Schöne Oper – selten gehört
Isabella Catolica
Alberto Franchetti (1860-1942)
Cristoforo Colombo
Christofo Colombo
Lyrisches Drama in drei Akten und einem Epilog
Libretto von Luigi Illica
Uraufführung: 6. Oktober 1892 am Teatro Carlo Felice, Genua
Dauer etwa 160min.
Personen
Isabella, Königin von Aragonien - Sopran
Christoph Columbus - Bariton
Don Fernan Guevara, Offizier der Garde - Tenor
Matheos, Kapìtän der Mannschaft - Tenor
Bobadilla, königlicher Gesandter - Bass
Don Roldano Ximenes, ein Ritter und Vertrauensmann des Kardinals Talavera, der Beichtvater der Königin, zudem ein Intrigant - Bass
Marguerite,
Roderigo di Triana, Diaz, Offiziere - Bariton, Bass, Tenor
Anacoana, eine indianische Fürstin - Mezzosopran
Iguamota, ihre Tochter - Sopran
Ein alter Kazike - Bass
Yanika, seine Tochter - Mezzosopran
Hofstaat, Edle, Offiziere, Soldaten, Seeleute, Wachen, Pilger, Indianer, Volk
Salamanca 1487, Amerika 1492 und 1503, Valladolid 1506
Alberto Franchetti
Dokumentation
Label: Koch/Schwann
Einspielung 1992 unter Marcello Viotti mit dem RSO Frankfurt ,
Gesangssolisten: Bruson, Scandiuzzi, Berti, Ombuena, Ragatsu, Pasino u.a.
und dem Ungarischen Rundfunkchor Budapest
INHALT DER OPER
Erster Akt:
Im Jahre 1487, als die Spanier im Zuge ihres grausamen Krieges gegen die maurische Bevölkerung auf der iberischen Halbinsel – der sogenannten Rückeroberung (Reconquista) – die Stadt Málaga erobert und fast die gesamte Bevölkerung in die Sklaverei verkauft hatten, versammelte sich die sogenannte Junta von Salamanca im Kloster von St. Stephan, um das von Kolumbus vorgeschlagene Projekt zu untersuchen, einen Seeweg in Richtung Westen zu erschließen, um auf diese Weise nach China und Indien zu gelangen. Kolumbus ging dabei von der Kugelgestalt der Erde aus, wie sie auch schon der vom Vatikan wohlgelittene Florentiner Gelehrte Toscanelli propagiert hatte. Nur daß Toscanelli sich verrechnet und einen viel zu geringen Erdumfang angenommen hatte, was Kolumbus dazu ermutigte, die Überfahrt zu wagen. (Vorstellungen einer scheibenförmigen Erde fanden sich höchstens im einfachen Volk, hatten aber keinen Einfluß auf die Akzeptanz der Idee einer Westroute nach Ostasien. Wikipedia) Seit zudem die Osmanen im Jahre 1453 Konstantinopel erobert hatten und die Handelsrouten kontrollierten, war man auf der Suche nach einem Seeweg nach Indien und Asien, um den arabischen, persischen, türkischen und venezianischen Zwischenhandel auszuschalten, der Gewürze wie etwa Pfeffer in Europa extrem verteuerte. Den ersehnten Seeweg sollte nur wenige Jahre später Vasco da Gama durch seine Umschiffung des Kaps der Guten Hoffnung (1497) erschließen, was erklärt, weshalb Kolumbus seine anfängliche Popularität als Entdecker sehr schnell wieder verlieren sollte. Wenn der Vorhang des ersten Aktes aufgeht, hält die Junta von Salamanca gerade einen feierlichen und glanzvollen Einzug im Kloster von St. Stephan. Dicht gedrängt auch das Volk, weshalb ein Herr gleich zu Beginn bemerkt: „Vedi come s’affanna e rumoreggia la plebe!