Schöne Oper – kaum bekannt
Zsolt Durkó [1934 - 1997]
Mózes
Musikdrama in drei Akten
ungarisch gesungen
entstanden 1976/77
Libretto von vom Komponisten
nach dem Drama von Imre Madách und Texten der Bibel
Uraufführung am 15. Mai 1977 in Budapest
Charaktere:
Mózes, Moses
Mutter
Aaron, Hoherpriester
Abiram
Volk
Das Geschehen spielt zu historischer Zeit in Ägypten und im im Heiligen Land
HANDLUNG
Erster Akt
Einleitung und Szene:
Der Vorhang öffnet sich nach einer kurzen orchestralen Einleitung und es meldet sich sogleich die Mutter zu Wort. „Moses mein Sohn, mein Junge, mein männlicher Spross“ ruft sie erfreut aus, obwohl der Zeitpunkt der Geburt schon mindestens zwei Jahrzehnte zurückliegt. Niemand darf wissen, dass sie die Mutter ist. Ihr Sohn Moses hat eine brillante Karriere im Land des Pharao gemacht und niemand soll etwas über seine niederige Herkunft erfahren. Es ist eine Schande, dass er gegen sein eigenes Fleisch und Blut - es ist das Volk von Israel – agiert.
Ihre Qual versteht jedes Weib, das vom Sohn getrennt lebt. Ihr Sohn weiß leider noch nicht, dass seine Hand das eigene Geblüt erwürgt. Die Mutter philosophiert, dass in der Stadt der knarrenden Räder sogar die Sonne ergraut ist.
Dem Bekenntnis der Mutter folgt der Auftritt einer Abordnung des Volkes von Israel, welches in ägyptischer Knechtschaft lebt. Unter der Führung des Hoherpriesters Aaron sind sie den weiten Weg marschiert, um den geforderten Tribut zu entrichten und die obligatorischen Geschenke abzuliefern. Ägyptische Soldaten befehlen ihnen, wo sie zu stehen haben.
„Mein Volk wartet außerhalb der Mauern, denn wir möchten keinen Ärger bekommen“ äußert sich Aaron. Es sei besser für sie, damit ihnen kein Übel widerfahre. Die Mutter fügt hinzu, dass es geklungen habe, sie sollen außerhalb des Lebens bleiben und warten. Zwei Söhnen gab sie das Leben. Der eine bringt ihr den Kummer und der andere bereitet ihr Freude. Moses löst in ihrem Herzen Befremden aus, während Aaron seine guten Seiten zeigt.
In surrealistischer Form berichtet die Mutter von den Plagen, die dem Pharao geschickt wurden.
„Heute fallen alle Rinden,
heute steigt aller Pfützen Schlamm,
heute bricht jedes Licht,
ein weiches Heuschreckenheer greift an,
heute zittern alle Finger!
statt meiner schreit der bleierne Schlamm,
statt meiner schreit er auf!“
Die Frage nach seiner Herkunft eröffnet Moses mit der Phrase „Weib, wer kennt Dich?“ Die Mutter tut ihm kund, dass er ihr Sohn sei und Aaron sein Bruder. Sein Obdach sei das Zelt des Volkes Israel. Die Mutter hält daran fest, dass sie die Wahrheit sagt.
Moses bekommt einen Wutanfall: Lüge seien alle ihre Worte. Niemals kann es die Wahrheit sein! Ihr verlogenes Gerede würde ihn zugrunde richten. Man soll sie wegbringen!
Zweite Szene:
Die Vision vom brennenden Dornbusch bewirkt in Moses, dass sich sein Selbstverständnis wandelt. Bisher fühlte er sich der ägyptischen Hemisphäre zugehörig. Jetzt leuchtet die öde Wüste vor seinem geistigen Auge auf und er beginnt, seine Berufung zum Propheten und Führer wahrzunehmen. Sein Bewusstsein sagt ihm, dass er der Erwählte ist, der sein Volk führen wird.
Dritte Szene:
Für eine Liebesromanze ist in dieser Oper kein Platz, statt dessen sind die Mutter und das Volk in den Fokus gerückt. Das Volk weiß nicht, wessen Rede wahr ist. Aaron bezeichnet die Gruppe als die Gerechten, welche die Mutter als trügerisch ansieht. Moses klärt die Fronten: „Der Herr schloss einen Bund mit mir, dass ich Euch nach Kanaan führe!“ Doch das Volk sperrt sich und trotzt, dass es sich nicht von der Stelle rühren und das Heim nicht verlassen werde. Die Mutter kommt ihrem Sohn verbal zur Hilfe und höhnt, dass die Zaghaften ihr nachsprechen sollen: „Beschütze, o Herr, unsere Kleinwüchsigkeit, unsere zwergenhafte Knechtschaft, unsere Unterwürfigkeit und unseren Fleischtopf, damit wir nicht aus Zwang, sondern freiwillig die Tage unseres langsamen Verderbens auf uns nehmen.“
Abiram sagt, ihre Rede sei eine Schmach sei, während Aaron die Ansicht vertritt, dass sie die Wahrheit künde. Das Volk beschuldigt Aaron, er treibe seinen Spott mit den Menschen und wünscht ihn zu Hölle. Aaron beschwichtigt, dass sie nichts zu verlieren hätten, während Moses ihnen die hereinbrechenden Plagen anschaulich vorführt: „Drinnen in den Städten, von Haus zu Haus, von Heim zu Heim, verbreitet sich die Seuche und voller Geschwüre ist die Stadt." Das Volk hat immer noch Bedenken: Sollen sie etwa dahin aufbrechen, wo der heiße Sand frei herumliegt? Die Mutter beschönigt, dass auf dem Weg ins „Gelobte Land“ Wasser dem Felsen entspringen wird.
