Erster Akt:
Ziemlich drastisch muss dem Kellner Leopold von seiner Chefin klar gemacht werden, dass er „Im weißen Rössl“ nicht als Herzenskavalier, sondern als Kellner und Kalfakter engagiert ist. Er habe den Ansturm der Vergnügungsreisenden zu kanalisieren, an der Rezeption auszuhelfen und die Zimmerverteilung zu überwachen. Doch Leopold hat unglücklicherweise sein Herz an die eigene Chefin verloren und träumt Tag und Nacht davon, „wie schön es wäre, von ihr geliebt zu werden“. So sehr er auch bittet, ein einziges Mal ein einziges Busserl zu bekommen - geht er leer aus. Die Abgeneigte möchte als Frau Josepha Vogelhuber und als Gastwirtin respektiert werden und ist gern bereit, auf Kosenamen wie „Bepperl“ zu verzichten. Leopold sieht das anders und fühlt sich wie das Pferd, welches den Hafer, den es verdient, nicht bekommt.
Das Futter bekommt Doktor Siedler, ein Rechtsanwalt, der jedes Jahr im Salzkammergut Urlaub macht und „Im weißen Rössl“ das gewohnte Balkonzimmer bezieht. Seine Ankunft hat er avisiert und mit dem nächsten Ausflugsdampfer wird er erwartet. Ihm macht die Rössl-Wirtin ihre Aufwartung. Zur Begrüßung soll Leopold ihm ein Körbchen mit süßen Pfirsichen ins Zimmer stellen.
Der Zufall kommt Leopold zur Hilfe, sich vor dieser unliebsamen Aufgabe zu drücken. Mit seiner Tochter Ottilie trifft mit gleichem Schiff ein Trikotagenfabrikant aus Berlin ein, dem Leopold das schöne Balkonzimmer zuweisen möchte, um den Nebenbuhler zu ärgern. Im letzten Moment wird er von Josepha an der Ausführung seines schurkischen Plans gehindert. Selbstverständlich wird Doktor Siedler nach wie vor im schönsten Zimmer des Hauses residieren. Die bereits abgestellten Koffer des Industriellen werden ins Dachgeschoss umgeleitet. Wilhelm Giesecke lässt sich den unfreundlichen Akt nicht bieten und ist nicht geneigt, sich umquartieren lassen. Ständig ist er missmutig, obwohl es im Salzkammergut sich gut lustig sein lässt. Der Choleriker ärgert sich über die Speisekarte, auf der statt Eisbein, Wiener Schnitzel aufgeführt ist. Kartoffelpuffer mit Preißelbeeren kennt man hierzulande nicht einmal dem Namen nach.
Mit Ottilie hat Leopold eine kleine Intrige im Sinn. Er nutzt ihre Freundlichkeit und versucht, das Mädchen für Doktor Siedler zu interessieren, damit dieser sich von Josepha abwendet, um sich dem Neuankömmling zuzuneigen. Große Mühe hat Poldi nicht, denn Doktor Siedler ergreift von sich aus die Initiative. Die Situation verwickelt sich, nachdem Giesecke herausbekommt, dass Anwalt Siedler derjenige ist, der seinem Prozessgegner Sülzheimer in einer zivilrechtlichen Sache die Feder führt. Zunächst einmal höhnt man sich gegenseitig an. Da der Geschäftsmann ungünstige Karten hat, läge es durchaus im Bereich des Möglichen, den beruflichen Eifer des Anwalts zu drosseln, wenn Ottilie sich diesem zuneigen würde. Der Vater sähe es gern und Ottilie hat keine Einwände.
Zweiter Akt:
Das Liebeskarussell kommt auf Touren und beginnt zu torkeln, als Sigismund Sülzheimer im Gasthaus auftaucht. Er ist der Sohn des Mandanten, den Anwalt Siedler vertritt. Der Kläger wünscht per Telegramm, dass der unsinnige Prozess beendet wird, strebt einen Vergleich an und schlägt vor, dass Ottilie und Sigismund ein Liebespaar werden sollen. Diese Regelung passt dem Anwalt überhaupt nicht, weil er sich selbst für Ottilie entschieden hat. Dennoch muss er gute Miene zum bösen Spiel machen und Beflissenheit zur Schau stellen.
