PROLOG
OUVERTÜRE
Discordia ist die römische Göttin der Zwietracht, die ohne jeden Vorwand mit der Göttin der Liebe Streit sucht. Venus ist erschrocken, weil sie urplötzlich Lärm hört. Wer ist in ihre Gemächer eingedrungen? Frech und unverschämt plärrt La Discorde die Verschlafene am frühen Morgen an. Venus ist noch nicht dazu gekommen, Toilette zu machen. Nackt wie sie einst dem Meeresschaum entstiegen ist, räkelt sie sich auf ihrem Lager. Gekämmt haben die Genien sie auch noch nicht. Den Spiegel hält sie in der Hand und hat gerade einige Speckfalten an ihrem beleibten, ansonsten aber tadellosen Körper entdeckt. Von einer sportlichen Figur, wie Diana sie hat, kann allerdings nicht mehr die Rede sein. Die Gute sollte mal den Maler wechseln, ein Rat, den ihr der Theaterbesucher gibt. Was will die aufgebrachte Discorde eigentlich von ihr?
Umsonst verlange Venus, dass man ihr gehorche, tönt sie, ihre vergeblichen Bemühungen soll sie einstellen. In welchem Teil der Welt hofft Amor eigentlich Siege zu erringen. Für wen sind die Pfeile eigentlich gedacht, die man dem ungezogenen Balg in den Köcher steckt, wenn doch Disharmonie sich aller Herzen bemächtigt hat? Über was will die Liebe dann noch herrschen? Alle Welt hat ihr wütendes Toben bereits mitbekommen und opfert auf ihren blutigen Altären. Den Sohn der Venus habe man längst vergessen. Sie, La Discorde habe ihn aus dem unruhevollen Europa, wenn nicht aus der ganzen Welt vertrieben.
Was redet die eingebildete Pute eigentlich? Ihre Ausführungen haben weder Sinn, noch Verstand. Sie freue sich eines trügerischen Sieges, erwidert Venus ihr, denn herrlich erstrahlt die Liebe in Europa. Sie verachtet ihres Hasses grimmige Frucht. Mitten im Krieg herrscht die Liebe und eint die Herzen. Ihrem eitlen Ränkespiel zum Trotz lenkt sie die Geschicke und löst die tödlichen Knoten, welche die andere knüpfe. Kann sie ein konkretes Beispiel nennen, wo ihr kleiner Sohn Amor sein Ziel verfehlt haben soll?
Fast kommt es zu Handgreiflichkeiten. Genug der Worte! Venus soll ihr den Rest ersparen und sie mit ihrem Lobgesang auf den kleinen König, den sie verabscheut, verschonen. Im Gegenteil, sobald sie mit ihrer Toilette fertig ist, wird sie darauf sinnen, dem Zankapfel heftige Qualen zu bereiten. Sie wird nicht umhinkommen, den Sieg der Liebe zu erkennen. Als Beweis ihres Ruhmes wird sie ihr DAS GALANTE EUROPA präsentieren, von dem sie meint, dass es ihr hörig sei. Europas sanfte Weise soll sie singen hören, denn der Herzen Meister ist allein die Liebe. La Discorde wird unwirsch. Venus soll die Hoffnung aufgeben, ihr etwas zeigen zu wollen, was es nicht gibt. Nun, die Göttin der Liebe wird sie zwingen, Zeuge zu sein, sich dagegen zu wehren mühe sie sich vergebens. Die Göttin der Zwietracht beschwert sich, weshalb man sie an dieser Stätte unnütz aufhalte. Die Furien wird sie auffordern, ihren Anspruch zu stören. In jedes Herz sollen sie Wankelmut säen, gehässige Eifersucht dazu packen, gepaart mit Verdacht und Furcht. An unzähligen Klagen soll man erkennen, dass der Weg der Zwietracht durch dieses Land führt. Das Gegenteil wird sie erreichen. La Discorde stiftet nichts, als eitlen Lärm. Sie mehrt doch nur das Maß ihres unvergleichlichen Sieges. Es herrscht die Liebe, es herrscht ihr Zauber. Die süßen Freuden sind ihre stärksten Waffen. Und nun soll der unwillkommene Eindringling verschwinden, Mars will jetzt mit ihr frühstücken.
LA FRANCE
Cephise ist auf Venus allerdings nicht gut zu sprechen. Eigentlich will die kleine Hirtin mit der Liebe überhaupt nichts zu tun haben. Sie schätzt den ruhigen Aufenthalt im lieblichen Hain. Ihm bleibt sie ewig treu. Vergeblich fallen tausend Schäfer ihr zu Füßen. Ihre glühenden Liebesschwüre interessieren sie nicht. Der keuschen Daphne fühlt sie sich seelenverwandt. An ihrem liebsten Aufenthaltsort lässt sie sich nicht stören. Ihre Liebe verschmäht sie und verzichtet auf allesamt, die ihr nachlaufen. Für das Glück, welches der stille Hain ihr schenkt, ist es, ihr Herz zu gewinnen. Die guten Schäfer mühen sich alle Tage. Viele Tränen fließen ihretwegen. Die vielen Schwüre, die man ihr leistet beruhen allein auf der List der Liebesgöttin. Cephise wird sich vor ihr hüten. Wenn Amor naht, bekommt er eine kalte Dusche.
PASSEPIED I und II
L’ESPAGNE
Don Pedro setzt die Liebe gewaltig zu. Ganz gleich, ob Lucille unmenschlich ist oder sich empfänglich zeigt, er wird in jedem Fall sterben, sei es vor Freude oder vor Schmerz. Ach, gefiele es doch den schönen heißgeliebten Augen, seine Qual zu lindern. Dem Altus gelingt es hinreißend, seinen Schmerz zu zelebrieren. Das unselige Los, das er beklagt, wird ihm alsbald zum Geschick, denn er glaubt nicht, dass Venus ihm Erfolg vergönnt. Sein Tod ist ihm gewiss. Zu lange hat er schon geschwiegen. Nicht länger kann er seinen Schmerz verbergen, den er um sie erduldet. Zu sterben ist er bereit. Ach Pedro, so schnell stirbt man nicht!
Pedro bekommt Trost von einer Landsmännin:
„In der Liebe hoffen, heißt gewinnen.
Beharrlichkeit bezwingt das Schicksal.
Leiden verwandelt sich in Freude.
Wer geliebt wird, liebt am Ende wieder.
In der Liebe hoffen, heißt gewinnen.“
RONDEAU
L’ITALIE
Eine italienische Volksweise lehrt, dass Amor einem eifersüchtigen Herzen das Mitleid versagen muss. Die Zärtlichkeit, nicht die Grausamkeit ist es, die anlockt und gefällt. Ein schönes, anmutiges Gesicht verdient der Treue Band. Klugheit ist völlig unwichtig. Cupido der treulose Gott, verabscheut die Grausamkeit.
MENUETT
LA TURQUIE
Zaide hat man als Sklavin in einen Harem verkauft. Zunächst schien ihr der reiche Palast wie die wildeste Höhle. Von ihren lauten Klagen hallte er wieder. Unmöglich, wie die Kleine sich aufgeführt hat. Ein schreckliches Bild machte sie sich von ihrem Sultan, den sie heute über alles liebt. Seine Gegenwart heilt ihre Pein und sie ist überglücklich, bei ihm Gefangene sein zu dürfen. Mit den Zuständen, die im Harem herrschen, kann sie sich nicht abfinden. Die Schönen, deren Herr er ist, versammeln sich auf sein Geheiß und dann wählt er sich für die Nacht etwas aus. Venus soll ihn das Herz erkennen lassen, welches seine Gunst vor allen anderen verdient. Jetzt sieht sie ihn und ängstlich zieht Zaide sich zurück, denn es ist noch nicht der Augenblick, sich ihm zu zeigen.
PASSACAILLE
EPILOG
Venus gönnt sich unverdient die Siegerpose. Die Zwietracht räumt das Feld. Es siegt die Liebe. Das gesammelte Beweismaterial sieht allerdings eher spärlich aus. Von lieblichen Spielen und zärtlichen Freuden ist wenig zu erkennen. Herr Campra ist heftig zu kritisieren, weil er L’Allemagne die Ehre, am Wettstreit der Nationen teilnehmen zu dürfen, verweigert. Doch seine Musik hält, was die Poesie verspricht.
Anmerkung:
Ganz ohne mythologische Figuren kommt André Campra nicht aus, obwohl es seine Absicht war, zu seinem gigantischen Vorläufer nicht in Kontrast zu treten. Die Menschen seiner Zeit gedachte er in ihren Liebesnöten zu profilieren. Sein erstes bedeutendes Werk veröffentlichte er anonym, weil er sich scheute, an dem großen Lully gemessen zu werden. Nun, er schuf etwas gänzlich anderes, hatte mit seinem neuen Stil Erfolg und gewann die Gunst des Hofes von Versailles. Souverän verzichtete er darauf, den König in den Mittelpunkt seines Schaffens zu stellen. Seine Ballettmusiken haben keinen durchgehenden Handlungsfaden, sondern kleine Miniaturen werden locker durch Prolog und Epilog zusammengehalten. Galant ist nur die Konversation, die Gefühle gehen doch recht tief. Von der Liebe ist die Rede, aber Entsagung und Verzweiflung hat sie im Gefolge. Diszipliniert serviert, muss der Theaterbesucher ausufernde dramatische Ausbrüche nicht fürchten. Die instrumentale Begleitung ist locker, leicht und lebhaft. Stilistisch liegen seine Bühnenwerke formal zwischen Oper, Ballett und Kantate.
André Campra, von Geburt Italiener wie Lully, ist neben Marc-Antoine Charpentier das Bindeglied zu Rameau, doch soll nicht verschwiegen werden, dass eine Serie kleinerer Komponisten halfen, den nationalen Anspruch zu stützen, um sich von den dominierenden Italienern abzuheben.
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musirony 2008 - Engelbert Hellen