musirony - Dornröschen
 

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Zauber des Balletts




Peter Tschaikowsky [1840-1893]

Dornröschen

Spjaschtschaja Krasawitsa

 La belle au bois dormant - The Sleepy Beauty




Ballett in einem Prolog und drei Akten

op.66, entstanden 1888/89

Libretto von Iwan Wsewoloschki und Marius Petipa
nach dem Märchen von Charles Perrault

Zeitdauer über zwei Stunden


Uraufführung
am 3. Januar 1890, Marijnskij-Theater, St. Petersburg
Choreographie: Marius Petipa
Bühnenbild: Andrejew, Botscharow, Iwanow, Lewgt, Schischkow
Kostüme: Iwan Wsewoloishki
Ausführende: Carlotta Brianza - Pawel A. Gerdt - Maria M. Petipa - Enrico Cechetti - Warwara Nikitina - F. I. Kschessinsky - Giuseppina Cecchetti

Personen:
Prinzessin Aurora, unser Dornröschen
Prinz Desiré, auch Florimund genannt
Die Fliederfee, gutmütig geartet
Carabosse, die böse Fee, unheilstiftend
König Florestan XXIV. und die Königin
Catalabutte, Zeremonienmeister, trottelig
Vier Prinzen, Bewerber um Auroras Hand
Vier Feen: Die Diamant-Fee, die Saphir-Fee, die goldene und die silberne Fee

Das Geschehen spielt in Frankreich im 16. Jahrhundert



HANDLUNG

Prolog: DIE TAUFE

Obwohl es nur ein Mädchen geworden ist, wird im Palast König Florestans die Kindtaufe der Prinzessin Aurora mit allem Pomp gefeiert. Die aufgestellten Gabentische biegen sich unter der Last der Geschenke. Die Hochzeitsgäste bringen nicht nur Babykleidung und Spielsachen, sondern das Neugeborene bekommt auch immaterielle Werte wie Liebreiz, Schönheit und Begabung in die Wiege gelegt.

Dem Ballettpublikum muss erklärt werden, dass König Florestan diplomatische Beziehungen zum Geisterreich unterhält und der Zeremonienmeister Catalabutte hat anstelle des Pfarrers schöne Feen zum Wiegenfest eingeladen. Sie sollen dem Kind beistehen, das Lebensschicksal zu meistern und rechtzeitig zur Stelle sein, wenn Unheil droht.

Gefahr ist bereits im Anzug. Es mag dahin gestellt bleiben, ob die Fee Carabosse absichtlich oder aus Versehen nicht eingeladen worden ist. Die Missachtete kommt in einer von Ratten gezogenen Kutsche vorgefahren und begehrt Einlass. Wieso steht ihr Name nicht auf der Gästeliste? Der Zeremonienmeister entschuldigt sich vielmals, dass die Einladungskarte auf dem Postweg verloren gegangen sein könnte. Jedoch die Erboste lässt sich nicht verschaukeln, rupft dem Pflichtvergessenen unter dämonischem Gekicher die Haare büschelweise aus und verstreut sie auf dem Parkett. Ihre Aufmerksamkeit richtet sich sodann auf die Wiege. Der unschuldigen kleinen Prinzessin flucht sie, dass sie sich an ihrem sechzehnten Geburtstag in den Finger stechen und sterben werde. Ohne die Buttercremetorte auch nur angerührt zu haben, braust die Rachsüchtige mit ihrem merkwürdigen Gefolge davon.

Die königlichen Eltern sind tief bestürzt, doch die Fliederfee beschwichtigt: An einem Nadelstich in den Finger stirbt man nicht, sofern keine Blutvergiftung vorliegt. Neutralisieren kann sie den Fluch ihrer unangenehmen Kollegin nicht, aber auch sie sei eine mächtige Fee. Die Prinzessin wird nicht sterben, sondern lediglich ins Koma fallen, aus dem der feurige Kuss eines jungen Prinzen sie erlösen wird. Alle sind erleichtert und die anwesenden Damen – jung wie alt – wünschen sich, dass der junge Prinz anschließend auch einmal bei ihnen vorbeikommen möge.

