musirony - Bellerophon
 

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Schöne Oper - selten gehört





Jean-Baptiste Lully [1632-1687]

Bellérophon


Tragödie in einem Prolog und fünf Akten

französisch gesungen

 Libretto von Thomas Corneille

 Uraufführung am 31. Januar 1679 in Paris, Palais Royal -
in der Bühnenausstattung von Carlo Vigara

Charaktere:

Bellérophon (Bellerophon), Sohn des Neptun – ein Heros
Sténobée (Sthenoboia), königliche Witwe aus Argos
Le roi (König Iobates), König von Lykien
Amisodar (Amisodar), zauberkundig, vormals mit Sthenoboia liiert
Philonoé (Philonoe)
Argie (Argie), Vertraute der Sthenoboia
Pallas
Apollo
Hoherpriester des Apollo
ein Zauberer
die Pythia


Ferner: Amazonen, Waldnymphen, Waldgötter, Opferpriester, Bauern und Volk
Charaktere des Vorspiels: Apollo mit Musen, Bacchus, Pan, ein Hirt

Das Geschehen spielt im antiken Griechenland
 
  Lully

Dokumentation:

Label: APARTE, Einspielung 2010
Ensemble: Les Talens Lyriques unter Christophe Rousset,
Choeur de Chambre de Namur
Gesangssolisten: Cyril Auvitry (Tenor) – Ingrid Perruche (Sopran) – Jean Teitgen (Bass) – Céline Scheen (Sopran) – Evgenij Alexiev (Bariton) – Robert Getchell (Tenor) – Jenniver Borghi (Mezzosopran)



HANDLUNG


PROLOG

Eine Pflichtübung für den Barockkomponisten besteht darin, den französischen König vor Beginn einer Oper in den Mittelpunkt zu rücken. Ludwig XIV. wird als Friedensstifter gewürdigt. Der Unsinn kommt vom Parnass, ein heiliger Berg in Griechenland, auf dem Apollo mit seinen neun Musen neue Tanzschritte einübt. Von dem Göttlichen aufgefordert, sollen die Anwesenden nicht versäumen, die Liebe zu verherrlichen. Der sehnsüchtige Gesang eines Hirten eignet sich vortrefflich die Stimmung einzufangen:

 „Warum kein zartes Herz haben?
Nichts ist so süß wie die Liebe.
Kann man sich ihrer leicht erwehren?
Nein, nein, nein, die Liebe verzaubert alle.

Was nützt den Schönen der Stolz?

Alle lieben irgendwann einmal.

Wer könnte sich ihr ewig verschließen?
Nein, nein, nein, keiner entgeht der Liebe."

Pan und Bacchus sind geladene Gäste. Zu Ehren des französischen Königs sollen Mänaden und Dryaden im Kollektiv mit Schäfern und Schäferinnen nun die Geschichte von Bellerophon als Schauspiel aufführen.


Erster Akt

Erster Auftritt:

Die aufständische Bevölkerung war nicht die Ursache, weshalb die Königinwitwe ihr Königreich Argos für eine Weile hinter sich gelassen hat. Ihrer lieben Freundin Argie vertraut Sthenoboia an, dass es die Liebe ist, weshalb sie in Pataros zu Besuch weilt. Der Tod ihres Gemahls hat es ermöglicht, dass sie ihr Schicksal nun selbst in die Hand nehmen kann. Der königliche Stirnreif soll weitergereicht werden und sie hat lange nachgedacht, ob sie sich um das Herz eines Undankbaren noch einmal bemühen soll. Argie neigt eher dazu, dass die beleidigende Kälte, mit der Bellerophon sie bedient hat, kein Entgegenkommen verdiene. Im Prinzip hat sie Recht, ihr königlicher Stolz hätte die Liebesflamme schon längst zum Erlöschen bringen müssen, doch Amors Pfeil hat sie erwischt und sich tief ins Herz gebohrt.

