Schöne Oper – kaum bekannt
(Moreau)
Antoine Mariotte (1875-1944)
Salomé
Lyrische Tragödie in einem Akt und sieben Szenen
französisch gesungen
Libretto vom Komponisten
nach der Vorlage von Oscar Wilde
Uraufführung am Oktober 30. Oktober 1908 in Lyon
Dauer 100min.
Charaktere:
Salomé - Mezzosopran
Hérode - Bass
Hérodias - Mezzosopran
Iokanaan - Bariton
Der junge Syrier - Tenor
Der Page der Hérodias - Mezzosopran
Erster Soldat - Bariton
Zweiter Soldat – Tenor
Das Geschehen spielt zur Zeitenwende in Galiläa
Dokumentation:
LABEL: Accord 2005
CS-Liveeinspielung vom Orchestre National de Montpellier LR unter Friedemann Layer,
Titelpartie: Kate Aldrich
HANDLUNG
VORSPIEL
Erste Szene:
Die Gestaltung der Architektur des Palastes von König Hérode mutet ein wenig seltsam an. Im Strafvollzug warten ausgewählte Deliquenten in einer zweckentfremdeten Zisterne auf dem Hof auf ihre Vollstreckung, dürfen aber nach Belieben den Mund aufmachen. Iokanaan nimmt diesen recht voll, denn trotz seiner misslichen Lage verkündet er lauthals, dass nach ihm einer kommen wird, der noch stärker ist als er selbst und die Wüste frohlocken wird, wenn Lilien erblühen. Die Blinden werden das Tageslicht erblicken und die Ohren der Tauben werden geöffnet sein. Die Aufsicht über die beiden Wächter führt ein junger Syrier, der auf Liebespfaden wandelt und dessen Bewunderung der Prinzessin Salomé gilt, die ihn heute Abend besonders schön dünkt. Der Page der Hérodias möchte das Interesse des attraktiven Hauptmanns auf seine Person umkehren und kritisiert, dass er das Objekt seiner Liebe, die Prinzessin, viel zu oft anschaut. Die beiden mürrischen Soldaten sind sich uneins, ob sie den Wüstenbewohner, der die Zisterne momentan belegt hat, zum Schweigen bringen sollen oder ob es empfehlenswert ist, behutsam zu sein. Möglicherweise ist er ein Prophet, der aus der Wüste kommt und sich von Heuschrecken und wildem Honig ernährt hat. Er hat sich bei der königlichen Familie offenbar unbeliebt gemacht, weil er unglaubliche Sachen von sich gibt.
Vor ihm gab es einen anderen prominenten Gefangenen; das war der Bruder des Tetrarchen. der vormalige Ehemann der Hérodias, welcher zwölf Jahre in der Zisterne durchgehalten hat. Dann wurde es dem Herrscherpaar doch zu dumm und man hat ihn einfach abgemurkst.
Der Page plappert dazwischen, dass die blasse Mondscheibe heute seltsam aussieht. Sie kommt ihm vor wie eine Tote, die aus dem Grab aufsteigt und nach anderen Toten sucht. Die Vorstellungen des jungen Syrers, wie der Mond aussieht, sind ganz anderer Art. Er findet, dass das Himmelsgestirn einer kleinen Prinzessin ähnelt, die einen gelben Schleier trägt, Silberfüße hat und damit lostrippelt.
Im Festsaal wird das Bankett indessen lebhafter, denn man trinkt auf den Kaiser, der sich aber gottlob weit weg in Rom aufhält.
Zweite Szene:
Salomé tritt aus dem Festsaal und erscheint oben auf der Treppe, um sich mit ihrem Fächer nervös Kühlung zuzuleiten. Sie wird nicht bleiben, weil sie es im Festaal nicht länger aushält. Warum schaut der Tetrarch sie unter den zuckenden Lidern mit seinen Maulwurfsaugen immerfort an? Sie geht die Stufen langsam hinunter und freut sich, dass man hier unbeschwert atmen kann. Der junge Syrer – offenbar ist sein Name nicht allgemein geläufig – fragt die Prinzessin, ob sie das Bankett verlassen möchte. Warum muss er überhaupt mit ihr sprechen, und warum sie dauernd anschauen, ärgert sich der Page. Schreckliche Dinge werden noch geschehen!