Erster Akt: DER ZAUBER

Die Prinzessin ist sechzehn geworden und feiert Geburtstag. Strahlend schön, zieht sie die heiratsfähigen Prinzen aus allen Himmelsrichtungen an den königlichen Hof. Es wird getanzt und gefeiert und jeder der jungen Prinzen möchte die Begehrenswerte mit nach Hause nehmen und den Eltern vorstellen. Aber auch die Bauern aus dem Dorf sind guter Dinge und dürfen mit ihrer Prinzessin feiern. Trotz aller Verlockungen des Hoflebens ist Aurora naiv und bescheiden geblieben und erfreut sich am Anblick einer duftenden Rose mehr, als an kostbarem Geschmeide. Diese Neigung ist allgemein bekannt und die vier Thronfolger, die nachdrücklich bei den königlichen Eltern um ihre Hand angehalten haben, kommen preiswert davon, denn jeder schenkt der Prinzessin eine Rose. Von der Gabe angetan, tanzt die Naturverbundene mit allen Bewerbern nacheinander einen Pas de deux.

Alle Nadeln, darunter fallen Nähnadeln, Stricknadeln, Stecknadeln und Sicherheitsnadeln, sind aus dem Königreich verbannt worden. Kleidungsstücke werden mit Gürteln zusammengehalten, weil Knöpfe nicht mehr angenäht werden können. Der Haushofmeister Catalabutte hat erhebliche Probleme, für die Einhaltung der königlichen Bestimmungen zu garantieren.

Eine alte Frau hat sich Zutritt zum Bankettsaal verschafft. Die Personenkontrolle war nachlässig und bemerkte nicht, dass die Unbekannte eine Spindel in ihrem Gepäck mit sich führt. In bunte Girlanden eingewickelt überreicht sie der Prinzessin das Geschenk. Diese kann mit dem Spielzeug nichts anfangen, weil der Nutzwert des Gegenstandes nicht zu erkennen ist. Die gefährliche Spitze übersieht die Unaufmerksame und sticht sich in den Finger, aus dem ein Blutstropfen hervorquillt. Von Schmerz gepeinigt, wirbelt Aurora um die eigene Achse und sinkt bewusstlos zu Boden. Unter ihrer bäuerlichen Kleidung erkennen nun alle die triumphierende Carabosse. Man erinnert sich an ihren furchtbaren Fluch und die vier Prinzen wollen sich mit gezogenem Degen auf die Missetäterin stürzen. Diese kann dem Druck der öffentlichen Meinung nicht länger standhalten und zieht es vor, in einer Rauchwolke schleunigst zu verschwinden.

Jetzt muss sich die Fliederfee etwas einfallen lassen, wie dem armen Kind zu helfen sei. Die Gutwillige hat ihre Zauberkünste nicht so recht im Griff und wenig Augenmaß für die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Sie erhebt ihren Zauberstab und völlig unsinnig entsteht zum Erstaunen des anwesenden Publikums um den Palast ein dichter Wald. Aufsteigender Bühnennebel lässt das Ausmaß des wuchernden Naturwunders nicht in vollem Umfang erkennen.

Unter magischem Einfluss bleiben alle Schlossbewohner plötzlich wie angewurzelt stehen. Jeder behält die Pose inne, die er zuletzt eingenommen hat und schlummert ein. Der Ballettbesucher sollte den überflüssigen Zauber als Missgeschick einer geistig Überforderten abtun. Es hätte völlig ausgereicht, nur Aurora in Schlaf zu versenken, aber offenbar war die Dosis zu stark, so dass der Zauber sich automatisch in weitem Radius verteilte. Keinesfalls ist zu befürchten, dass bei der herrlichen Musik von Peter Tschaikowski der Ballettbesucher auch einschläft.

Zweiter Akt:
DIE ERSCHEINUNG

Hundert Jahre sind ins Land gezogen und die Geschichte von dem verwunschenen Schloss haben sich nicht alle gemerkt. Die Fliederfee bemüht sich redlich, ihre Zusagen einzuhalten, ist aber bisher zu keinem Resultat gekommen. Listig versucht sie, mit allen Tricks einen geeigneten Prinzen für die geplante Heldentat zu begeistern.

