RUSSLAND
Sergej Rachmaninoff [1873-1943]
Die Glocken
Kolokola - The Bells
Kantate
für Soli, Chor und Orchester
op 35, entstanden 1913
russisch gesungen
nach vier Gedichten von Edgar Allan Poe
in der Übersetzung von Konstantin Balmont
Uraufführung 1913 in St. Petersburg,
1914 dirigierte der Komponist seine Kantate in Moskau
Widmungsträger ist Wilhelm Mengelberg, niederländischer Dirigent (1871-1951) und sein Amsterdamer Concertgebouw-Orchester)
Edgar Alan Poe
INHALTSANGABE
In dem Gedicht von Edgar Alan Poe (1809-1849) bezeichnen Glockenklänge vier wichtige Situationen des menschlichen Lebens. Von der Dichtung in der Übersetzung von Konstantin Balmont fühlte Rachmaninow sich angezogen und er entschloss sich aus dem Material eine Kantate zu formen. Die Inspiration kam im Jahre 1913 während eines Aufenthaltes in Rom, nachdem er von einer Violoncello-Schülerin dazu angeregt wurde.
In gestraffter Form geben die nachstehenden Übersetzungsfragmente die Situationen im Detail wieder. Die hellen Silberglocken verkörpern den Lebensfrühling. Der Chor und eine Tenorstimme schwärmen von der Unbeschwertheit und der Romantik des nächtlichen Sternenhimmels. Zu den Hochzeitsglocken hat der Hörer sich goldene Zeiten vorzustellen. Die Braut erzählt von Glück und Harmonie, die sie in der Ehe erwartet. Von etwas härterem Schlage sind die Messingglocken des dritten Gedichtes. Eine Feuersbrunst versetzt Glocken und Menschen in Aufregung. Das Grollen der eisernen Totenglocken beschwören das Gefangensein und das Ableben im letzten Teil des menschlichen Dramas.
Die Vorlage:
1.
Höret die Schlitten mit den Glocken -
Silberglocken!
Von welch einer Welt der Heiterkeit erzählt ihre Melodie
Wie sie bimmeln, bimmeln, bimmeln!
In der eisigen Luft der Nacht
Indes die Sterne sind erwacht.
Der Himmel ist von ihnen übersät
Und alle Himmel scheinen zu funkeln.
Mit kristallinem Entzücken
Stoppen sie die Zeit, Zeit, Zeit
Zu dem Geklingel, das so musikalisch quillt
Von den Glocken, Glocken, Glocken, Glocken,
Von dem Klimpern und dem Gebimmel der Glocken.
2
Höret die melodischen Hochzeitsglocken -
Goldene Glocken!
Welch eine Welt von Glück erzählt ihre Harmonie.
Durch die milde Luft der Nacht,
Wie sie läuten zu aller Entzücken.
Die Melodie klingt nach geschmolzenen goldenen Noten
und alles befindet sich im Gleichklang.
Welch ein Strom von voluminösem Wohlklang,
Wie er anschwillt.
Er wohnt in der Zukunft,
Das Entzücken treibt ihn an.
Dem flüssiges Liedchen
Lauschen die Turteltauben
Und berichten dem Mond
Von den schwingenden und läutenden Glocken
Von den Glocken, Glocken, Glocken, Glocken
Von dem Rhythmus und dem Klang der Glocken.
3
Höre die lauten Sturmglocken -
Metallene Glocken!
Welche Geschichten von Furcht erzählen sie mit Nachdruck.
In das aufgeschreckte Ohr der Nacht
Wie sie herausschreien ihr Entsetzen.
Zu furchtbar ist die Botschaft, um sie auszusprechen.
Sie können nur schreien, schreien,
Außerhalb jeder Melodie.
Lärmend bestürmen sie das Feuer, barmherzig zu sein.
Laut schallt ihr Protest zum hörunfähigen und hektischen Feuer
In verzweifeltem Wunsch und resolutem Bemühen.
Höher und höher zischen die Flammen
Im Angesicht des bleichen Mondes.
Oh, Glocken, Glocken, Glocken, Glocken .
Welch eine Geschichte der Verzweiflung
Habt ihr zu berichten?
Wie hart ist der Zusammenprall und das Gebrüll
Welchen Schrecken spucken sie aus.
Durch das Klingen und das Schlagen
Wie die Gefahr anschwillt und zurückgeht
Kündet der Ärger von den Glocken
Von den Glocken, Glocken, Glocken Glocken
In dem Lärmen und dem Klang der Glocken.
4
Höret das Läuten der Glocken –
Eiserne Glocken!
Welch eine Welt von feierlichen Gedanken
zwingt ihre Monotonie
In der Stille der Nacht.
Wie wir mit Erschrecken frösteln
Bei der melancholischen Bedrohung ihres Tons.
Zu jedem Geräusch des Tones
Kommt ein Ächzen
Aus dem Rost ihrer Kehlen.
Und der Mensch, ach der Mensch,
wohnt in seinem Kirchturm
ganz allein.
Und wer läutet, läutet, läuet
In dieser dumpfen Monotonie.
Empfinde eine Herrlichkeit in solchem Grollen
menschliches Herz aus Stein.
Sie sind weder Mann, noch Frau
Sie sind weder Geborene noch Menschen
Sie sind teuflische Geister
Und ihr König ist dort, wo sie läuten
Und sie rollen, rollen, rollen!
Ein Lobgesang von den Glocken
Und sein freudiger Busen schwellt
Und er tanzt und gellt,
Zu dem Läuten von den Glocken
Von den Glocken, Glocken, Glocken, Glocken
Zu dem Jammern und dem Stöhnen von den Glocken.
Anmerkung:
Kompositorisch verbindet der Komponist die Mentalität russischer Chormusik mit seiner eigenen Harmonik und Orchestrierkunst und gibt amerikanischem romantischen Empfinden eine russische Ausprägung. Das monumentale Werk wird von mächtigen Chören und drei Gesangsolisten getragen, denen ein gewaltiges Orchester gegenübersteht.
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musirony 2008 - Engelbert Hellen