INHALTSANGABE
Der Göttin Hébé gefällt es auf dem Olymp nicht mehr, die Sitten sind ihr zu locker und zur Abwechslung möchte sie einmal unter Menschen weilen. Die meisten Göttinnen laufen unbekleidet herum und sind - was die Mode anbelangt – wahre Konsummuffel. Ein durchsichtiger Schleier ist häufig ihr einziges Kleidungsstück. Ausnahmen bilden lediglich Pallas Athene, die fast immer mit Helm und Brustpanzer zu sehen ist. Die keusche Diana trägt ein Jagdkostüm und gibt Pfeil und Bogen selten aus der Hand. Die bequeme Leda zieht sich fast nie ein Kleidungsstück über und Venus bedeckt sich mit einer widerspenstigen Haarlocke. Merkur setzt sich ein Hütchen auf; dazu trägt er kurze Reisestiefel, weil er viel unterwegs ist. Die meiste Zeit zeigt er seinen Po den Touristen der Hansestadt Lübeck. Wie versteinert steht er auf dem Geländer der Brücke, die über die Stechkanal führt.
Die „Göttin mit den Rosenwangen“ wird sie genannt. Wer ist Hébé nun wirklich? Welcher Funktionsbereich ist ihr unterstellt? Also, Hébé ist die Göttin der Jugend, Tochter des Zeus und der Hera und damit Schwester oder Halbschwester vieler Olympier. Herakles wurde sie für auf Erden erlittene Unbill als Entschädigung zugesprochen und ist mit ihm zwangsverheiratet. Beruflich hatte sie eine Ausbildung als Kellnerin und wurde verpflichtet, ihrer Verwandtschaft Nektar und Ambrosia zu verabreichen und die Warenvorräte zu verwalten. Sie hatte aber keine Lust mehr, als Bedienung zu arbeiten und hat dem Zuge der Zeit folgend ein kaltes Buffet zur Selbstbedienung eingerichtet. Den Getränkeausschank hat sie Ganymed abgetreten. Die Bewilligung für einen Urlaub in Paris ist zeitlich beschränkt, denn die Götter sind nicht geneigt, auf den Anblick ihrer Rosenwangen längere Zeit zu verzichten. Herkules tröstet sich zwischenzeitlich mit Ganymed.
Der Göttin Hébé große Sehnsucht ist Paris, die Stadt der Mode und des Balletts. Jean-Philippe Rameau hat die Göttin eingeladen und der Schäfer Love hat den Reiseplan ausgearbeitet. Er will sie mit seiner Zunft begleiten. Das Gefährt sieht nicht sehr reisetauglich aus. Es verhält sich nicht so, dass ein Achsenbruch zu befürchten wäre, nein, der Tischler hat solide Arbeit geleistet. Es besteht die Gefahr, dass auf dem Weg durch die Vogesen das Gefährt wegen seines Gewichtes im Morast versinken könnte. Genien und Amoretten, die ganze olympische Bagage ist mitgekommen. Einige ziehen das Gefährt, welches aussieht wie ein goldener Beerdigungswagen mit zugeklapptem Sargdeckel, auf den die Göttin einen Polstersessel montieren ließ. Während der beschwerlichen Reise thront sie dort. Genien und Amoretten halten Blumenkränzchen schützend über ihr Haupt, um Schmetterlinge, Fliegen und Kerbtiere abzuwehren.
In Paris angekommen, wird zuerst der Maler Nicolas Poussin besucht, damit er die Studie zu einem Gruppenbild mit Reisebus entwerfen kann. Dann sucht man sich an den Ufern der Seine eine grüne Matte, auf der alte französische Tänze, hauptsächlich Gavotte, einstudiert werden. Bei Monsieur Rameau angekommen, hat dieser die Vorbereitungen für eine Theateraufführung zu Ende gebracht und die olympischen Gäste zur Premiere eingeladen.
Der erste Auftritt
ist der Muse der Dichtkunst gewidmet. Die Bühnenprospekte simulieren ein schattiges Wäldchen mit einer Lichtung im Vordergrund. Sappho, die sich als letzte den Musen angeschlossen hat, liebt Alcée. Dieser wurde vom König von Lesbos in die Verbannung geschickt, weil die eifersüchtige Thélème ihn dazu beschwatzt hat. In Paris ist er aber zur Stelle und kann seine Sappho wieder in die Arme schließen, nachdem das Ballett ihm bewiesen hat, dass Thélème flatterhaft und seiner Liebe unwürdig ist. Zephire und Grazien holen alles an Schwung aus sich heraus, um das Wohlgefallen des gestrengen Komponisten zu erringen.
