INHALTSANGABE
Prolog:
Die Göttin Diana hat zwei Gründe, weshalb sie der Ortschaft Anet an der Loire einen Besuch abstattet. Die nachgeborene Diana von Poitiers hat vom französischen König Heinrich II. an dieser Stelle ein ansehnliches Schloss geschenkt bekommen. Im Garten steht eine schmucke Marmorstatue - ihr nachgebildet -, welche die Göttin des Olymp veranlasst, hin und wieder vorbeizukommen, um deren Ebenmäßigkeit zu bewundern und um im benachbarten Wäldchen Hirsche zu jagen.
Der Dauphin wird zu Besuch erwartet, um dem Platz noch mehr Glanz zu verleihen, den er ohnehin schon hat. Eine Dryade rückt mit ihren Dryadenschwestern an, damit die Göttin auf Dialog nicht verzichten muss. Auch die Waldgeister wollen den süßen Anblick der Palastanlage erneut genießen. Auf keinen Fall darf düsterer Kummer und trübsinnige Langeweile aufkommen, sondern die Lüfte sollen von Gesang widerhallen. Die Musik ist exzellent, denn Jean-Baptiste Lully hat sie eingerichtet. Nach der Ouvertüre erklingen in kurzer Folge Prélude, Menuett und Marsch, bevor die eigentliche Handlung beginnt. Die Götter des Überflusses und der Festgelage sind ebenfalls erschienen, um die Vorbereitungen zu überwachen. Zusammen wollen sie ihre Kräfte vereinen und schönes Verlangen möge immer wieder aufs Neue entflammen.
Wirkliche Weihe erhält eine Veranstaltung nicht, wenn ein paar Nymphen und Waldgeister oder unbedeutende Götter, die auf dem Olymp nicht wohnen dürfen, vorbeischauen. Apollo selbst lässt es sich daher nicht nehmen, zum Besuch des Thronfolgers zu erscheinen. Der Musengott schmeichelt dem bezaubernden französischen Prinzen schon im Vorfeld, denn extra für ihn wurde der festliche Anlass mit einem Schauspiel gekrönt. Apollo gibt der Hoffnung Ausdruck, dass nicht nur der Erstgeborene, sondern eines Tages der König selbst in den Genuss der schönen Lieder kommen wird. Der Olympier soll ein glückliches Gelingen gewährleisten, damit sich aller Wünsche erfüllt und die Gunst der Stunde in vollen Zügen genossen werden kann.
"Apollon flatte nos voeux
D'un succès heureux.
Nous connaissons sa puissance
Il remplira notre espérance."
Air, Menuett und die Wiederholung der Ouvertüre lassen den Prolog ausklingen.
Erster Akt:
Erste und zweite Szene
Der junge Schäfer Acis hat Liebeskummer. Schon in aller Frühe kommt er ans Meer, um seine angebetete Schöne zu begrüßen. Mit dieser Dame hat es eine besondere Bewandtnis. Sie gehört nicht dem Menschengeschlecht an, sondern die Wissenschaft rechnet sie zu den Meeresnymphen. Das bedeutet, dass Acis ganz einfach warten muss, bis es der Angebeteten gefällt, aus den Fluten aufzutauchen. Sie hört auf den schönen Namen Galatea, doch der Opernbesucher sollte sie nicht mit der Statue gleichen Namens aus der Operette von Franz von Suppé verwechseln. Acis muss sich im Moment damit begnügen, den Namen tausendmal zu wiederholen und ruft ihn in alle Richtungen. Allzu lange blieb sie fern von ihm und er brennt vor Sehnsucht. Kennt sie seine Stimme nicht mehr?
Seinem Freund Telemus geht es nicht viel besser, seine grausame Schöne lässt ihn ebenfalls zappeln, obwohl sie nichts weiter als ein einfaches Hirtenmädchen ist. Seine unglückliche Liebe führte ihn auch an den Strand. Nun wartet er, dass sie über den Deich zu ihm herunterkommen wird.
