Libretto von Georg Okonkowski und Alfred Schönfeld
nach der Komödie Fils à Papa von Antony Mars und Maurice Desvalières
in der Neubearbeitung von Robert Gilbert (1953)
Uraufführung
am 26. Februar 1910 im Wilhelm-Theater, Magdeburg
Personen:
Baron Conrad von Felseneck
Clementine, seine Frau
Paul, deren Sohn
Pauline, deren Tochter
Fleuron, Parfümfabrikant
Susanne, seine Frau
Professor Hintzmeier
Rosa, seine Frau
René Wildhagen, ein Playboy
Krause, Oberkellner
Emil, Piccolo
Irma - Bolle - Graf Zickenblitz,
Dichter Rillenbach und weitere:
Ballgäste, Polizisten, Studenten, Professoren
und eine Zofe
Das Geschehen spielt in Berlin um 1900
HANDLUNG
Erster Akt:
Der Thusnelda-Bund sieht es als seine Aufgabe an, über Sitte und Moral zu wachen. Als Belohnung sollen Frauen mit Vorbildfunktion mit einem Preis ausgezeichnet werden. Sanktionen bei Frevel und Übertretung darf der Vorstand nicht verhängen, denn das Monopol hierfür hält die Sittenpolizei fest in der Hand. Die Vorsitzende des Vereins ist Frau Susanne Fleuron, Gattin eines Parfüm-Fabrikanten aus Eisenach. Sie macht sich auf den Weg nach Berlin, um die Familie von Felseneck zu besuchen. Es gibt einen Grund zum Feiern, denn Conrad von Felseneck wurde in den Adelsstand erhoben. Die Überbringerin hat eine kleine Statuette der Thusnelda in ihrem Täschchen. Von ihr soll Frau von Felseneck den begehrten Tugendpreis empfangen. So wie Thusnelda ihrem Hermann, der gegen den römischen Feldherrn Varus die Schlacht im Teutoburger Wald gewann, ist Clementine dem Herrn Gemahl in Liebe und Treue ergeben.
Umgekehrt verhält es sich nicht ganz so, aber nach außen produziert Conrad den Anschein eines sittenstrengen Lebenswandels, nicht zuletzt, um seinen Kindern ein gutes Beispiel zu geben. Paul und Pauline, die beiden nahezu erwachsenen Kinder, sind wenig beeindruckt. Der Erstgenannte ist begierig, auf dem Gebiet der Liebe erste Erfahrungen zu sammeln, und Pauline hat sich heimlich mit René Wildhagen verlobt. Obwohl man nicht behaupten kann, dass dieser ein Taugenichts ist, sagt er als Schwiegersohn dem Herrn Baron nicht zu, denn mutmaßlich hat er seiner Braut mehr Vergangenheit als Zukunft zu bieten. Doch eine weiße Weste ist unerlässlich und die Eltern Paulines setzen neben geregeltem Einkommen auch moralische Disziplin voraus.
Als gute Schauspielerin kann Susanne ihre Überraschung verbergen, als ihr René vorgestellt wird, denn den Playboy kennt sie bereits aus einem Ferienaufenthalt in Baden-Baden. Die beiden sahen sich genötigt, sich als Ehepaar auszugeben, denn ein gemeinsames Hotelzimmer gab es nur für Verheiratete. Bleibt nur zu hoffen, dass Professor Hintzmeier nicht plappert, denn dieser hat sie damals im Kasino gesehen, wie sie eng umschlungen miteinander getanzt haben. Als Freund von Conrad ist er am heutigen Abend zum Mitfeiern eingeladen, auch um der Überreichung des Tugendpreises durch Frau Fleuron beizuwohnen.
Das flüchtige Abenteuer von damals hat René längst vergessen und begehrt jetzt Pauline. Das Verhältnis mit Susanne will er nicht fortsetzen. Daran liegt der Leichtlebigen ohnehin nichts, denn ein Scheitern ihrer Ehe mit einem wohlhabenden Unternehmer will sie nicht riskieren. Keineswegs darf ihr Gemahl von dem kleinen Intermezzo in Baden-Baden etwas erfahren, denn er würde äußerst pingelig reagieren. Somit sind beide zum Schweigen verurteilt; nur gelegentlich wischt René sich mit seinem Taschentuch ein paar Schweißperlen von der Stirn. Wie gut, dass die kleine Begebenheit Herrn Professor Hintzmeier offenbar entfallen ist, zudem sieht er schlecht. Wer von den Theaterbesuchern hätte je gedacht, dass die keusche Susanne lockeren Sitten huldigte und fremdgegangen ist?