“ Man bekommt auch im weiteren zu hören, dass Kolumbus ein Schützling der Königin wäre. Die lärmende Szene erinnert auch ein wenig an das erste Bild von Mussorgskis Boris Godunov (1870). Danach erscheinen drei Pilger – von den Umstehenden recht unschön als „strani personaggi“ bezeichnet – welche eine Ballade anstimmen, voll prophetischer Bilder und Visionen einer neuen Welt jenseits des Meeres. Die Menge scheint davon begeistert: „Eterno sogno dell’infinito.“ Nur der Ritter Roldano Ximenes distanziert sich mit abfälligen Worten von der gemeinen Menge. Er erschreckt die Umstehenden mit den schaurigen Reiseberichten eines unbekannten Seefahrers. Von der Menge verspottet erscheint daraufhin Kolumbus, dessen Projekt die Junta soeben verworfen hat. Als der Spott der Menge am größten ist, und Kolumbus mittels eines zerrissenen Baretts und einem geflickten Mantel zum „König“ (der Narren) gekrönt werden soll, errettet ihn Don Fernan Guevara, ein Offizier der königlichen Garde, aus seiner mißlichen Lage. Kolumbus beklagt sein Schicksal, doch seine Deklamationen wachsender Verzweiflung werden von der Königin unterbrochen, die gerade an einem Altar ihr Gebet verrichtet. Sie zeigt sich beeindruckt von der tiefen Gläubigkeit und dem Enthusiasmus des Kolumbus, und wird seine Fürsprecherin. Zuletzt bietet sie Kolumbus sogar (symbolisch) ihre eigene Krone dar. – Der Expedition steht nun nichts mehr im Wege.
Cristoforo Colombo landet mit der Santa Maria
Zweiter Akt:
Auf dem Admiralsschiff Santa Maria im Jahr 1492. Die orchestralen Naturschilderungen dieses Aktes gehören zu den schönsten Teilen des Werkes. Von dem begleitetenden Schiff Pinta tönen die Gesänge der Seeleute herüber. Man befindet sich schon 36 Tage auf hoher See, und die Mannschaft ist entmutigt. Auch will kein rechter Wind aufkommen. Kolumbus erscheint an Deck, und um seine besorgte Mannschaft zu beruhigen, erzählt er den Matrosen ein Märchen von der unglücklichen Liebe des Seefahrers zum Polarstern, der sich oft und gerne versteckt hält. (Arie: Aman lassù le stelle – ed hanno amori strani) Don Roldano – der Widersacher des Kolumbus –, der sich während der Erzählung des Kolumbus mit einer verächtlichen Geste entfernt hat, kommt zurück und meldet, man habe den Ast eines Baumes aus dem Meer gezogen – das Signal einer nahen Küste? Roldano zeigt sich skeptisch und stellt düster fest, daß ihnen jedes Stück Holz als Sarg dienen könne. Vor den erwachenden Hoffnungen der Mannschaft meint Roldano bloß, er schäme sich, als Mensch geboren worden zu sein. Langsam bricht der Abend herein, der Mond geht auf und glänzt auf dem Meresspiegel, von der Pinta tönen die Rufe der Seeleute herüber, man erwartet eine ruhige Nacht.
