Schöne Oper – selten gehört
Marin Marais [1656-1728]
Alcyone
Lyrische Tragödie in fünf Akten und einem Prolog
französisch gesungen
Libretto von Antoine Houdar de la Motte, nach den Metamorphosen des Ovid (11. Buch)
Uraufführung am 18. Februar 1706, Paris, Grand Opéra
Dauer: etwa 154.min
Charaktere:
Alcyone, Gemahlin des Ceix – Sopran
Ceix, König von Trachinien – Tenor
Pelée (Peleus), sein Rivale um Alcyone – Bariton
Phorbas, Magier – Bassbariton
Ismene, seine Gefährtin
Le Grand Prêtre
Priesterin der Juno
Cephise, Dienerin Alcyones
Doris, Dienerin Alcyones
Morpheus, Gott des Schlafes und der Träume
Phosphore, Vater des Ceix
Neptun, Meeresgott
eine Schäferin
Matrosen
eine Matrosenbraut
und weitere
Marin Marais
Dokumentation:
LABEL: MF Erato
Einspielung 1990
Le Musicien du Louvre unter Marc Minkowski
Gesangssolisten:
Jenniver Smith – Gilles Ragon – Philipp Huttenlocher –
Vincent le Texier – Sophie Boulin – Bernard Delettre – Jean-Paul Fouchecourt
HANDLUNG
PROLOG
Gemäß den Gepflogenheiten der Barockoper gibt es im Vorspann ein wenig Geplänkel, welches aber mit der eigentlichen Handlung nichts zu tun hat und sich in allgemeinen mythologischen Betrachtungen erschöpft. Apollo verteidigt den Frieden, und Pan verherrlicht den Krieg. Im Hintergrund steht eine Anspielung auf den spanischen Erbfolgekrieg, der nun schon ein paar Jahre tobt. König Ludwig der XIV. möchte dem Universum eine holde Zeit der Liebe und des Glücks bescheren und hat bei dem Unterfangen Apollo, den Gott der Künste als Paten auf seiner Seite. Auch müssen zuerst die tobenden Fluten gebändigt werden, damit auf dem Meer wieder Ruhe einkehrt.
Eine Hirtin verkündet, dass der holde Frühling niemals ohne Blumen erscheint und der sanfte Friede kommt niemals ohne Liebe. Wie viele zarte Neigung wird an diesem schönen Tag erblühen! Der Friede und die Liebe verleihen eins dem anderen tausend Reize.
Erster Akt:
1
Peleus ist totunglücklich, denn die Frau, die er begehrt, ist im Begriff, sich mit seinem Freund Ceix, dem König von Trachinien zu vermählen. Der Hochzeitszug formatiert sich und der schreckliche Augenblick rückt näher, wo Alcyone seinem glücklicheren Rivalen seinen innigen Wunsch erfüllen wird. Phorbas, dessen Ahnen vormals das Land beherrschten, hat sich an seine Fersen geheftet und will die verhasste Ehe verhindern. Die Hölle wird ihnen beistehen, dass dem Paar der schönste Tag ihres Lebens verdorben wird.
Peleus kann seinen destruktiven Empfindungen nicht freien Lauf lassen, denn Gefühle der Dankbarkeit binden ihn an König Ceix und er dreht sich verbal gegen den Versucher:
„Genug, Du weißt was ich dem König schuldig bin.
Verbannt aus meinem Land, befleckt vom Bruderblut,
bis auf den Tod gehasst von einer Mutter.
Er selber schütze ihn mich vor ihrer Rache Wut.
Sein Hof war meine einzige Zuflucht;
und Alcyone wird sich ihm verbinden.
Ihr Götter! Kann ich sie mit ruhigem Herzen sehen?
Ruhm, Tugend und Vernunft, das alles half mir nichts.
Verdrängte Liebe wird erst recht zur Höllenpein.
Ein Unhold, den das Meer aussspie,
verwehrt den Bund, der meinen Neid erregt.
Und dieses Volk wäre heute noch sein Opfer,
hätte ich ihn nicht erschlagen.“
Phorbas, der Magie kundig, schlägt vor, das Ungeheuer neu zu beleben, damit es die hassenswerten Bande löst.