Noch ist die Hochzeit mit Pauline nicht unter Dach und Fach, denn der Herr Papa muss noch die Zustimmung geben, die einstweilen noch in den Sternen steht. René bietet seine ganze Überredungskunst auf und handelt aus, dass der Brautvater das Einverständnis nur dann verweigern kann, wenn er ihn vor der geplanten Hochzeit bei einem Seitensprung erwischen würde. Dummerweise lässt sich der Umschmeichelte auf den Vorschlag ein.
Der Zweck heiligt die Mittel und René zieht die Fäden. Herrn von Felseneck wird das fingierte Briefchen einer Dame zugesteckt, die ihn ins 'Palais de danse' zum Rendezvous einlädt. René Schlaumeier kann auch Susanne und Paul verlocken, zur gleichen Zeit das Nachtlokal aufzusuchen. Selbstverständlich wird Pauline an seiner Seite sein.
Zweiter Akt:
Die Mutter ahnt von allem nichts und freut sich über den Tugendpreis. Nach dem Gutenachtkuss schleicht sich einer nach dem anderen aus dem Haus, um im „Palais de danse“ im Laufe des Abends unliebsam wieder aufeinander zu treffen. Der Herr Baron ist im Palais ein oft gesehener Gast und unter dem Namen „Puppchen“ wohl bekannt. Die Tänzerin Rosa gibt sich als Verfasserin des Einladungsbriefchens aus und er verspricht sich von ihr eine lustige Nacht, ahnt aber nicht, dass René seine Hände im Spiel hatte und die ehemalige Animierdame auf ihn angesetzt hat. Rosa singt „Puppchen, du bist mein Augenstern, Püppchen, ich habe dich gar zu gern, Püppchen, mein liebes Püppchen ... " Felseneck hat aber keine Kenntnis, dass Rosa früher hier gearbeitet hat und nun die Frau seines Freundes Hintzmeier ist.
René hat das Spiel gewonnen. Der zukünftige Schwiegerpapa ist beim Fremdgehen erwischt worden, aber ihm kann er keinen Fehltritt nachweisen. Gegen sein Stillschweigen, die Affäre des zukünftigen Schwiegervaters nicht auszuplaudern, erkauft René sich das Zugeständnis zur Vermählung mit Pauline.
Die keusche Susanne hat sich des abenteuerlustigen Paulchens bemächtigt, um ihn im Chambre separée in die Geheimnisse der Liebe einzuweisen. Vor den anderen redet sie sich heraus, dass es ihr lediglich darum ging, die Sittenzustände des Lokals zu protokollieren. Zu aller Überraschung tauchen plötzlich Herr Fleuron und Professor Hintzmeier auf, die man auf einem Manöverball wähnte. Der Skandal ist perfekt, der Lärm überschreitet die zumutbare Lautstärke, Stühle werden zerschlagen, Tische bersten und die Sittenpolizei kommt dann tatsächlich.
Dritter Akt:
Die übernächtigt wirkende Gesellschaft sieht sich am folgenden Morgen dem Problem gegenüber, in Anwesenheit von Frau von Felsenstein die aufrechte Haltung nicht zu verlieren. Rosa und Susanne konnten ihren misstrauischen Ehemännern beibringen, dass sie nur als Missionsschwestern des Tugendbunds agiert hätten. Die Hausherrin hatte einen neuen Kammerdiener eingestellt, der heute seinen ersten Arbeitstag absolviert. Zum Schrecken aller handelt es sich um den entlassenen Oberkellner aus dem „Palais de danse“. Dieser weiß aus Erfahrung, wie man sich in der Umgebung feiner Gesellschaft zu benehmen hat. Diskretion ist oberstes Gebot ist, Herr Krause rollt mit den Augen und sagt nichts.
Anmerkung:
Es war eine gute Idee von Robert Gilbert, dem Sohn des Komponisten, in seiner Bearbeitung von 1953 die Handlung von Paris nach Berlin zu verlegen. Wie sollte im frivolen Paris eine Tugend-Kommission wirksam werden? Als bedeutender Texter hat er „Die keusche Susanne“ mit zeitgemäßen Dialogen ausgestattet und mit Melodien anderer vergessener Operetten des Vaters angereichert. Damit gelangte „Die keusche Susanne“ zu Filmruhm und Comeback.
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musirony 2009 - Engelbert Hellen