Erster Akt:
Schöne Mädchen und malerische Volkstrachten findet man in Galizien, einem entfernten Winkel der Donaumonarchie, aber nicht alle Frauen dort haben auch Temperament. Im Gegensatz zu Swanhilde, die am liebsten den ganzen Tag Csardas oder Mazurka tanzen möchte, sitzt eine andere geheimnisvolle Schöne tagsüber am Fenster, liest in einem Buch oder starrt ernst und traumversunken ins Leere. Man vermutet, dass sie die Tochter des sonderbaren Alten ist, aus dessen Haus manchmal seltsame Geräusche zu hören sind.
Franz findet Gefallen an der Fremden, wirft ihr Kusshand zu und macht unterwürfige Komplimente. Der temperamentvollen Swanhilde gefällt das unangebrachte Verhalten überhaupt nicht, denn schließlich ist Franz ihr versprochen und sie planen am folgenden Tag zu heiraten. Doch auch auf die Dorfschöne übt das Mädchen mit den wundervollen Emaille-Augen eine magische Anziehung aus. Sie produziert sich vor ihren Augen und führt der geistig ständig Abwesenden ihre Tanzkunst vor, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Swanhilde versteckt sich zunächst, als Franz sich nähert, um der sonderbaren Schönen auf dem Balkon die üblichen Huldigungen zu erweisen. Als es ihr zu bunt wird, stürzt sie hervor und macht ihrem Verlobten eine Eifersuchtsszene, die ein Abendprogramm füllen könnte. Franz gibt jedoch vor, in Wirklichkeit nur sie zu lieben. Sie ist sich überhaupt nicht sicher und zerpflückt eine Kornehre, um auf diese Weise die Zukunft auf die Probe zu stellen. Mit Liebe und Treue sieht es nicht gut aus! Ist die Romanze mit Franz etwa vorbei? Die Übermütige verdrießt es nicht weiter. Ausgelassen tanzt sie mit der herbeieilenden Dorfjugend und ihren Freundinnen einen lustigen Csardas. Franz wird sich schon noch auf sie besinnen, denn die Verschlafene passt auf Dauer nicht zu ihm.
Der Bürgermeister und der Pope treten auf und kündigen für den morgigen Tag ein Fest an. Die neue Kirchenglocke soll präsentiert und eingeweiht werden. Der Gutsherr meint es gut mit den Mädchen. Alle, die an diesem Tag ihren Liebsten heiraten, sollen ein schönes Geschenk bekommen. Da Franz sich nicht entschließen kann, gibt es für Swanhilde kein Geschenk, was ihr aber nicht allzu viel auszumachen scheint. Die Entbehrung legt ihrer Tanzlust keine Beschränkung auf: Mazurka, Walzer, Csardas, Polka, alle ungarischen und slawischen Rhythmen werden durchgeprobt. Herr Delibes hat zu den vielen Divertissements zur Feier des Tages extra einen Glockenmarsch komponiert.
Dem alten Coppelius wird der Spektakel vor seinem Haus zu viel, möchte ihm entgehen und verlässt das Haus. Die Dorfjugend will den mürrischen Alten in ihre Fröhlichkeit einbeziehen. Im Getümmel verliert dieser den Haustürschlüsse. Swanhilde hat es gesehen und nimmt den Schlüssel an sich. Es wird dunkel und in Abwesenheit des Alten plant Swanhilde, mit ihren Freundinnen der Schönen mit den Emaille-Augen einen Besuch abzustatten. Auch Franz sieht seine Stunde gekommen. Er hat sich eine Leiter besorgt und versucht, seiner Angebeteten von der Frontseite des Hauses nachzusteigen.
Coppelius hat den Verlust des Haustürschlüssels bemerkt. Er kehrt zurück, sieht die offenstehende Haustür und ahnt Furchtbares.
Zweiter Akt:
Die Mädchen betreten furchtsam und zögernd die Werkstatt des Feinmechanikers und betrachten Marionetten, Automaten und Instrumente mit Neugier und Erstaunen. Der Gruß an das Mädchen am Fensterplatz bleibt unerwidert. Swanhilde nähert sich liebenswürdig, tippt die Entrückte an und schreckt zurück. Des Rätsels Lösung bringt gleichzeitig die Erleichterung. Swanhilde hat keine Nebenbuhlerin, denn Franz hat sich in eine Puppe verliebt. Schadenfreude steigt in ihr auf und spitzbübisch wechselt sie unbemerkt mit der Puppe die Kleidung. Während die Freundinnen sich mit den Automaten amüsieren und die Räderwerke in Gang setzen, kommt plötzlich der Alte zurück und jagt wutentbrannt die albernen Mädchen in die Flucht.
