Schöne Oper - gern gehört
Eugene Delacroix: Jeune fille au Cimentiére
Jules Massenet [1842-1912]
La Navarraise
Das Mädchen aus Navarra
Lyrische Episode in zwei Akten
französisch gesungen
Libretto von Jules Claretie und Henri Cain
Uraufführung 20. Juni 1894 in London
Erste Aufführung in Paris am 8. Oktober 1895 an der Opéra Comique,
Charaktere:
Anita, ein Mädchen aus Navarra
Araquil, ihr Geliebterein, Sergeant
Remigio, Vater Araquils
Garrido, Kommandant
Ramon, Hauptmann
Zuccaraga, feindlicher Kommandeur, stumme Rolle
Das Geschehen spielt in Spanien im Jahre 1874
HANDLUNG
Erster Akt:
Die Nachwehen des spanischen Erbfolgekriegs haben auch den Norden erreicht. Garrido, der Kommandant flucht:
„Der Tanz kostet Blut, ihr Herrn!
Nichts als die Ehre haben wir behalten,
Ja, dahin ist die Stadt, die unser war.
Zuccaraga hat sie genommen!
Hätte ich nur einmal diesen verdammten Carlisten
Brust an Brust, Aug' in Auge!
Mein Leben ließe ich ihm und er das seine mir!
Fällt er, fällt auch Bilbao!"
Der Krieg wäre aus, wenn der Schuft Zuccaraga endlich tot wäre. Anita, ein einfaches Landmädchen bekommt den Wutausbruch mit. Der Grund ihrer Anwesenheit erklärt sich, weil sie sich erkundigen will, wann der Geliebte aus dem Gefecht zurück sein wird. Hauptmann Ramon kann es ihr nicht sagen. Wenn er nicht den Heimkehrern des zweiten Bataillons folgt, finde er sich bestimmt in der Nachhut. Anita dankt der Heiligen Jungfrau für ihre Güte, denn sie hofft zuversichtlich, dass ihr Flehen erhört wurde, den lieben Araquil vor dem Kugelhagel zu bewahren. Tatsächlich kehrt der Sergeant aus dem Kampf heil zurück. Sie hat immer an ihn denken müssen und er an sie. Auch der Vater freut sich:
„Teurer Sohn!
Gott sei's gedankt! Du bist's
Du bist da, unverwundet!
Ach, wie glücklich bin ich.
Du Mädchen von Navarra!
Noch immer schwänzelst du
vergnügt und ihn herum?"
„Jawohl, ich lieb ihn und er liebt mich!“ Der Sohn des Remigio, der Reichste rundum, wird sich kein Mädchen zum Weibe nehmen, welches arm sei wie sie – eine Fremde, eine Verlaufene! Sie komme aus Pampeluna und sei eine Waise, entgegnet Anita, die Verwandten starben alle für das Vaterland! Araquil ergänzt, dass sie sich vor dem Altar bereits Treue gelobt haben, bevor er in den Krieg zog.
Die dauerhafte Verbindung mit dem Geliebten steht unter keinem guten Stern. Araquils Vater ist gegen eine dauerhafte Verbindung. Er fordert als Brautpreis 2000 Duras, wohlwissend, dass die Ärmste die Summe niemals aufbringen kann. Anita klagt herzzerreißend, doch der alte Herr ist nicht zu erweichen. Er solle bitte nicht Geld um Geld verlangen, sondern auf die Herzen schauen! „Fürwahr, so spricht der Wahnsinn!“ kommt des Vaters Antwort. Nein, er will's nicht leiden, nur der Vater hat zu entscheiden! „Adieu plutôt ma fille!“
Garrido kreuzt auf und fragt den Sergeanten, ob er nicht von der Kompanie sei, die heute den Rückzug deckte. So ist es, er tat es im vollen Feuer. Für die mutige Tat macht der Kommandant ihn auf der Stelle zum Leutnant. Der Vater ist nun noch stolzer auf seinen Sohn als vorher. Anita fühlt, dass sie als mittellose Fremde noch weiter ins Abseits geraten ist. Garrido hat Depressionen, weil das Kriegsglück nicht auf seiner Seite stand und er als Greis zu den Wenigen gehört, die übrig geblieben sind. Dem Soldaten, der ihm den verdammten Banditen Zuccaraga aus dem Wege räumt, würde er ein Vermögen zahlen.
„Ein Vermögen?“ fragt Anita „Auch zweitausend Duras?“ Die Verwirrte hat einen Plan. Sie bürgt mit ihrem Eid, wenn sie das Geld als Erfolgsprämie von ihm bekommt. Obgleich umsichtig und argwöhnisch, nimmt Garrido das Angebot an. Wer sie sei, will der Kommandant wissen. „Je n'en ai pas! Je suis la Navarraise!“
Doch Ramon sät Zweifel in das Herz Araquils. Der Navarrais sei nicht zu trauen. Er sei ebenfalls im feindlichen Lager gewesen, um Verwundete zu ehren. Dort erzähle man sich, ein Weib - jung und schön geschmückt - sei vor die Posten des Feindes hingetreten und habe gesagt, dass man sie sogleich vor Zuccaraga führen soll, weil sie etwas Dringendes mit ihm zu besprechen habe.
Araquil glaubt Ramon nicht, dass Anita eine Spionin ist.
Zweiter Akt:
Anita ist von ihrer Mission zurück und fordert nun ihre Belohnung. Garrido bezweifelt den Erfolg und sperrt sich gegen die Auszahlung. Doch Anita beschreibt eindringlich den Tathergang, dass sie das Messer unter dem Mantel getragen habe und dann auf ihn los gegangen sei, um mit aller Kraft zuzustoßen. Auf der Flucht habe man nach ihr geschossen, aber da sie unter dem Schutz der Heiligen Jungfrau gestanden habe, sind alle Kugeln vorbei geflogen. Der fürchterliche Zuccaraga ist nun tot, getroffen durch sie. Das Läuten der Kirchenglocken gilt dem Verfluchten und klingt bis ins Lager von Bilbao. Gut, Garrido wird die Summe auszahlen, aber das Mädchen muss schwören, das Geheimnis zu bewahren - ein Lebenlang.
Nun wird Araquil ihr Gatte sein – der Vater kann die Zustimmung nicht mehr verweigern! Doch das Schicksal hat anders entschieden. Ramons Saat ist aufgegangen und der eifersüchtige Araquil ist dem Mädchen ins fremde Lager gefolgt. Er hat gedacht, dass der Frauenheld Zuccaraga ihr etwas antun könnte. Er sollte sie nicht in seinen Armen halten, darum rannte er wie toll. Sie soll es nicht leugnen, dass sie die ganze Nacht beim Feind zugebracht hat! Auf der Flucht ist er dann angeschossen und schwer verwundet worden. Die Ehrvergessene soll Antwort geben, weshalb sie zu ihm geflohen sei! Er soll sich nicht aufregen, weil er keine Ahnung hat, dass sie es für ihn getan hat. Sie sei jetzt reich und sein Vater würde sie anerkennen – als Tochter von Navarra.
Die Mitgift hat sie erworben unter Gefahr ihres Lebens und der Gefahr für ihre Seele. Woher hat sie das Geld? Sie kann es nicht sagen, weil sie geschworen hat, die Herkunft der Summe nicht zu verraten. Dann weiß Araquil auch, was sie geopfert hat, nämlich ihre Ehre – sie habe sich verkauft! Ist Araquil verrückt geworden, zu behaupten sie habe sich für ihre Ehre verkauft? Remigio kommt und Araquil will vom Vater wissen, weshalb die Glocken läuten. Nicht ihm, dem Führer der Carlistengilt das Gedenken, er fiel heute Nacht durch Mörderhand! Der Lohn für eine mutige Tat! Araquil begreift, bevor er seinen letzten Atemzug tut. „Dirne von Navarra“ sind die Worte des Vaters. Gellendes Gelächter kündet von Anitas aufkeimendem Wahnsinn. „Die Kirche sei voll, das Volk wartet schon!“ Armes Mädchen!
Anmerkung:
In der Erzählung von Jules Claretie, die dem Opernlibretto vorausging, verhält sich die Situation so, dass Araquil den Carlistenführer Zuccaraga vergiftet und dafür von seiner Verlobten verstoßen wird.
Massenet befand sich auf dem Höhepunkt seines Ruhms und verstört seine Anhänger damit, dass er glaubte, in die Fußstapfen Mascagnis und Leoncavallos treten zu müssen, indem er die Stiltrichtung des italienischen Versimo kopierte. Man kann nicht sagen, dass er sein Publikum enttäuschte, aber es war ein einmaliger Ausrutscher und er kehrte mit Sappho und Cendrillon schnell in die Geborgenheit der Melodie zurück.
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2012 musirony - Engelbert Hellen