„Es ist gekommen, der Herr! Der Menschen Sohn ist gekommen! Die Zentauren haben sich in den Flüssen versteckt. Die Sirenen haben die Flüsse verlassen und liegen unter den Blättern im Wald!“ Salomé horcht auf und will wissen, wer solche merkwürdigen Dinge sagt. „Das war der Prophet!“ „Ah, ist das der Mann, vor dem der Tetrarch sich so fürchtet?" bemerkt die Prinzessin. Davon wissen die beiden Wärter nichts und halten sich bedeckt.
Ein Sklave tritt aus dem Festsaal und lässt dem Syrer von Hérode ausrichten, dass Salomé unverzüglich zurückzukehren habe. Die Prinzessin weigert sich, ist aber wissbegierig, ob der Prophet ein alter oder ein junger Mann ist. Aus der Zisterne ertönt es aufs Neue: “Frohlocke nicht, Palästina, wenn der Stock dessen, der dich schlug, zerbrochen wurde. Denn aus der Rasse der Schlangen wird ein Basilisk entstehen und seine Brut wird die Vögel verschlingen!“
Salomé findet die Stimme sonderbar – auch das Gedankengut – und möchte gern ein paar Worte mit dem Gefangenen wechseln. Das sei unmöglich, wird ihr bedeutet, denn der Tetrarch habe es ausdrücklich verboten. Sogar dem Hohepriester hat er untersagt, sich mit ihm abzugeben. Salomé besteht auf ihrem Wunsch und handelt sich erneut eine Ablehnung ein. Der junge Kapitän schaltet sich ein und rät der Prinzessin, dass es ratsamer sei zum Festmahl zurückzukehren. Doch Salomé bleibt eisern und nähert sich dem Rand der Zisterne. Wie dunkel es dort unten ist. Das muss ja furchtbar sein in so einem schwarzen Loch zu hausen. „Habt ihr nicht gehört? Ich will ihn sehen!“ kommandiert sie die Wächter.
„Prinzessin, unser Leben gehört Euch, aber wir können nicht tun, um was Ihr uns bittet. An uns solltet Ihr Euch nicht wenden. Salomé ändert die Taktik und nähert sich dem jungen Kapitän, der langsam zurückweicht. Wo sie doch immer liebenswürdig zu ihm war, wird er ihr den kleinen Gefallen doch tun und den Gegangenen nach oben kommen lassen. Sie will ihn nur anschauen. Sie weiß, dass der Tetrarch sich vor ihm fürchtet! Hat er etwa auch Angst?
Angst habe er keine, aber er fürchtet, dass es unmöglich ist, denn der Tetrarch hat es nun einmal verboten, entgegnet der Provozierte. Doch Salomé weiß sehr wohl, dass er ihre Bitte erfüllen wird und lächelt zuckersüß auf ihn ein. Wenn man sie morgen in ihrer Sänfte über die Brücke der Götzenbildverkäufer trägt, wird sie durch den Musselinschleier ein Lächeln aussenden, welches nur für ihn bestimmt ist, umschmeichelt sie den Kapitän. Ihre Ausdauer hält so lange an bis er schweren Herzens den beiden Wächtern den Befehl gibt, den Propheten heraufzuholen, „weil die Prinzessin Salomé ihn ausdrücklich zu sehen wünscht!“ betont er. Nachdem sie ihren Willen bekommen hat, ist ihr der Verehrer gleichgültig; trotz seines Liebesschmerzes beachtet sie ihn nicht weiter. Unterdessen stellt der Page weitere Betrachtungen an und sieht die Mondscheibe sich in eine Totenhand verwandeln, die sich aus der Gruft reckt.
Dritte Szene:
Reglos steht der Page an der Balustrade und ist in Sorge um seinen Freund, der offensichtlich in einen Liebestraum verstrickt ist. Salomé zittert vor Aufregung und läuft um die Zisterne herum und wartet auf Iokanaans Erscheinen. Endlich taucht der Kopf des Propheten auf. Die Anwesenden sind diesem viel zu unwichtig, um sie eines Blickes zu würdigen. Vielmehr spricht er von einem gefüllten Sündenbecher und von Bildern gemalter chaldäischer Männer, von denen die gierigen Blicke ihrer Augen sich verführen ließ. Von wem er spricht, will Salomé wissen. „Das weiß man nie so genau“ bekommt sie zur Antwort. Bestimmt verleumdet er wieder ihre Mutter! Der junge Syrer beeilt sich, diesen Tatbestand zu bestreiten. Doch Iokanaan gibt Weisung, sie möge aufkreuzen, um die Worte desjenigen zu vernehmen, der den Weg des Herrn vorbereitet. Die Geißel habe er dabei.
Salomé findet diese Aussage schrecklich und der Kapitän der Garde will die Prinzessin bewegen, nicht länger zu verweilen. Sie entsetzt sich darüber, wie schrecklich seine Augen sind – so schrecklich wie die schwarzen Löcher, welche Fackeln auf einem Wandteppich von Tyrus hinterlassen haben, den sie gesehen hat. Wie schwarze von fantastischen Monden aufgewühlte Seen seien sie. Sein Körper, der wie feines Elfenbein auf sie wirkt, muss kühl und keusch sein. Sie will ihn sich näher ansehen. „Nein, nein“schreit der Syrer auf. Sie möge nicht hier bleiben! Salomé schiebt ihn einfach beiseite und näher sich neugierig und mit feurigen Blicken dem Propheten. Der Syrer ist äußerst erregt und bekommt endlich mit, auf was er sich eingelassen hat.
Iokanaan will wissen, wer das Weib ist, das ihn anblickt und die Näherkommende stellt sich vor: „Ich bin Salomé, die Tochter der Hérodias, Prinzessin von Judäa!“ Mit dem Ausbruch von Hass, der sich nun über sie ergießt, hat sie nicht gerechnet. „Zurück Tochter Babylos! Komm dem Erwählten des Herrn nicht zu nahe. Deine Mutter tränkte die Erde mit dem Wein ihrer Schandtaten und der Schrei ihrer Sünden erreichte die Ohren Gottes.“ Salomé nimmt es humorvoll. Er solle weiter sprechen, seine Stimme berausche sie. Er solle ihr sagen, was sie tun soll. Die Tochter Sodoms soll ihr Gesicht verschleiern und sich Asche aufs Haupt streuen, antwortet der Prophet, aber auf keinen Fall ihm näher kommen. Danach soll sie sich in die Wüste begeben und nach des Menschen Sohn suchen. Wer ist das und sieht er auch so faszinierend aus wie er? Sie soll endlich verschwinden, denn im Palast hat er bereits den Flügelschlag des Todesengels vernommen!
Der junge Kapitän befindet sich sich in höchsten Nöten und ist sich der Brisanz seiner Lage nun bewusst. Rhetorisch der Situation gewachsen, geht Salomé nun in die Offensive.
„Iokanaan! Iokanaan! Ich bin in Deinen Leib verliebt.
Dein Leib ist weiß wie die Lilie eines Feldes, das der Schnitter
nie schnitt. Dein Leib ist weiß wie der Schnee
auf den Bergen Judäas. Er ist weißer als der Mond,
wenn er sich auf den Busen des Meeres legt.
Nichts auf der Welt ist weißer als Dein Leib.
Lass mich Deinen Leib berühren!“
Salomé hat offenbar eine Affinität für die Farbe weiß, die daher kommt, dass der Gefangene seine Tage in Dunkelhaft verbracht hat. Offensichtlich hat Iokanaan eine Aversion gegen Frauen, denn er behauptet, dass das Böse durch das Weib in die Welt kam. Er will ihr auch nicht länger zuhören, denn er hört nur auf die Worte seines Herrn. Alles lässt sich die Prinzessin auch nicht gefallen, ihre Phrasen sind unqualifiziert und sie geht zum Gegenangriff über. In Wirklichkeit sei sein Leib hässlich und von Lepra zerfressen. Sie finde ihn abscheulich. Aber in sein Haar sei sie verliebt. Es sei so schwarz wie die Trauben, die an den Rebstöcken Idumäas hängen. Ja, die Trauben seien so schwarz wie die langen Nächte, in denen der Mond sich nicht zeigt. Nichts ist schwärzer als sein Haar. Sie möchte es gern einmal berühren! Iokanaan lässt sie nicht an sich herankommen und verweist darauf, dass der Tempel des Herrn nicht profaniert werden darf. Ganz schön eingebildet!
Was sie vorher lobte wird nun schlecht gemacht. Sein Haar sei schlammig und staubig. Es lege sich wie ein Schlangennest um seinen Hals. Nun kommt die Prinzessin auf seinen Mund zu sprechen. Er sei wie eine purpurne Linie auf einem Elfenbeinturm und schmecke vermutlich so herzhaft wie ein Granatapfel. Lange Rede – kurzer Sinn! Er solle ihr erlauben, ihn zu küssen. Niemals wird er das der Tochter Sodoms und Babylons erlauben!
Der junge Gardekapitän bittet Salomé auf ihren Wortschatz zu achten, sich den Mann einmal näher anzuschauen und ihn mit seiner Attraktivität zu vergleichen. Er kann den Dialog der beiden nicht länger ertragen und stürzt sich in sein Schwert. Sein Körper fällt zwischen Salomé und den Propheten. Die Prinzessin lässt es kalt und sie besteht weiterhin auf ihren Kuss. „Wird Dir nicht bange, Tochter der Hérodias? Habe ich Euch nicht erzählt, dass der Todesengel bereits im Palast herumschwirrt?“ „Ich will Deinen Mund küssen“ Salomé lässt sich von ihrer Idee nicht abbringen!
Der Prophet redet begütigend auf sie ein: „Tochter der Sünde, es gibt nur einen der dich retten kann. Ich habe Dir schon von ihm erzählt! Marschiere los und suche ihn! Er schaukelt auf einem Boot auf dem See von Galiläa und redet dort zu seinen Jüngern. Knie am Seeufer nieder und rufe ihn beim Namen! Wahrscheinlich kommt er und dann. Bettet Euch zu seinen Füßen und bittet um Vergebung Eurer Sünden.
Salomé hat sich sich keine Mühe gegeben zuzuhören. Sie hat nur ihren Spruch vorrätig, nämlich dass sie seinen Mund küssen will. „Die Tochter einer blutschänderischen Mutter soll verflucht sein!“
Der Page der Hérodias beklagt den Tod seines Freundes. Die Wächter beratschlagen, den Leichnam zu verstecken und beruhigen sich selbst. Hérodes habe viel zu viel Angst, um seine Nachforschungen bis an den Rand der Zisterne auszudehnen, denken sie.
Vierte Szene:
Wo ist Salomé? Warum ist sie nicht zum Bankett zurückgekehrt? Hérode steht oben auf der Treppe und fordert die Prinzessin auf, in den Festsaal zurückzukommen. Herodias sieht ihn vorwurfsvoll an. Gut, die Diener sollen Teppiche ausbreiten, Fackeln anzünden und dekorieren. Er wird seine Gäste auf der Terrasse bewirten, weil die Abendluft hier angenehmer ist. Cäsars Botschaftern muss man Ehre erweisen! Das Inventar aus dem Festsaal wird herangeschleppt und die Menschen strömen nach. Hérode schwankt vom Weingenuss benebelt und rutscht aus. Wo kommt das Blut her und wer ist der Tote? Die Wächter kommen aus der Deckung und erklären, dass es ihr Kapitän sei. Hérode habe keinen Befehl gegeben, ihn zu töten. Er habe sich selbst getötet, bekommt er zur Antwort. Das kommt ihm seltsam vor, dass sich der Syrer selbst getötet hat. Er war sehr schön und hatte sehr verliebte Augen, erinnert sich der Tetrarch und nimmt den Blickkontakt zu seiner Stieftochter auf. Was macht die Leiche hier; er will sie nicht mehr sehen. Die Leiche wird abtransportiert. Herodes hört Flügelrauschen, wie nur ein gewaltiger Vogel es verursachen kann. Hérodias hat nichts gehört. Dann war es wohl der Wind! Aber es weht doch gar kein Wind!
