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Zauber des Balletts


Alexander Glasunow [1885-1936]

Raymonda


Ballett in drei Akten

op. 57, komponiert 1896/97

Libretto von L. Paskowa und Marius Petipa
nach der Ungarischen Legende „Die weiße Dame

Zeitdauer: etwa 140 Min.

 

Uraufführung
am 19. Januar 1898 in St. Petersburg,
Premiere in Moskau am 23. Januar 1900
 

Choreographie: Marius Petipa
Ausführende: Pierina Legnani - Sergej Legat - Pawel Gerdt 


Charaktere:

Raymonda
Jean de Brienne
Abderam
Tante Sybille
Die weiße Dame
Der König von Ungarn 

Das Geschehen spielt in Ungarn und Frankreich zur Zeit der Kreuzzüge


 

HANDLUNG

Erster Akt:

Der Applaus gilt dem wunderschönen Bühnenbild. Es zeigt die herrlich geschmückte Halle eines Märchenschlosses, zeitlich im europäischen Mittelalter angesiedelt und ausgestattet mit wertvollen Tapisserien und Skulpturen. Der Blick geht hinaus auf die Terrasse und reicht über den kleinen See bis ans andere Ufer.

In dieser herrlichen Umgebung wird Raymonda, die Nichte des Schlossherrn ihren Geburtstag feiern. Pagen und Hofdamen üben auf ihren Zupfinstrumenten und studieren Gesellschaftstänze ein. Die ersten ankommenden Gäste plaudern vergnügt miteinander. Tonangebend im Kreise der Hofdamen ist Tante Sibylle. Die Comtesse meint, sie muss das Geburtstagkind wegen angeblicher Trägheit zurechtweisen. Raymonda ist nachsichtig und zollt der Verwandten Respekt. Ihre Gedanken sind bei ihrem Verlobten, dem edlen Ritter Jean de Brienne. Tante Sibylle klärt ihr Umfeld über die „Weiße Dame“ auf. Es handele sich um die Statue, welche im Schlosspark steht und Comtesse Doris verkörpert. Der Sage nach wird sie unruhig und mitteilungsbedürftig, wenn es gilt, ein ungewöhnliches Ereignis anzukündigen. Im Ruhezustand befindet sich der Geist von Doris in einer anderen Welt. Tante Sibylle muss es hinnehmen, dass sie von den jungen Leuten ausgelacht wird.

Schöne Geschenke und einen Gobelin mit eingesticktem Porträt lässt Jean durch eine Delegation vorausschicken. Das Bild soll die Vorfreude Ramonas anheizen, damit sie weiß, welcher herrliche Ritter am morgigen Tag leibhaftig vor ihr stehen wird. Die große Überraschung steht im Briefchen. Auf dem Schlachtfeld wurde er mit Ruhm bekränzt und morgen wird er kommen, um den Bund des Lebens mit ihr zu schließen. Tante Sibylle ist überglücklich.

Unter den angekommenen Gästen befindet sich ein geheimnisvoller Ritter, der sich anschickt, die Verlobte Jeans ungebührlich zu umwerben. Obwohl seine erotische Ausstrahlung bei einem gemeinsamen pas de deux ihre Wirkung nicht verfehlt, weist Raymonda den Aufdringlichen aus Gründen der Schicklichkeit empört zurück. Auf Tante Sybille macht der Exot einen bedrohlichen Eindruck. Es ist der Grund, den Saraszenenfürsten zur Feier des morgigen Tages formell einzuladen, weil die Ängstliche befürchtet, Missachtung könne böse Folgen haben.

Der Geliebte Jean soll mit allen Ehren empfangen werden. Raymonda und das Schlosspersonal geben sich bei den Vorbereitungen große Mühe. Die Auftritte werden geprobt, vor allem Musik und Tanz sollen stimmig sein. Erschöpft von all den vielen Verrichtungen, legt Raymonda sich auf die Chaiselongue und schläft ein.

Nun ist die Stunde der "Weißen Dame", von der Tante Sybille erzählt hat, gekommen. In Mondlicht hat sie sich gekleidet und reicht Raymonda die Hand, die versucht, ihren Schüttelfrost zu unterdrücken. Sie gehorcht einer geheimnisvollen Macht und folgt der Erscheinung auf die Terrasse.

SZENENWCHSEL


Das Schloss versinkt im Nebel und die weiße Dame entführt Raymonda in den Zaubergarten der Träume. Im Zustand der Verklärung wartet der Verlobte Jean de Brienne bereits auf sie. Er löst sich aus der Gruppe von Gestalten, die - wie er selbst - alle einen Glorienschein tragen. Selig wirft die Erwartungsvolle sich in seine Arme und man tanzt einen pas de deux. Ihre geheimsten erotischen Wünsche melden sich an und  als Raymonda aufblickt, stellt die Verzückte fest, dass sie in den Armen von Abderam liegt.  Dieser gesteht ihr seine Liebe, doch Raymonda kann den plötzlichen Wechsel der Situation nicht verarbeiten und reagiert ungnädig. Die Statue verkündet Raymonda, dass sie sich merken soll, was sie erwartet. Die Szene füllt sich mit Elfen und Gnomen. Der Traum löst sich auf, die Verstörte erwacht und ihre Freundinnen und Tante Sybille kümmern sich um sie.

