Schöne Oper - selten gehört
Giovanni Pacini [1796-1867]
Maria Regina d'Inghilterra
Lyrische Tragödie in drei Akten
Libretto von Leopoldo Tarantini
nach dem Roman von Victor Hugo
in italienischer Sprache
Uraufführung am 11.02.1843 am Teatro Carolino Palermo
Darsteller:
Mary Tudor, Queen of England
Riccardo Fenimoore, Schottischer Edler
Ernest Malcom, ein Bürgerlicher
Clotilde Talbot, glaubt eine Waise zu sein, verlobt mit Ernesto
Gualtiero Churchill, Lordkanzler von England
Raoul, Leutnant im Tower
und weitere
Das Geschehen spielt in England im 16. Jahrhundert
INHALTSANGABE
Erster Akt:
Erste Szene
Im England der Tudorzeit verstand man zu feiern. Die Themse war für das gemeine Volk der bevorzugte Aufenthaltsort, um Lebensfreude in vollen Zügen zu genießen. Illuminierte Bote fahren den Strom im Pendelverkehr herauf und hinunter. Die Stadt jenseits des Rivers ist erleuchtet, als wolle sie zu einem Festival einladen. Der Ruderchor behauptet, dass der Mond noch nie so schön geschienen habe. Er wirkt auf sie wie von einem Maler auf einen Bühnenprospekt hingezaubert. London ist eingewickelt in einen phosphoreszierenden Schleier. Die Männer hinter den Rudern sollen ihr Gewicht verlagern und Tempo vorlegen. Myriaden von Fackeln bringen Brillanz in die dunkle Nacht, dass der karge Sternenhimmel sich schämen sollte. Ein entzückendes Land, in dem Queen Mary regiert. Eine Freude folgt auf die andere. Rudere Seemann, rudere!
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An einer einsamen Stelle am Flussufer steigen Männer in Kapuzenmäntel gehüllt aus dem Boot. Ihr Interesse gilt einem rustikalen Landhaus, alle Fenster sind geschossen. Bevor der neue Tag anbricht, wird das Geheimnis für ihn klar sein. Der Angeredete ist Gualtiero, der Lordkanzler von England. Das Gespräch dreht sich um eine geheimnisumwitterte Frau, die sich in im Cottage aufhält, aber im Moment durch Abwesenheit glänzt. Wer ist der Mann, der sie vor allen neugierigen Augen hinter dieser Tür verbirgt? Wenn es Nacht wird, kommt oft ein Unbekannter mit einem Boot vom Fluss her, um das Haus zu betreten. Nun hat er ihn gefangen, frohlockt der Lordkanzler. Die Königin hat bereits Verdacht geschöpft. Seine Macht, die er einst höhnte, wird nun den Beweis erbringen, die seinen Untergang bedeutet. Die Männer bezweifeln, dass es ihm gelingen werde, den Emporkömmling zu stürzen, denn er genießt die Liebe der Königin und die Gunst des Hofes. Wenn die Beweise der Königin vorgelegt sind, werden es die letzten Tage seines Lebens sein, und der Verräter muss das gefürchtete Gerüst besteigen. Die Männer sollen still sein, ein Boot hat angelegt, ihre Anwesenheit soll unbekannt bleiben. Die Kapuzenmäntel ziehen sich ins Dickicht zurück.
Zweite Szene
Weshalb ist seine Clotilde traurig? Seit einigen Tagen zeigt sich ihr Lächeln nicht mehr. Dieses Lächeln ist Ernestos einziger Segen auf Erden. Hier ist ihr Heim, welches er ihr gegeben, nachdem er die Waise in seine Obhut genommen hat. Das Boot, welches beide hergebracht hat, ist wieder im Lichtermeer untergetaucht. Sie soll ihm erzählen, was sie durcheinander brachte. Morgen ist ihr Hochzeitstag. Kann es sein, dass sie ihn nicht mehr liebt? Nein, Clotilde weiß, was sie ihm schuldet. Ihr Leben würde sie für ihn geben, um ein wenig zurückzugeben für die Güte, die er ihr erwiesen hat. Sie ist ihm nichts schuldig. Das einzige, was er sich vor ihr wünscht ist von ihr geliebt zu werden. Clotilde ist bemüht, dem Gespräch einen Hauch von Zuneigung aufzusetzen. Sie wird ihm gehören, verspricht sie. O süße Worte! Sie ist alles, was sein Herz braucht, um glücklich zu sein. Sonst erbittet er vom Himmel nichts, er braucht nur sie allein. Getrennt von ihr hält ihn nichts auf dieser Erde. Clotilde ist unglücklich und macht sich Vorwürfe. Mir seinen Worten reißt er ihr Herz in Fetzen. Für eine andere Liebe hat sie ihre leidenschaftlichen Gefühle verraten. Diesen Dank gab sie ihm für seine unerschütterliche Ergebenheit. Kein bösartigeres Herz gibt es auf dieser Erde und meint sich selbst. Er hat einen Brief, sagt er und muss gleich wieder weg. Ein edler Lord habe ihn in die City bestellt. Dem Wunsch hat er zu folgen, bevor der Tag anbricht. Clotilde ist erleichtert und kann ihre Freude kaum unterdrücken.
