Das Stück hat kein Libretto im herkömmlichen Sinn. Noni verwendet Zeitdokumente revolutionären Inhalts unterschiedlicher Zeiten und Zonen, nimmt Gedichte u. a. von Cesare Pavese, setzt diese in ein Gefüge mit Bezug zueinander und nennt die Collage „Bewusstseinstheater“ Der Avantgardist verwendet Gedankengut von Marx, Brecht, Lenin, Castro und Guevara; die Schauplätze sind Paris, Turin, Russland und Vietnam. Texte in spanisch, aber auch französisch und deutsch verbinden sich zu einem politischen Glaubensbekenntnis des engagierten Italieners.
Die Stuttgarter Staatsoper hat im Jahre 1999 das Stück aufgegriffen und auf das das Sorgfältigste inszeniert und ausgestattet. Das bibliophile Textbüchlein zeigt Szenenbilder von der Aufführung, die auf die großes Engagement der darstellenden Personen schließen lassen. Man fragt sich allerdings, ob die Zeitgeschichte über die Weltanschauung Nonos und seine gescheiterten Ideale, angebunden an eine untergegangene Clique nicht längst ihr abschließendes Urteil gesprochen hat.
Die Musik ist extrem laut und schräg wie die Geschichten, die sie illustrieren soll. Nono verwendet keine rückwärts laufenden Tonbänder in dieser Collage wie ehedem, kommt mit dem klassischen Sinfonie-Orchester spielend zurecht und schöpft alle Klangkombinationen aus.
Zur Beschreibung der musikalischen Wiedergabe reicht der übliche Phrasenkatalog für moderne Musik. Die weiblichen Stimmen behalten in der Stuttgarter Aufführung auch bei außergewöhnlichen Verrenkungen und blitzartigen Höhenflügen ein angenehmes Timbre. Der Chor hat großen Anteil am musikalischen Geschehen. Zagrosek als Dirigent hat mit hypermodernen Werken seine Routine, und kaum Konkurrenz. Hingewiesen sei jedoch noch auf eine viel beachtete Aufführung bei den Salzburger Festspsielen unter dem Dirigenten Ingo Metzmacher.
Aus großer emotionaler Distanz kann man sich nach dem dritten Abhören einer gewissen Faszination nicht verschließen, die sich aber nur auf den Klang, nicht auf die Philosopie bezieht. Luigi Nono gehört weltweit zu den führenden Komponisten der radikalen Moderne. Wer sich ernsthaft mit ihr auseinandersetzen will, kann den Erwähnten nicht ausklammern.
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musirony 2007 - Engelbert Hellen