Schöne Oper – gern gehört
Victor Ullmann [1898-1944]
Der zerbrochene Krug
Oper in einem Akt
op 36
deutsch gesungen
Libretto vom Komponisten
nach dem gleichnamigen Schauspiel von Heinrich von Kleist
Komponiert 1942, Uraufführung am 17. Mai 1996 in Dresden
Dauer: ca. 45min
Charaktere:
Walter – Gerichtsrat
Adam – Dorfrichter
Licht – Schreiber
Frau Marthe Rull – Klägerin
Eve – Ihre Tochter
Veit Tümpel – Ein Bauer
Ruprecht – sein Sohn
Frau Brigitte
Ein Bediensteter Walters
Zwei Mägde
Die Handlung spielt in der Gerichtsstube des niederländischen Dorfes Huisum bei Utrecht im 18. Jahrhundert.
HANDLUNG
Nach einer übel verbrachten Nacht erzählt der mit einem Klumpfuß behafete Dorfrichter Adam seinem Schreiber Licht eine verworrene Lügengeschichte über die Ursache einer Wunde an seinem Kopf und am Bein. Licht eröffnet ihm die unerwartete und mehr als ungelegene Ankunft des Gerichtsrats Walter, der durch die Gerichte zieht um die Ordnung der dortigen Arbeitsweisen zu kontrollieren. Doch Adam weiß nicht einmal, wo er seine Perücke hat. Zudem sehen er und die Gerichtsstube ziemlich unordentlich aus. Es nützt alles nichts – vor der Stube warten schon eine Reihe Kläger und Zeugen für die Verhandlung und Walter betritt unvermittelt den Raum. Nach der Begrüßung treten die streitenden Parteien ein. Frau Marthe verklagt Ruprecht, den Verlobten ihrer Tochter Eve, dass er es gewagt habe, nachts in Evchens Kammer einzudringen und bei der Flucht obendrein einen wertvollen Krug zerbrochen habe. Sie erzählt allerlei Unfug, um den Wert des billigen Töpferwerks deutlich zu machen:
„Nichts seht ihr, mit Verlaub, die Scherben seht ihr;
Der Krüge schönster ist entzwei geschlagen.
Hier gerade auf dem Loch, wo jetzo nichts,
sind die gesamten niederländischen Provinzen
dem span’schen Philipp übergeben worden.
1551 Hier im Ornat stand Kaiser Carl der fünfte:
Von dem seht ihr nur noch die Beine stehn.
Hier kniete Philipp, und empfing die Krone:
Der liegt im Topf, bis auf den Hintertheil,
Und auch noch der hat einen Stoß empfangen.“
Ruprecht bestreitet seine Schuld und bezichtigt vielmehr seine Verlobte der Untreue. Adam will von dem Bauernsohn ein Geständnis abringen, doch Walter lässt nach der benannten Entlastungszeugin Frau Brigitte schicken und verlangt Eves Aussage zu hören. Sie beteuert zwar Ruprechts Unschuld, will aber ansonsten lieber schweigen. Als nun Frau Brigitte mir des Richters Perücke zur Tür herein kommt, verhärtet sich Walters Verdacht. Adam will schnell reinen Tisch machen und Ruprecht ins Gefängnis werfen lassen, doch da bricht Eve ihr Schweigen und beschuldigt den Richter selbst, den Krug zerbrochen zu habe, als er ihr Avancen zu machen versuchte.
Adam flieht zur Hintertür und Ruprecht bittet seine Geliebte um Verzeihung, während Marthe nach Utrecht gehen will, um dort Schadensersatz einzuklagen. Die Versammelten beenden die Geschichte mit einem moralischen Schlusswort:
„Fiat justitia! Damals wie ebenda.
Richter soll keiner sein, der nicht im Herze rein!“
Anmerkungen:
Kurz vor seiner Deportation in das Konzentrationslager Theresienstadt, komponierte Ullmann die komische Oper „Der zerbrochene Krug“ nach dem Lustspiel-Klassiker Kleists. Er folgt bei seinem eigens zusammengestellten Libretto überwiegend wortgetreu, aber mit geschickten Kürzungen der Vorlage und erzählt auf engem Raum die bekannte Geschichte. Die tragischen Vorzeichen der Judenverfolgungen im Jahre 1939 spielen nur hintergründig in das überaus spritzige und pointierte Werk hinein. Gleichwohl ist die vom Komponisten selbst gedichtete Schlussessenz des Werkes eine Mahnung an die braunen Henker in Richterrobe des Volksgerichtshofes. Ullmann kam am 14. Oktober 1944 im Konzentrationslager Ausschwitz um. Sein Werk fand erst wesentlich nach Beendigung des Rassenwahns der Nazis wieder vermehrt Beachtung und so konnte dieses sehr lohnende Stück erst 1996 seine lange überfällige Uraufführung feiern.
© 2012 Raphael Lübbers