DEUTSCHLAND
Andreas Romberg [1767-1821]
Das Lied von der Glocke
The Song of the Bell
Le Chant de la cloche
Kantate
op. 25, entstanden um 1809
Vertonung der Ballade von Friedrich von Schiller
Dauer knapp 60 Minuten
INHALTSANGABE
Erster Teil:
1
Der Meister, welcher die Glocke produziert, ist die Hauptperson des Ereignisses und erklärt gleich zu Beginn, wo es langgeht. Alle anderen Personen sind schmückendes Beiwerk, bestätigen und ergänzen, was der Meister erklärt. Seine einleitenden Worte sind markant und stehen für Arbeitsmoral, Tempo und Philosophie.
"Fest gemauert in der Erden
steht die Form aus Lehm gebrannt.
Heute muss die Glocke werden,
frisch Gesellen seid zur Hand.
Von der Stirne heiß
rinnen muss der Schweiß,
soll das Werk den Meister loben.
Doch der Segen kommt von oben."
In den paar Zeilen ist alles Nennenswerte beschrieben: Die Sache, das Tempo, die Leistung und Erwartungshaltung. Das positive Resultat tritt ein, wenn der Himmel es gestattet.
2
Die Arbeit geht besser von der Hand, wenn dieselbe von fröhlichen Sprüchen begleitet wird. Zwischendurch soll der Geselle betrachten, was der Fleiß zustande bringt. Wer schlampig arbeitet, wird verachtet, denn dazu hat der Mensch den Verstand, dass er sich Mühe gibt. Aber das Herz soll auch nicht zu kurz kommen und bedenken, welche Freude der Glockengießer anderen bereitet hat, wenn das Kunstwerk hoch oben in der Glockenstube hängt und bimmelt.
3
Die Sopranstimme löst den Chor ab. Sie erzählt, dass eingebettet in zarte Mutterliebe bei der Taufe eines Kindes das Geläut der Glocke zum ersten Mal ertönt.
4
Der Tenor erläutert, dass der Klang der Glocke ihn begleiten wird, wenn der Knabe die Pubertät hinter sich lässt, den Wanderstab nimmt und in die Welt hinauszieht. Kehrt er ins Vaterhaus zurück, sieht er mit züchtig verschämten Wangen eine Jungfrau vor sich stehen, die es ihm angetan hat. Er gerät in Verlegenheit und pflückt auf der Wiese einen Blumenstrauß für sie.
5
Die schöne Zeit der jungen Liebe besingen Bursche und Mägdelein im Duett. Das Auge sieht den Himmel offen und das Herz schwelgt in Seligkeit.
6
Der Meister kommentiert die Situation. Wie wahr er spricht!
„Wo Starkes sich und Mildes paarten,
da gibt es einen guten Klang.
Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
ob sich das Herz zum Herzen findet
Der Wahn ist kurz, die Reu’ ist lang."
7
Das Leben ist hart und die Erfahrungen oftmals bitter. Die Leidenschaft flieht, die Liebe muss bleiben! Die Blume verblüht, die Frucht muss treiben.
Im feindlichen Leben muss der Mann pflanzen und schaffen, erlisten und erraffen. Er muss wetten und wagen, das Glück erjagen und den Dachboden oder den Keller mit köstlichen Gaben füllen. Die Zeiten haben sich gewandelt, heute wird nicht mehr gepflanzt, bestenfalls der Schrebergarten ein wenig gepflegt. Der Faden dreht sich nicht mehr um die schnurrende Spindel. Die Gefriertruhe wird allerdings vollgepackt.
8
Von wogendem Korn und von gefüllten Scheunen ist die Rede, Verse die nur noch den Landwirt erheitern.
Zweiter Teil
9
Die Glocke ist fast in Vergessenheit geraten. Der Meister nimmt das Thema wieder auf und tritt an den Start: „Wohl! Nun kann der Guss beginnen. Zuvor soll ein frommer Spruch gelingen.“
10
Der Chor hat nun ausreichend Möglichkeit, sich zu erhitzen, denn von der Himmelskraft des Feuers ist die Rede. Diese kann wohltätig sein, wenn der Mensch sie unter Kontrolle hält. Doch wenn der Blitz einschlägt und es versäumt wurde, einen Blitzableiter zu installieren, gerät die mit Korn gefüllte Scheune in Brand und der Wintervorrat wird ein Raub der Flammen. Friedrich von Schiller findet leidenschaftliche Worte, die Katastrophe zu beschreiben. „Wehe, wenn sie losgelassen!“ gemeint ist die freie Tochter der Natur. Beschrieben wird nun eine Feuersbrunst. Die Fenster klirren, die Kinder jammern, die Tiere wimmern und die Mütter irren planlos umher. Die Aussagen sind bunt, mit dem Versmaß will es nicht so recht klappen und mit dem Endreim auch nicht. In den öden Fensterhöhlen wohnt das Grauen und des Himmels Wolken schauen hoch hinein. Dazu bimmelt natürlich die Brandglocke unaufhörlich.
11
Wenn das Feuer dem Geschädigten alle Habe geraubt hat, trauert er noch ein bisschen hinterher und greift dann fröhlich zum Wanderstab.
12
Ein Vokalquartett trifft die Feststellung:
„Ein süßer Trost ist ihm geblieben,
er zählt die Häupter seiner Lieben.“
Dritter Teil
13
Der Meister bangt erneut um seine Glocke. Der Guss kann misslingen und die Form zerspringen. Dann war alle Arbeit umsonst. „Ach, vielleicht indem wir hoffen, hat uns das Unheil schon getroffen.“ Wie pessimistisch!
