Erster Akt
Erstes Bild:
Der Bruder des Grafen d’Hervilly ist vor Jahren von Banditen überfallen und schändlich ermordet worden. Sein ehrenvolles Andenken möchte die Familie wach halten und der Familienvorstand hat sich entschlossen, einen Steinmetz mit der Aufgabe zu betrauen, zum ewigen Gedenken ein edles Monument aus weißem Marmor zu schaffen. Am Ort des schlimmen Geschehens soll der Block aufgestellt werden. Die Inschrift bekommt gerade den letzten Schliff, als sich der Gouverneur Don Lopez mit seiner Schwester Serafina auf dem Hochplateau einfindet, um anzukündigen, dass man hier in Kürze ein Dorffest feiern werde. Es hat wenig Sinn zu protestieren, denn aus den Bergen kommen bereits Zigeuner, die voll auf Musik und Tanz eingestimmt sind.
Von den Sesshaften wird dem fahrenden Volk nachgesagt, dass die Stammesmitglieder gern kleine Mädchen rauben, um sie in ihrem Verbund aufwachsen zu lassen. Es ist weniger die Freude an der Kriminalität, vielmehr möchte man der Inzucht vorbeugen und dem Stamm frisches Blut zuführen. Blaues Blut ist besonders gefragt, weil vornehme bleiche Haut und gesittetes Betragen in dem Lebenssaft bereits genetisch festgelegt sind.
Ein Opfer solchen Frevels wurde in jungen Jahren Paquita. Als unschuldiges kleines Mädchen hat man sie gewaltsam von ihrer Familie getrennt und nun ist sie zur blühenden Jungfrau herangewachsen. Nicht dumm, erahnt sie ihre vornehme Abkunft und hält die Nase entsprechend hoch. Nicht am Hals, sondern an einer Schlaufe am Gürtel trägt sie ein Medaillon, welches das Bildnis ihres mutmaßlichen Vaters zeigt und welches sie über alle Fährnisse in die Gegenwart hinüberretten konnte.
Der Anführer der Zigeuner hat natürlich ein Auge auf das hübsche Mädchen mit dem zauberhaften Lächeln geworfen und beschlossen, nur mit ihr seine Erbanlagen weiterzugeben. Mit ausgestrecktem Arm möchte Iñigo der Hübschen zeigen, wo es lang geht – offenbar weiß sie es nicht - doch Paquita hat nur das Tanzen im Sinn. Aus der Sicht biologischer Überlegenheit nimmt sie seine Bevormundung weder ernst noch wichtig.
Sie hat unter den Tanzenden einen jungen Mann von edler Haltung und intelligentem Aussehen ausgemacht, der ihr besonders gut gefällt und der sie temperamentvoll umwirbt. Er heißt Lucien und ist der Sohn und Erbe des Comte d’Hervilly. Da kann Iñigo nicht mithalten, aber bevor die Aufsässige sich dem Rivalen als gesellschaftlich ebenbürtig ersweisen kann, hat der Verschlagene mit flinkem Griff in aller Heimlichkeit das Medaillon an sich gebracht.
Lucien versucht, Paquita zu bewegen, mit ihm zu kommen, doch die Kleine weiß, dass man die Männer zuerst ein bisschen zappelt lassen muss, bevor man sich auf ein Abenteuer einlässt. An leichter Beute verliert ein Kavalier schnell das Interesse.
Iñigo unterrichtet den Gouverneur, dass ein Nebenbuhler ihm seine Braut streitig macht. Lopez sieht es nicht gern, dass Lucien sich um Paquita bemüht, denn er hat den Grafensohn als Auserwählten für die eigene Tochter vorgesehen. Er rät dem Zigeuner, den Störenfried mit blutigem Messer einfach aus dem Weg zu räumen. Vielleicht lässt sich Paquita als Köder benutzen, um den missliebigen Verehrer in eine vorbereitete Falle zu locken. Eine junge Zigeunerin überreicht Lucien ein Blumenbouquet – angeblich ein Liebespfand seiner Angebeteten. Die vornehme Familie soll ohne ihn nach Hause zurückkehren! Sein Weg führt vorläufig nicht nach Saragossa, sondern in die Berge, wo die Zigeuner ihr Lager aufgeschlagen haben.
Zweites Bild
Paquita sitzt nachdenklich vor ihrem Zelt und träumt von dem jungen Mann, der ihr so gut gefallen hat. Iñigo erscheint in Begleitung eines Fremden, der sich mittels einer Gesichtsmaske bedeckt hält. Unauffällig folgt Paquita den beiden und belauscht aus ihrem Versteck das geplante Vorhaben. Zu ihrer Überraschung ist es Don Lopez, der unerkannt bleiben und seinen Dialogpartner zur Ausführung einer Mordtat anstiften möchte, deren Opfer Lucien sein soll. Doch zu ihrer Überraschung taucht der Ersehnte etwas später selbst auf. Das fürsorgliche Mädchen nimmt den Liebsten beiseite und informiert ihn, dass auf ihn ein Attentat geplant sei. Mit unmissverständlicher Bewegung führt sie pantomimisch aus, wie man in der Regel mit einem Messer den Kopf vom Rumpf zu trennen pflegt.
