Uraufführung
am 11. Januar 1940, Kirov-Theater, St. Petersburg;
vorab am 30. Dezember 1938 in Brünn
Choreographie: Leonid Lawrowski
Ausstattung: Pjotr Williams
Ausführende:Galina Ulanova – Konstantin Segejew – A. Lopuchow - S. Karen
Personen:
Romeo, junger Mann aus dem Hause Montecchi (Montague)
Julia, junge Dame aus dem Hause Capulet
Mercutio, Freund Romeos
Tybalt, sein Widersacher
Die Amme, Julias Vertraute
Bruder Lorenzo, Beistand in geistlichen und weltlichen Dingen
Die Eltern Julias, Wohlhabende Veroneser
Paris, Wunschkandidat der Eltern für Julia
Der Herzog, u.a. zuständig für den Strafvollzug
Volk von Verona zur Karnevalszeit.
Das Gescehen spielt in Verona im 16. Jahrhundert
HANDLUNG
VORSPIEL
Erster Akt:
In der schönen Stadt Verona liegen die beiden vornehmen Familien der Montecchi und der Capulet miteinander in Fehde, welche sich in Erbfolge durch die Generation quält. Man erinnert sich nicht mehr, wie es angefangen hat; es gefällt aber beiden ehrbaren Familien, Zwist und Blutrache zu pflegen. Die Vernunftbegabten wissen aber auch, dass aus sinnlosem Hass nur Unheil entstehen kann. Deshalb sind die Familienoberhäupter doch ein bisschen bemüht, die Emotionen in Grenzen zu halten und Lust auf Tätlichkeiten in den Anfängen zu ersticken, zumal der Herzog bei Übergriffen beiden Familien mit drakonischer Strafe gedroht hat.
Romeo, der Jüngste aus dem Hause der Montecchis, macht einen Spaziergang durch die Straßen Veronas, um die Morgenstimmung zu genießen und seiner Rosalinde ein Ständchen zu bringen. Die Stadt erwacht und die Menschen freuen sich auf den neuen Tag. Die Capulets sind auch schon auf den Beinen – und wie der Teufel es will, gibt es sogleich eine Rauferei zwischen den hitzigen jungen Leuten. Das Volk von Verona kennt diese Szenen zur genüge, ist vorbereitet und läutet die Sturmglocke. Der Herzog erscheint und beeilt sich, unter Androhung von Verbannung die Streithähne auseinander zu bringen.
Es ist Karnevalszeit und bei den Capulets bereitet man sich auf den abendlichen Ball vor. Die Amme hilft Julia beim Ankleiden und die Tochter des Hauses fühlt sich in die Zeit zurückversetzt, als sie noch ein Mädchen war. Fein herausgeputzt treffen die ersten Gäste ein und gruppieren sich zum Tanz.
Wer nun auf dem Fest der Capulets überhaupt nichts zu suchen hat, ist Romeo. Sein Gesicht durch eine Maske verdeckt, hat er sich mit seinen Kumpanen Mercutio und Mervolio eingefunden, um das prickelnde Abenteuer zu genießen, die Gepflogenheiten der feindlichen Familie aus der Nähe zu studieren. Die schöne Julia tanzt mit Paris, den die Eltern ihr zum Gemahl auserkoren haben. Sie gewahrt Romeo, ein einziger Blick reicht und die jungen Leute fühlen sich voneinander angezogen und verlieben sich unsterblich ineinander.
Mercutio verhält sich auffällig, erzählt unangebrachte Witzchen und wird von Tybalt erkannt. Während Romeo und Julia bereits heftig miteinander flirten, will Tybalt den ungebetenen Montecchi hinauswerfen, doch dem Familienoberhaupt gelingt es, den Hausfrieden zu bewahren. Alle Gäste haben sich jedoch verzogen.
Verliebten Mädchen fällt immer ein verschwiegenes Plätzchen ein, um ungestört mit dem Schatz plaudern zu können, selbst wenn es der Balkon ist. Für den Pas de deux wird es allerdings ein bisschen eng. Die Gefühle der beiden haben im nu Orkanstärke erreicht.
Zweiter Akt:
Volksfeststimmung auf dem großen Platz in Verona. Romeo denkt unentwegt an Julia. Die Amme Julias hat ihn ausfindig gemacht und steckt ihm ein Briefchen mit einem Ring zu. Wenn das kein Versprechen ist? Es ist ein Versprechen! Heimliche Hochzeit der beiden Verliebten! Schlechten Gewissens verbindet Bruder Lorenze sie in seiner Klause fürs Leben.