Im Hotel befindet sich noch ein weiterer Kurgast. Es ist Professor Hünzelmann mit Tochter Klärchen, die bisher noch nicht das Vergnügen hatten, in den Handlungsstrang eingebunden zu werden. Klärchen geniert sich ein wenig, weil es einen kleinen Sprachfehler hat. Klärchen kann den Buchstaben “S“ nicht korrekt aussprechen und in „Sigismund“ kommen gleich zwei dieser Ungeheuer vor. Doch Sigismund stört das kleine Handicap überhaupt nicht. Ottilie wendet er sich erst gar nicht zu, findet Klärchen neckisch und gibt ihr Sprachunterricht. Der ruppige Trikotagenfabrikant hatte den gutaussehenden jungen Mann als „Liebeskracher“ beschimpft. „Doch was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist, und dass man ihn liebt. Die Leute tun, als ob die Liebe ein Vergeh'n ist. Man soll doch froh sein, dass es so was Schönes gibt.“
Leopold hatte sich mit seiner Liebeswerbung und seiner Eifersucht die Kündigung seines Dienstverhältnisses eingehandelt. Die ständige Abweisung Josephas ging über seine Kräfte, doch die Rössl-Wirtin kommt mit ihren Annäherungsversuchen bei ihrem Advokaten auch keinen Schritt weiter, weil dieser hinter Ottilie her ist. Das Mädchen wiederum möchte den Sigismund auf ihre Seite ziehen, nicht zuletzt um ihrem Vater zu Diensten zu sein. Doch der schöne Sigismund hat seine Neigung zu Klärchen vertieft und ist von ihrer Naivität und von ihrem Liebreiz gleichermaßen gefesselt. Zustände wie in einer Barockoper!
Leopold arbeitet fieberhaft an einer Lösung; der Zufall kommt ihm zur Hilfe. Kaiser Franz Josef hat seinen Besuch angekündigt. Im Dorf ist Schützenfest und der Kaiser möchte seinen Untertanen nahe sein, um sie mit seiner Anwesenheit zu erfreuen. Sissi ist nach Korfu gereist und seine Mätresse gibt ein Gastspiel in Venedig, so dass er abseits der Politik ein bisschen freie Zeit am Wolfgangsee verbringen möchte. In alter Anhänglichkeit ist es Leopold gelungen, die Gemeindeversammlung zu überzeugen, dass der hohe Gast „In weißen Rössl“ am besten aufgehoben sei. Für Josepha bedeutet das eine Menge Arbeit und es gibt nur einen Menschen auf der Welt, der den logistischen Aufgaben gewachsen ist: der liebe Leopold. Inständig bittet sie den Brüskierten, ihre harten Worte zu vergessen und an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren. Freudig erfüllt er seine Pflicht. Außerdem soll Leopold vor dem Kaiser auch die Begrüßungsrede halten, doch als er Josepha am Arm Doktor Siedlers sieht, verliert er die Worte und die Fassung. Er schluchzt hemmungslos.
Dritter Akt:
Frau Wirtin fühlt instinktiv, dass ihr Verhalten gegenüber Leopold nicht korrekt ist. Jetzt kann nur noch der Kaiser helfen, den gordischen Knoten zu lösen. Erwartungsvoll ersucht sie nach dem Frühstück um Audienz und Franz Josef gibt sich wie gewohnt leutselig. Der Kaiser schreibt ihr einen sinnigen Spruch ins Tagebuch, dass der Mensch lächeln und sich fügen soll.
Josepha gerät ins Nachdenken und als Resultat gibt sie Doktor Siedler zu gunsten Ottilies frei. Nun kann sich zusammenfügen, was zusammengehört. Gerührt nimmt das Publikum zur Kenntnis, dass Leopold für geleistete Dienste ein gutes Zeugnis bekommt und der Arbeitsvertrag in einen Ehevertrag umgewandelt wird.
Bevor der Vorhang fällt, beklatscht das Publikum drei glückliche Paare.
Anmerkung:
Der sensationelle Erfolg, den die Operette nach ihrer Uraufführung auslöste, hält bis heute an. Der Besucher gerät in Urlaubsstimmung und möchte die Qualität des Schauplatzes am Wolfgangsee mit seiner Familie am eigenen Leib erfahren. Er identifiziert sich mit den handelnden Personen, weil sie lebensnah agieren. In modernen Inszenierungen findet Kaiser Franz Josef jedoch nicht immer seinen Platz.
In der klassischen Operette laufen gesprochener Text und gesungene Melodie nebeneinander her. Das erklärt, weshalb „Im weißen Rössl“ noch weitere Köche den Brei angerührt haben. Der Dialog ist wichtig und kann dem Zeitgeist kabarettistisch angepasst werden. In den meisten Fällen sieht der Verfasser es gern, wenn befreundete Komponisten noch ein wenig Senf beisteuern. Es erhöht die Aufführungschancen seines Opus, wenn dem Stück weitere Zugpferde zugespannt werden. Nichts stimmt einen Komponisten depressiver, wenn sein Fleiß und seine Hingabe nicht belohnt werden und er um die Aufführung bangen muss. Ein paar fremde Bonbons sind in den meisten Fällen willkommen.
Ralph Benatzky war ein Multitalent und tanzte auf mehreren Hochzeiten. Das weiße Rössl oder „L'Auberge du cheval blanc“ wie die Franzosen das Vieh nennen, blieb sein einziger Welterfolg.
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musirony 2009 - Engelbert Hellen