Peleus wehrt sich gegen den Vorschlag. Er will ihn nicht noch schuldiger werden und er soll ihn sterben lassen, damit das Paar glücklich werde. Mag sich sein eigenes Herz im Feuer verzehren. Weshalb sollte er den heiligen Bund, den er fürchtet, verhindern. Er bedauert sich selbst. Sein Herz ist zerrissen, denn es hegt tausend Wünsche und einer ist des anderen Feind. Welch großes Leid hat das Schicksal ihm beschieden!
Genug jetzt der vergossenen Tränen! Vergebens wehrt er sich in langem inneren Kampf. Bei Ismene, einer Berufskollegin, wird Phorbas sich für ihn einsetzen. Durch zauberkräftigen Trunk wird sie erreichen, dass die Liebe über seine Tugend siegt.
2
Liebt euch, und nichts soll euch betrüben! Wie hold die Liebesglut und wie sanft die Fesseln sind. Amor überschüttet euch mit Gunst. Seid nun beglückte Gatten. Alcyone und Ceix bedanken sich für die Wünsche der Hochzeitsgesellschaft.
Ceix wendet sich an Peleus, denn er weiß nicht, wie es in seinem Innern aussieht. Er soll das selige Entzücken, welches ihm allein auf dieser Erde teuer ist, mit ihm teilen. Zu seinem Glück fehlt ihm jetzt nichts mehr; seine Augen sind Zeugen. Könnte er ihn doch auch glücklich sehen, glücklicher als ihn selbst.
Peleus fragt zurück, ob es denn ein schöneres Los gebe. Alcyone liebe ihn. Ja, in heller Liebe ist sein Herz entflammt und er ist beglückt, zu brennen in der Glut, die sie entfacht. Peleus seufzt. Vergiss das Unglück und nimm teil an unserer Freude, raten Alcyone und Ceix.
3
Der Hoherpriester nähert sich und beginnt mit der Zeremonie. Das Brautpaar soll herantreten und im Namen der Unsterblichen einer dem anderen Treue schwören. Beide wissen, dass Meineid strafbar ist und beten zitterndie Allmacht der Götter an, die zuckende Blitze in den Händen halten.
Offenbar widersetzt sich der Himmel dem Ehebund, denn plötzlich ist die Hölle los.
„Was für ein Lärm! Welch fürchterliches Krachen!
Der Himmel ist entflammt, der Donner grollt!
Ein schauerlicher Abgrund tut sich vor uns auf!
Die Hölle zornentbrannt, bricht aus der Erde Schoß hervor.“
Furien steigen aus der Tiefe und reißen im Flug den Priestern sie Hochzeitsfackeln aus der Hand und entzünden den Palast. Der Chor hat keine Erklärung für die Katastrophe, er flieht vor dem Zorn der Götter, der sich offenbart.
Zweiter Akt:
1
Phorbas lebt in Wohngemeinschaft mit Ismene in einer Höhle an einem einsamen Ort. Ihr Seherblick hat ihnen verraten, dass Ceix bald hier auftauchen wird, weil er glaubt, dass der Himmel ihm sein Glück neide. Von ihrem Künsten möchte er profitieren, und wissen ob sein Los nicht gemildert werden kann. Phorbas nimmt eine feindliche Haltung an. Aus Bosheit will er alles tun, um ihn gänzlich zu verwirren. Peleus müssen sie dienen und den Fürsten hassen, der regiert, wo einst seine Ahnen herrschten.
2
Ceix klagt, dass sein Schmerz größer ist, wie seine Hoffnung süß war. In ein Übermaß an Hoffnungslosigkeit haben ihn die Götter gestürzt, exakt in dem Augenblick, als ein geliebtes Weib ihn selig machen wollte. Er weiß, dass die beiden Einsiedler ihm sein Glück neiden. Der ungerechte Himmel lässt ihn seine übermäßige Strenge fühlen. Sie mögen ihm nun helfen, die Hölle zu befragen, wie lange dieser Zustand anhalten soll. Oder gefällt es ihnen, ihn in seinem Schmerz zu sehen und ihn seiner Qual zu überlassen.
