EINFÜHRUNG
Der Platz der Admiralität in St. Petersburg ist genau der richtige Ort, um Volksfeste zu feiern. Zur Fastnacht geht es besonders hoch her. Ein Marionettentheater mit lebensgroßen Puppen erregt Aufmerksamkeit, weil dort Petruschka auftritt, der sich lustig gibt, aber seine Traurigkeit unter Gesichtsbemalung und bunter Kostümierung versteckt. Angelockt durch das Flötenspiel des Gauklers, der auch die Strippen zieht, strömt die Menge herbei, um die altbekannten Geschichten, erneut zu hören. Bauern und Bürger, Kaufleute, Kutscher und Kindermädchen, Trunkenbolde, Zigeuner und Bärenführer, alle sind gekommen, um in der „Butterwoche“ nach der ausgedehnten Fastenzeit einmal wieder so richtig ausgelassen zu sein.
Petruschka, bei den Italienern als Arlecchino und in deutschen Breiten als Kasper bekannt, ist der Held des Tages, obwohl es bei ihm nicht viel zum Protzen gibt. Ständig ist er der Verlierer und es nimmt sogar ein schlimmes Ende mit ihm.
ERSTES BILD
Der Personenkreis erweitert sich um die Ballerina und den Mohren. Diese drei verbindet ein gemeinsames Schicksal. Petruschka ist in die Ballerina verliebt. Von ihm will diese nichts wissen und bevorzugt den stupiden Schwarzen. Die Eifersucht plagt den Abgewiesenen. Er randaliert und greift seinen überlegenen Widersacher tätlich an. Dafür muss er ins Gefängnis.
ZWEITES BILD
Obwohl seine Bestrafung eigentlich zu Recht erfolgte, protestiert Petruschka lautstark und bekundet, dass er auch ein Recht auf Gefühle habe. Die Menge teilt seine Ansicht. Petruschka drückt seine Freude aus, als die Ballerina ihn besuchen kommt. Immerhin etwas - doch von Liebe will die Angebetete nichts wissen und lässt den Betrübten bedrückt zurück. Allein mit sich selbst, denkt er über Ursache und Wirkung und seine Chancenlosigkeit nach. Die Zuschauer identifizieren sich mit seiner Gefühlswelt. Unerfüllte Wünsche beeinträchtigen seine Lebensqualität. Geht es nicht vielen so?
DRITTES BILD
Dem Mohren geht es gut. Er liegt auf seinem prunkvollen Ruhebett und spielt mit einer Kokosnuss. Die Ballerina tanzt herein, verhält sich aufreizend und affektiert und nimmt die Bewunderung des Paschas entgegen. Er steht auf und versucht, seine Tanzschritte den ihren anzugleichen. Dabei kommt es zu Tuchfühlung und Zärtlichkeit.
Petruschka ist aus seinem Kerker ausgebrochen und stürmt ins fremde Schlafzimmer. Der Mohr sieht seine Intimsphäre bedroht und wird verständlicherweise zornig. Er gebärdet sich mordlustig und der Einbrecher gibt Fersengeld.
VIERTES BILD
Das Geschehen verlagert sich von der Puppenbühne in die Menge. Petruschka ist auf der Flucht vor seinem dunkelhäutigen Widersacher. Körperlich unterlegen, wird er von seinem Verfolger, der mit der Ballerina endlich ungestört seine Zweisamkeit genießen möchte, mit dem Säbel niedergehauen. Die Menge ist entsetzt und glaubt einem Verbrechen beigewohnt zu haben. Ein Polizist wird gerufen, der den anwesenden Magier verhört. Dieser klärt die Situation auf, indem er die Marionette schüttelt. Kein Blut fließt, sondern Sägemehl rieselt aus dem Korpus.
Die Anteilnahme der Menge am Schicksal Petruschkas ist groß. War er wirklich nur eine Puppe oder ein Mensch aus Fleisch und Blut und die Puppe eine Täuschung? Musikwissenschaftler und Psychoanalytiker schürfen tief und werden sogar fündig. Die Marionetten stehen stellvertretend für die menschliche Natur und damit erfüllt das Libretto zum Petruschka-Ballett intellektuelle Ansprüche.
Anmerkungen:
Ursprünglich existierte Petruschka nur als Klavierverfassung. Es war jedoch nicht schwer Diaghilew zu begeistern, das Sujet als Ballett zu planen. Man erstellte ein Libretto und Strawinsky orchestrierte die Klavierfassung. Die Geschichte von der Puppe mit den menschlichen Zügen wurde von Publikum liebevoll aufgenommen und sollte sein volkstümlichstes Werk werden.
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musirony 2006- Engelbert Hellen