Schöne Oper – kaum bekannt
Jacques Fromental Halevy [1799-1862]
Clari
Musikalisches Drama in drei Akten
italienisch gesungen
Libretto von Pietro Giannone
Uraufführung: 9. Dezember 1828, Paris, Théâtre italien
Schweizer Erstaufführung: 23. Mai 2008, Zürich
Dauer etwa 2 ½ Stunden
Charaktere:
Clari (Mezzosopran)
Il Duca (Tenor)
Germano (Bariton)
Bettina (Sopran)
Luca (Bass)
Alberto, Claris Vater (Bariton)
Simonetta, Claris Mutter (Mezzosopran)
HANDLUNG
OUVERTÜRE
Erster Akt:
Aus dem entlegenen Teil einer Alpenrepublik hat sich das Bauernmädchen Clari aufgemacht, um sich von den angenehmen Seiten des Lebens beglücken zu lassen. Die Kleine gerät in die Fänge eines jungen Herzogs, der sie auf sein Schloss holt. Clari hat in ihrer Naivität die Vorstellung, dass er sie zu seiner Frau machen wird und beide gestehen sich ihre heiße Liebe. Doch so schnell werden Nägel mit Köpfen nicht gemacht. Seinen Verwandten stellt er den Neuankömmling als seine Cousine vor und das Mädchen zweifelt nun an seinen Absichten von eine gemeinsame Zukunft. Statt Hochzeit wirbt der Duca mit einem kostbarem Halsgeschmeide und startet einen körperlichen Annäherungsversuch. Doch gewitzt lässt Clari diesen ins Leere laufen und entfernt sich vorsichtig von seiner Seite, um Zeit und Abstand zu gewinnen.
Der Herzog ist - gelinde gesagt - empört und kann seine Enttäuschung kaum verbergen. Was bildet sich das Provinzpusselchen eigentlich ein? Schließlich hat er trotz aller Liebesbeteuerungen Standesrücksichten zu nehmen. Viel Gefühlsschmalz und ein blitzendes Zahnpastalächeln verhindert den offenen Ausbruch der Meinungsverschiedenheiten über eine durch einen Ehevertrag zementierte gemeinsame Zukunft. Von dem Luxus, der den Herzog umgibt und seinem Status, ist das Landmädchen selbstverständlich angezogen, aber die Enttäuschung brodelt unter der Oberfläche. Clari fühlt sich geschmeichelt, dass der Geliebte sich zu ihrem heutigen Geburtstag etwas besonderes ausgedacht hat, ohne die geringste Ahnung zu haben, was ihr blühen wird.
Über Claris Leben hat Germano, ein Domestike des Duca, einen Bilderbogen zusammengestellt und zu einem Theaterstück für die Geburtstagsgäste verarbeitet. Er selbst spielt darin den herzoglichen Verführer, Luca den zornigen Vater und Bettina in Perücke mit blonden Zöpfen die Titelheldin. Ohne Verstand inszeniert, gerät die Vorstellung zum Fiasko, denn Clari fühlt sich nicht geehrt, sondern verschaukelt. Den Höhepunkt, in dem der Vater die Tochter wegen ihres zweifelhaften Lebenswandels verflucht, schlägt dem Fass den Boden aus. Durch die neckische Art, wie ihr Leben interpretiert wird, fühlt sich Clari zutiefst verletzt und reagiert mit einem Zornesausbruch, dem der physische Kollaps auf dem Fuße folgt.
Was Germano in seiner Dummheit mit seinem Stück angerichtet hat und mit welcher Taktlosigkeit er vorgegangen ist, wird ihm und seinen Mitspielern erst später bewusst. Clari hat den drohenden Vater mit ihrem eigenen identifiziert und ist sich ihrer wirklichen Situation bewusst geworden. Aus der Ohnmacht erwacht, reagiert die vor allen Provozierte hysterisch, so dass sie in eine psychiatrische Klinik eingeliefert werden muss. Seinen Domestiken droht der Duca, dass sie es zu büßen haben, wenn er Clari verlieren sollte. Grenzenlose Zerknirschung ist die Antwort.
Zweiter Akt:
Der Herzog sucht Clari im Krankenhaus auf. Sie reagiert mit einem Aufschrei als sie ihn sieht. Er macht ihr heftige Vorwürfe, weil sie ihn vor seinen Freunden unmöglich gemacht habe. Nach dem veranstalteten Zirkus kann sie die geplante Hochzeit getrost abschreiben. Clari zeigt Reue, wird aber sogleich wieder aufsässig, als er sich ihr wieder zuwenden will. Schließlich hält sie ihm den Brief unter die Nase, in der er ihr ewige Treue geschworen hat, den er wiederum zerreißt und auf den Boden wirft.