Es war völlig in Ordnung, dass der blindwütige Zorn mit höchster Grausamkeit zu Werke ging, doch die Liebe der Königin zeigt Argie an, dass sich das Blättchen gewendet hat. In der Tat ist sie in ihrer Rache zu weit gegangen. Sie hatte ihn beschuldigt, in ihrer Brust eine sündhafte Glut wecken zu wollen, obwohl daran kein Körnchen Wahrheit war. Ihr eifersüchtiger Gemahl hat den Verdächtigten in die Verbannung nach Lykien geschickt, damit der befreundetet König Iobates ihn aus dem Weg räumen soll. Obwohl er sie geschmäht hatte, versteht Sthenoboia heute ihr Handeln nicht mehr. Offenbar kennt Liebe, die das Bedürfnis hat, sich zu rächen, keine Grenzen. Bellerophon ist ein mutiger Held, der schon den schrecklichsten Gefahren trotzte. Vielleicht gelingt es ihr, mit einem neuen Anlauf sein Herz zu erweichen. Schließlich hält sie mit dem königlichen Diadem eine kostbare Gabe in der Hand, die er unmöglich ablehnen kann. Nach ihrer Einschätzung hat Bellerophon nie geliebt, weil sein ganzes Bestreben dem Erwerb von Ruhm galt. Da dem Helden durch ihre Hand nun endlich reichhaltige Belohnung winkt, hat sie die Hoffnung, dass er sich mit ihr verbinden wird, nachdem die Liebe in ihr Herz zurückgekehrt ist.

Zweiter Auftritt:

Philonoe, die Tochter des Königs Iobates, verhält sich offenherzig zum königlichen Gast aus Argos, denn sie weiß nicht was Sthenoboias Herz bewegt. Arglos plaudert sie, dass der Vater unter den Bewerbern, die am Hof versammelt sind, ihr einen Gemahl bestimmt hat. Sie hofft zuversichtlich, dass er seine Entscheidung im Einvernehmen mit Amor getroffen hat. Wäre es nicht eine Wonne, in dem Geliebten jemanden zu finden, der so viele geistige und optische Qualitäten besitzt, dass man ihn einfach lieben muss. Hoffentlich ist es die Person, die sie sich vorgestellt hat.

Sthenoboia gibt sich überrascht, dass die Prinzessin Gedanken an die Liebe verschwendet hat. Eigentlich wollte Philonoe der Liebe trotzen, doch dann erblickten ihre Augen einen Helden – im Frieden geschätzt und im Krieg gefürchtet. Gleichzeitig ist er der Schrecken und der Liebling der Erde. Seine Feinde ergeben sich ihm sofort und es gibt kein Herz, welches sich seiner ersten Blicke erwehren könnte.

Aber da gibt es doch nur Bellerophon! Richtig geraten, er ist es! Tausend große Taten sprechen für den Geliebten. Sogar die Amazonen hat er besiegt und in die Gefangenschaft geschleppt. Ihm gehört ihr Herz. Die fremde Königin möge doch bitte eine so schöne Liebe unterstützen.

Dritter Auftritt:

Sthenoboia glaubt, dass ihr das Herz stehen bleibt. Ihr reicht es nun. Eine andere hat geschafft, was ihr nicht gelungen ist. Hass und Rache sollen herbeikommen und ihr schändliches Gift in ihr Herz schütten. Ihrer Verzweiflung will die Königin sich hingeben. Den Undankbaren will sie verabscheuen und sich für ihre Schmach rächen.

Sie weiß, dass Amisodar sie liebt und dieser wird ausführen wird, was sie ihm sagt. Er steht mit den Mächten der Unterwelt in Verbindung und kann ein schreckliches Ungeheuer herbeilocken, welches Feuer und Verwüstung an jeden Ort bringt. Argie rät, vor dem gastfreundlichen König, der im Anmarsch ist, ihre Gedanken zu verbergen.

Vierter Auftritt:

König Iobates erklärt Sthenoboia, dass er den Wünschen ihres verstorbenen Gemahls, den Bellerophon unschädlich zu machen, nicht nachkommen wird, da bessere Einsichten die Oberhand gewonnen haben.