Acis schluckt heimlich seine Tränen hinunter. Er ist betrübt, weil er nur sterblich ist und er seiner Göttin das Wasser nicht reichen kann, obwohl diese über Wassermangel niemals geklagt hat. Weil sie so hoch über ihm steht, wagt er nur zitternd, ihr seine Gefühle zu gestehen. Telemus spendet Trost. Seine Seufzer werden nicht vergeblich sein, denn auf Kummer wird die Freude folgen – sagt er. Göttinnen sind nicht die schwierigsten Liebhaberinnen und viel schneller für das schönste aller Spiele bereit als die sterblichen Mädchen, die unablässig von Moralvorstellungen geplagt werden. Die reizende Scylla, die Telemus begehrt, lässt ihn unter dem Gewicht ihrer Fesseln seufzen. Ihre Strenge ist unmenschlich und sie verwandelt seine schönen Tage in winterliche Kälte. Während der Freund klagt, dass seine Schöne ihn leiden lässt, erhebt Acis den Anspruch, dass sein verachtetes Herz von seinem sozialen Umfeld bedauert werden sollte. Beide fragen sich, wieso man so lieben kann, wenn man doch ohne Hoffnung ist. Nun, Acis möge weiterhin am Gestade auf die Geliebte warten, während Telemus im Hain nachschauen will, wo seine Schönheit bleibt. Er ist nicht geneigt, sich länger zu bezähmen.
Dritte und vierte Szene
Die stolze Schöne, die in seinem Herzen herrscht, sollte theoretisch mit einem Blick sein Sehnen lindern. Nun übertreibt Acis aber wirklich, wenn er behauptet, dass sein Leben von dieser Gunst abhängig sei. Wenn sein Wehklagen oder gar der sichere Tod sie nicht rühren und den Fluten entreißen kann, dann soll sie selbst sich doch wenigstens am Liebreiz dieses Ufers erfreuen, lockt der Verzweifelte. Die Farbenpracht der Blumen sei im Moment herrlich, und zwischen den Füßen der Herbeieilenden würden sie noch mehr leuchten. Endlich kommt sie angeschwommen. Galatea ist sehr ungehalten, denn sie hoffte eine Nymphe, mit der sie angeblich verabredet sei, am Ufer anzutreffen. Sie wird die Säumige schelten. Hat ohne Nymphen das reizende Ufer nichts, was ihr außerdem gefallen könnte? Der Neugierige kann für sich einen Pluspunkt verbuchen, denn er hält keine Abfuhr für seine Unverhohlenheit. Sehr wohl fühlt Galatea den Zauber dieses Ortes, doch ihre Freude wäre größer gewesen, wenn sie ihre Mitschwester an diesem Flecken Erde angetroffen hätte. Prompt wird Acis direkt! Könnte die Unnahbare nicht ein wenig Mitleid zeigen mit den Leiden, welche die Liebe ihm bringt? Solche Worte will die Nymphe nicht von ihm hören. Hat er nichts anderes im Kopf als die Liebe. Was führt Galatea im Sinn? Soll er seinen Schmerz, der ihn unablässig quält, etwa verstecken? Führt sie im Schilde, diesen noch zu verdoppeln? Mit Bedauern hört sie ihn über ein Leiden klagen, welches sie nicht heilen kann, bescheidet die Nymphe den Nachdrücklichen. Er soll die Liebe in seinem Herzen ersticken und ihr nicht länger auf die Nerven gehen. Nun hat Acis keine Zweifel mehr. Ihr grausamer Bescheid lässt ihren Hass erkennen! Er soll endlich aufhören zu klagen und sie den glücklichen Frieden der Natur genießen lassen! Die Felder, im Schmuck von tausend Blumen, die sie über alles liebt, bezaubern ihren Blick. Galatea kommt gern hier her! Die süße Neigung, die sie herzieht, bremst sogar die Angst, dem grässlichen Riesen zu begegnen.
Fünfte Szene
Die Liebe zwischen Telemus und Scylla ist ein wenig robuster geartet. Bei den Herzenstrieben fehlen doch ein wenig die feinen Nuancen. Will Telemus Scylla tatsächlich gegen ihren Willen halten, fragt sie zornig. Zu irgendetwas muss die Zuneigung, die er für die kleine Schäferin empfindet, doch nutze sein. Aber je mehr er sie liebt, um so schlimmer wird ihre Wut. Die beiden jungen Schäfer sind sich einig, dass ihr Verlangen keine Erfüllung finden wird und ihnen ein schlimmes Los beschieden ist.