Das Volk von Israel resigniert, steht zu seinem Schicksal der Unterwerfung und sieht keinen Ausweg aus der eigenen Sturheit. Als Alternative könnte man das Leben in der offenen Wüste suchen oder ein neues Leben in Freiheit im Land Kanaan. Ein ganzes Volk ist in das Drama eingeschlossen und erhält Nähe zu seinem Führer Moses. In aufkeimender Hoffnung entsteht die Zuversicht ihren Zielkonflikt durch einen gemeinsamen Willen zu lösen.
Moses schaut in die Zukunft und bemerkt, dass sich sogar das Meer vor ihnen teilen wird. Gut, das Meer teilt sich und die Meeresflut schließt sich, und danach gibt es kein Zurück! Wozu zurückblicken? Die Asche ihres verlassenen leeren Herdes zerstreut der Wind. „Wir werden sehen, was die Freiheit auf dem Boden der Einöde wert ist“, lässt Abiram sich vernehmen.
Zweiter Akt
Vierte Szene:
Moses ängstigt sich um das Schicksal seines Volkes und hält es für erforderlich, dass es nach Zeiten endloser Wanderschaft Richtlinien bekommt, nach denen es zu leben hat. Zu diesem Zweck kletter er auf den Berg Sinai, um den Herrn zu bitten, dass er ihnen zehn Gebote aufstellt, die den weiteren Weg der Migration in eine ungewisse Zukunft begleiten sollen. In die Magie der anbrechenden Nacht und der funkelnden Sterne taucht Moses ein und wartet auf Antwort von oben. Er bekommt zwei Gesetzestafeln aus Stein, in welche die Zehn Gebote in Flammenschrift eingraviert sind, die das Volk zusammenhalten soll.
Fünfte Szene:
Das Drama steuert auf eine Kollision zu. Das Volk von Israel ist schwer enttäuscht, weil sich die Hoffnungen, die man sich gemacht hat, nicht erfüllt haben. Die Anzahl der physischen Wracks und Neurotiker steigt in der Wildnis an. Das ewige Gezänk rüttelt an den Nerven und die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage treibt einige dazu an, die Güter des Nachbarn zu plündern.
Die zehn Gebote sind nicht mehr angemessen und als Moses das „Goldene Kalb“ als Ersatzlösung wahrnimmt, zerschmettert er die steinernen Tafeln, die er in Händen hält. Im Namen der Justiz verkündet er ein Strafgericht, verhängt mehrere Todesurteile gegen Aufrührer und schickt Aaron in die Verbannung. Im Bewusstsein seiner Macht spricht er zum Volk, dass es sich sein Schicksal selbst geschaffen habe.
Dritter Akt
Sechste Szene:
Die Zeit hat sich gewandelt. Seit dem Auszug aus Ägypten sind vierzig Jahren vergangen. Der Dialog zwischen Joshua und Abiram, den Repräsentanten einer neuen Generation, geben ein Bild von einem gestrandeten Volk, welches in Selbstsucht, Furcht und gestrandeten Hoffnungen dahin vegetiert.
Moses träumt von der Zukunft, aber hinter seinem Rücken bildet sich eine Massenrevolte. Es wird Zeit für einen Machtwechsel. Moses sträubt sich, seine Entmachtung zu akzeptieren und wird sogar gewalttätig.
Epilog
Moses wird durch Joshua ersetzt. Ins „Gelobte Land“ wird er sein Volk nicht mehr führen. Eine neue Generation ist herangewachsen und er kommt sich alleingelassen und zurückgewiesen vor. Mit zeremoniellen Grüßen gratuliert er Joshua, der als Führer einer jungen Generation seine Mission fortsetzen wird. In seiner Schlussarie lässt Moses die Erde, den Himmel, den Sonnenschein und seine Vergangenheit an sich vorbeiziehen.
:Zolt Durkó
Anmerkung
Die Musik folgt den Richtlinien der Avantgarde und gibt sich extrem dissonant. Dem völlig überhitzten Wortlaut des Textes passt sich dem Notenbild an.
Es ist verständlich, dass das die Überredeten langsam ungehalten werden, wenn sich der Zeitraum der Wanderschaft auf über vierzig Jahre ausweitet. Strategisch schlecht vorbereitet durchqueren die Kinder Israels mit ihren Herden das unbekannte Land, wo angeblich Milch und Honig fließen, was ihnen die Gegnerschaft der ansässigen Völker einbringt. Das goldene Kalb versinnbildlicht das Heimweh nach Ägypten, wo es ihnen relativ gut ging und wo sie die Gräber ihrer Ahnen zurücklassen mussten.
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2012 musirony - Engelbert Hellen