Bizarre Oper - selten gehört
Pirandello
Manfred Trojahn [geb.1949]
Enrico
Dramatische Komödie in neun Szenen
deutsch gesungen
Libretto von Claus H. Henneberg
nach dem Drama Enrico IV. von Luigi Pirandello
Uraufführung am 10.04.1991 im Rokoko Theater Schwetzingen
Dauer etwa 90min.
Charaktere:
Enrico (Bariton)
Marchesa Matilda Spina (Mezzospran)
Frida, ihre Tochter (Sopran)
Carlo di Nolli (Tenor)
Barone Tito Belcredi (Bariton)
Dottore (Bariton)
Landolfo, genannt Lollo (Tenor)
Beroldo (Tenor)
Arialdo, genannt Franco (Bariton)
Ordulfo (Bass)
Giovanni. Enricos Kammerdiener (Bass)
Die das Geschehen spielt in einer Villa in Umbrien am Anfang des 20. Jahrhunderts
und nimmt Bezug auf den deutschen Kaiser Heinrich IV.
Tondokument:
LABEL CPO 1993, Produktion SDR Stuttgart,
Leitung Dennis Russel Davies
Gesangssolisten: Richard Salter und Trudeliese Schmidt u.a.
INHALTSANGABE
Erster Akt:
1
Der Handlungsablauf streift das Leben des Salierkönigs Heinrich IV., bietet aber kein Historiengemälde, sondern einen Psychothriller, der zur heutigen Zeit in der Villa eines italienischen Adligen spielt. Der Komponist wählt für sein Stück die italienische Variante des Namens, gemeint ist aber der deutsche Kaiser, welcher in der Kaiserpfalz zu Goslar geboren wurde, mit dem Papst Streit bekam und den Bußgang nach Canossa antreten musste. Der komischer Held und Besitzer der Villa bildet sich in seinem Wahn lediglich ein, diese Herrscherfigur zu sein, in der er vor zwanzig Jahren bei einem Maskenfest an der Seite der Markgräfin Matilda auftrat.
2
Dann geschah das Unglück, dass sein Pferd ihn abwarf, welches zuvor unbemerkt von seinem Nebenbuhler um die Gunst Matildens, dem Baron Belcredi, misshandelt worden war. Enrico schlug mit dem Kopf unglücklich auf das Pflaster und zog sich ein Schädeltrauma zu. Der Pechvogel fiel ins Koma, welches jahrelang anhielt und danach bildete er sich ein, der Herrscher wirklich zu sein, den er zuletzt im Maskenspiel verkörpert hatte. Die Menschen seiner Umgebung bestätigten seinen Zustand, denn sie glaubten, ihm sein Los erträglicher machen zu können, indem sie ihm in mittelalterlichen Kostümen begegneten und als Kaiser behandelten. Den Prozess seiner Heilung hielt Enrico vor ihnen geheim, weil ihm die Rolle des Wahnsinnigen gefiel, nicht von ihr loskam und sie zu seinem Ergötzen und zur Belustigung seiner Umwelt weiterspielte.
3
Die Schwester des Irren ist kürzlich verstorben. Vorher hat sie alles daran gesetzt, ihren Sohn Carlo di Nolli zu motivieren, sich einzusetzen, den Onkel von seinem Wahn zu befreien. Der Jüngling erscheint zu Besuch mit seiner Verlobten Frida, die auch ihre Mutter die Marchesa Matilda mitgebracht hat. In deren Begleitung befindet sich der Baron Belcredi mit dem sie befreundet ist.
4
Bei diesem Besuch wollte sie ihn eigentlich nicht dabei haben, denn hatte er sich mit Enrico damals nicht verstanden. Der Anhängliche ließ sich allerdings nicht abwimmeln und ist ihr gefolgt. Heinrich vermutet in ihm seinen Feind und ist auch von diesem Argwohn nicht abzubringen
5
Alle erscheinen in historisierender Kleidung und sind maskiert, um als lebende Figuren aus dem Leben Heinrich IV. wahrgenommen zu werden. Mathilda ist die Markgräfin von Toscana, die sie vor zwanzig Jahren auch auf dem Maskenball verkörperte. Enrico schaut Matilda tief in die Augen und sie ist überzeugt, dass er sie wiedererkannt hat. Er hat die Idee, dass vielleicht der Papst ihn aus seiner Rolle erlösen könnte. Die Konversation der angereisten Gesellschaft dreht sich um alte Zeiten und die jüngste Vergangenheit.