Prinz Desiré, der mit seinen Gefährten auf einer Waldlichtung lagert, ist das Opfer ihres jüngsten Experiments. In einem Boot aus Perlmut, von Schmetterlingen gezogen, nähert sich die Magierin dem Jüngling. Um ihr Ziel zu erreichen, verlegt sie sich aufs Gaukeln und stachelt durch die Vorführung von Traumbildern sein männliches Begehren an. Eine schlafende Schöne liege in ihrem Himmelbett und sehne sich nach dem erlösenden Kuss, der sie aus ihrem Dämmerschlaf befreien soll. Die Vision zerfließt, doch immerhin hat die Fliederfee den Feigling so weit gebracht, dass er zum Schloss geführt werden möchte.

Im Widerspruch zum Literaturmärchen muss Florimund - wie sein Nickname lautet - das Dornengestrüpp nicht selbst mit seinem Schwert beseitigen, sondern die Fliederfee nimmt ihm zum Verdruss von Caraboss, die sich auf die Lauer gelegt hat, die Gartenarbeit ab. Florimund ist auch nicht gefordert, am Spalier hochzuklettern, denn das Baldachinbett steht nicht mehr im Turmzimmer, sondern im Schlosshof. Der Prinz macht einen Hechtsprung und schon liegt er auf Dornröschen. Ein wilder Kuss aufs Mäulchen erlöst die Schöne aus ihrem Koma. Mit Wohlgefallen betrachtet Prinzessin Aurora den neuen Bettgefährten und damit ist der Bann, der das Schloss seit hundert Jahren lähmt, gebrochen. Die Schlossbewohner sind in der Zwischenzeit nicht gealtert, fühlen sich munter und der Küchenchef kann dem Lehrbuben endlich die zugedachte Ohrfeige verpassen.

Dritter Akt: DIE HOCHZEIT 

Natürlich ist Prinz Desiré für seine Heldentat angemessen zu entlohnen. Er bekommt Prinzessin Aurora zur Gemahlin und wird eines Tages neben ihr die Thronfolge antreten, weil Aurora ein Einzelkind ist und es keine weiteren Anwärter auf den Thron gibt. Die bevorstehende Hochzeit wird pompös gefeiert.

Carabosse ist auch diesmal nicht eingeladen und der Sicherheitsdienst wurde sorgfältig instruiert, die Einfahrt einer Rattenkutsche in den Schlosshof abzublocken und die Verkehrsschranke unten zu lassen.

Der Zeremonienmeister hat für ein aufwendiges Unterhaltungsprogramm gesorgt, welches der König und die Königin vom erhöhten Thronsitz aufmerksam verfolgen. Die Märchenfiguren aus der Kollektion „Contes de la mère l’Oie“ des Dichters Charles Perraults - es sind Harlekin und Colombina, Pierrot und Pierrette, der gestiefelte Kater, Rotkäppchen, Cinderella, ein Zwerg und ein Menschfresser und viele andere - formen sich zu einer Polonaise.

Den Höhepunkt bildet jedoch ein Pas de quatre, der von vier Feen aus dem Reich der Mineralien und Edelmetalle getanzt wird. Im Pas de Charactére tanzt der gestiefelte Kater mit einer weißen Katze. Ein weiterer Auftritt, von Holzbläsern getragen, ist zwei blauen Vögeln gewidmet, die einen weiteren Höhepunkt des Abends darstellen.

Selbstverständlich hat Peter Tschaikowsky zum Schluss des Balletts einen Pas de deux für das Hochzeitspaar vorgesehen, damit den Besuchern die Geschichte von der Prinzessin, die durch den Mut eines Prinzen aus einem hundertjährigen Schlaf wieder mobil gemacht wird, in Erinnerung bleibt.

Anmerkung:

„Dornröschen“ ist die totale Verkörperung des Ideals eines abendfüllendes Balletts, welche die Romantik hervorgebracht hat - ein Markstein der Geschichte des Tanztheaters. Es hat viele neue Fassungen gegeben, die sich aber fast alle an die Choreographie Petipas anlehnen. Die großen Ballerinen haben sich gedrängt, die Partie der „Sleeping Beauty“ tanzen zu dürfen.

Diaghilews Balletts Russes wurde durch die spektakulären Aufführungen in London fast an den Rand des Ruins gedrängt. Erstaufführung im Londoner Alhambra Theater fand 1921 statt.
Titel: „The Sleeping Princess“.

Vom dritten Akt, der aus wenig Handlung und vielen Divertissements besteht, gibt es eine eigene Fassung unter dem Titel „Le Mariage d’Aurore“ (Die Hochzeit Auroras)

 

***
musirony 2007 - Engelbert Hellen



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