Galatea rückt nun endlich mit der längst fälligen Zurechtweisung heraus. Ein Liebhaber, dessen Jammern nur bedrängt, versteht nicht die Kunst zu bezaubern. Anstatt zu gefallen, fällt er zur Last und wird niemals erreichen, geliebt zu werden. Scylla wird noch deutlicher: Einen Galan, den man verachtet, wird kaum lästig sein. Wenn er sich beklagt, spielt das keine Rolle, denn man hört ihm gar nicht zu.
Sechste Szene
Ein weiteres pastorales Liebespaar gesellt sich den beiden in Sehnsucht Harrenden zu. Die Liebe, die sie gefangen hält, wird ihr zartes Verlangen stillen. Tircis erklärt, das sein Herz entzückt sei und Aminta ruft aus, dass ihre Seele zufrieden ist. Unsagbar ist das süße Gefühl, dass ihn bezaubert. Ohne Unterlass wollen sie ihre Zärtlichkeiten noch vervielfachen. Die Liebesglut heizt ihnen mächtig ein.
Der Schäferchor betont, dass sie die süßesten Freuden genießen, die sich ihnen ohne Mühe bieten. Damit die Seufzer belohnt werden, wiederholt sich der Spaß jeden Tag. Von solchen Resultaten können Acis und Telemus einstweilen nur träumen. Immerhin hat Amor alle an diesen schönen Ort geführt. Selbst der sprödesten Schönen wird es nicht gelingen, ihre Freiheit zu bewahren.
Ein Marschrhythmus kündigt Unheil an. Scylla hat den Störenfried zuerst bemerkt. Der gewaltige Polyphem naht. Die Schäfer sollen sich entfernen, denn seine Anwesenheit genügt, die süßesten Freuden in Leid zu verwandeln.
Siebte und achte Szene
„Je regarde partout, et ma recherche est vaine.....“ Wohin er auch schaut, er sucht vergeblich. Wohin sind die Nymphen und Schäfer gelaufen? Wenn er sie hier nicht findet, haben sie sich bestimmt ins Wäldchen verzogen, um ihn zu meiden. Gewiss verstecken sie sich dort. Sie werden Polyphem kennenlernen! Eine Schreckenshöhle, in der seine Wut nicht nach ihnen suchen würde, gibt es nicht. Für ihre Flucht wird er sie bestrafen! Doch dann sieht er Galatea und ist wie gelähmt. Der Zorn verflüchtigt sich und Unruhe und Furcht bemächtigt sich des Riesen.
Doch dann fragt er sich, weshalb er eigentlich zögert. Warum soll er sich vor einem kleinen Mädchen fürchten? Von seiner Liebesglut will er sprechen. Wenn er das Opfer einer grausamen Liebe werden sollte, gibt es niemanden, der ihn hindern könnte, seinen Zustand zu verbergen.
„Vous voyez, charmante Déesse …“ Die bezaubernde Göttin sieht vor sich einen Liebenden, den ihre Augen unterwarfen. Bisher kannte er die Pfeile Amors nicht, dessen Macht ihn heute das erst Mal traf. Soll Galatea nun etwa glauben, dass sie es war, der ihn die Liebe lehrte? Sie soll sich zu ihrem Sieg beglückwünschen. Alle, die sie sieht, erkennen seine Macht an und der Gott des Meeres ist sein Vater. Gern kann er ihr seine Schätze zeigen und seine Macht beweisen. Die Nymphe erwidert, dass sie seine großmütige Absicht keineswegs verurteilt. Galatea soll sich freuen, denn er wird ein großes Fest für sie vorbereiten, damit sie erkennen kann, welchen tollen Fang sie gemacht hat. Die Umworbene beschließt diplomatisch vorzugehen, um den Gefährten die Angst vor Gewaltanwendung durch den Gemeingefährlichen zu nehmen, denn wenn sie seine Wut, die er gewiss äußert - falls sie schroff ablehnt -, neutralisiert, müssen sie sich nicht länger ängstigen.