Zweiter Akt
6
In ihrer Begleitung findet sich ein Nervenarzt, der den Patienten begutachten möchte um sich zu überlegen, welche Therapie anschlagen könnte.
Enrico ist bemüht, sich der Zuneigung seiner Umgebung zu sichern. Er setzt sich mit seinem virtuosen Spiel ständig in Widerspruch, indem er mal so tut, dass er die Kostümierung zunächst bestätigt und hinterher die Farce aufdeckt und belacht. Einigen seiner Dienerschaft hat er sogar geoffenbart, dass er schon seit Jahren geheilt ist, er aber weiterhin seinen Spaß haben möchte.
Das Operpublikum ist der Ansicht, dass selbst, wenn Enricos Einschätzung richtig ist, ein gewisser Dachschaden doch zurückgeblieben ist. Ist es nicht so, dass er mit seiner Rolle nicht nur die anderen hinters Licht führen will, sondern auch sich selbst verschaukelt?
7
Der Arzt will seinen Patienten durch eine Schocktherapie heilen und hat sich dazu ein Spielchen ausgedacht. Frida hat sich eine Ähnlichkeit mit ihrer Mutter bewahrt und sieht heute so aus wie die Marchesa vor zwanzig Jahren. Es wird ein lebensgroßes Gemälde von ihr angefertigt, die sie in dem gleichen Kleid zeigt, wie Matilda es vor zwanzig Jahren getragen hat.
Das Spiel sieht vor, dass bei gedämpften Licht Frida aus ihrem Versteck hervorspringen soll, so dass Enrico denkt, dass das Bild lebendig geworden ist und er Matilda liebend umfängt. Mit der Prozedur soll Enrico klar gemacht werden, dass seit damals viel Zeit vergangen ist.
Doch der Gefoppte lässt sich auf den Gedankengang nicht ein und simuliert weiter, dass seine Matilda aus dem Bilderahmen zu ihm herbabgestiegen sei und ihn begehrt wie damals in Canossa. Es ist ein Traum, der lebendig geworden ist. Dort oben warst du ein Bild – man hat Dich zu einem lebendigen Menschen gemacht. „Du bist mein. Ich habe ein Recht auf dich.“
Dritter Akt:
8
Der Patient sperrt sich, auf sein einstudiertes Rollenspiel zu verzichten, weil er es zum Überleben braucht, andernfalls müsste er sein Selbstwertgefühl aufgeben. Diese Wende hat der Doktor nicht einkalkuliert.
Belcredi wird es als Zuschauer das Theater um Enrico zu dumm und erklärt, dass alles Getue nur eine Posse sei. Für ihn ist das Spiel zu Ende. Er fordert von Enrico das Eingeständnis: „Du bist nicht wahnsinnig!“ Enrico reagiert beleidigt, spürt seine Niederlage und fühlt sich an die Wand gedrückt. Ohne seine Rolle ist er ein Nichts und er setzt zur Gegenwehr an. Einem der umstehenden Räte entreißt er den Degen und stößt ihn seinem Rivalen in sie Brust.
9
Belcredi ist seiner Stichwunde erlegen und der Aufschrei Matildas ist furchtbar. Was wird nun aus Enrico? Wenn er sich als geheilt betrachtet, greift nun die Justiz nach ihm. Andernfalls müsste er, um nicht als strafmündig du gelten, die Rolle des Bekloppten bis an sein Lebensende weiterspielen.
Seine Definition am Schluss der Oper lautet: „Ich bin geheilt, meine Herrschaften, doch ich habe es vorgezogen, verrückt zu bleiben und bei klarstem Bewusstsein meinen Wahnsinn auszuleben, und alle, die sich vor mit sehen ließen zu zwingen, die berühmte Maskerade fortzusetzen. Aus der Posse schuft ich die Wirklichkeit des Wahnsinns.“
Anmerkungen:
Manfred Trojahn ist ein Komponist der Avantgarde, Entsprechend schräg ist seine Musik. Der Text seiner Vorgabe durch Pirandello ist verworren, auch wenn man genau hinhört, ist er akustisch kaum verständlich und inhaltlich schwer zu verdauen.
***
2013 musirony – Engelbert Hellen