Herodes lässt dich von seiner Gattin nicht aus dem Konzept bringen, winkt Salomé heran und fordert sie auf, aus seinem Becher zu trinken. Sie habe keinen Durst, erklärt sie widerspentstig. Dann soll sie ein Stück von der Banane abbeißen. Hungrig ist sie auch nicht!
Die Stimme Iokanaans ertönt aus der Zisterne. Die Zeit sei gekommen, wie er es vorausgedacht hat. An diesem Tage wird die Sonne schwarz sein wie ein Grabloch. Der Mond wird blutrot und die Sterne werden vom Himmel fallen wie unreife Feigen vom Feigenbaum. Die Könige der Erde werden zittern. Hérodias befiehlt, dass man den Propheten zum Schweigen bringt, denn er rede wie ein Betrunkener. Aber nein, es könnte ein Prophezeiung sein, wendet Hérode ein. Hérodias glaubt nicht an Prophezeiungen. Sie denkt eher, dass er Angst vor ihm hat. Vor Niemandem hat er Angst. Wenn das so ist, warum liefert er ihn nicht den Juden aus, die ihn seit sechs Monaten fordern?
Schluss mit der mit der dümmlichen Konversation. Der Tetrarch bittet Salomé, dass sie für ihn tanze. Sie hat aber keine Lust. Hérode wird nachdrücklicher und bittet „Salomé, Tochter der Hérodias tanze für mich!“ Sie weigert sich erneut, obwohl er ihr alles geben wird, was sie von ihm verlangt! Er schwört es und verspricht ihr die Hälfte seines Königreichs. Sie wird eine schöne Königin sei.
Salomé lässt sich umstimmen und wird barfuß tanzen. Das ist gut. Auf dem Boden ist noch Blut. Sie wartet darauf, dass man ihr die sieben Schleier bringt und sie Sklaven sie von ihren Sandalen befreien. Eine Wolke ist vor den Mond getreten und dieser hat sich blutrot verfärbt.
Iokanaan meldet sich aus der Zisterne wieder zu Wort, dass der Engel des Herrn den Gotteslästerer niederschmettern wird. Seine Begierde auf Salomé ist jedoch stärker als seine Angst. Er schlägt vor, wieder hineinzugehen, weil er nicht will, dass die Stimme dieses Mannes immer dazwischen schreit. Der Mond hat alles in einen blutroten Widerschein getaucht. „Dansez Salomé, danses pour moi.“ „Je suis prête, tetrarque!“ Salomé ist bereit.
Fünfte Szene:
TANZ DER SIEBEN SCHLEIER
Iokanaan lässt sich vernehmen, dass eine Menschenmenge Steine nach der schamlosen Dirne mit den Goldaugen werfen soll. Die Krieger sollen sie mit ihren Schwertern durchbohren oder mit ihren Schilden zerdrücken!