Zweiter Akt:
Acis entrüstet sich, weil Galatea dem einäugigen Riesen versprochen hat, seinem Fest beizuwohnen. „Quoi? Vous avez promis d'assister à la fête que Polyphème vous apprête?“ Konnte das Werben dieses Barbaren sie erweichen? Ihre Güte bestärkt den Unhold in seinen Absichten. So ist es nun vorbei mit ihrer Liebe. Die Undankbare verurteilt ihn zum Tode. Vorwürfe von ihrer Seite gleiten an ihm ab. Die blutigen Folgen einer Verzweiflungstat wird sie bald erblicken. Was will er beginnen? Wenn sie ihn ohnehin nicht liebt, kann es ihr doch egal sein, ob er lebt oder stirbt. Galatea reagiert sehr vornehm. Vertraulichkeiten sollen gar nicht erst aufkommen, deshalb wählt die grammatikalisch auch die dritte Person, wenn sie ihn anspricht. Auch ohne, dass Liebe sie anzieht, möchte sie doch von seinen geheimen Plänen erfahren!
Nun, dem wütenden Riesen wird er entgegentreten und sein Fest stören, auch wenn er seiner ungeheuren Wut unterlegen sein wird. Sein Tod ist gewiss, aber mit dem Ende seines Lebens enden auch seine Schmerzen. Galatea soll einem treuen, aber unglücklichen Herzen dieses letzte Opfer erlauben.
„Il me quitte! Arrêtez, Acis, je vous l’ordonne...“ Galatea lenkt ein. Sie befiehlt ihm zu bleiben, denn sie erträgt es nicht, ihn so betrübt zu sehen. Einer so großen Liebe weicht ihr Stolz, und die Vernunft zählt nicht mehr. Er soll ihre Verwirrung genießen und seinen Sieg zur Kenntnis nehmen. Endlich soll er sein Glück jetzt kennenlernen, welches sie lediglich hinausgeschoben hat. Sein Werben war nicht vergeblich.
Doch wie soll er nun einordnen, dass sie den Wünschen des Zyklopen entgegenkommt? Will sie so seine Liebe belohnen? Doch Galatea hält eine plausible Erklärung bereit. Mit ihrem freundlichen Versprechen will sie den aufdringlichen Riesen lediglich täuschen, damit er ihre Ablehnung die Gefährten nicht büßen lässt. Galatea erklärt, dass sie des Riesen wütende Rache fürchtete. Durch ein freundliches Versprechen wollte sie seinem Blick das Einvernehmen mit seiner Person entziehen. Acis ist entzückt. Er hatte immer gedacht, dass süß belohnte Liebesglut nur den Göttern vorbehalten sei!
Zweite und dritte Szene
Telemus hat es schwerer. Nach wie vor muss er gegen den hartnäckigen Widerstand seiner Scylla ankämpfen. Vergeblich versuche Telemus ihre Seele für sie einzunehmen! Sein Liebesseufzen wird ihm kein Resultat bringen! Der ständiger Beschuss hat ihr Herz taub für sein Empfinden gemacht!
Manchmal hilft die Flucht nach vorn. Ihre Verachtung habe seine Liebe erstickt, kündet er der Abweisenden. Jetzt ist er wieder so ruhig und gelassen wie früher, nachdem er sich zum Verzicht durchgerungen habe. Doch die Rache der Götter soll sie fürchten. Der Glanz in ihren Augen wird erlöschen und ihre Anmut verwelken. Die Gaben des Himmels habe sie missachtet und den Zorn der Göttin Venus wird sie zu spüren bekommen.
Das Vorspiel zur dritten Szene räumt Scylla eine kleine Bedenkpause ein. Sein Zorn kann sie nicht erschrecken. Mehr als die Rache der Götter fürchtet sie die Verirrungen und Gefahren der Liebe. Galatea kann den rebellischen Stolz nicht billigen und kritisiert die übertriebene Grausamkeit der Freundin. Scylla zieht sich gekränkt von ihr zurück.
Vierte und fünfte Szene
Acis und Galatea diskutieren das Verhalten der kleinen Hirtin abfällig. Die Gefühllose kennt die Freuden, die sie ablehnt, gar nicht, lautet ihr einstimmiges Urteil.
Galatea hat die Zustimmung ihres Vaters zur Verbindung mit Acis eingeholt. In fürsorglicher Liebe zur Tochter hat er die Göttin Juno bewegen können, ihren Tempel auf einer einsamen Insel als Liebesnest zur Verfügung zu stellen. Allerdings muss die Liebe zuvor durch den Ehebund legalisiert werden. Noch vor Tagesanbruch wird Hochzeit sein. Hymen und Amor werden in der Frühe auf sie warten. Galatea sieht ein, dass ihr falscher Stolz, der ihre Wünsche tyrannisierte, fehl am Platz war. Nun kann sie die süßen Gefühle einer erfüllten Seele frei ausleben.