Der Held hat sich nützlich gemacht, hält ihm seine Feinde von Hals und seine Tochter habe sich in ihn verliebt. Sein Entschluss steht fest, noch heute wird das liebe Mädchen ihn zum Gemahl bekommen. Seine Taten erweisen ihn der Ehre würdig und dafür verdient er eine Belohnung. Und was ist mit dem Versprechen,  welches Iobates ihrem Mann gegeben hat? Seine Eifersucht auf Bellerophon war unbegründet und ihre Missgunst lässt ihn kalt. Nachdem Sthenoboia sich ausgiebig gewundert und ihrer Empörung Ausdruck gegeben hat, gibt sie zu bedenken, dass sie in ihrer Eigenschaft als Königin von Argos es verstehe, sich zu rächen.

Fünfter Auftritt:

Der König setzt Bellerophon in Kenntnis, dass er seine Tochter zur Frau bekommt und nach seinem Tode seine Krone erben wird. Zwei Grenzvölker, die Amazonen und die Solymen, hat er unterworfen. Diese verdienstvolle Tat erheischt Belohnung. Die Tochter freut sich, Bellerophon gerät in Hochstimmung und das Volk jubelt. Die Gefangenen werden  freigelassen und bekommen ihre Waffen zurück. Erfreut über eine solche Fülle von Großzügigkeit gebieten sie ihren Tränen Einhalt und tanzen zum Finale des ersten Aktes Ballett.


Zweiter Akt

Erster Auftritt:

Zwei Amazonen hat Philonoe unter ihre Hofdamen aufgenommen. Sie haben nichts anderes zu tun, als das Loblied, welches sie ihrem Bräutigam singt, zu bestätigen. Dem größten aller Helden verdankt Lykien, dass es siegreich war - nun hat das Land seinen Ruhm und seine Ruhe. So viel Lorbeer auf einem einzigen Haupt sieht man selten. Die Siegesgöttin lässt den Heros kaum zu Atem kommen. Das ganze Universum wäre von ihm erobert worden, hätte sein großes Herz sich nicht zu mäßigen gewusst.

Zweiter Auftritt:

Ein Liebesduett kündet vom Gleichklang der Seelen des hoheitsvollen Paares. Philonoe meint, dass selbst ihre Augen von Liebe sprechen, auch wenn der Mund schweigt. Sie beschließen, es ihren Herzen zu überlassen, Wonnen zu empfinden und ihre innersten Gefühle zu genießen. Hundertmal wollen sie einander sagen, dass sie sich lieben.

Dritter Auftritt:

Sthenoboia fragt Bellerophon direkt, ob ihre Gegenwart ihm Qual bereite. Er bestätigt es und fragt, welches widrige Geschick sie nach Lykien geführt habe. Will sie ihn um seine Ruhe bringen? Aus Argos habe sie ihn verbannt und jetzt läuft sie ihm hinterher. Er soll ihr bitte nicht vorwerfen, dass sie ihm ein Übel angetan habe. Der Undankbare möge sich doch bitte an die große Zärtlichkeit erinnern, die sie ihm entgegenbrachte. Die Schwätzerin soll jetzt bitte nicht mit den alten Geschichten anfangen. Unablässig habe sie ihm Unglück gebracht. In ihrem Wüten konnte er keine Liebe erkennen. Stets war sie bestrebt, ihm nachzustellen. Sie habe weder seine Ehre noch ein Leben geschont. Und jetzt wird er sich von seiner ärgsten Feindin kein weiteres Wort mehr anhören.

Vierter Auftritt:

Sthenoboia beklagt sich über ihre erneute Zurückweisung bei ihrer Freundin. An der Verachtung eines Undankbaren nähre sich die Flamme ihrer Liebe. Besser wäre es, wenn sie erlöschen würde. Sie kommt mit der Weisheit, dass eine allzu glückliche Liebe ermattet, doch die unglückliche Liebe wächst weiter. Argie ist es unerklärlich, dass die Königin erträgt, dass jemand ihr Trotz entgegensetzt und ihre Anwesenheit geringschätzt. Sthenoboia sieht ein, dass sie ihre Liebe nur zum Erlöschen bringen kann, wenn sie um sich herum alles vernichtet und zugrunde richtet. Frisch ans Werk!