Das Volksfest hat seinen Höhepunkt erreicht. Tybalt und Mercutio mögen sich absolut nicht leiden und geraten in Streit. Es kommt zu Waffengeklirr und Romeo, der frisch Verheiratete, will die beiden auseinanderbringen, stellt sich dazu aber ungeschickt an. In der Hitze des Gefechts tötet Tybalt den Mercutio, was Romeo veranlasst, das Lebenslicht Tybalts auszulöschen. Die Capulets beweinen ihren toten Familienangehörigen. Der Herzog wendet die Härte des Gesetzes an und Romeo soll am nächsten Morgen aus der Stadt verbannt werden. Ohne gerichtliche Untersuchung des Sachverhaltes - ein mildes Urteil!
Dritter Akt:
Romeo stiehlt sich ins Haus der Capulets und verbringt mit seiner jungen Frau die Brautmacht. Die Amme ist ihnen wohlgesonnen und bewacht das Schlafgemach der Liebenden. Die Eltern erscheinen und haben den Schwiegersohn ihrer Wahl gleich mitgebracht. Julia versucht sie umzustimmen und will den Rat von Bruder Lorenzo einholen.
Der Franziskaner ist um Ränke nicht verlegen, diesmal stellt er sie in den Dienst einer guten Sache. Er denkt, dass eine Ehe zwischen zwei Mitgliedern der verfeindeten Familien endlich den ersehnten Frieden bringt. Ein merkwürdiges Tränklein hat der Kräuterkundige in der Klosterküche gebraut. Es enthält ein Nervengift, welches die Bewegungsfähigkeit von Julia vorübergehend lahm legen wird. Als Scheintote wird sie eine vorübergehende Bleibe in der Familiengruft finden, und es wird vom handwerklichen Geschick Romeos abhängen, die Erstarrte unbemerkt dort herauszuholen. Kommunikationsprobleme lassen das Unterfangen scheitern.
Julia tut zum Schein so, als ob sie der Hochzeit mit Paris zustimmen würde. Die ahnungslosen Eltern bereiten die Hochzeit vor, während Julia absprachegemäß das Tränklein zu sich nimmt und wie geplant das Bewusstsein verliert. Bestürzung bei den Eltern und bei der Amme. Die Tränen fließen. Belebungsversuche scheitern. „Die Mädchen von den Antillen“, ursprünglich als Brautjungfern vorgesehen, übernehmen die Totenklage.
Vierter Akt:
Romeo hat man die Nachricht vom Tod Julias überbracht. Sein Schmerz kennt keine Grenzen und dabei benötigt er keine Zuschauer. Er ersticht mit seinem Degen kurzerhand den armen Paris, der an der Bahre Julias ebenfalls seinem verlorenen Glück nachtrauert. Sodann legt der gute Romeo Hand an sich selbst.
Als Julia aufwacht, sieht sie neben sich zwei frische Leichen. Von beiden Kadavern wählt sie den Geliebten aus, um ihn ein letztes Mal innig zu umarmen. Sodann ist die Reihe an ihr, sich zu entschließen, ihrem unwert gewordenen Leben ein gewaltsames Ende zu setzen.
Fünf Tote reichen aus, um Shakespeare sein Drama beenden zu lassen. Die Liebenden von Verona haben sich im Kollektivbewusstsein der Menschen festgesetzt und stehen symbolisch für verliebte Zweisamkeit junger Menschen, die wie Romeo und Julia ebenfalls mit Jugend und Schönheit reich gesegnet sind.
Anmerkungen:
Vom Kirow-Theater in St. Petersburg wurde das Ballett ohne Angaben von stichhaltigen Gründen zurückgewiesen, so dass Moskau den Zuschlag bekam. Auch hier gab es Probleme und die Realisierung des Projektes verzögerte sich. Die eigentliche Premiere fand dann in Brünn statt. Sie hatte den Charakter des Provisorischen, so dass die Einstudierung unter Lawrowski – St. Petersburg hatte sich endlich bequemt – in den Ballettführern der 11. Januar 1940 als Premierendatum genannt wird.
Es folgten viele Umarbeitungen, in London von Frederick Ashton und in Stuttgart 1962 von John Cranko inszeniert, hatte das Ballett dauerhaften Erfolg.
Die Komposition knüpft an Glasunov und die großen Ballettmusiken Tschaikowsky an. Die Musik selbst enthält eine Serie zündender Einfälle, die im Ohr haften und sich als Variation häufig wiederholen, so dass der Zuhörer den Ablauf von mehr als zwei Stunden Dauer mühelos durchstehen kann.
Es hat sich stets als praktisch erwiesen, umfangreiche Partituren zu stutzen, um auch im Konzertsaal gehört zu werden. Bevor das Ballett aufgeführt wurde, kannte man die Musik im Jahre 1936 bereits aus den Rundfunkprogrammen, verteilt auf drei Suiten.
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musirony 2006 - Engelbert Hellen