Warum verzichtet er nicht einfach auf Alcyone? Der Himmel verwehrt sie ihm. Wozu dem Ratschluss der Götter trotzen? Ismene hat gut reden! Kein Gott kann ihm die Hoffnung rauben, entgegnet Ceix. Jeden Augenblick fühlt er, wie die Liebe in ihm wächst. Wenn es den Göttern nicht gefällt, so nimmt er sich heraus, sie zu schmähen.
Ismene tröstet ihn, dass es viele schöne Frauen gibt, die seiner Neigung wert sind. Er soll die Tochter des Äolos vergessen, auch wenn es ihn Tränen kostet. Sie nicht mehr zu lieben, ist ihm bitterer als das Leid, welches er erduldet. Ceix wird misstrauisch. Weshalb widersetzen die Grausamen sich so lange, wollen sie ihn etwa verraten?
Gut, wenn er es nicht anders will, werden sie gehorchen, bei ihnen liegt sie Macht, sich die Unterwelt gefügig zu machen, protzt Phorbas. Sie sollen herauskommen aus ihren finsteren Höhlen und mit ihrem Höllenzauber wirksam werden. Den Ruf ihres Herrn und Meisters sollen sie vernehmen und sich gefälligst sputen, ihre Macht vorzuführen.
3
Die Dämonen der Unterwelt werden sich anstrengen, das Schicksal des Königs herauszufinden. Phorbas gedenkt die Mächtigen zu bewegen, ihr Geheimnis auszuplaudern. Das Risiko, dass Trug- und Gaukelbilder ihre Sinne verwirren, gehen sie ein. Sie wollen, dass die Götter der Unterwelt, sich in Person zeigen.
Die Szene verwandelt sich in ein Abbild der Hölle. Pluto und Prosperina erscheinen, Parzen gesellen sich hinzu. Die Magier beginnen ihren Höllenzauber. Die erhabene Tochter und der allgegenwärtige Herrscher sollen dem Totennachen, der ihnen beständig neue Untertanen bringt, entsteigen, und die fürchterlichen Götter ihren Bitten ein geneigtes Ohr leihen.
Ismene ergreift das Wort: „Gestrenge Priesterinnen, mächtige Parzen, grauenvolle Schwestern, die ihr Leben und Tod in Euren Händen haltet. Erhört uns fürchterliche Götter, leiht unseren Bitten ein geneigtes Ohr. Ihr grausigen Gewässer, deren schwarze Flut jedwede Rückkehr aus dem Totenreich verwehrt und an deren Ufern klagende Schatten in ewiger Finsternis herumirren, seid unseren Bitten zugetan“
Damit der Totengott gnädig gestimmt wird, soll der Opernchor ihm ein Loblied singen, rät Phorbas. Sein fürchterlicher Name sei allseits gepriesen. Zittert ihr Sterblichen vor seiner höchsten Macht und fürchtet und ehrt ihn mehr als Jupiter.
Phorbas befindet sich in höchster Erregung. Gewaltig reißt es ihn mit allen Sinnen fort. Er fordert Ceix auf, der Priester heilige Ekstase zu achten. Die Zukunft zeigt sich seinem überraschten Blick. Das Schicksal tut ihm sein Geheimnis kund.
Was sieht er? Wo ist er? Ah, welch grässliches Geschrei? Der Magier wendet sich an Ceix: „Unglücklicher, verlieren wirst Du, was Du liebst. Unbeugsam, grausam sind die Parzen! Wohin reißt Dich die Liebe? Bleib, Du bist des Todes!“
Was hört Ceix da? Phorbas rät ihm, zu versuchen in dem geheiligten Ort Claros Hilfe zu finden. Noch kann Apollo sich dem Schicksal widersetzen. Nur er kann ihm die Seelenruhe wiedergeben. Oh weh! Der Allmächtige möge die Prinzessin, die Geliebte, retten. Er soll sich nach Claros aufmachen und für sie und sich selbst bitten.
Phorbas flüstert Ismene zu, dass er sein Los sah. Sobald er sich entfernt, beschleunigt er das Unglück, das er wenden will.