Fünfter Auftritt:

Der dämonische Prinz Amisodar ist der Königin hörig. Sie lässt sich nochmals bestätigen, dass sie seinen Liebesschwüren trauen und auf seine Ergebenheit zählen kann. Amisodar ist fast beleidigt, dass ihr gefühlloses Herz seiner Flamme nichts entgegen zu setzen hat. Als einzigen Lohn für seine Dienstbarkeit verlangt er, dass sie nicht an ihm zweifelt.

Bellerophon habe ihr eine tödliche Beleidigung zugefügt. Der König schützt den Unverschämten nicht, sondern erwählt ihn zum Schwiegersohn, anstatt ihn - wie vereinbart - zu bestrafen. Sie möchte die bevorstehende Vermählung mit der Prinzessin nachdrücklich stören, damit ihre ganze Zukunft erschüttert wird.

Amisodar schlägt vor, aus der Dunkelheit der Hölle ein wütendes Ungeheuer zu holen, welches eine unheilvolle Rache ins Werk setzt, vor der sie sich selbst fürchten wird. Die Städte werden erbeben und das Ungeheuer wird mit rauchenden Flammenströmen die Felder überdecken, so dass an Erntefest nicht mehr zu denken ist. Sthenoboia meint, dass es ein vergnügliches Schauspiel wird, welches ihrem Zorn angemessen ist. Amisodar soll sich beeilen, ihrer Wut zu dienen. Die Erde wird sich öffnen und die Monster sollen kommen. Amisodar rät der Königin davonzueilen, denn der Schrecken, den seine Zauberkunst verbreiten wird, könnte ihre Augen entzünden.

Sechster und siebter Auftritt:

Amisodar verwandelt den Landschaftspark in eine Wüstenlandschaft und ruft kundige Zauberer und Zauberinnen herbei, damit sie ihn bei seinem Vorhaben unterstützen. Unter viel Hokuspokus werden ein Löwe, eine Ziege und ein Schuppentier zu einer Einheit zusammengeschmolzen. Das passende Labor ist die Hölle. Es entsteht ein furchtbares Monster, welches Feuer speit und unter dem Namen Chimäre in die griechische Mythologie eingehen wird.


Dritter Akt

Erster Auftritt:

Das schreckliche Monster durchstreift Felder und Wohngebiete. Alles zittert und befindet sich in Aufruhr. Sein feuriger Atem hinterlässt eine Brandspur. Überall riecht es nach versengtem Fleisch und zahlreiche Tote stapeln sich am Wegrand. Argie kritisiert ihre Herrin, dass sie ein Ungeheuer auf die Bevölkerung losgelassen hat, welches Leid und Tränen auslöst. Die liebe Freundin soll sie wegen ihrer eifersüchtigen Wut nicht schelten, denn die hoffnungslose Liebe, die ihr Herz registriert, ist Strafe genug. Argie lenkt ein, dass Sthenoboia Genugtuung empfinden soll, denn sie Vermählung, die sie beleidigt, wird für die Braut nur ein eingeschränktes Vergnügen sein.

Zweiter und dritter Auftritt:

Der König ist verzweifelt, denn er sieht überall nur Spuren des Schreckens. Als König nimmt er emotionalen Anteil am Ungemach, welches die Untertanen drangsaliert. Bellerophon erkundigt sich, ob er das Orakel des Apollo schon befragt habe. Er hat Weihrauch spendiert und hofft, dass es den Olympier bewegt, schützend einzugreifen. Belloerophon ist diese Aktivität zu wenig und er wird nicht tatenlos zusehen, wie das Monster so viel Blut säuft, wie es auftreiben kann und das Land mit Entsetzen erfüllt.

Der Prinz soll bedenken, dass es sich um drei Ungeheuer handelt, die durch Zauberei zusammengeschweißt wurden. Niemanden gibt es, der nicht erzittern würde, wenn sein feuriger Atem tausend Flammen versprüht. Wer sollte das Wagnis eingehen wollen, gegen ein solches Ungetüm zu kämpfen.