Zweiter Akt:


Ein neuer Morgen ist angebrochen. Raymonda sitzt im Kreis ihrer Gefährtinnen und gemeinsam mit Tante Sybille wartet sie auf das Hornsignal, welches die Ankunft ihres strahlenden Verlobten ankündigen wird. Freunde von den benachbarten Burgen und Schlössern sind eingetroffen und die Musik widmet dem „Einzug der Gäste“ besondere Aufmerksamkeit.

Endlich ertönt die Fanfare, doch der Eintretende ist nicht Jean de Brienne, sondern der Saraszenenfürst, den Tante Sybille eingeladen hat. In pompöser Kleidung und mit prächtigem Gefolge ist er erschienen und seine blitzenden Augen blicken unentwegt auf das Objekt seiner Begierde, die den Gästen gerade den „Danse oriental“ vorführt. Die Angestarrte erschrickt tödlich und besinnt sich auf ihren Traum und das Orakel der weißen Dame. Das Fest nimmt seinen Lauf. Jongleure treten auf und der Tanz der arabischen Sklaven passt sich nahtlos in das Programm des Zeremonienmeisters ein. Ungarische Weisen und spanische Rhythmen bereichern das Programm, doch Abderam hat mit Folklore wenig im Sinn. Er möchte die Braut noch vor der Hochzeit entführen und hat seinen Domestiken die erforderlichen Anweisungen gegeben.

Raymonda ist ein Leben im Harem an der Seite eines Saraszenenfürsten trotz aller körperlichen Anziehung suspekt und fühlt sich an der Seite eines strahlenden mit Kriegsruhm überhäuften Helden besser aufgehoben. Heftig widersetzt sie sich ihrer Entführung, strampelt mit den Füßen und möchte am liebsten dem Zudringlichen ihren Ballettschuh auf den Kopf schlagen.

In höchster Not erscheint Jean de Brienne, im Tumult hatte man die Fanfare völlig überhört. Es gelingt dem edlen Ritter, den Eindringling und Räuber seiner Ehre im Zweikampf zu überwältigen und das Lebenslicht auszublasen.

Obwohl das Ballettpublikum dem gutaussehenden muskulösen Fremdling aus einem völlig anderen Kulturkreis das Mädchen durchaus gegönnt hätte – Tante Sybille hätte sich auch gefreut – so muss es doch einsehen, dass Kidnapping und Gefährdung des Burgfriedens Ordnungswidrigkeiten darstellen, die nur mit dem Tode bestraft werden können. Die Hochzeitsfeier wird verschoben und in den dritten Akt an einen anderen Schauplatz verlegt.

Dritter Akt:

Jean de Brienne hat ein schönes Zuhause im Alpenvorland. Der König von Ungarn, Adreas II., konnte gewonnen werden, auf seiner Burg das Hochzeitszeremoniell zu leiten. Um ihm und dem Publikum Kurzweil zu verschaffen, hat der Ballettmeister seine Gruppe auf ungarischen Rhythmus eingeschworen. Die Musikeinlagen beanspruchen den gesamten dritten Akt, so dass für Aktion kein Spielraum bleibt. Alles jubelt und den Vermählten wünscht man viel Glück auf ihrem gemeinsamen Lebensweg.




Anmerkungen:

Alexander Glasunow hatte sich als Symphoniker bereits einen Namen gemacht, als er vom Direktor des St. Petersburger Marjinski-Theaters den ehrenvoller Auftrag erhielt, ein Ballett zu komponieren. Die Öffentlichkeit nahm es mit Erstaunen zur Kenntnis und Glasunow wandte sich vertrauensvoll an den berühmten Choreographen Marius Petipa, um mit ihm das Szenario zu entwerfen. Indem man sich an das Schema von Peter Tschaikowsky anlehnte, schuf man ein monumentales Drama, welches Gelegenheit zu Exotik und vielen Divertissements bot.

Am Einprägsamsten ist der pas d’Espagnol im zweiten Akt. Ein mittelalterliches Schloss mit einer spukenden weißen Dame, ein edler Ritter, der die Ehre seiner Dame gegen einen Eindringlich verteidigt, und die exotischen Tänze wilder Saraszenen waren das Rezept aus der sich ein tänzerischer Leckerbissen für ein begieriges Publikum zubereiten ließ. Glasunow war bei allen Proben dabei und seine Verleumder behaupteten, dass es ihm weniger um das Ballett, als um die Anwesenheiten der vielen Ballettratten gehen würde. Raymonda wurde Glasunows bedeutendste Ballettkomposition und man kennzeichnet sie als Bindeglied zwischen den großen klassisch-romantischen Tschaikowskys und den bedeutenden Tanzdramen Strawinskys.


***
musirony 2006 - Engelbert Hellen


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