Dritter Akt:
1
Phorbas macht Peleus Hoffnung, dass sich ihm die Liebe gefällig zeigen wird. Der Rivale, der ihr Herz besitzt, wurde entfernt. Alcyone wird sich ihm nun geneigt finden.
So ohne weiteres glaubt Peleus ihm seine Sprüche nicht, denn fern von ihm wird sie Ceix doppelt lieben. Nicht die Entfernung des Rivalen tröstet ihn, denn sein Los wird dadurch nicht beneidenswerter. Der Kummer des Rivalen bedrückt ihn. Er kann nicht zugleich glücklich und schuldig sein. Nein, wen Gewissensqualen peinigen, erfreut sich nicht der Gunst des Liebesgottes.
2
Peleus ist in Gedanken versunken: Das Meer, welches mit tückisch falscher Glätte, die Menschen auf die trügerischen Wellen lockt, täuscht den Ärmsten und spiegelt Sanftmut vor. Doch tausend Tode lauern in blinder Wut unter seiner Oberfläche.
Mit allzu süßer Hoffnung und trügerischen Freuden lockt uns auch die Liebe, doch bald schon folgt Trübsinn und Gewitter auf all die Hoffnung, die sich unser Herz gemacht hat, argwöhnt Peleus
3
Im Hafen von Trachinien liegt das Schiff, das Ceix nach Claros bringen soll, zur Abfahrt bereit. Die Matrosenschar, die Ceix zum Tempel auf der Insel Claros begleiten, kommt mit Opfergaben, um nach feierlichem Brauch den Meeresgott um Beistand anzuflehen.
Der sanfte Zephir möge dem Wasserspiegel Ruhe verordnen. Äolos soll die Schreckgespenster der Lüfte in seinen Höhlen gefesselt halten. Sie fordern den Gott auf, welcher den Dreizack in seinen starken Händen hält, nun die günstigen Winde des Meeres Stille zu beeinflussen. Um den Erfordernissen der Barockoper zu genügen, verstehen die Matrosen neben ihrer beruflichen Arbeit auch das Tanzbein zu schwingen.
„Unglücklich Liebende,
wie viele Klippen ihr umschiffen müsst:
Verzweiflung ist die größte der Gefahren.
Wenn auch die Stürme wüten,
die Liebe glättet alle Wogen.
Wer ihre Macht kennt, den verlässt die Hoffnung nicht.“
TANZ DER MATROSEN
Eine Matrosenbraut feuert die Seeleute an:
„Warum sich ängstlich
der Liebe verweigern?
Ist's ein Gewittersturm,
schätzt man die Ruhe nicht.
Folgt eurer Neigung;
nur wenige Seufzer,
und ihr genießt die Freuden.
Warum den Tag nicht nutzen?
Setzt nun die Segel;
der Stern, der uns leitet
ist Amors Fackelbrand.“
Die Matrosen besteigen das Schiff.
4
Alcyone ist untröstlich! Seufzer und ihre Tränen halten ihn nicht zurück. Die Liebe will es so, antwortet Ceix überzeugt. Wie soll Alcyone das verstehen? Er liebt sie und verlässt sie? Doch Ceix entgegnet, dass er um ihr Leben zittere und mit seinem Entschluss nur Unheil, welches er fürchten muss, abzuwenden gedenkt.
O weh, Ceix ist beunruhigt und raubt ihr das Leben, indem er sie verlässt. Jeden Augenblick bangt ihr Herz, er könne der Stürme und der Wellen Opfer werden. Sie fürchtet, das die Angst sie töten wird, wenn sie ihn in Gefahr wüsste. Sie möchte ihn begleiten! Wie kann sie leben, wenn sie nicht mehr sehen darf, was ihr das Liebste ist.
Sie soll es machen wie er: mit der Hoffnung leben, dass er glücklich wiederkehrt. Alcyone lässt nicht locker, er solle Mitleid mit ihr haben, alle Gefahren möchte sie mit ihm teilen. Jupiter weiß was er von ihr verlangt und wird ihm verzeihen, beschwichtigt Ceix.
Er ruft Peleus herbei und führt aus, ein grausames Geschick reiße ihn von der Geliebten fort. Seiner Obhut vertraue er sie an. Er solle trösten, was er liebt und der Verzagten Hoffnung machen, dass die Götter sie nicht im Stich lassen werden. Vor allem soll er zu ihr von der großen Liebe sprechen, die ihr Gatte für sie empfindet. Lebe wohl, teuerste Alcyone.
Ein schreckliches Lebewohl! Verlässt er sie tatsächlich. Sein anderes Ich bleibt bei ihr. Zum Abschied umarmt Ceix auch seinen Freund und besteigt anschließend das Schiff. Alcyone verzweifelt!
5
Der teure Gatte fürchtet ihre Tränen. Er hört sie nicht mehr, denn sein Schiff durchschneidet schon die Meere. Neptun möge ihn vor Sturm bewahren und die Winde an die Kette legen. Wie schmerzvoll ihr sein Scheiden ist! Schon ist er ihren Blicken entschwunden. Alcyone glaubt zu sterben und sinkt in Ohnmacht.
Auch das noch! Die Götter zwingen Peleus Zeuge ihrer Liebe zu sein. Die Unleidlichen verdammen ihn dazu, noch mehr zu leiden. Soll er etwa noch zuschauen, wenn sie stirbt! Der Rivale möge umkehren und ihr helfen. Wenn er schuld an ihrem Unglück ist, so bestrafen ihn die unbarmherzigen Götter zu recht. Schreckliche Gewissensqualen greifen nach ihm! Peleus leidet gleichermaßen wie Alcyone. Diese kommt allmählich wieder zu sich und vermeint die Stimme des Geliebten zu hören. Langsam wird es komisch. Haben die Götter ihr deshalb ein so zärtlich liebendes Herz geschenkt, damit sie es um so tödlicher treffen können?
Vierter Akt:
1
Alcyone hat sich mit ihren beiden Dienerinnen zum Tempel der Juno begeben, um sich über ihren Liebesschmerz bei ihr zu beklagen. Ihre Seufzer soll sie hören und sehen wie ihre Tränen fließen. Wenn sie dafür sorgt, dass ihr Gatte zurückkommt, wird Alcyone ihr ihre Unerbittlichkeit auch nachsehen.
2
Cephise beeilt sich, Anweisung zu geben, das Weihrauchopfer zu bereiten. Die Herrin soll unverzagt sein und auf der Göttin Gunst hoffen. Der ganze Himmel wird ihr helfen. Doris tröstet, dass sie den Geliebten bald wiedersehen wird. Getrost soll sie sich süßer Hoffnung hingeben und sich die Freude ausmalen, die ihr Herz empfinden wird. Alcyone lamentiert weiter, langsam bekommt sie Routine: Ach, fern ist sie von ihm, den sie mit ganzer Seele liebt. Wie kann sie sich der Seufzer und der Tränen erwehren? Ein Herz das liebt, hat niemals Ruhe, und sei es im Augenblick des höchsten Glücks. Cephise meint, dass beständiger Liebe am Ende stets Erfüllung gewährt wird. Verzögerung tritt manchmal ein, um die Gabe noch reizvoller zu machen. Manchmal narrt das Schicksal auch, doch sein Zorn ist nie dauerhaft, denn Glück und Unglück stehen oft dicht beieinander, gibt Doris ihren Senf dazu.
Alcyone ergießt sich aufs Neue und spricht Juno unmittelbar an. Das Wohl eines Gemahls führe sie in ihren Tempel. Die Göttin weiß, dass ein heiliges Eheversprechen sie ewig und unverbrüchlich bindet. Nichts kann sie bewegen, dieses Band zu lösen, denn Himmel will es nicht. Trotzdem schleudert er seine drohenden Blitze nach ihr, doch das Herz vollzog den Bund.
Cephise kündet an, dass alle sich beeilen, um den Wunsch der Königin zu erfüllen. Schon naht die Priesterin mit Gefolge.
3
Salbungsvoll ordnet sie an, dass der mächtigen Göttin Weihrauch geopfert wird. Damit ist der Wunsch verknüpft, dass ihre Bitte auch vor ihren Thron gelangt. Die Priesterinnen tanzen vor dem Altar und werfen Weihrauchkörner in die Flammen. Die Wortführerin fleht im Namen Alcyones, das Leben des Gatten, den sie liebt zu schützen. Der Chor verstärkt den frommen Wunsch mir Die Priesterin formuliert, dass die Göttin die beiden glücklich machen und ihrem Leid ein Ende bereiten soll. So unermesslich wie der Schmerz der Liebenden ist, möge ihre Großmut sein. Vereint durch zarte Bande mögen sie ewigen Frieden pur genießen. Die Klänge einer lieblichen Symphonie bestätigen, dass sie Bitte positiv aufgenommen und auf wunderbare Weise Abhilfe geschaffen wird.
Morpheus der Gott des Schlafs erscheint in einem Mohnfeld begleitet von wunderbaren Träumen. Er scheucht die Priesterinnen weg, weil er mit Alcyone allein sein will, um die Weisungen auszuführen, die Juno ihm befahl.
4
Morpheus befiehlt den Träumen, dass sie Alcyone in diesem Augenblick das Gewitter sehen lassen sollen, welches ihr den Gatten raubt. Den aufgewühlten Zorn des Meeres sollen sie nachahmen, ebenso die erbarmungslose Wut des grauenhaften Sturms. Morpheus zeigt der Schläferin ein Gaukelspiel, in dem sie den grauenvollen Schiffsuntergang sehen kann, wie Ceix umkommt; seine Klagen soll sie hören. Der böse Traum soll dafür sorgen, dass sie sein Los sieht und die geistige Welt mit ihren Klagen nicht mehr belästigt.
Optisch gestaltet sich das Geschehen so, dass die Träume sich zu beiden Seiten der Bühne verteilen und die Szenerie im Hintergrund sich in ein stürmisches Meer verwandelt, in dem ein Schiff untergeht. Schließlich nehmen die Träume die Gestalt der Matrosen an, die vom Meer verschlungen werden oder sich an Felsen oder Treibholz anklammern. Morpheus erscheint unter der Maske des Ceix.
Es ertönt der Chor der Seeleute:
„Allmächtiger Himmel. Welch grässlicher Sturm!
Nichts kann uns mehr retten!
Welche Verzweiflung! Ah, welche Wut!
Weh und, dies ist der Untergang!“
Morpheus in der Maske des Ceix tönt: „Ach, ich verliere Dich, geliebte Alcyone! Wehe, was wird aus Dir! Ach, ich verliere Dich!“ Morpheus, der in den Fluten versinkt. Lässt sich ein letzten Mal mit dem Zuruf vernehmen: „Geliebte Gattin, ach um Dich nur klagt mein Herz!“ Alcyone bekommt in ihrem Zauberschlaf nicht mit, dass Sie von Morpheus genarrt wird. Das Meer verschwindet und man erblickt sie wieder im Tempel der Juno.
5
Wo ist sie und was sah sie? Verloren ist, was Alcyone liebte! Das Meer von den Stürmen furchtbar aufgewühlt. Der Fluten offener Schlund verschlang den Gatten. Sie sah den Gatten und sie sieht ihn noch! Er klammerte sich an einen fortgespülten Mast und es kam keine Hilfe. Er hat nach ihr gerufen, dass sie warten solle bis die Welle sie gemeinsam verschlingt. Der Schmerz verwirrt ihr die Sinne. Sie vergaß, dass sie sich im Tempel der Juno befindet.
Die Göttin war es, die ihr jene Bilder zeigte – Juno ließ ihr Schicksal sehen. Nun gut, die Sterbliche bedankt sich und jetzt soll sie ihr den Tod ebenfalls gönnen! Ceix wurde das Opfer seiner Liebe und sie ist erschrocken, dass ihr Schmerz so gering ist, dass er sie nicht einmal tötet. Er stirbt und sie muss leben. Das verzeiht sie sich nicht. Sie wird hinabsteigen zum düsteren Gestade. Ihren letzten Seufzer soll er als Zeichen ihrer Treue werten. Sie fühlt es, nur noch für ein Weilchen ist sie von dem teuren Schatten getrennt
Fünfter Akt:
1
In den ans Meer grenzenden Gärten des Palastes von Ceix will Alcyone sich den Tod geben. Cephise und Doris sind bei ihr. Die Grausamen sollen sie nicht mit ihrem Mitleid quälen und ihr den Dolch nicht aus der Hand reißen. Im Angesicht des wilden Meeres wird die den Tod suchen, der ihre einzige Hoffnung ist.
Peleus mahnt, dass sie nur ihre Qual vermehrt, wenn sie die Augenlider nicht schließt und den Strom der Tränen einfach purzeln lässt. Durch einen ungewissen Traum soll sie sich nicht so maßlos erregen lassen. Das Unglück welches sie sah, ist leider nur zu gewiss. Doch an den Tränen, die Peleus vergießt, merkt sie. dass er fühlt, was sie zutiefst erschüttert. Sie verliert den zärtlichsten Geliebten und er den treuen Freund. Herr ist er nun über ein gewaltiges Reich. Ihre Person selbst vertraute Ceix ihm scheidend an. Den Vorwurf hört er aus ihrer Rede heraus. Er fühlt bei jedem Wort, wie feige er ihn verriet! Wieso sollte er ein Verräter sein, zweifelt Alcyone.
Dann soll sie von seiner sündigen Liebe erfahren. Durch ihre Reize ward er verführt und gegen seinen Willen schürte Phorkas diese Glut. Er war es, der Ceix bewog uns zu verlassen, um meinetwillen schickte er ihn fort. Ihr Götter, was muss Alcyone da hören? Sie soll ich an ihm rächen, seine unbesonnene Leidenschaft bestrafen und der Gewissensqual ein Ende bereiten. Peleus wirft sich ihr zu Füßen und sie soll seinen Dolch nehmen und ihn in seinen Körper rammen. Den Tod empfange er von ihr als höchstes Glück. Alcyone ergreift die Klinge und richtet sie gegen sich selbst. Nein, nicht doch, Cephise entreißt ihr mutig das mörderische Instrument.
2
Genau im richtigen Moment erhält die Gesellschaft hohen Besuch. Welcher Stern erstrahlt denn da? Alcyone hat ihn erkannt: Es ist Phosphore, der Vater des unglückseligen Ceix. Seine Anwesenheit ist allerdings nur von kurzer Dauer. Zu Alcyone sagt er, dass ihre Furcht nun endet. Der Himmel hat ihm seinen Sohn zurückgegeben. Zum Lohn für ihre Treue soll er ihr bis in alle Ewigkeit verbunden sein.
3
Darf Alcyone diesem Wunder glauben? Fern von ihren Augen will Peleus seinen Frevel sühnen. Verlassen will er den Ort, dem er ein Gräuel sein muss. Er entschuldigt sich bei Alcyone für die Glut, die ihn verzehrte. Seinen Frevel will er augenblicklich sühnen und stößt sich den Dolch in das Herz, welches Alcyone sträflich liebte.
4
Aurora soll herabsteigen, und die Finsternis der Nacht vertreiben, die uns umfing. Willkommen sei der Tag, der die Erfüllung bringt. Alcyone sieht im Garten tausend bunte Blumen sich unter dem Morgentau öffnen. Das Morgenrot erleuchtet die Bühne. Man erblickt Ceix, den die Wellen ans Ufer gespült haben, sich aufrichten.
5
Neptun hat das letzte Wort und schwingt seinen Dreizack:
„Ich löse Euch vom bösen Fluch der Parze,
Unsterblichkeit ist Euch beschert, ihr Liebenden.
Nichts kann Euch jemals trennen.
Die Götter, tief gerührt von Eurer reinen Liebe,
gestatteten das Unglück nur, um es zu wenden.“
Ewig soll ihre Liebe währen, verspricht Neptun. Alcyone und Ceix jubeln: Unsterblichkeit war ihnen verliehen. So findet ihre Liebe nie ein Ende. Die Meeresgötter feiern die Apotheose von Ceix und Alcyone.
***
2013 musirony – Engelbert Hellen
dazu passend:
MAURICE RAVEL: ALCYONE (Kantate)