Ces trois monstres unis n'ont rien que m'épouvante.
Plus le combat coûte au vainqueur,
plus la victoire est éclatante,
et C'est ce qui flatte un grand coeur.“-

"Die drei Ungeheuer, in einem vereint, schrecken mich nicht.
Je mehr der Kampf den Sieger kostet,
um so strahlender ist sein Sieg,
und genau das schmeichelt einem großen Herzen.“

Vierter Auftritt:

Philonoe ist totunglücklich. Sie will ihre Tränen den Bitten des Vaters zugesellen und den Himmel anflehen, das Unglück Lykiens zu beenden. Bellerophon hat gesagt, dass er gegen das Ungeheuer seinen Arm erheben wird, aber wird der König es dulden, dass er dort hineilt, wo sein Tod sicher ist. Doch Bellerophon hat ein großes Mundwerk, welches er öffnet, um dem Ungeheuer zu trotzen. Die Liebenden könnten schon längst verheiratet sein, wenn dieser Störfaktor eines dreiköpfigen Monsters nicht wäre.

Der Tempel öffnet sich, um die Besucher einzulassen. Ehrliche Huldigung wird den Himmel besänftigen und das Monster vertreiben.

Fünfter Auftritt:

Das Flehen und die Opfergaben sind bevorzugt an Apollo gerichtet, weil er der Schirmherr der Stadt ist und sein Orakel sich in Pataros befindet. Ein Opfertier wird getötet und Wein auf seinen Kopf gegossen, bevor das Herz herausgeschnitten wird. Das Omen steht günstig und das Volk jubelt. Der Himmel hat das Flehen erhört und wird seinen Zorn mildern. Die Seufzer können vertrieben werden, denn ihr Unglück hat die Götter berührt. Apollo hat ein Ohr für sie und ihre Freude sollen sie ihm noch deutlicher zeigen. Nun wird von den Opferpriestern das Orakel befragt. Der würdige Sohn der Leto möge geruhen das Schicksal des Landes zu offenbaren.

Die Bühnenmaschinerie lässt den Altar versinken und von Donnergrollen begleitet erscheint die Pythia – wie immer ungekämmt mit struppigem Haupthaar. Der Tempel erzittert und wird von Blitzen erleuchtet.

Gardez tous un silence extrême !
Apollo vous entend et va parler lui-même.
Son approche déjà fait briller les éclairs.
Entendez résonner le sifflement des airs !
Écoutez le bruit du tonnerre !
Voyez trembler et le temple et la terre !
Il va paraitre, je le vois.
A son aspect, frémissez commes moi !“

Die Pythia fordert die Besucher auf ganz still zu verharren. Apollo hörte sie und wird selbst zu ihnen sprechen. Blitze künden schon, dass er naht. Hört, wie die Luft zischt! Lauscht dem Donnergrollen! Seht den Tempel und die Erde erzittern. Er wird erscheinen. Sie sieht ihn bereits. Die Besucher sollen bei seinem Anblick erzittern, so wie sie es vormacht.

Die Orakeldeuterin beugt sich zur Erde, während die goldene Statue Apollos in der Eigenschaft eines Mediums das Orakel verkündet. Die Bevölkerung soll sich nicht länger fürchten. Einer der Söhne Neptuns werde den Zorn des Himmels beschwichtigen. Um ihn für diesen Dienst zu belohnen, muss ihn allerdings die Prinzessin zum Gemahl nehmen.

Die Pythia verschwindet wieder und die Menschen gehen nach Hause. Der König nimmt den Spruch gelassen. Er hat zur Sache nichts weiter zu sagen, dass die Tochter nebst ihrem Liebsten sich dem Urteil unterwerfen. Er bedauert ihren Verdruss und beklagt den Spruch, besteht aber darauf, dass der heilige Ort nicht durch Lamentieren entweiht wird.