Iñigo lädt Lucien in ein geräumiges altes Haus zum Diner ein. Paquita wird kochen, bewirten und den Wein einschenken. Am Vernünftigsten wäre es von Lucien nun, der Einladung nicht Folge zu leisten - doch wie soll dann die Handlung des Balletts weitergehen? Also, trifft man sich im Kaminzimmer und der Messerstecher wartet ungeduldig, dass der von Paquita kredenzte Schlaftrunk am Rivalen seine Wirkung tun möge. Doch Paquita gelang es, zuvor den Becher mit dem einschläfernden Beruhigungsmittel unbemerkt auszutauschen. Im Ballett wird nun bildhaft dargestellt, wie dem Nebenbuhler mit erhobenem Arm die Klinge in den Rücken gerammt werden soll. Zur Ausführung der Stichverletzung kommt es jedoch nicht, weil der Täter, von Müdigkeit übermannt, auf halbem Wege jedes mal nach hinten kippt und schließlich endgültig zu Boden gleitet. Dem kampfunfähig gemachten Zigeuneranführer nimmt die Bestohlene das Medaillon wieder ab und deckt den leblos scheinenden Körper mit einer Decke zu. Die Zigeuner kommen in der Absicht, den ermordeten Grafensohn zu entsorgen. Bevor die Schwerfälligen jedoch begriffen haben, dass sie sich mit einem irreführenden Gepäckstück abmühen, ist das vergnügte Liebespaar über alle Berge.
Zweiter Akt
Drittes Bild:
Das dritte Tableau ist vom gesamten Ballett optisch und musikalisch das Wirkungsvollste, obwohl die Handlung fast zum Erliegen kommt. Ludwig Minkus hatte seine Hände im Spiel und entwarf im Zusammenspiel mit seinem Ballettmeister eine Tanzschrift zu wirkungsvollen Auftritten und gekonnten Variationen. Die Handlung spielt im großen Ballsaal des gräflichen Schlosses. Die Herren erscheinen vornehmlich in Gala-Uniform und die Damen führen die neueste Garderobe aus Paris vor. Französische Gäste wurden nach Saragossa eingeladen und alles wartet ungeduldig auf den Sohn des Hauses. Schließlich kommt Lucien mit Paquita die große Freitreppe herunter und mischt sich unter die Gäste. Er erzählt von seinem Ausflug ins Gebirge und der Gefahr, die ihm drohte. Alle sind erfreut, dass der Spross der Familie d’Hervily dem Mordanschlag glücklich entronnen ist. Dem Gouverneur wird man das Intrigieren gründlich austreiben. Man hat leichten Zugriff, denn Don Lopez befindet sich mit seiner Schwester Serafina ebenfalls auf dem Ball.
Die Gäste wendet sich nun angenehmen Dingen zu und tanzen Galopp und Quadrille. Lucien möchte Paquita gern heiraten, doch in geheuchelter Bescheidenheit spielt sie auf ihre minderwertige Herkunft als Zigeunerkind an. Doch an der Wand sieht sie plötzlich das Porträt eines würdigen Herrn, der ein Medaillon trägt, welches dem ihrigen zum Verwechseln ähnlich sieht. Kann es wirklich sein, dass der Herr Vater von oben auf sie herunterlächelt? Sicherheitshalber vergleicht sie noch einmal beide Konterfeis miteinander und ist sich sicher, dass sie damals als einzige dem Massaker im Stier-Tal entronnen ist. Lucien ist leicht zu überzeugen, denn nun ist sie als lebenslange Partnerin seiner würdig. Während der Ball weitergeht, verschwindet die zukünftige Comtessa d’Hervilly für ein Viertelstündchen, um sich standesgemäß umzukleiden. Zwischenzeitlich erfreuen die zahlreichen Tänzer den Zuschauer mit ihrem artistischen Können und den synchron ablaufenden Bewegungsspielen. Hoch werden die Beine geschwungen und die Ballerinen treiben ihre Tanzkunst auf die Spitze. Sogar ein Kinderballett ist installiert, welches Polka und Mazurka zur Aufführung bringt. Der Grand Pas des Liebespaares führt beide schließlich ins Finale, welches vom gesamten Ensemble umrahmt und gekrönt wird.
Anmerkungen:
Ursprünglich bestand das Ballett nur aus zwei Akten und erlebte in dieser Form seine Uraufführung an der Opéra de Paris. Choreographisch betreut wurde das Werk von Joseph Mazillier. Es tanzten Carlotta Grisi und Lucien Petipa.
Der Bruder, Marius Petipa, holte in seiner Eigenschaft als Ballettmeister das Werk nach St. Petersburg, stellte ein großes Divertissement zusammen und beauftragte den Hofkomponisten Ludwig Minkus mit der Erweiterung und Bearbeitung. Die russische Version erlebte ihre Uraufführung am 27. Dezember 1881. In berauschender Kulisse tanzten Ekaterina Vasem und Pawel Gerdt.
Der dritte Akt von Ludwig Minkus wird auch isoliert aufgeführt, wobei allerdings der Bezug zur Handlung verloren geht.
Ohne den Blick für Altbewährtes zu verlieren, schuf Pierre Lacott eine Version für die Gegenwart.Prunkstück der Pariser Bühnendekoration ist eine äußerst bizarre Windmühle
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musirony 2007 - Engelbert Hellen