Schöne Oper – selten gehört
Alberto Franchetti (1860-1942)
Asrael
Legende in vier Akten
italienisch gesungen
Libretto von Ferdinando Fontana
Uraufführung am 11.02.1888 am Teatro Municipale di Reggio nell'Emilia
Charaktere:
Asrael (Tenor)
Nefta – Schwester Clotilde (Sopran)
Loretta (Mezzosopran)
Lidoria von Brabant (Alt)
Der König von Brabant – Luzifer (Bass)
Ein Bauer (Bass)
Ein Herold (Bass)
Dämonen – Seelen der Verdammten – Märtyrer – Patriarchen – Zigeuner – Fischer – Vasallen von Brabant – Ritter – Edelfräulein – Bauern und Bäuerinnen – Soldaten – Dämonen – Seelen der Verdammten – Engel – Cherubine – Seraphine – Heilige – Jungfrauen – Märtyrer – Patriarchen – Zigeuner – Fischer – Vasallen von Brabant – Ritter – Edelfräulein – Nonnen – Soldaten.
HANDLUNG
(Die Verse von Ferdinando Fontana sind dem Libretto vorangestellt, aber von Franchetti nicht vertont worden)
Strophe I.
In höchstem Glanz – göttliche Strahlen,
Im Reich der Liebe – den göttlich Liebenden,
Nefta und Asrael – war der Himmel ihre Heimat.
Oh Zauber – der ätherischen Gärten,
Ihr, an jenem verhängnisvollen Tag
Als Luzifer sich erdreistete
Gegen Gott zu rebellieren, ihr habt sie gesehen
In ihrem weißen Gewande
zusammen über die glücklichen Gefilde streifend.
Gegenstrophe I.
Welche Wolke verdunkelt die Sonne?
Weh, es ist keine Wolke! ... Es ist eine Horde
Von Rebellen gegen Gott; und, durch einen Blitz
Hat er sie verflucht. – „Leb wohl, Nefta, meine Liebe!“
Und die verfluchte Schar zu bekämpfen
Eilte Asrael fort. – Er kämpfte. – Als der Abend kam
War er ein Gefangener der Rebellen.
Strophe II.
„Oh Nefta!“ stöhnte er. – „Nach Nefta fragst Du?
Nach Nefta, der reizenden blonden Engelin?“
Wird er listig im Durcheinander gefragt. –
„Ja, meine Gefährtin!“ – „Welch Dummkopf,
Dort oben wird sie sein! ... Dem Himmel entfloh sie schon,
Die alte Gottheit hat ausgedient;
Die Scharen der Engel
Rebellen oder Gefangene ...
Komm ... Hier unten, in unserem Firmament
Wirst Du Nefta finden ...“
Gegenstrophe II.
Und er schenkte Glauben der furchtbaren Lüge;
Stieg zur Hölle hinab ... und fand Nefta nicht.
Aber die Orgie der Rebellen lockte ihn;
Und in den dreckigen Küssen der Schande
Suchte er seinen Schmerz zu vergessen;
Also verfluchte ihn Gott mit den anderen Rebellen
Zur finsteren Verbannung auf ewig.
Abgesang (Epode)
Oh unaussprechliches Leid! ... Jetzt weint seine Nefta
in ihrem Himmel dort oben um Asrael;
Und Nefta weint, in den höchsten Freuden,
in ihrem Himmel, um Asrael, der in der Hölle ist. –
Wer kann so viel Schmerz tragen,
unter jenem Zorn des strafenden Jehova
die schwere Ewigkeit durchwachend,
wer mag den Sieg davontragen?
Du, Ewigkeit der Hoffnung, oh Liebe!
Vorgeschichte
Asrael und Nefta waren Geliebte unter den Engeln des Himmels. Als Luzifer sich gegen Gott erhoben hatte, und während daraufhin ein Kampf der Engel gegen die Schar der Verdammten entbrannte, war Asrael gefangen genommen und von Luzifer verschleppt worden.