Sechster Auftritt:

Die Liebenden beklagen bitter, dass sie einander nicht mehr gehören sollen, wollen sich jedoch fügen und einer nuptialen Verbindung entsagen. Wird die Grausame tatsächlich fähig sein, sich auf andere Weise binden zu können? Philonoe war auf das strenge Orakel nicht gefasst, dass sie dem Hass der Unsterblichen geopfert werden sollte. Bellerophon verspricht, dass seine Flamme nie erlöschen wird. Er vermag treu zu sein und kritisiert, dass der Himmel auf eine so schöne Liebe neidvoll herabblickt. Er wird sich fügen, auch wenn er nicht mehr glücklich sein kann.

Trotz ihres Unglücks werden sie sich weiterhin lieben, auch wenn die Bindung vor dem Gesetzt nicht zulässig ist, denn dem Schicksal stehe es nicht zu, Herzen zu trennen.

Vierter Akt:

Erster Auftritt:

Prinz Amisodar ist ein kleiner Sadist. Alle Schrecken, die er sieht, sind für ihn ein Grund zum Jubeln. Wenn man erhält, was man liebt, ist der Preis uninteressant. Seinetwegen soll doch das ganze Universum die grenzenlose Liebe verdammen, die jede Menge Blut, viele Tränen und Wehklagen kostet, wenn man dafür erhält, was man liebt. Für sein verliebtes Herz ist es ein reizendes Schauspiel, die vielen Toten zu betrachten, die zu allen Seiten auf der Ebene hingestreckt liegen. Alles vergeht, um ihn glücklich zu machen. Die Brunnen versiegen, die Berge brennen und die Felder vertrocknen.

Zweiter Auftritt:

Argie vertritt die Auffassung, dass das Ungeheuer in die ewige Nacht zurückgeschickt werden sollte. Bellerophon macht sich bereits Gedanken, es zu bekämpfen. Ein verhängnisvolles Orakel engt seine Wünsche ein und da kann man sicher sein, dass er nicht eher Ruhe geben wird, bis der stets erfolgreiche Held das Untier zur Strecke gebracht hat. Er könnte es nicht sehen, dass Objekt seiner Zärtlichkeiten in den Händen eines Rivalen zu wissen. Das Orakel besagt, dass ein Abkomme Neptuns die Prinzessin bekommen werde. Nun, er ist der Lieblingssohn des Gottes, der den Wogen befiehlt.

Amisodar weiß, dass die Königin um das Großmaul, dem sein Tod bevorsteht, bangt – ob sie Bellerophon liebt oder hasst, weiß sie offenbar selbst nicht. Argie meint, dass ein Liebender sich keine Fragen stellen sollte, sondern gehorsam ihre Wünsche zu erfüllen hat. Soll doch der Rivale zum Teufel gehen. Erwartet Argie etwa, dass er sich für ihn verwende? Die Freundin Sthenoboias erklärt lakonisch, dass er das Opfer wohl bringen müsse, wenn er auf ihre Liebe nicht verzichten will. Argie sollte sich jetzt besser entfernen, denn das Monster naht! Rette sich, wer kann!

Tout est perdu, le monstre avance ! Souvons-nous, souvons-nous.“

Dritter Auftritt und Vierter Auftritt:

Es sind nicht nur die Menschen, die wehklagen, sondern auch Dryaden und andere Halbgötter untergeordneter Bedeutung haben ihre Anteilnahme in Verse sorgfältig geordnet:

Es gibt kein Gras mehr in der Ebene.
Es gibt kein Wasser mehr in den Brunnen,
alles geht zugrunde. Alles verdorrt.
Welch unendlicher Verdruss! Welches Leid!
Beklagen wir das Unheil, das diese Gefilde verheert!
Die Tränen, die sie weinen, sollten die Götter rühren.“

Die Wälder lodern und das Land wird immer mehr verwüstet. Überall herrschen nur Furcht und Entsetzen. Alle erfahren das Wüten dieses Ungeheuers. Seht nur das brennende Tal. Was ist nur aus den Wäldern geworden, die einst der Erholung dienten. Buschfeuer haben sie ausgelöscht. Wasser fließt nicht mehr durch die fruchtbaren Ebenen, denn die ungeheure Hitze hat die Feuchtigkeit weggeleckt.

