Zarema, die Favoritin des Khans, leidet unter Liebesentzug, denn ihr Gebieter hat im Krieg eine polnische Fürstentochter erbeutet, der er nun seine Zuwendung schenkt. Die Kantate bringt aus Puschkins Gedicht (entstanden 1824) einen Auszug und setzt an der Stelle ein, wie die Verstoßene sich zur Rivalin begibt, um mit ihr den Dialog zu suchen.
Die Fremde möge Mitleid mit ihr haben und sich nicht wegdrehen, denn die Verständigung mit ihr sei ihre einzige Hoffnung, die sie noch hat. Jahre der Glückseligkeit hat sie verbracht und ihr Leben war sorgenfrei. Diese Zeit ist nun vorbei!
Zarema versucht, die Aufmerksamkeit Marias zu wecken, indem sie von den Erinnerungen an vergangene Zeiten schwärmt, die sich in ihrem Gedächtnis eingegraben haben. Weit weg von hier ist sie geboren. In dem Land ihrer Herkunft berühren die Bergspitzen den Himmel und undurchdringliche Wälder breiten sich aus. Schnelle Bäche suchen vom Hochland den Weg ins Tal. Die Menschen leben außerhalb der Gesetze und achten wenig auf die Moral.
Ihr Schicksal war es nun, dass sie das Heimatland verlassen musste. Zarema erinnert sich an das Meer und an den Mann, der ganz oben auf der Segelstange stand. Als Kind nahm er sie mit in seinen Palast. In der schwerfälligen Ruhe seines Harems ist sie aufgewachsen. Betrübnis und Furcht hat sie nie wahrgenommen – bis jetzt!
Zarema erinnert sich an ihre Zeit als junges Mädchen. Die ersten Gefühle aufwühlender Liebe erwachten und ein geheimes Verlangen breitete sich in ihrem Herzen aus. Ihre Empfindungen galten Girej. Zu Gunsten süßen Glückes hatte er seine blutigen Schlachten eingestellt. Zarema weiß noch, dass sie zum Gebieter befohlen wurde, der sie unentwegt anstarrte. Den Blick richtete er nur auf sie. Ihr Leben wurde eine Ekstase der Verzückung. Eine Andeutung von Täuschung, Misstrauen oder jämmerlicher Eifersucht gab es nicht. Langeweile hat sich niemals zwischen sie geschlichen.
Dann sei sie als Fremde gekommen und er habe sich ihrer Seele bemächtigt. Girej will ihrem Flehen nicht zuhören, will nicht behelligt werden von ihrem Leiden. Alles was sie gemeinsam teilten, besonders Gespräche über Gefühle, sind gegangen und haben aufgehört zu existieren. Furchtbare Gedanken plagen sie. Seine Seele übt Verrat.
Zarema beurteilt ihre Situation unvoreingenommen. Bei der Gegenübersitzenden sucht sie den Fehler nicht! Was die Schönheit anbelangt, so sei sie die einzige im ganzen Harem, die mit ihr konkurrieren könne, gibt sie ehrlichen Herzens zu. Aber sie sei zur Leidenschaft nicht geboren. Die andere könne nicht so lieben wie eine Georgierin. Eine kalte Schönheit sei sie und mit ihrem energielosen Herzen könne sie einen Mann in seinem Wesen nicht erschüttern.
Sie soll ihr Girej lassen, denn er gehöre ihr. Seine Küsse brennen sie. Mit einem heiligen Versprechen hat er sich an sie gebunden. Seine Gedanken und Wünsche waren immer bei ihr – und das schon seit langer Zeit. Zarema weint, kniet vor der Rivalin und beschwört sie. Sie tadele die Fremde nicht und laste ihr kein Verschulden an, aber sie soll ihr Freude und Frieden, sie soll ihr ihren Girej zurückgeben. Er gehört ihr, für Maria sei er nicht der Rechte. Ihretwegen kann sie Verachtung oder Besorgnis zum Ausdruck bringen – nur, sie soll ihn ihr zurückgeben. In des Khans Haus wird auf den Koran geschworen, doch die Religion ihrer Mutter war die gleiche, wie die der Rivalin. Maria soll schwören, dass sie Zarema den Mann zurückgeben wird, der nur ihr gehört. Wenn sie es nicht tut, wird der Dolch die Entscheidung treffen, denn Zarema sei eine Frau des Kaukasus.
Anmerkung:
Wie die Geschichte nun weitergeht, erzählt Boris Assafjew in seinem Ballett. Zarema kann sich nicht unter Kontrolle halten und möchte auf ihren Besitzanspruch nicht verzichten. Sie greift zum Dolch und tötet die Rivalin. Der Khan übt Vergeltung und richtet sie mit dem Krummschwert. Im Gedenken an seine unsterbliche Liebe errichtet Girej den Springbrunnen von Bachtschissarai. Täglich sucht er ihn mehrmals auf, denn in seinem klaren Wasser nimmt er das Spiegelbild Marias wahr.
***
musirony 2009 - Engelbert Hellen