen hat. Die Frau soll ihn wiederholen.

Ich schwöre – bei den Gebeinen meiner Ahnen - dass die, die nicht die Mutter des Kindes ist, Herrn Ma vergiftet hat.“

Der Kaiser bestätigt, dass sie selbst den entsetzlichen Schwur leistete, dass sie als Mörderin des Herrn Ma ausweist. Frau Ma bleibt nichts anderes übrig, als die Tat einzugestehen, aber sie schiebt es Herrn Tschao zu, von ihm angestiftet zu sein. Die hölzerne Krause wechselt ihre Trägerin. Herr Tschao winselt, dass der Oberrichter korrupt sei und auch eine größere Geldsumme genommen hat. Ausgeschlossen, setzt sich Herr Tschu zur Wehr, er sei der unbestechlichste Richter weit und breit. Genug des unwürdigen Gezeters. Es wird eine weitere Verhandlung geben. Wie Zeugen werden abgeführt, aber Tschang-Ling auf einen Wink in eine andere Richtung geführt. Haitang und der Kaiser sind allein. Er nimmt einem Soldaten das Kind ab und reicht es Haitang.

37

Der Kleine ist ihr Pantherköpfchen. Ihr Luchsäuglein und ihr Aprikosenwänglein. Wie süß er duftet. Sie schließt ihn in ihre Arme.

38

Erinnert sie sich jener Nacht, da Ma in Tongs Haus sie kaufte? Wie könnte ich jene Nacht vergessen, da ich Euch zum ersten Mal sah. Sie soll ihm erzählen, was im jener Nacht geschah. Man brachte sie in ein Zimmer zu ebener Erde, dessen Schiebetüren nach dem Garten hinausgingen. Sie weinte und bat um Ruhe. Herr Ma ließ si8e allein. Es war so drückend heiß, dass sie die Tür zum Garten offen ließ. Als sie sich niederlegte. Da hatte sie einen wunderlichen Traum. Und was träumte sie? Sie träumte. Dass ein junger Mann durch den Park geschlichen käme – leise wie ein Panther. Er kam in ihr Zimmer und setzte sich zu ihr auf ihr Lager und liebte sie. Er umarmte sie wie ein Ehemann sein Eheweib. Wie kommt es, dass si8e diesen Traum in ihrem Gedächtnis so treu bewahrt hat? Ei, lieber Herr. Sie hat von ihm geträumt, dass er zu ihr kommen würde? Und das hat sie geträumt? Der Kaiser korrigiert sie. In Wahrheit hat sich alles so begeben. Er folgte ihr in jener Nacht über den Bambuszaun schlich in ihr Schlafgemach und stillte seine Sehnsucht und Begierde. Er liebte sie im Schlafe und sie seufzte nur einmal leise. Kann sie ihr verzeihen, was er aus allzugroßer Liebe gewagt hat?

Sie will ihm verzeihen, wenn er das Kind als sein eigenes anerkennt. Denn so muss es sein. Gezeugt hat es der Sturm, geboren hat es der Wind, sein Pate war der gelbe Mondschein. Noch heute verkündet er dem Volk, dass sie seine Gattin sein wird. Haitang hebt das Kind hoch.

***
2013 musirony - Engelbert Helen

 


 

 

 

 

 

 

 


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