Man beschließt durch gemeinsames Weinen und Klagen, den Himmel, der alles Unglück sieht, milde zu stimmen.

Fünfter und sechster Auftritt:

Wohin drängt den Prinzen die allzu kriegerische Lust. Bellerophon sucht einen Kampf, in dem er umkommen wird. Es verhält sich nicht so, dass er ein gefürchtetes Ungeheuer nur deshalb bekämpft, um sich einer erstaunten Welt vorzuführen, sondern das Liebesglück, welches ihn verlassen hat, fordert seinen Widerspruch. Der Ruhm lockt ihn nicht, nur die Liebe beflügelt ihn. Es macht ihm nichts aus, sich einem widrigen Schicksal auszuliefern, den Tod fürchtet er nicht.

Der König macht geltend, dass ihm das Leben des Helden viel bedeutet, denn ihn kann er einsetzen, wenn die Amazonen einmal wieder übermütig werden. Das königliche Diadem hatte er an die zärtlichen Fesseln seiner Tochter Philonoe gekettet, um ihm zu zeigen wie viel er ihm bedeute. Er will noch einmal ein paar Ochsen schlachten, um den Olymp günstig zu stimmen. Nein, Bellerophon will kämpfen, um zu beweisen, dass er der Liebe der Prinzessin würdig ist.

Bellerophon meditiert:

Heureuse mort, tu vas me secourir
dans mon malheur extrême
Je cours m'offrir au monstre, assuré de périr.
Mais je m'en fais un bien suprême.
Quand on a perdu ce qu'on aime,
Il ne reste plus qu'à mourir.“

In seinem größten Unglück wird der Tod ihm beistehen. Seines Endes sicher, eilt er dem Monster entgegen. Da er verloren hat, was er liebt, bleibt ihm der Tod, den er als höchste Wohltat betrachtet, allein noch übrig.

Siebenter Auftritt:

Der Olymp kann das Gejammer der lykischen Bevölkerung nicht mehr länger aushalten. Pallas (diesmal ohne 'Athene') ergreift die Initiative und nähert sich mit ihrem Wolkenwagen aus luftiger Höhe und senkt sich zur Erde. Nun soll Bellerophon seine Tüchtigkeit unter Beweis stellen und in den Wagen klettern, der als Doppelgespann ausgerichtet ist. Der ansonsten mutige Bellerophon winkt ab, denn umsonst sorge sich die Göttin um sein Leben, wenn der Tod ihm zulächelt. Pallas erklärt ihm kurz und bündig, dass sein Schicksal fix und fertig im Himmel niedergelegt sei und der Held sich sein unqualifiziertes Geplapper sparen könne. „Los einsteigen!“ Die barocke Bühnenmaschinerie setzt das ulkige Gespann in Bewegung und das  Paar steigt nach oben. Die Chimäre sieht es und nähert sich. Der Opernchor kommentiert, hält sich aber vorsorglich hinter der Bühne auf.

Quelle horreur! Quel affreux ravage !
Le monstre redouble sa rage ! “

Wie entsetzlich! Welch schreckliches Wüten! Das Ungeheuer gebärdet sich immer wilder!“

Bellerophon hat aber auch eine eigene Triumphkarte in der Hand. Unterwegs steigt er auf seinen Pegasus um, denn die Wolkenkutsche der Göttin ist ihm doch zu albern. Die Nutzung des geflügelten Pferdes teil er sich mit seinem Kumpel Perseus. Pegasus ist ein alter Bekannter des Helden, denn es hat seine Weide- und Futterplätze in Korinth, ein Städtchen aus dem Bellerophon gebürtig stammt.

