Berenice, gefolgt von ihren Freundinnen, tritt aus dem Tempel und geht zum Ufer des Nils, um Wasser zu schöpfen. Ihr Geliebter Amun ist von der Jagd zurück und zeigt der Hofgesellschaft das Wild, welches er erlegt hat. Der Hohepriester des Tempels gratuliert ihm zu seinem Erfolg. Er ist zufrieden, daß bald die Hochzeit zwischen Amun und Berenice stattfinden wird. In diesem Moment verkündet ein Herold, dass Königin Kleopatra naht.
Amun ist sichtlich erregt und versucht vergeblich, seine leidenschaftlichen Gefühle für die Königin zu verbergen. Kleopatra hat ihre kurze Andacht im Tempel beendet und begibt sich auf ein Lager, welches im Schatten einer Palme am Flussufer für sie errichtet wurde. Am Horizont sind die Pyramiden und die Sphinx im Abendrot zu erkennen. Arsinoe versucht ihre königliche Schwester mit einem Tanz abzulenken, ohne besondere Aufmerksamkeit zu erlangen. Nun versucht Berenice ihr Glück, die Königin mit ihrem Tanz zu erfreuen. In diesem Moment erscheint Amun auf der obersten Tempelstufe, nimmt seinen Bogen und schießt einen Pfeil ab. Dieser trifft in den Stamm der Palme, unter der die Königin sich ausruht. Der Flüchtige wird von den Wachen verfolgt.
Arsinoe zieht den Pfeil aus dem Stamm und gibt ihn Kleopatra mit dem aufgestecktem Papyrus, auf dem eine Liebesbotschaft verzeichnet ist. Der Schütze ist von den Wachen eingefangen worden und wird vor Kleopatra gebracht, die von seinem guten Aussehen beeindruckt ist. Zu den Vorwürfen für sein ungewöhnliches Verhalten kann er nur antworten, dass er sie liebe und er für einen Kuss von ihr sein Leben geben würde. Sie gibt ihm zu verstehen, dass sie seinen Wunsch erfüllen wird, er aber im Austausch tatsächlich sein Leben verlieren wird und einen Giftbecher auszuleeren hat.
Berenice sinkt zu Füßen Kleopatras nieder, möchte das ungewöhnliche Begehren ihres Partners rückgängig machen und bittet um Gnade. Ihm zugewandt fleht sie ihn an, ihrer ersten Liebe zu gedenken und diese unrealistische Faszination von der Königin aufzugeben. Amun bleibt kalt, nähert sich erwartungsvoll der hohen Gebieterin und erreicht, dass der Flehenden keine Beachtung geschenkt und diese entfernt wird.
Eine Serie von unterschiedlichen Tänzen - die Ballettgeschichte kennt sie als Divertissemnts - überbrücken den zeitlichen Abstand. Die Unterhaltung der Anwesenden beginnt mit dem Reigen der hebräischen Jungfrauen und wird fortgesetzt vom Tanz der ägyptischen Mädchen. Arsinoe imitiert die gleitenden Bewegungen einer Schlange. Ihrem wilden Charakter zugetan, tanzen anschließend die triumphierenden Krieger.
Amun verbringt im Tempel die Liebesnacht mit der Königin. Am folgenden Morgen wird der Becher geleert. Zum Glück hat Amun den Hohenpriester auf seiner Seite, der geheime Anordnung getroffen hat, die Dosis des Giftes klein zu halten. Der Kandidat soll zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufwachen und Berenice heiraten.
Mark Anton erscheint und wird unter Trompetengeschmetter festlich empfangen. Mit Kleopatra besteigt er das Boot, welches festlich mit Rosen geschmückt ist. Beide verlassen den Schauplatz des dramatischen Geschehens, um eine gebuchte Nilkreuzfahrt anzutreten.
Amun ist aus seiner Betäubung erwacht, schaut den beiden dumm hinterher und begreift, wie närrisch er sich benommen hat. Zerknirscht sinkt er Berenice zu Füßen und bittet sie, ihm den kleinen Fehltritt zu vergeben.
'Ägyptische Nacht' Gemälde von Paul Klee
Anmerkungen:
Um das Ballett-Spektakel abendfüllend zu machen, wird es häufig mit Musik von Glinka, Rimsky-Korssakoff, Mussorgsky und Glasunov angereichert.
In anderen Versionen trägt die Tempeltänzerin Berenice auch den Namen Ta-Hor.
Die Partie der Kleopatra war eine Lieblingsrolle von Ida Rubinstein. In der eigens für sie ausgerichteten Choreographie entstieg sie einem Sarkophag. In zwölf mit Lotosblumen bestickte Bandagen gehüllt, wurde sie langsam ausgewickelt.
Reinhold Glière hat den Puschkin-Vorwurf gleichfalls vertont.
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musirony 2006 - Engelbert Hellen