Nefta war auch in der Gefangenschaft stets der einzige Gedanke Asraels gewesen. Als ihm gesagt wird, daß sich Nefta auf der Seite der Rebellen befände, steigt er in die Hölle, um Nefta zu suchen.
Dies war freilich eine Lüge, er findet Nefta auch nicht, und gibt sich stattdessen in Selbstvergessenheit den verruchten Orgien der Verdammten hin.
Er wird daraufhin von Gott auf ewig verdammt. So weint Asrael in der Hölle um Nefta, und diese weint im Paradies um Asrael und betet für seine Erlösung.
Erster Akt:
Erster Teil: In der Hölle
(Eine weitläufige, düster beleuchtete Grotte. Rechts ein Treppenaufgang in den Stein gehauen, der zu einer Öffnung in der Höhe führt, wo ein kleiner Ausschnitt des Himmels sichtbar wird.)
Asrael tritt auf und bezeichnet sich als einen Verdammten unter den Verdammten. – „Unendliche Nacht der glutvollen Inkubi, Inferno, wo die Erinnerungen an die Zeit und an warmherzige Gefühle der Liebe ausgelöscht sind. ...“ Die unterirdischen Dämonen ergehen sich in einem wilden Höllenritt (ridda infernale) und beten Satan als ihren mächtigen Herrscher an. Die unterlegte Verszeile „Pape Satàn, Pape Satàn, Aleppe!“ stammt aus der „Göttlichen Komödie“ von Dante (Inferno, 7. Gesang, Vers 1)
Asrael, angetrieben von Reue, bekommt von Luzifer einen einjährigen Urlaub, um auf die Erde zu gehen, unter der Bedingung, daß er ihm eine vom Himmel geraubte Seele bringt.
Zweiter Teil: Im Himmel
(Ein Amphitheater aus Wolken in weichen Farben, rosa, golden etc. Im Hintergrund führt eine goldene Treppe zu einem azurfarbenen Sternenhimmel.)
Man sieht Engel, Jungfrauen, Heilige, Märtyrer, Kirchenväter, etc. Auf dem oberen Teil der Treppe stehen Cherubine mit silbernen Trompeten. Die Engelschöre beten zur Jungfrau Maria.
Nefta verteidigt den gefallenen Asrael, er wäre zu Anfang nicht unter den Rebellen gewesen.
Da erhält Nefta ihrerseits von der Jungfrau Maria einen einjährigen Urlaub auf der Erde, unter der Bedingung, der Hölle eine Seele zu entreißen.
Die Engelschöre würdigen das Opfer, das Nefta bringen will, und nehmen Abschied.
Zweiter Akt:
In einem Wald nahe des Königsschlosses von Brabant, dessen Türme man von ferne sieht. Den Bauern gegenüber bezeichnet sich Asrael mit dem theologischen Begriff viatore (= Erdenwanderer). Die Bauern erzählen ihm von Lidoria, der Tochter des Königs. Die Tochter des Königs ist verhext, sie ist nicht nur unfähig zur Liebe, sondern kein Mann kann ihren Blick ertragen. Auch die Zigeunerin Loretta tritt mit ihrem Gefolge von Fischern und Fischerinnen auf. Loretta lobt hingegen die verrufene Lidoria, die eben keinen Sklaven zum Mann suche, sondern einen Herrn.
Da erscheint der König mit einem Gefolge von Rittern, Pagen, Knappen, in Begleitung seiner Tochter Lidoria und deren Damen. Der König hat eine hohe Belohnung samt der Hand seiner Tochter für jeden ausgesetzt, der Lidoria unbeschadet in das Gesicht zu blicken vermag, doch von den Kandidaten fällt ein Ritter nach dem anderen, bis Asrael auf den Plan tritt und mit seinem glühenden Blick Lidoria bezwingt, woraufhin der König unverzüglich die Hochzeit der beiden anordnet.