Sechste Szene
Der Mensch denkt, aber das Schicksal lenkt. Ein Marschrhythmus kündet den Auftritt Polyphems mit Gefolge an. So dumm, wie er aussieht, ist der Riese gar nicht. Er weist seine Leute an, seine Ankunft zu begründen, der Göttin Juno einen glorreichen Triumphzug zu gestalten und ihr ein schönes Auge zu machen. Jeder soll mit größtem Eifer eilen und ihr ohne Unterlass Tribut zollen. Amor wird umschmeichelt. Er möge seinen Triumph genießen. Unter seinem Gesetz stünde Polyphems kühnes Herz. Der Riese betont seine Distanz zu den übrigen Göttern und verachte ihre Blitze. Der Opernchor feuert ihn an. Kein zweites Mal wird er eine schönere Eroberung machen. Je weniger ein Herz zu lieben geneigt ist, desto ruhmreicher sei es, dasselbe zu entflammen.
Siebte Szene
Noch mehr Zyklopen bevölkern die Szene. Die Einäugigen denken, dass an diesem Ort die Hochzeit Polyphems gefeiert wird. Der Riese glaubt es auch. Die Verehrungswürdige soll die Wünsche des Liebhabers gnädig erhören, versucht der Chor zu stimulieren. Polyphem ist mit ihrem Eifern zufrieden; sie haben genug Begeisterung gezeigt und jetzt sollen sie verschwinden. Er möchte mit seiner Göttin allein sein. Zu seinem Erstaunen muss er hören, dass Galatea sich noch nicht endgültig entschieden hat. Ohne den ausdrücklichen Willen ihres Vaters trifft sie keine schwerwiegenden Entscheidungen. Es hilft Polyphem nichts, dass er das verzehrende Feuer der Liebe nicht länger erträgt. Der Bewerber soll sich aufrappeln und zuvor versuchen, die Gunst des Meeresgottes zu gewinnen. Gut, der Einäugige wird alles tun, um sein Glück zu beschleunigen und sich zu Nereus bewegen. Dieser soll sich aber darüber Gedanken machen, zu welcher Tat ein Liebhaber fähig ist, wenn er verzweifeln muss. Wo steckt eigentlich Acis? Der Librettist hüllt sich in Schweigen.
Dritter Akt:
Erste und zweite Szene
Der Priester gibt den Anwesenden, welche die Mysterien der Juno feiern wollen, das Versprechen, dass sie an diesem Ort bald zwei treue Liebende erblicken werden. Deshalb sollen sie Weihrauch und schöne Blumen bereit halten, denn die beiden sind der vollen Aufmerksamkeit würdig. Amor hat sich ihrer Wünsche bereits angenommen und Hymen, der Hochzeitsgott, wird den Ehebund gutgeheißen. Die Liebenden sind am heiligen Ort soeben eingetroffen, zählen mit Ungeduld die Augenblicke, die sie noch warten müssen und versuchen, durch Opfergaben die Tempelgöttin ihrem Glück gewogen zu machen. Der Chor wünscht Ihnen, dass sie im Hafen der Ehe eine sichere Zuflucht finden werden.
Dritte bis sechste Szene
Doch die Rechnung wurde ohne Polyphem gemacht. Was sieht er, wenn er das Augenlid anhebt? „Que vois-je? Quel object pur un amant jaloux?“ Die undankbare Galatea und ihr geliebter Schäfer sind im Begriff, den ewigen Bund einzugehen. Das wird nicht geschehen. Polyphem fühlt sich um sein Glück betrogen. Der Verwegene soll sterben und selbst Jupiter wird ihn vor seinem Zorn nicht retten können. Galatea drängt Acis, schnell zu entwischen. Ausreichend Zeit dazu hätte er, denn Lully komponiert noch ein kleines Vorspiel und Polyphem will erst noch einen Monolog halten. Tatsächlich hat Acis seinen Zorn verdient, der so groß ist, dass sogar der Olymp erzittern wird. Galatea macht einen letzten Versuch, den Geliebten zur Flucht zu bewegen, doch der Bräutigam zeigt Standfestigkeit. Polyphem hebt einen Felsbrocken vom Boden auf und wirft ihn dem verfluchten Nebenbuhler ins Kreuz. Diesem brechen alle Gräten. Das ist der Lohn für seine Verwegenheit. Nun ist der Unverschämte tot. Polyphem hat seine Hoffnungen zerstört. Er ist zufrieden, denn blutige Rache ist süß und Balsam für das gekränkte Herz. Polyphem will eilen, um überall seinen Sieg zu verkünden, denn er tötete am gleichen Tag den Rivalen und seine Liebe.