Franz ist über die Leiter in die Wohnung eingedrungen und wundert sich, wie zutraulich das fremde Mädchen zu ihm ist. Der Verliebte beeilt sich, beim Vater um die Hand der Schönen anzuhalten. Verblüfft über den erneuten Verrat des Geliebten hat Swanhildes Verstand ausgesetzt und sie ist unfähig, sich zu bewegen.
Der tückische Coppelius hat urplötzlich einen genialen Einfall. Mit geheuchelter Freundlichkeit lädt er Franz zu einem kleinen Umtrunk ein. In einem unbeaufsichtigten Moment mischt er dem Arglosen ein Schlafmittel in den Cocktail. Dann schleppt er die kostbare Puppe herbei und versucht mit Hilfe seiner magischen Künste dem armen Bauernburschen die Seele zu rauben. Leben und Tempo sollen in die Puppe fahren.
Satanisch, einfach satanisch! Der Versuch scheint zu gelingen. Zunächst sind die Bewegungen noch ein wenig ruckartig, aber dann kommt Leben auf und konzentriert sich im Höchstmaß auf die Beine. Eine unbändige Tanzlust erwacht in der ursprünglich Leblosen und an den Verrat des Geliebten denkend, wirft die Rasende alle Automaten um und verwüstet das Atelier. Coppelius hat Mühe, die Furie zu bändigen und wirft ihr eine Mantille um, damit ihre Aufmerksamkeit auf schöne Dinge gelenkt werden. Sogleich tanzt die mobile Tochter einen Bolero, um sich der neuen Garderobe anzupassen. Sie ändert den Takt der Tanzweise, als ihr eine Schottendecke um die Schulter gehängt wird. Es gelingt dem Meister, die Widerspenstige auf ihren Platz am Fenster zurück zu bringen, wo sie in ihre alte Starre zurückfällt.
Franz ist wieder erwacht. Der wütende Magier merkt inzwischen, dass er gefoppt wurde. Swanhilde und Franz verlassen fluchtartig das Domizil, um sich vor dem wütenden Alten in Sicherheit zu bringen. Wer weiß, welches Unheil dieser mit seiner Zauberkunst noch anrichten kann.
Coppelius ist im Moment nicht nach Vergeltung zumute. Er bricht über seinem zerstörten Lebenswerk zusammen, während die Räderwerke der Automaten planlos weiterlaufen.
Szenenwechsel
Die Glocke wird vom Popen gesegnet und Franz und Swanhilde, die sich versöhnt haben, werden getraut. Coppelius - nicht eingeladen - ist trotzdem zur Stelle und verlangt von den beiden Einbrechern Schadenersatz für zerstörten Hausrat. Der Schlossherr hat ein goldenes Herz und erstattet den immensen Schaden aus der Schatulle, die er immer mit sich führt, um Gutes zu tun. Bis zum Morgen wird gefeiert und noch einmal läuft Léo Delibes zur Höchstform auf. Er hat eine Einlage komponiert, um den dritten Akt ein wenig zu strecken. Die Kirchgängern und Hochzeitsgäste werden ins antike Griechenland entführt, damit die Bildung bei dem Trubel nicht zu kurz kommt.
Mit Franz und Swanhilde im Mittelpunkt galoppiert schließlich die Dorfbevölkerung ausgelassen ins Finale.
Anmerkung:
Zu einem temperamentvollen Tanzspektakel sind feurige, schwungvolle Rhythmen unerlässlich. Solche finden sich bei den pittoresken Volkstänzen der Polen, der Böhmen, der Slowaken und der Ungarn. Um nun „La Poupée de Nuremberg“ des Herrn Adolphe Adam - Léo Delibes hatte sich ihrer liebevoll angenommen - in eine glaubwürdige Umgebung zu versetzen, hatte sie die weite Reise nach Galizien anzutreten. Der dämonische Aspekt aus E.T.A. Hoffmanns Erzählung wird vollständig eliminiert und die Akteure haben andere Namen bekommen.
Bei der Uraufführung wurde die Partie des Frantz „en travestie“ getanzt. Die Partie der Swanilda musste krankheitshalber umbesetzt werden.
Das Ballett kam beim Publikum gut an. Der preußisch französische Krieg verhinderte jedoch einen spontanen nachhaltigen Erfolg. Drei Monate nach der Uraufführung erlag der Choreograph Saint-Léon einem Herzanfall und die Ballerina Giuseppina Bozzacchi starb an ihrem achtzehnten Geburtstag an den Pocken – ein tragisches Nachspiel.
Die unverwüstliche Coppelia hat einen festen Platz im Standard-Repertoire des Balletttheaters der Gegenwart. Bevorzugt wird die St. Petersburger Version des Choreographen Marius Petipa.
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musirony 2006 - Engelbert Hellen