Bis sie ihren Streit beenden und er verschwindet, vergeht noch eine Weile. Zuvor bittet er aber noch Bettina auf die Verstörte ein wenig Obacht zu geben, damit sie keinen Unfug anstellt und soll vor ihrem Zimmer Wache halten. Doch Bettina ist nach all der Aufregung übermüdet und schläft ein.
Clari hat sich entschlossen, den undankbaren Mann zu verlassen. Sie merkt, dass die Luft rein ist und verduftet. Vorher hat sie noch einen Brief geschrieben, dass sie aus dem Leben scheiden will und ihn auf dem Kopfkissen hinterlegt.
Eine Hausordnung gibt es in der Klinik offenbar nicht. Es setzt Schelte vom Duca, als die Flucht des Mädchens entdeckt wird. Wohin kann die Verstörte geflüchtet sein? Man soll nach ihr suchen!
Dritter Akt:
Für den Herzog ist es überhaupt nicht schwierig, den neuen Aufenthaltsort von Clari ausfindig zu machen. Mit seinen Gefühlen ist er endlich ins Reine gekommen und singt reumütig die Arie: „Si pietoso, o ciel, tu sei al mio pianto, al mio dolor!“ Er liebt seine Clari und beabsichtigt, sein Angebot vom Eheversprechen neu aufzulegen. Germano ist schon vorher mit seinem Wagen angekommen und die Dörfler begrüßen ihn im Chor: „Viva, viva, viva la campagna!“ Wie herrlich und gesund ist doch die frische Landluft!
In ihrem Elternhaus sieht es düster aus. Der Vater klagt unentwegt, dass seine miserable Tochter ihm Schande bereitet und seine Ehre gestohlen habe. Er will nicht weiterleben, hat bereits ein kräftiges Seil zu einer Schlinge verknotet und steckt probeweise den Hals hinein. Die Mutter unternimmt alles, um Alberto zu beschwichtigen und ihm neuen Lebensmut zuzusprechen. Clari ist ebenfalls zu Hause angelangt und spricht zunächst schluchzend bei der Mutter vor, um zu erkunden ob die Luft rein ist. Doch die Aussichten sind fatal: Der Vater will sie für immer verstoßen, da hilft auch alles Bitten und Weinen nichts. Zum Glück taucht auch der Herzog auf. Doch der ehrlose Lump, der seine Tochter verführt hat, kommt beim Vater erst an, nachdem Germano ein Köfferchen geöffnet hat, in dem sich Bündel mit Banknoten stapeln. Alberto fasst sogleich eine tiefe Liebe zum Köfferchen, klappt es zu und schließt es in seine Arme.
Des Vaters Ehre ist bald wieder hergestellt, nachdem der Herzog alle Schuld auf sich genommen hat. Ein Heiratskontrakt lässt Clari aufjubeln, denn jetzt steht endgültig fest, dass die Gemeinde nach der Hochzeit Frau Herzogin zu ihr sagen muss.
Anmerkung:
Von den unzähligen Opern, die Jacques Fromental Halévy komponierte, hat es nur eine zu Weltruhm gebracht: „La juive“. Nun taucht im Spielplan des Zürcher Opernhaus noch ein weiteres Musikdrama auf, ein Frühwerk, welches den Namen eines jungen Mädchens trägt. „Clari“ wurde seinerzeit von der berühmten und früh verstorbenen Maria Malibran in Auftrag gegeben und Cecilia Bartoli hat sich für eine Wiederbelebung stark gemacht.
Die Geschichte hat einen neuen Aktualitätsbezug bekommen, denn viele heiratslustige Damen aus den osteuropäischen Ländern suchen ebenfalls mittels einer Hochzeit ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern. Die gesellschaftliche und kulturelle Situation schwört Probleme herauf, die vorher nicht bedacht waren. Die Emigrantin verweilt mit dem Herzen in der alten Heimat und nicht immer läuft das Ende glücklich aus, wie in der Oper.
Geschickt in Szene gesetzt und hinreißend gesungen wie gespielt, wird die Geschichte von damals in die heutige Zeit verlagert, ohne dass es dem Zuschauer bewusst ist. Das Finale des ersten Aktes bringt unvergleichliche Spannung der originellen Art und zieht den Zuschauer in seinen Bann. Das Sahnehäubchen der Zürcher Aufführung ist natürlich Cecilia Bartoli mit einem klangschönen Tenor und guten Charakterdarstellern an ihrer Seite. Die Vorgeschichte wird durch Einschübe von Fotoausschnitten eingeblendet.
***
2012 musirony – Engelbert Hellen