Kolumbus ist an Deck geblieben. Er geht unter dem Sternenhimmel seinen Gedanken nach und erliegt für einen Augenblick dem Zweifel. Ist er am Ende in die Irre gefahren? Unmöglich, er ist von seiner göttlichen Sendung überzeugt und wirft alle Bedenken von sich. (Arioso: Dunque ho sognato? ... No! Ti presento nell’aura ... terra de‘ miei pensier ...) Der Mond verschwindet und es breitet sich eine tiefe Dunkelheit aus. Da werden die Schiffsglocken geläutet und drei Dominikaner-Mönche erscheinen; Matrosen, Schiffsjungen, Soldaten und Offiziere versammeln sich an Deck zum obligaten Morgengebet. Während die Mönche ihre lateinischen Formeln herunterbeten, macht Don Roldano die Mannschaft rebellisch und erwägt die Möglichkeit, ihren offensichtlich verrückten Admiral Kolumbus, der sie noch alle ins Verderben führen wird, zu ermorden. Langsam wird es auf der Bühne heller. – „All’onda il Genovese! – Ins Wasser mit dem Genuesen!“ rufen auf einmal die Matrosen und Soldaten, das Gebet ist unterbrochen, die offene Meuterei im Gange. Doch ehe man noch Kolumbus ans Leder gehen kann, ertönt ein Kanonenschuß von der Pinta, und laute Rufe verkünden die Sichtung von Land. Nun sehen es auch die anderen: Eine Küste am Horizont! Der Chor setzt ein: „È la nuova terra che freme all’orizonte!“ (Was natürlich nicht gut sein kann, da man zu diesem Zeitpunkt noch der Meinung war, den Weg nach Indien gefunden zu haben, weshalb die Matrosen kaum von einer „neuen Welt“ gesprochen haben können.) Während es auf der Bühne vollständig hell wird und der Tag anbricht, preisen Kolumbus, dessen Hals auf diese Weise in letzter Minute gerettet wurde, und die Mönche ihren Gott: „Gloria in excelsis Deo“
Dritter Akt:
Dieser Akt schildert eine historisch verbürgte Begebenheit, und zwar die Eroberung des Territoriums von Xaragua auf Haiti durch die Spanier im Jahre 1503, welche unter den dort lebenden Taino-Indios ein furchtbares Blutbad anrichteten.
[Kolumbus, der sich nach seiner dritten Überfahrt im Frühjahr 1496 auf der Insel Haiti oder „La Española“ befand, und sich dort auf seine Rückfahrt nach Spanien vorbereite, schrieb an den aller christlichsten König Ferdinand II. in einem geschäftlichen Brief über seinen Standort: „...von hier aus kann man, im Namen der Heiligen Dreifaltigkeit, alle Sklaven verschicken, die man verkaufen kann, und Brasilholz. Wenn die Information, die ich bekommen habe, sicher ist, sagte man mir, daß man 4000 [Sklaven] verkaufen kann, was selbst bei einem geringen Preis zwanzig Millionen einbringt, und 4000 Quintales [je 46 Kilogramm] Brasilholz, das auch noch ein Übriges wert ist, die Ausgaben wären auf sechs Millionen zu veranschlagen. Also, gut wären 40 Millionen auf einen Schlag, wenn es darauf hinaus läuft. Gewiß erscheinen die Begründungen, die man mir gibt, plausibel, denn in Kastilien, und Portugal, und Aragón, und Italien, und Sizilien, und auf den Inseln von Portugal, auf denen von Aragón, und auf den Kanarischen Inseln verbraucht man viele Sklaven, und ich glaube, daß aus Guinea nicht mehr so viele kommen werden.“ Wer diese Zeilen liest, wird wohl davon abstehen, in Kolumbus weiterhin einen idealistischen Visionär zu sehen.
Nicht bloß, daß man mit Sklaven handelt, man tut es überdies „im Namen der Dreifaltigkeit“!
Während im Jahre 1508 noch rund 60.000 Taino-Indios auf Haiti lebten, hatte sich deren Zahl im Jahr 1531 auf nur noch 600 reduziert!! Die Spanier hatten ganze Arbeit geleistet.]
Der Kazike Caonabo sollte – des Angriffs auf Kolumbus’ erste Siedlung La Navidad im Norden Haitis verdächtigt – auf einem Schiff nach Spanien gebracht werden, war aber 1502 auf der Überfahrt während eines Schiffbruchs ums Leben gekommen. Inzwischen hat Anacoana, auch „Goldene Blume“ genannt, die Schwester des Caonabo, als Kazikin die Regentschaft über Xaragua angetreten. Sie war gefeiert als Komponistin von Balladen und Gedichten, die man areytos nannte. Zuvor hatte sowohl Caonabo als auch seine Schwester Anacoana die Spanier mit großzügigen Geschenken überhäuft, dies aber hatte erst recht die Habgier der spanischen Eroberer entfacht. Xaragua sollte vollständig erobert werden. Wie Bartolomé de las Casas in seiner Kurzen Geschichte der Zerstörung der indischen Inseln beschreibt, verlangte Kolumbus von den Tainos Tribut, der in Nahrungsmitteln und Baumwolle für die spanischen Siedler unter seinem Kommando bestehen sollte. Der Besuch soll in friedlicher Atmosphäre stattgefunden haben. Einige Monate später kam Kolumbus mit einer Karavelle zurück, um einen Teil des ausgehandelten Tributes einzufordern.