Asrael weigert sich jedoch, Lidoria zu heiraten. Voll Zorn über diesen Affront stürzen sich die Ritter auf Asrael, der sie jedoch durch einen Blitz zu Boden schleudert. In diesem Augenblick erkennt Nefta, die in der sterblichen Hülle einer Schwester Clotilde zur Erde gestiegen ist und als Nonne in einem nahe gelegenen Kloster lebt, ihren geliebten Asrael.
Dritter Akt:
In der Abenddämmerung am Flußufer. Fischer und Fischerinnen sind von ihrem Tagwerk zurückgekehrt und haben ihre Boote am Ufer angelegt. Während sie ihre Netze flicken und anderen Arbeiten nachgehen, singen sie ein Lied. Die Zigeunerin Loretta ist bei ihnen und erzählt ihnen von ihrer Liebe zu Asrael, den sie jedoch nicht unter diesem Namen kennt.
Lidora kommt des Weges und spricht mit Loretta. Dabei erfährt sie, daß sich diese mit Asrael verlobt hat und ihn am Ufer der Schelde treffen werde.
Lidoria ihrerseits verrät Loretta, daß ihr Verlobter in Wahrheit der gefallene Engel Asrael ist, wie sie von Clotilde erfahren hat. Loretta glaubt Lidoria nicht, welche ihr rät, den schlafenden Asrael zu küssen und ihm die Hand aufs Herz zu legen. Wenn sie dann noch eine Phiole, die den Zauberbann löse, über ihn ausgieße, werde sich herausstellen, daß sie die Wahrheit gesagt habe. Loretta befolgt ihren Rat, und Asraels Körper steht mit einem Donnerschlag in Flammen. Entsetzt flieht Loretta, Clotilde kommt Asrael zu Hilfe. Chöre von Engeln und Dämonen ringen um Asraels Seele.
Vierter Akt:
Clotilde hat den todkranken Asrael in ihr Kloster bringen lassen. Schon mehrere Monate weilt Asrael siechend im Kloster und wird von Clotilde, die niemandem sagen darf, wer er ist, gepflegt. Nach Weisung des Himmels kann Asrael nur dann gerettet werden, wenn er wieder betet, wozu ihn Clotilde überreden soll.
Der letzte Tag des Jahres auf der Erde bricht an; schon sieht Asrael vor sich, wie die Dämonen sich zur Schlacht bereiten und hört ihre schrecklichen Chöre. Nefta bringt ihn liebevoll dazu, zu beten, aber er denkt bloß daran, wie er die reine Seele der Nonne als Tribut für Luzifer mit in die Hölle verschleppen könnte.
Nefta bittet ihn, die Worte des Ave Maria zu wiederholen, aber er kann es nicht. Zuletzt triumphiert aber Nefta, und Asrael stimmt mit ein in Neftas himmlischen Gesang, während die Chöre der Dämonen allmählich verblassen, und die Gesänge der himmlischen Heerscharen am Finale der Oper die Szene dominieren. Nefta nimmt wieder die Gestalt eines Engels an und verkündet Asrael, daß Gott ihm verziehen hat.
Beitrag von Roman Müller
Anmerkungen:
Im Koran wird der Engel des Todes ausdrücklich erwähnt. In der traditionellen islamischen Literatur identifiziert man Azrael damit. Seine Funktion besteht, darin die Namen der Neugeborenen, aufzuschreiben und die der Verstorbenen wieder auszustreichen. Das ist lediglich eine Maßnahme und weniger eine Glaubenslehre, sondern durch die Überlieferung so geprägt. Azraels Charakter ist auch nicht bösartig, sondern gutmütig.
Wenn Luzifer als König von Brabant auftritt, verwundert das schon ein wenig. Aber es ist denkbar, dass bei dem ewigen Kampfgetöse in der Hölle sich viel Schwefeldampf entwickelt hat. Der Höllenfürst hatte Sehnsucht nach frischer Seeluft und in Brabant war der Königsthron gerade vakant. (Red. E.H.)
***
2014 musirony - Engelbert Hellen