Die Theaterleitung muss nicht prinzipiell auf dem Parnass Akteure anheuern. Bodenständige Naturtalente, die von Apollo noch nie etwas gehört haben, singen und tanzen vorzüglich. Zu loben ist vor allen die Marine. Auf dem schaukelnden Schiff haben die Matrosen gelernt, die Beine unter Kontrolle zu halten. Diese Disziplin können sie in das Ballett einbringen. Der häufige Schluck aus der Rumflasche hat ihre Kehlen rau gemacht, daher klingt der Matrosenchor sehr wirklichkeitsnah.
Im zweiten Entrée
geht es ein bisschen politisch zu, es gibt der Handlung - bei Rameau nicht die Regel - eine gewisse Dramatik. Die vorkommenden Personennamen sind dem Theaterpublikum ungewohnt. Tirtée, ein staatlich geprüfter Sänger, wird von der Stadt Athen ausgesandt, um die Lakedemonier durch seine Kunst aufzumuntern, damit sie den Krieg gegen Méssène gewinnen. Der wohldurchdachte Plan gelingt und Méssène verliert gegen die Lakedemonier. Als Belohnung erhält Tirtée die Prinzessin Iphise zur Frau. Hochzeit wird überall auf der Welt groß gefeiert. Eingeladen sind Apollo und Mars. Beide kommen mit Gefolge, bilden einen Chor und führen das Publikum mit einer Chanconette ins Finale des zweiten Auftritts.
Der dritte Teil
ist sehr verwickelt, er ist der Muse Terpsichore gewidmet, die für den Tanz zuständig ist. Merkur hat sich mit Amor eigentlich immer schon gut verstanden. Der kleine Gott hat ihm die Liebe der schönen Églé versprochen. Leicht ist es nicht, an sie heranzukommen, und der listenreiche Merkur ist genötigt, sich als Schäfer zu verkleiden und Eurilas um Hilfe zu bitten, der dummerweise auch in die Nymphe der Terpsichore verliebt ist. Die Letztgenannte hat ihrer Schutzbefohlenen geraten, endlich einen Gatten zu wählen. Der verkleidete Merkur könnte ihr schon gefallen. Sie ist doppelt von ihm angetan, nachdem er gesagt hat, wer er in Wirklichkeit ist. Die Schäfer und Schäferinnen haben schnell herausgefunden, was abgeht und singen das Lied „L’Amour règne en ces bois“. Die Liebe regiert in diesem Wäldchen und gemeinsam tanzt man eine Gavotte in Rondeau-Form. Zu allem Überfluss gibt es noch einen kleinen Szenenwechsel. Ein Ziergarten mit vielen Blumen bildet den Hintergrund, in dem Terpsichore mit ihrem Gefolge die kleine Églé zur Nymphe des Tanzes erklärt.
Nachwort:
Der Rosenwangigen hat das Stück außerordentlich gefallen. Für sie war es ein Fest. Die lyrischen Talente konnten sich voll entfalten. Jetzt besucht die ganze Gesellschaft ein Kaufhaus für Kinderbekleidung. Die Kleinen laufen - wie sie es von Griechenland gewohnt sind - unbekleidet herum. Man hatte nicht bedacht, dass in den nördlichen Breiten strengere Temperaturen herrschen, als am schönen Mittelmeer. Jeder der kleinen Reisegäste bekommt ein angemessenes Textil und darf sich die Farbe auswählen, damit sich bei der kühlen Witterung keine Lungenentzündung einstellt. Wie Hébé nun den ersten Abend in Paris verbringt, ist nicht protokolliert. Jean-Philipp Rameau hat zum Thema kein weiteres Ballett komponiert.
Anmerkung:
André Campra hatte der griechischen Götterwelt den Rücken gekehrt. Jean-Philippe Rameau, der bedeutsame französische Komponist, dessen Geburtstag in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts fällt, wandte sich der antiken Gesellschaft in vollem Umfange wieder zu und konzentrierte sich auf die Personen ihrer Mythologie. Allerdings hielt er es nicht für erforderlich, seinem König auch in seinen Bühnenwerken angemessen zu huldigen, so wie es bei Jean-Baptiste Lully Regel und Gepflogenheit war - übertriebene Schmeicheleien fielen aus. Gewidmet sind die drei Auftritte, Entrées genannt, den Musen der Dichtkunst, der Musik und des Tanzes. Der Prolog erzählt seine eigene Geschichte. Die skandalumwitterte Primaballerina Barbara Campanini aus Parma gab an der Seite ihres Partners Antonio Rinaldi da Fossano mit dem Fest der Hébé am 14. Juli 1739 in Paris ihr Debüt
Es ist nicht mehr die Zeit, Rameau-Ballette kostenträchtig zu szenischem Glanz zu verhelfen. Will man die kostbare Musik zu Gehör bringen, nutzt man eine kleine Suite für den Konzertsaal. Raymond Leppard hat sich zum Fest der Göttin Hébé folgende Reihenfolge ausgedacht: