Die Dichterin Sappho klagt um ihre verlorene Liebe zu einem schönen Jüngling. Möglicherweise hatte sie einen Schwur getan, sich dem männlichen Geschlecht fernzuhalten, und diesen nicht eingehalten. Apollo gibt sich nun beleidigt und sanktioniert die Missachtung seiner Erhabenheit mit drakonischer Härte. Möglicherweise hatte er auch selbst ein erotisches Interesse an dem schönen Mädchen und ist abgeblitzt. Als Inschrift am Tor eines Tempels leuchtet sein Orakel, welches bestimmt, dass die Flamme der Liebe, welche die Tochter aus Lesbos umschließt, in den Wogen des Leukadischen Meeres erlöschen soll.
Es gibt eine Regieanweisung für die Gestaltung eines Bühnenprospektes, damit einer szenischen Aufführung vorgebaut werden kann. Abendstimmung herrscht und der Mond geht gerade auf. Gegen die ionische Insel Lefkas brandet das Meer. Der Librettist spricht von weißen Marmortempeln, die das Steilufer schmücken. Einige sind intakt, andere verfallen. Der schönste Tempel sei derjenige, welcher dem Deucalion geweiht ist. Dieser war ein Sohn des Prometheus und wird mit einer großen Sturmflut, die er gesundheitlich gut überstand, in Verbindung gebracht, Er ist in seiner Haltung dem Noah der Bibel oder dem Utnapishtim des Gilgamesch-Epos nicht unähnlich.
Deucalion-Tempel
Sappho ist soeben eingetroffen, eröffnet das Konzertprogramm und beginnt mit ihrem Lamento: Hier sei der Tempel, den sie ersehnte und der das Ende ihrer Seufzer bedeute. Ihr Leben und ihre Liebe wird sie hier verlassen. Die heiligen Priester sind auserwählt, ihre Hymne und ihre Gebete wohlwollend zu unterstützen. Der verwundete Gott soll einen Blick von oben herab werfen. Vor dem Altar kniet in demütiger Haltung das verwundete Herz einer unglücklich Liebenden.
„O purer Lichtstrahl,
scheinend und glitzernd!
Das Herz antwortet dir
mit seinen Schlägen.
Ich fühle die eisigen Tränen,
Töchter der Liebe ....“
Durchnässt seien die verwundeten Augen von ihren Seufzern in der Erinnerung an den Liebsten. Diese seien geeignet, die Seele zu trösten. Da wegen ihrer Missetat die Erde ein bisschen Donner erschüttert, ängstigt sie das nicht. Die Tempel seien ohnehin durch die Unaufmerksamkeit pietätloser Menschen ramponiert, was sie bedauerlich findet.
Der Chor mahnt zur Stille und verweist – wie obenstehend erwähnt – auf die Inschrift an der Tempeltür. Sappho kommentiert:
„Das fatale Dekret!
Der göttliche Mund
sprach diese Prophezeiung.
Ich bin geeilt,
um dem göttlichen Willen zu gehorchen.
Mutig und loyal werde ich gehen.
Ah, ich bin nicht tapfer genug
für diesen extremen Moment,
denn mich verlässt die Courage.
Ich erbleiche und erschauere.
Nicht länger ist der Himmel huldvoll,
keinen Trost spendet er meinem Herzen.
So riesengroß ist mein Kummer,
dass ich keine Tränen mehr vergießen kann.“
Sappho bittet nun die gerechten Götter, auf ihre Liebe zu schauen. Ihre Seele sei jetzt bereit zu sterben. Die Wogen des Meeres haben schon die Plagen vieler Herzen zum Stillstand gebracht. Sie verlässt sich darauf, dass im Jenseits neue Glut ihr Herz füllen wird. Ihr Schicksal tritt sie nun an und sie habe keine Furcht.
Der Chor ist von Sapphos Klage erschüttert. Es kann auf dieser Welt kein Herz geben, welches noch tapferer ist, als das von Sappho, bestätigt er. Das ausgesprochene Lob bewegt diese, in ihrer Klage fortzufahren. Ihre Gedanken richten sich an den Geliebten. Er war die schöne Aussicht und die süße Hoffnung ihres Herzens. Doch das Schicksal war hart zu ihr. Ihn zu verlassen, sei ihr untröstlicher Kummer. Nun muss sie gehen. Sie rechnet aber damit, dass das Herz nun endlich Befreiung finden wird.
Erneut schaltet sich der Chor ein und verweist auf Sapphos Entschlossenheit. Wirklich, sie sei ein Muster an Mut und Tapferkeit!
Der Geliebte soll jetzt aus ihren Gedanken verschwinden, die Erinnerung an seine Gegenwart sei viel schlimmer als der Tod. Ihr Herz kann sie nicht mehr kontrollieren und Kummer drücke sie nieder. Die süße Hoffnung ihres Herzens soll jetzt endlich entfliehen. Das Schicksal gehe wirklich zu hart mit ihr um.
Noch einmal betont sie, dass es ihr untröstlichen Schmerz bereite, ihn zu verlassen.
Die nachdrückliche Huldigung durch den Chor erweicht das Herz Apollos und veranlasst den Gott, Sappho als zehnte Muse den vorhandenen hinzufügen. In der Tat, Sappho habe sich um die Dicoffenkundig sichtbar gemacht. Nun bekommt die auf diese Weise Geehrte durch göttlichen Beschluss auf dem Parnass eine ewige Wohnung zugewiesen.
Anmerkung:
Es verwundert, dass diese Nichtigkeit von einer lyrischen Szene von der Mailänder Scala im Jahre 1809 für würdig befunden wurde, uraufgeführt zu werden. Wahrscheinlich wurde das hohe Haus wie auch Apollo durch den winzigen Madrigalchor animiert.
Nun muss aber erwähnt werden, dass es im achtzehnten und zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts gelegentlich zutraf, längere Opernkompositionen durch kleine „Pausenfüller“ aufzulockern, damit das Publikum nicht einschläft. Rückwirkend wird in heutiger Zeit diese Methode eher als Unart angesehen und nicht mehr imitiert.
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Musirony 2009 - Engelbert Hellen