Wenn der Vorhang zum dritten Akt aufgeht, befindet man sich bei Xaragua, am Flußlauf zum Heiligen See im Jahre 1503. In der Nähe der Grotte Oaboina, in welcher die Indios ihre Helden begraben. Die Kazikin Anacoana erscheint auf einem Boot aus Bambushölzern. Die Indios bringen ihrer Königin heilige Gesänge dar. (Offenbar soll auch der Kazike Caonabo bestattet werden, der allerdings – wie oben bereits erwähnt – bei einem Schiffbruch den Tod fand.) Doch im ganzen Reich herrscht Trauer. Die Spanier morden und wüten wo sie nur können. Nun erscheint auch Iguamota, die im Textbuch als gemeinsame Tochter von Anacoana und Caonabo geführt wird, weil Caonabo bei Luigi Illica nicht der Bruder, sondern der tote Gatte von Anacoana ist. Darum kann Anacoana auch singen: „Per l’oro io piango sposo ... patria ... tutto! – Um des Goldes willen beweine ich den Gatten ... die Heimat ... alles!“ Anacoana glaubt, mit Hilfe von Don Roldano – der Kolumbus haßt – sich an letzterem rächen zu können. Die Spanier sollen alle sterben. Ein nicht sehr frommer Wunsch, der aber unter den gegebenen Umständen durchaus verständlich erscheint. In weiterer Folge wird ein ritueller Tanz abgehalten. Don Roldano hat sich in Begleitung der Offiziere Marguerite und Diaz ebenfalls eingefunden. Die beiden letzteren wollen Roldano zur Flucht bewegen, denn die Ankunft des Admirals steht bevor, und weil die betrübliche Rolle dieser Herren bei der versuchten Meuterei auf der Santa Maria bekannt ist, haben sie von Kolumbus nichts Gutes zu erwarten. Doch Roldano bleibt gelassen: „Ben venga! ... Io più non tremo!“ Er fürchtet Kolumbus nicht und hat auch einen Trumpf in der Tasche: Einen Brief des königlichen Gesandten Bobadilla, mit dessen Unterstützung er einen Schlag gegen Kolumbus führen will. Diese Nachricht versetzt auch die Kazikin Anacoana in helle Freude. Kurz darauf trifft auch richtig der Admiral Kolumbus in Begleitung von Don Guevara hoch zu Roß ein. „Son giudice severo – Ich bin ein strenger Richter“ sagt Kolumbus und verurteilt Roldano und seine Begleiter dazu, noch am gleichen Abend mit einem Schiff zurück nach Spanien gebracht zu werden – und zwar als Rebellen. Danach entfernt sich der Admiral mit seinem Gefolge, während Don Guevara seine Anordnungen verliest. Kolumbus hat dem Gardeoffizier Guevara nicht vergessen, daß er ihn 1487 in Salamanca vor dem Spott des Volkes gerettet hat, und dieser ist nun Kolumbus‘ engster Vertrauter. Die drei Verurteilten Roldano, Diaz und Marguerite, aber auch Anacoana sind über die Entwicklung der Dinge am Boden zerstört, besitzen in ihrer Verzweiflung aber genug Kaltblütigkeit, um auch noch Don Guevara auf ihre Seite ziehen zu wollen. Dieser will davon nichts wissen: „No ... di Colombo è puro il cor. ... A lui son fido! – Des Kolumbus Herz ist rein ... Ihm bin ich treu!“ Anacoana hat jedoch die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben. Sie ruft mehrere junge Tänzerinnen herbei, welche Don Guevara die Augen verdrehen und gefügig machen sollen. Unter ihnen auch Nanyanka. Diese beginnen sodann zu tanzen und Guevara mit Blumen zu schmücken. Just in diesem Moment nähert sich Iguamota, die Tochter der Kazikin Anacoana. Diese muß mit Schrecken feststellen, dass Don Guevara und ihre Tochter bereits einander kennen, und mehr noch, dass sie einander zu lieben scheinen. Während also Don Guevara und Iguamota ein Liebesduett anstimmen, wird dasselbe von den drei Verschwörern halblaut kommentiert. Sie bezeichnen Iguamota als ein Wunder, und Roldano fragt sich, weshalb Anacoana diese Schönheit so lange verborgen gehalten hat. Dann meint er lachend, das Mädchen wäre wohl blind, um sich ausgerechnet in Don Guevara zu verlieben.