Der Prinz flüstert seinem freudig wiehernden Freund seine Strategie ins Ohr. Die Fittiche soll er immer schön hoch und steif halten, damit sie nicht Feuer fangen. Im Anfang kann er ruhig auf Abstand halten, denn das Ungeheuer soll sich erst ein wenig ausfauchen. Bellerophon verfolgt eine listige Idee und steckt Bleikugeln auf seine Pfeilspitzen. Er kalkuliert, dass das flüssige Schwermetall bei extremer Hitzeentwicklung der Chimäre den Schlund verschließen und seine Feuerkraft aufheben wird. Ihre Energie lässt bereits nach, so dass Pegasus immer näher heranrücken kann. Der Pfeilhagel verdichtet sich und bald muss die Chimäre aufgeben, denn die körperlichen Schmerzen werden unerträglich. Das flüssige Blei gelangt in die Luftröhre und versetzt den monströsen Feuersalamander in Atemnot. Kurz vor seinem Ableben versetzt Pegasus ihm noch einen Tritt aufs Maul, dass das ungemütliche Vieh denken muss, ein Pferd habe es getreten, bevor es der Orkus aufnimmt.

Das Volk jubelt: Das Ungeheuer ist besiegt und Bellerophon trägt den Sieg davon. Welcher Ruhm!

Fünfter Akt:

Erster Auftritt:

Vor dem königlichen Palastes warten nun alle, dass Pallas den glanzvollen Sieger unbeschadet aus den Wolken zurückbringen wird, denn der Himmel hat ihn als Gemahl für die Prinzessin bestimmt. Der Meeresgott selbst ist mit seinem Dreizack in Person erschienen, um seine Vaterschaft zu bestätigen. Tatsächlich sei Bellerophon von seinem Blut. Neptun musste diesen Tatbestand damals allerdings verschleiern, um eine eifersüchtige Nymphe nicht unnötig zu reizen. Deshalb wurde Glaukos als Vater vorgeschoben.

Der König fordert seine Tochter auf, sich nunmehr den Regungen der Liebe unbeschwert hinzugeben, denn Bellerophon gehöre ihr. Das Volk jubelt, denn ihr König ist - realistisch gesehen - ein Halbgott. O welch ein Tag für den ewigen Ruhm Lykiens, an dem göttliches Blut in das Königshaus Einzug hält!

Zweiter Auftritt:

Sthenoboia ist verzweifelt, denn ihre Angelegenheit ist nicht nach Wunsch gelaufen. Sie entdeckt der Allgemeinheit ihre Hassgefühle und beschuldigt Amisodar, dass er das Ungeheuer für sie zusammengebacken hat. Der König befiehlt, dass der Verbrecher in Ketten zu legen sei, doch bedauerlicherweise hat der Schelm die Landesgrenzen bereits hinter sich gelassen. Sthenoboia erklärt, dass sie ihre Hinterhältigkeit bereut und Gift genommen habe, um ihren Seelenschmerz zu beenden. Sie spürt, wie es durch ihre Adern rinnt und ihr wird schon ganz schwarz vor den Augen. Der unerbittliche Amor hat sie aufs Kreuz gelegt.

Dritter Auftritt.

Der Wolkenwagen senkt sich herab und Pallas bringt Bellerophon unbeschadet zurück. Alle sollen in dem jungen Helden den Sohn Neptuns erkennen und ihm huldigen. Nur seiner Tapferkeit ist der eingetretene Friede zu verdanken, der auf das große Unglück folgte. Philonoe möge ihn heiraten, mit ihm Nachkommenschaft in die Welt setzen und glücklich werden. Das Volk von Lykien äußert sich zufrieden und die schönen Tage, die nun folgen werden, wollen sie mit Lieben, Lachen und Spielen verbringen.

Anmerkung:

Das Volk von Lykien durfte zuschauen, wie Bellerophon die Chimäre aus den Wolken bekämpfte - das Opernpublikum leider nicht, denn das Geschehen wurde nicht inszeniert, sondern fand hinter den Kulissen statt. Im Libretto findet sich deshalb das Wesentliche von dem, was die Mythologie erzählt, nicht. Deswegen wurde in der Beschreibung ein wenig nachgeholfen, damit die Besucher auf den Rängen und im Parkett nachvollziehen können, unter welchen Umständen die Chimäre zur Strecke gebracht wurde.

***
2011 musirony – Engelbert Hellen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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