Sechste Szene:
Hérode schmeichelt, dass sie das schönste Mädchen von Judäa sei. Salomé soll sich seinem Thron nähern und ihm zuflüstern, welche Belohnung sie sich wünscht. In einer Silberschüssel soll man ihr sogleich den Kopf des Iokanaan bringen. Das hat sie gut gesprochen – Hérodias ist erfreut, aber Hérode schreckt zurück. Sie soll sich etwas anderes wünschen, doch Salomé wiederholt ihren Wunsch und erinnert ihn daran, dass er einen Eid geschworen habe. Er weiß es, aber sie möge ihn von seinem Eid entbinden und nicht Unmögliches von ihm verlangen. Vielleicht ist der Gefangene ein Mann, der von Gott gesandt ist. Er legte furchtbare Worte in seinen Mund und ist immer bei ihm, um ihn zu beschützen. Sollte er sterben, käme vielleicht ein furchtbares Unheil über ihn. Sie möchte doch gewiss nicht, dass ihm etwas zustößt. Er besitzt schöne Juwelen, die er ihr alle geben will, sogar den Vorhang vom Allerheiligsten stellt er zur Diskussion, wenn sie von ihrem unsinnigen Wunsch ablässt. Salomé bleibt stur. „Man soll ihr geben, was sie verlangt“, sind des Vierfürsten letzte Worte. Geschickt zieht Hérodias dem Betrunkenen den Todesring vom Finger und übermittelt ihm den Henker. Salomé sperrt ihre Lauscher auf, um den Todesstreich des Henkers mitzubekommen. Folgerichtig erhebt sich bald ein schwarz behaarter Arm über den Rand der Zisterne und balanciert ein blutiges Haupt auf einem Tablett. Die Nazarener beginnen zu beten und Hérode versteckt sein Gesicht unter seinem Mantel. Der Mond zieht sich ebenfalls vorübergehend zurück.
Siebte Szene:
Salomé setzt mit Oskar Wildes berühmten Monolog ein und freut sich, dass sie nun befähigt sein wird, ihrem Lustobjekt den Mund zu küssen. Er hat sie schlecht behandelt und nun steht ihr der Sinn danach, ihn den Hunden vorzuwerfen oder den Vögeln um Fraß anzubieten, ändert aber ihre Meinung. Er war ein schöner Mann, sein Leib kam ihr wie Elfenbein vor, sei Haar war tiefschwarz und seine Lippen blutrot. Kein Mann war ihr begehrenswerter als er. Sie war noch Jungfrau, aber er hat sie trotzdem verschmäht. Keine Ahnung hatte er davon, dass das Geheimnis der Liebe größer ist, als das Geheimnis des Todes, denn dann hätte er sich anders entschieden.
Manassah, Issachar und Ozias sollen die Fackeln löschen, damit die Zuschauer den Zirkus nicht mitbekommen, den seine Stieftochter im Begriff ist, anzustellen. Salomé posaunt aus: „Ah, ich habe deinen Mund geküsst Iokanaan!“ Es war ein bitterer Geschmack auf seinen Lippen. War es der Geschmack von Blut? Oder war es der Geschmack von Liebe. Mag sein, dass die Liebe bitter schmeckt. Doch was tut es. Jetzt ist ihr alles egal! Hérode zieht seine Mundwinkel nach unten und befiehlt „Tuez cette femme! – Tötet dieses Weib!" Die Leibwache macht kurzen Prozess.
Anmerkung:
Drei Jahre nach der Uraufführung der Strauss-Oper zog Antoine Mariotte mit einem eigenen Entwurf und dem Text von Oskar Wilde nach. Richard Strauss verdross es und wertete den Versuch als Ärgernis, aber den Prozess gegen Mariotte konnte er nicht gewinnen. Man raufte sich zu einem Vergleich zusammen, der Mariotte zugestand, sein Werk ebenfalls aufführen zu dürfen. Es ist nicht das erste Mal. dass Komponisten aus dem gleichen oder abgewandelten Libretto eines Textdichters schöpften.
Schlecht ist Mariottes Vertonung nicht, sondern nur ganz anders, aber die zündende Kraft seines Vorgängers konnte er nicht entwickeln und sein Ruhm hielt sich auch nicht. In der französischen Rückübersetzung findet die Strauss-Oper in Frankreich ebenfalls Anklang.
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2012 musirony – Engelbert Hellen