Aber sein Herz wird hier bei ihr bleiben. Ihre Tränen soll sie trocknen und ihr Herz der Freude öffnen. Morgen wird immerwährende Verpflichtung beide Herzen zusammenfügen. Von der aufrichtigen Seele wünscht er nichts als ihre Liebe, damit sein Leben eine Ekstase der Freude wird. Der Altar der Liebe wird das Pochen ihres Herzens zur Ruhe bringen und eine freundliche Macht, stärker als sie selbst, wird vom Himmel herabsteigen, um die irre Flamme in ihr zum Erlöschen bringen. Beide bewegen sich zum Cottage. Sie tritt ein und schließt die Tür.
Dritte Szene
Ernesto wartet auf das Boot, das ihn in die Stadt bringt. Morgen wird er glücklich sein, denkt er, aber da ist eine innere Stimme, die alles in Zweifel zieht. Könnte es möglich sein, dass Clotildes Tränen falsch sind und sie ihn betrügt? Aber nein, Clotilde soll ihm wegen des unwürdigen Verdachts vergeben. Als Waise hat er sie in sein Haus genommen und ihr Leben gelenkt. Sie ist unfähig, ihn zu verraten. Für immer wird er glücklich sein mit ihrer Liebe.
Vierte Szene
Plötzlich erscheint Gualtiero und fordert ihn auf, zu verweilen. Ernesto ist erschrocken, dass jemand das Versteck entdeckt hat, wo er das schöne Waisenkind unter Verschluss hält. Wer ist der Unbekannte? „Jemand, der über ihn wacht“, erhält er zur Antwort. Er hat einen Rat für ihn. Er soll nicht weit weg gehen von diesem Flecken und gut aufpassen, was geschehen wird. Schon ist der Fremde wieder verschwunden, ohne sein geheimnisvolles Verhalten zu erklären.
Fünfte Szene
Vom Fluss her hört man von fern her plötzlich ein Liebeslied erklingen: Wenn du in des Abends Schatten an meiner Seite sitzest, wenn du deine Lippen öffnest, um von den herrlichen Blumen des Frühlings zu singen, trägst du mich fort zu dem Zauber der Liebe unserer ersten Tage. Ah fahre fort, Liebste, fahre fort mit deinem Lied. Singe meine Schöne, singe immerzu, wenn du zu mir von Liebe sprichst! Mit Seufzern und Blicken will ich bereitwillig antworten. Mein Herz scheint wiedergeboren zu sein. Der Himmel öffnet sich. Dein Blick hat eine Pracht, größer als die eines Sternes. Liebe mich für immer, lautet die Aufforderung. Ah liebe mich für immer, denn die Liebe ist die Freude des Lebens! Während des Gesanges öffnet sich ein Fenster des Hauses zuerst einen Spalt und dann Stückchen für Stückchen ein bisschen weiter. Riccardo Fenimoore entsteigt dem Boot, seine einfache Kleidung verrät seine edle Abkunft nicht. Der Ankömmling sieht das erleuchtete Fenster. Sie erwartet ihn zur Freude. Jetzt ist sein Vergnügen komplett. Er erreicht die Tür, klatscht in die Hände und ruft: „Clotilde, meine Liebste!“
Ernesto kommt aus der Richtung, in die er gegangen war. In diesem Moment öffnet sich das Fenster, um dann abrupt wieder geschlossen zu werden. Riccardo steht abwartend an der Tür. Hat sie ihn nicht gehört? Ernesto hat sich dem Unbekannten genähert. Wer mag er wohl sein? Ein wildfremder Mann vor seinem Hauseingang! Welcher Teufel hat ihn hergesandt. Er soll sagen, welches Geschäft er hier zu verrichten hat, den Namen nennen oder er verliert das Leben! Glaubt er wirklich, dass er eine Antwort bekommt, wenn er einfach so leicht daherfragt? Der Narr soll mit seinem Geschwätz aufhören und ihm aus dem Weg gehen. Was hat er vor? Wohin führt ihm sein Schritt? Nun das sieht er doch. Er will in das Haus gehen. Mit welchem Recht? Mit dem Recht der Liebe. Ernesto soll es nicht wagen, sich zwischen ihn und sein Vergnügen zu stellen.