14
Dem dunklen Schoß der heiligen Erde wird Samen anvertraut. Der Sämann hofft, dass die Saat aufgeht.
15
Die Sopranstimme beklagt den Tod der Frau des Hauses, den die Glocke der Gemeinde zu verkünden hat. Auch dieser Vers konnte sich in die heutige Zeit hinüber retten.
„Ach! Die Gattin ist’s, die teure.
Ach es ist die treue Mutter,
die der schwarze Fürst der Schatten
wegführt aus dem Arm des Gatten,
aus der zarten Kinderschar,
die sie blühend ihm gebar,
die sie an der treuen Brust
wachsen sah mit Mutterlust.“
Die strenge Arbeit soll einen Moment ruhen, bis die Glocke ihren Ruf eingestellt hat.
16
Die Sopranstimme fährt fort und erzählt, dass der Wanderer der Heimathütte zustrebt. Diese Sehnsucht teilt er mit Rindern und Schafen, die brüllend die gewohnten Ställe füllen. Das Volk der Schnitter zieht es nicht nach Hause. Nach verrichteter Arbeit wird auf der Tenne zum Tanz aufgespielt. Allerdings dominiert hier die Fiedel und nicht die Glocke. Das Stadttor schließt sich knarrend, wenn die Dunkelheit hereinbricht. Der Bürger muss keine Angst haben, denn das Auge des Gesetzes wacht, damit ihm nichts Schlimmes widerfährt.
17
Tenor und Bass beschwören die segensreiche heilige Ordnung, die den Städtebau begünstigt haben soll. Der Gehalt der restlichen Zeilen ist konfus und kommentiert einen ungeselligen Wilden.
Vierter bis fünfter Teil
18
Die Arbeit ist des Bürgers Zierde und jeder freut sich seines Arbeitsplatzes. Der Meister rührt sich und der Geselle auch. Man bündelt seine Kräfte.
19
Der Mensch genießt des Abends sanfte Röte und hofft, dass der Tag, an dem raue Kriegshorden sich nähern, nie erscheinen möge. Holder Friede und süße Eintracht sollen freundlich in dieser Stadt weilen.
Man besinnt sich erneut auf die Glocke und fiebert dem entscheidenden Augenblick entgegen: Wenn die Glocke stehen soll, muss die Form in Stücke gehen.
Sechster bis achter Teil
20
Der Augenblick der bangen Erwartung wird vom Chor überzeugend beschrieben:
„Der Meister kann die Form zerbrechen
mit weiser Hand zur rechten Zeit.
Doch wehe, wenn in Flammenbächen
Das glühende Erz sich selbst befreit!
Blindwütend mit des Donners Krachen
Zersprengt es das geborstne Haus,
und wie aus offenem Höllenrachen
speit es Verderben zündend aus.
Wo rohe Kräfte sinnlos walten,
da kann sich kein Gebild’ gestalten."
Ohne Absatz wird nun zu den Themen Terror und Revolution hinüber gewechselt. Wenn Weiber zu Hyänen werden und mit dem Entsetzen Scherz treiben, wird auch an den Glockensträngen gezerrt, die eigentlich nur für Friedensklänge vorgesehen waren.
"Der Gute räumt den Platz dem Bösen
und alle Laster walten frei.
Gefährlich ist’s den Leu zu wecken.
Verderblich ist des Tigers Zahn.
Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
das ist der Mensch in seinem Wahn."
21-23
Die Glocke ist gelungen. Makellos schält der Meister den Kern aus der zersprungenen Form. Jetzt soll das Klanginstrument getauft werden und den Namen "Concordia" bekommen.
Anschließend muss die schöne Glocke noch ihrer Bestimmung übergeben und das Aufgabengebiet zugewiesen bekommen. Sie soll die Stimme von oben sein und als Nachbarin des Donners an die Sternenwelt grenzen. Ewigen und ernsten Dingen geweiht, soll sie vornehmlich die Schöpfung loben. Dem Schicksal ist die Zunge zu leihen und das wechselvolle Spiel des Lebens soll sie begleiten. Wenn ihr Klang mächtig im Ohr erschallt, möge der Mensch daran denken, dass alles Irdische verhallt.
24-25
Die Gesellen werden an den Seilen ziehen, damit die Glocke aus der Gruft aufsteigt und sich an der Himmelsluft erquicken kann. Friede künde ihr erstes Geläute!
Anmerkungen:
Noch bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts konnte man davon ausgehen, dass die Grundschüler Teile des Textes auswendig aufsagen konnten, weil man die Kenntnis der Schillerschen Ballade aus nicht erklärbaren Gründen als bedeutsam ansah. Heute reizt der Text eher zur Heiterkeit und hat seine Aktualität verloren. Selbst Caroline Schlegel hat in ihrem Tagebuch vermerkt, sie sei „vor Lachen fast vom Stuhl gefallen“. Man kann aus diesem Zitat schließen, dass Caroline ihrer Zeit voraus war. Es kann auch sein, dass sie Herrn Schiller ärgern wollte. Selbst wenn man die Balladen wegen ihres unordentlichen textlichen Aufbaus und der wirren Themenauswahl nicht als Meisterwerk ansehen möchte, so kann man ihr die außerordentliche Popularität nicht absprechen und sich nur wundern. Bis in die heutige Zeit haben Menschen sich einige kuriose Zeilen gemerkt und bringen sie als Zitat bei passenden und unpassenden Gelegenheiten unter.
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musirony 2008 - Engelbert Hellen