In der folgenden Szene ist es Nacht, eine jener „glänzenden tropischen Nächte“ wie es im Libretto heißt; – „Es glänzt der See, der Himmel; alles ist Glanz um die beiden glücklichen Liebenden, welche sich in versunkener Selbstvergessenheit umarmen.“ Es ist nicht schwer zu erraten, daß es sich bei diesen beiden Liebenden um Iguamota und Don Guevara handelt. Sie haben sich auf der Suche nach einem ungestörten Ort zur Begräbnisstätte der Kaziken zurückgezogen. Dem italienischen Publikum mußte der Librettist Illica natürlich eine richtige Liebesszene bieten. Zwar fällt es Guevara auf, daß sich Roldano unterdessen aus dem Staub gemacht hat, aber im nächsten Moment beginnt er wieder zu schwärmen: „Per te Guevara ha conosciuto l’amore della vita – Durch Dich hat Guevara die Liebe des Lebens kennengelernt.“ Bald darauf will sich Guevara jedoch aufmachen, und nach Xaragua zurückkehren – um seinem Admiral Kolumbus zu beichten, daß die drei Verschwörer aufgrund seiner Unaufmerksamkeit entwichen sind. Iguamota beschwört ihn mit leidenschaftlichen Worten, von seinem Vorhaben abzulassen. Auf einmal bemerken sie die Lichter eines Schiffes, welches sich der Küste nähert. „Es ist Bobadilla, der königliche Gesandte“ ruft Iguamota, und Guevara wundert sich nicht wenig darüber, was Iguamota alles weiß. Mehr will sie ihm jedoch nicht sagen, und beschwört ihn wieder, nicht nach Xaragua zurückzukehren. „Weil ich dort sterben werde? Rede doch!“ will Guevara wissen, und weil Iguamota schweigt, glaubt Guevara die Wahrheit zu kennen, indem er ausruft: „Wir sind verraten!“ Jetzt hört man die Schüsse von Musketen und die Schreie der Soldaten gellen durch die Nacht. Kolumbus und der königliche Gesandte Bobadilla erscheinen mit ihrem Gefolge, auf der anderen Seite nähern sich Roldano, Diaz und Marguerite in Begleitung der Kazikin Anacoana. – „Mutter, verzeih mir!“ ruft Iguamota, und daran erkennt Don Guevara endlich, daß er die Tochter der Kazikin liebt. (Im Textbuch der Uraufführung 1892 treten alle zugleich auf. In der späteren Fassung treten die drei Verschwörer zuerst mit ihren Leuten auf, die sogleich den Tod der Kazikin fordern, während Bobadilla und Kolumbus erst ein wenig später die Szene betreten.) Jedenfalls hat der Intrigant Roldano auf einmal einen „Genieblitz“ ausgeklügelt – „Ich bewege einen Spielstein ... und gebe der Königin Schach, während ich einem Admiral das Licht ausblase“ wie er sich ausdrückt. Zunächst aber flüstert Roldano der Königin ins Ohr: „Du unterstützt mich, dann rette ich dich. ... Bestätige nur alles, wenn ich es Dir sage.“ Danach tritt der Intrigant vor den königlichen Gesandten Bobadilla und beginnt mit falschem Pathos auszurufen: „Gottlob, daß Du gekommen bist!“ – und mit einem Seitenblick auf Kolumbus: „Dies Land, mit spanischem Blut erobert, während jener nach dem Thron schmachtet! ... Diese Erde, für uns ein Grab, während sie jenem zur Herrschaft gereicht! ... Ein Szepter hat er sich erwählt, während er uns den Tod gibt!“ Auf die umstehenden Soldaten scheinen die Worte Roldanos starke Wirkung auszuüben, ein Gemurmel entsteht. Kolumbus ist darüber völlig perplex und will von Bobadilla wissen, warum er nichts dazu zu sagen hat. „Weshalb dieses Schweigen? ... Bin ich denn ein Verräter? Er lügt doch ... er lügt!“ stammelt Kolumbus. Doch Bobadilla steht schon lange in Briefkontakt mit Roldano und teilt dessen Ansichten. Der in die Ecke getriebene Kolumbus fordert nun konkrete Fakten, die ihm der kaltblütige Roldano auch sogleich ins Gesicht schleudert. Also Tatsachen will Kolumbus hören? Wie es dann komme, daß er und andere Offiziere als Rebellen nach Spanien zurückgeschickt werden sollten, während Kolumbus die blutigen Massaker, welche die Indios unter der Führung Anacoanas angeblich an den Spaniern verübt hätten, nicht verurteilt habe? – „Ich klage Dich an!“ ruft Roldano, und fordert die Kazikin Anacoana gleichzeitig auf, seine vorgebrachten Behauptungen zu bestätigen. Weil aber Roldanos Schauergeschichten über die Indios mitnichten der Wahrheit entsprechen, und eine Bestätigung dessen aus ihrem Munde das Todesurteil für ihr ganzes Volk bedeutet hätte, weigert sich Anacoana entschieden, Roldanos Behauptungen zu bezeugen. Denn in Wahrheit waren es ja Roldano und die anderen Spanier, welche unter den Indios schreckliche Massaker angerichtet hatten. Da stürzt sich Roldano auf sie mit den Worten: „Mit den Augen hat sie es bestätigt ... und ihren Zauber werde ich brechen!“ Dann stößt ihr Roldano seinen Dolch ins Herz, die Königin sinkt leblos zu Boden. Mit einem Aufschrei reißt sich Iguamota von Don Guevara los und umklammert den Leichnam ihrer Mutter. Eine schreckliche Stille bricht herein, gefolgt von einem Klagegesang der Indios. „Das ist Deine Liebe! Der grausame Kuß von Deinen Lippen sei verflucht!“ ruft Iguamota nun, die von Don Guevara nichts mehr wissen möchte und um ihre tote Mutter trauert. Der Gesandte Bobadilla überreicht Roldano das Ritterkreuz von Calatrava im Namen von König Ferdinand II. Im selben Augenblick erkennt Kolumbus, daß er verloren ist, wenngleich sich seine Anhänger um ihn versammeln und gegen den Mörder Roldano und die Angreifer ihre Schwerter ziehen. Kolumbus will ein Blutvergießen um seinetwillen vermeiden, und begibt sich freiwillig in Gefangenschaft.
Epilog
Medina del Campo im Jahr 1506.
Die Hauskapelle in der königlichen Residenz, im Hintergrund eine Krypta. Kolumbus und sein Begleiter Don Guevara – an beiden schon sichtbare Zeichen des Alters – treten herein. Guevara hat den Weg durch die Kapelle gewählt, weil von dort aus ein geheimer Weg zu den Gemächern der Königin Isabella führt, die Kolumbus noch einmal aufzusuchen wünscht. Während der gebrochene Kolumbus wieder einmal sein Schicksal beklagt, geht langsam die Sonne auf. Aber nicht einmal der Tagesanbruch kann den gebrochenen Kolumbus begeistern: „Il sol per me non ha più raggi!... Il gelo che il cor m’agghiaccia è il gelo della tomba – Die Sonne hat keine Strahlen mehr für mich ... Das Eis, welches mein Herz umklammert, ist das Eis des Grabes.“ Kurz darauf betreten Mönche die angrenzende Krypta, die vom Kerzenschein erleuchtet wird, und zelebrieren eine Totenmesse. Bauernmädchen bringen Blumen und singen ein trauriges Lied – für die Königin. „Warum weint ihr denn?“ fragt Kolumbus die Mädchen, und erfährt bestürzt, daß Königin Isabella verstorben sei. In diesem Augenblick ist für Kolumbus alles zu Ende, er verfällt in ein Delirium, in rauschhaften Visionen sieht er sein Leben vorbei ziehen – bis er in unzusammenhängenden Sätzen noch einmal seinen alten Ruhm als Admiral und Seefahrer heraufbeschwört. Zuletzt sieht er den Tod – einen grinsenden Mann, an dessen Handgelenken rasselnde Ketten herabhängen. In einem letzten Moment der Klarheit verabschiedet er sich von Guevara, dann beugt er sich über das Grab der Königin und haucht sein Leben aus, während im Orchester das große Thema erklingt, welches im zweiten Akt mit der Entdeckung des neuen Landes einhergegangen ist.
Anmerkung:
An welchem Schauplatz der Epilog eigentlich stattfindet, bleibt letztlich unklar. Kolumbus starb am 20. Mai 1506 – aber in Valladolid. Die Königin Isabella I. starb bereits am 18. Dezember 1504 – und zwar tatsächlich in Medina del Campo, wo sie sich mit ihrem Hofstaat nur vorübergehend aufgehalten hatte, begraben wurde die Königin jedoch gemäß ihrem letzten Willen in der königlichen Kapelle (Capilla Real) von Granada.
Bartolomé de las Casas
Nachtrag:
Das tatsächliche Ende der historischen Anacoana war noch viel schrecklicher. Während eines Festes, das acht lokale Häuptlinge und die Kazikin Anacoana zu Ehren der Spanier gaben, um einen lang geführten Widerstandskampf zu beenden und Friedensgespräche einzuleiten, ließ der spanische Gouverneur und Sklavenhändler Nicolás de Ovando die Indios aus dem Hinterhalt angreifen und das Haus, wo das Fest stattfand, niederbrennen. Die Indios wurden daraufhin brutal niedergemetzelt, Anacoanda wurde im Alter von 29 Jahren am Galgen hingerichtet. Ovando war auch ein erbitterter Gegner von Christoph Kolumbus, und als dieser auf seiner vierten Reise im Jahre 1503 vor Jamaika Schiffbruch erlitt, rührte Ovando keinen Finger, um ihm beizustehen. Der Dominikanermönch Bartolomé de Las Casas verfaßte im Jahre 1552 einen schockierenden Bericht für den Kaiser Karl V. über die brutale Vorgehensweise der spanischen Eroberer in der Neuen Welt mit dem Titel: „Brevísima Relación de la destrucción de las Indias“. Bartolomé de Las Casas führte zeitlebens einen leidenschaftlichen Kampf für die Rechte der Urbevölkerung. Seiner Initiative ist es zu verdanken, daß Karl V. im Jahre 1524 den „Consejo de las Indias“ ins Leben rief, eine Kommission, die sich leider nur allzu theoretisch mit dem Schicksal der unterworfenen Urbevölkerung befaßte, um festzustellen, ob die Ureinwohner des amerikanischen Kontinents als Sklaven oder als Untertanen der spanischen Krone zu betrachten wären. Über diese „Eroberungen“ in der