Ernesto ist verwirrt von Fenimoors Worten. Himmel, was hat er da gehört? Kann es die Wahrheit sein? Kann Clotilde so falsch agieren? Was ist, wenn er lügt? Abscheuliche Zweifel füllen sein Herz. Auch Fenimoore schüttelt den Kopf. Niemals hätte er geglaubt auf Erden einen Rivalen zu haben - schon gar nicht einen Mann dieser Gesellschaftsklasse. Gegen ihn dürfte der Narr keine wirkliche Chance haben. Auf beiden Seiten schnellt der Ärger in die Höhe. Ernesto fordert den anderen nochmals auf, zu verschwinden. Dieser gibt sich ebenso verächtlich wie großzügig und zeigt ihm einen Brief, um seine Anwesenheit zu legitimieren. Eine wilde Hand greift zu Ernestos Herz. Es ist tatsächlich Clotildes Handschrift. Riccardo liest in seinen Gesichtszügen und setzt ein spöttisches Lächeln auf. Nun weiß er, dass er nicht lügt. Er gibt ihm herablassend einen Beutel Gold und sagt: Nimm dies und hau ab! Ernesto verliert die Kontrolle über sich und will sich auf den Rivalen stürzen. Doch dieser zieht blitzschnell seinen Degen und zielt mit der Spitze auf seine Brust. Der Elende soll Distanz halten. Beide haben im Dunkeln nicht bemerkt, dass aus Ernestos Gürtel ein Dolch zu Boden gefallen ist. Ernesto sieht sich unbewaffnet, verspürt aber einen brennenden Durst nach Rache. Er möchte das Herz aus der Brust des Rivalen reißen. Einstweilen soll der Himmel Rache an dem Frevler üben. Diesem ist die Lust auf ein Schäferstündchen mit Clotilde vergangen. Er sagt, dass er den Tobenden jetzt verlässt und ihn seinem Leiden und seiner Scham überlässt. Riccardo Fenimoore liegt nämlich nichts daran, dass das Geheimnis seiner Liebe vor der Welt offenbar wird und verschwindet mit seinem Boot über den Fluss.
Sechste Szene
Ernesto fragt sich verzweifelt, wo er sich befinde. Wer hat seine Hand gelähmt und ihn zu einem Elenden reduziert? Der Fremde hat sich nun in Sicherheit gebracht. Sogar sein Name ist ihm unbekannt geblieben. Er schaut in die Börse, sieht die Goldstücke und lässt sie auf den Boden gleiten. Es sind die Zeugen seiner Scham. Er sieht den Dolch, der Riccardo aus dem Gürtel gerutscht ist und steckt ihn ein. Verflucht, die Chance war da, den Rivalen zu erledigen – doch jetzt ist es zu spät.
Siebte Szene
Inzwischen hat Gualtiero sich langsam aus dem Hintergrund der Bühne genähert. Ernesto hat den Dolch gefunden, in dem eine Krone eingraviert ist. Kennt Gualtiero, der sein Desaster prophezeit hat, den Verräter, der diesen Dolch trägt. Der Angesprochene lässt sich den Dolch zeigen und erklärt, dass er den Mann kenne. Was wünscht der Verzweifelte von ihm? Sein Blut, sein Blut gehöre ihm allein. Dann hat er eine schwere Aufgabe vor sich, denn wenn er seine Identität verrät, kann es ihn sein Leben kosten. Ernesto gibt sich furchtlos. Er verabscheue sein Leben, wenn der Angriff auf seine Ehre ungerächt bleibt. Nun, wenn er die erforderliche Courage hat, kann Gualtiero ihm bei der Ausübung seiner Rache behilflich sein. Sterben will er zu seinen Füßen, wenn der Plan gelingt. Der Lordkanzler wird ihn an seine Worte erinnern, er kann sie nicht zurücknehmen. Man wird sehen, wer sein Wort hält! Gut also, Ernesto wird seine Wiedergutmachung über den stolzen Mann bekommen. Das Gefolge tritt aus der Deckung, zeigt Zufriedenheit mit der Entwicklung der Situation und wechselt mit dem Lordkanzler bedeutungsvolle Blicke. Der Himmel soll mit dem Blitz dazwischen fahren, wenn einer der Kontrahenten seinen Eid bricht, singen sie im Chor. Gualtiero hält in der Hand Dolch und Goldbeutel. Beide verschwinden aus dem Blickfeld. Die Vermummten umstellen Ernestos Haus.
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musirony 2007 - Engelbert Hellen