Siebte und achte Szene
Galatea ist völlig verstört und denkt, dass sie erst einmal in ihre Fluten zurückkehren wird, um einen klaren Kopf zu bekommen. Lully komponiert dazu wieder ein Vorspiel. Warum kann sie nach diesem heftigen Schlag, den das Schicksal ihr zufügte, nicht auch sterben? Hatte ein anderes Mädchen jemals ein schlimmeres Los zu ertragen als sie? Sie war so nahe daran, glücklich zu werden, und dann wurde der Geliebte ihr genommen!
Sie wird jetzt die Furien rufen, damit diese am Mörder ihres Glücks Grausamkeiten verüben. Aber wird dadurch ihr Schmerz wirklich gelindert? Den Geliebten bringt es ihr nicht zurück. Galatea hat eine Idee. Sie fleht die großmütige Thetis und den wohlwollenden Neptun an, den Geliebten wieder lebendig zu machen.
Die Vorgenannten sind nun gefordert, sich etwas auszudenken, denn Galateas Klagen sind zu ihren Grotten gedrungen. Neptun bemüht sich redlich, eine Lösung zu finden, um den Schaden, den sein Sohn Polyphem angerichtet hat, wieder ungeschehen zu machen.
Neunte Szene
Acis soll leben und Unsterblichkeit erlangen, aber nicht als Mensch, sondern als Fluss. Sein Blut soll sich in Wasser verwandeln und sein liebliches Murmeln wird die Aufgabe erhalten, unschuldige Liebe in den Herzen der Menschen zu erwecken. Wasser ist das Element Galateas. In ihrer Eigenschaft als Nymphe wird sie in dem Fluss baden und dem Geliebten ganz nahe sein. Polyphem bekommt für seine Straftat Verständnis und Bewährung, er kommt ohne Vergeltung davon
Zwei Najaden begutachten das Resultat, allerdings völlig am Thema vorbei. Die erste meint, dass ein Herz voller Liebe die Hoffnung nicht aufgeben soll, und die zweite fügt hinzu, dass man ohne unangemessene Zurückhaltung der Liebe frönen sollte. Der Chor hat das letzte Wort. Im Reich Amors wartet Glück ohne Ende auf jeden. Alle sollen kommen und sich erfreuen.
Anmerkung:
Das Schäferspielchen von „Acis und Galatea“ war die letzte seiner Opern, die Lully vollenden konnte, bevor das Schicksal auf markante Weise seinem Leben ein Ende setzte. Die Gunst des Sonnenkönigs war ihm abhanden gekommen, und zahlreiche Bittschriften vermochten nicht, den Vielgeliebten umzustimmen. Eine jahrzehntelange Freundschaft zählte auf einmal nicht mehr. Louis XIV. stand ganz unter dem Einfluss seiner Mätresse, Madame de Maintenon, die ihn dirigierte und lockere Sitten aus Gründen der Religion und der Moral nicht tolerierte.
Der Begründer der französischen Nationaloper hatte sich von seinem Librettisten Quinault getrennt und in Jean Galbert de Campistron einen verheißungsvollen Nachfolger gefunden, der auch seine galante Lebensauffassung teilte. Der Herzog von Vendôme wurde sein Mäzen und stellte auch die Summe bereit, welche die Aufführungen seiner Opern verschlang. Nein, Lully hatte man nicht vergessen, nur bei Hofe hatte er verspielt. Im Vollbesitz seiner Schaffenskraft hätte er noch viele Meisterwerke für seinen König schaffen können. Die Kunst der Intrige beherrschte er meisterhaft, doch das Schicksal entschied sich plötzlich gegen ihn. Fähige Nachfolger nahmen seine Position ein und komponierten die Musik für das Souper des Königs.
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musirony 2008 - engelbert Hellen