Neuen Welt schrieb Bartolomé de Las Casas: „Wir stellen zur Rechnung, die sehr genau und wahrhaftig ist, daß in den besprochenen vierzig Jahren durch die erwähnten Tyranneien und höllischen Werke der Christen, ungerecht und tyrannisch, mehr als zwölf Millionen Seelen, Männer, Frauen und Kinder, getötet worden sind, und in Wahrheit glaube ich, ohne zu denken, daß ich mich täusche, daß es mehr als fünfzehn Millionen sind. Zwei generelle Arten hatten diejenigen, die dorthin gegangen sind, und die sich Christen nennen, um diese armseligen Nationen auszulöschen und vom Angesicht der Erde hinweg zu tilgen. Die eine, durch ungerechtfertigte, grausame, blutige und tyrannische Kriege. Die andere, nachdem alle diejenigen gestorben waren, die sich nach Freiheit sehnen, denken oder seufzen konnten, oder dem Ungemach zu entfliehen, unter dem sie litten, ... sie zu unterdrücken mit der härtesten, schrecklichsten und rauhsten Knechtschaft, der jemals Menschen oder Tiere unterworfen worden sind. ... Hier fingen die Indios an, um Wege zu suchen, die Christen aus ihrem Land zu werfen: Sie bewaffneten sich, sie, die sehr dünn sind und wenig streitlustig und widerstandsfähig, und wenig resistent. ... Die Christen mit ihren Schwertern und Lanzen veranstalteten Massaker und seltene Grausamkeiten unter ihnen. Sie kamen in ihre Dörfer, sie ließen weder Kinder, noch Greise, noch schwangere Mütter, noch Neugeborene am Leben und schlugen sie in Stücke. Sie warfen das Los, wen von ihnen man mit einem Messerschnitt den Leib öffnete, wem man mit einer Axt den Kopf abschlug oder ihnen die Eingeweide frei legte. Sie nahmen die Säuglinge von der Mutterbrust und schlugen sie mit ihrem Kopf gegen die Felsen. Andere warfen sie in die Flüsse, lachend und spottend. ... Sie errichteten lange Galgen, die Füße beinahe auf der Erde, und jeweils dreizehn von ihnen, zur Ehre von unserem Herrn und seinen zwölf Aposteln, legten sie Brennholz und Feuer darunter, sie verbrannten sie lebendig. Andere wurden in Stroh eingewickelt und so verbrannt. ... Für gewöhnlich töteten sie die Herren und Adeligen in folgender Weise: sie fertigten Bratroste aus Eisenstäben über einer Feuerstelle, an denen man sie festband und ein großes Feuer schürte, damit sie, Schreie von sich gebend, verzweifelt ihre Seelen aushauchten. Einmal habe ich gesehen, wie man vier oder fünf Hauptleute oder Herren auf einem Rost verbrannte ... und weil ihr Geschrei so heftig war, daß sie dem Hauptmann leid taten, oder er nicht schlafen konnte, befahl er, sie zu hängen, und der Feldhüter, der schlimmer war als der Henker, der sie verbrannte, (und ich weiß, wie er sich nennt und lernte sogar seine Verwandten in Sevilla kennen), wollte sie nicht hängen, eher schob er ihnen mit eigenen Händen Holzpflöcke in den Mund, damit sie nicht schreien konnten und schürte ihnen das Feuer, bis sie langsam gebraten wurden, wie er es wollte. Und weil alle Leute, die fliehen konnten, sich in den Bergen verschanzten, ... richteten sie Windhunde ab, sehr scharfe Hunde, die, wenn sie einen Indio sahen, diesen in Stücke rissen, ... und diese Hunde richteten große Zerstörungen und Schlächtereien an. Und weil manchmal, rar und selten, die Indios einige Christen töteten aus gerechtem Grund und heiliger Justiz, machten sie unter einander das Gesetz aus, daß für je einen Christen, den die Indios töteten, die Christen gleich hundert Indios töten müßten.“ Ohne Zweifel stellt die Eroberung Südamerikas durch die spanischen Conquistadoren den größten bekannten Völkermord in der Geschichte der Menschheit dar.
Beitrag von Roman Müller
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