Schöne Oper - gern gehört
Nikolai Rimski-Korsakow [1844-1908]
Sadko
Oper in sieben Bildern
Libretto vom Komponisten
in Zusammenarbeit mit mit Wladimir Belski und weiteren Textdichtern
in Anlehnung an ein altrussisches Gedicht
in russischer Sprache
Uraufführung am 7. Januar 1898 in Moskau am Solodownikow Theater
Charaktere:
Sadko, Guslispieler und Sänger
Ljubawa Busslajewna, seine Frau
Njeschata, Guslispieler
Normannischer Kaufmann
Indischer Kaufmann
Venezianischer Kaufmann
Ozean, der Meereskönig
Wodjaniza, seine Gemahlin
Wolchowa, seine Tochter
Possenreißer, Spielleute, Wahrsager
Undinen und weitere
Die Handlung spielt in Nowgorod zur Märchenzeit
und auf dem Meeresgrund
HANDLUNG
Erstes Bild:
Die Kaufleute von Nowgorod freuen sich über ihren Wohlstand und auf dem Marktplatz geben sie ihrem Stolz lärmend Ausdruck. Zur Unterhaltung der angereisten Gäste tritt der Guslispieler Njeschata aus Kiew auf und singt die Ballade vom Riesen Wolch Wselawitsch, wie dieser schon mit zwölf Jahren eine schwere Keule in die rechte Hand nahm, Gefolgschaft um sich sammelte und auszog, um Indien zu erobern.
Sadko ist ebenfalls ein fahrender Musikant und aufgefordert, mit seinen Liedern die Herrlichkeit und den Reichtum Nowgorods zu besingen. Da er selbst zu diesen Reichtümern keinen Zugang hat, möchtet er die Alteingesessenen für seine Ambitionen einspannen. Er versucht sie zu überreden, ihn ein bisschen mit Geld auszustatten, damit er Schiffe kaufen und in die Welt segeln kann. Er will ausziehen, Märkte zu erschließen, um Reichtum nach Nowgorod zu bringen. Doch die Angesprochenen sind schwerfällig und bequem und möchten nicht aus dem gewohnten Trott und ihrer Ruhe gebracht werden. Sie ergreifen Opposition und schimpfen: Nicht zum ersten Mal schwingt Sadko dreiste Reden. Auf den Handelsplätzen und in den Häfen prahlt er. Unziemliche Sprüche führt er im Mund und in den Schenken regt er das Volk auf. Die Menge lacht ihn aus und erklärt ihn für verrückt. Sadko ärgert sich über ihren Stumpfsinn und ihre Uneinsichtigkeit. Er beschließt, die wohlhabende Stadt zu verlassen und Entspannung in der Abgeschiedenheit der Natur zu suchen. „Woher nimmt er das Recht, achtbare Kaufleute belehren zu wollen?“ Gut, er wird gehen, seine Gusli mitnehmen und auch seine klingenden Lieder. Den Fischen im Ilmensee wird er seine verbotenen Gedanken verraten.
Zweites Bild:
Sadko hat keine Ahnung, dass sich an den Gestaden des Ilmensees außer Fischern und Erholungsuchenden auch noch andere Wesen aufhalten. Sie gehören dem Geisterreich an und wohnen in den Tiefen des verträumten Sees. Nun kommen sie nach oben, um den betörenden Klängen einer Gusli zu lauschen. Der Opernbesucher erkennt, dass es Sadko ist , der seine wunderschönen Lieder spielt, weil er in der mondhellen Nacht nicht schlafen kann, denn allzusehr hat er sich über das dumme Volk von Nowgorod geärgert. Seiner Kunst bringen diese Leute nicht das nötige Verständnis entgegen und von ihrem Reichtum wollen sie nichts abgeben.
Es sind die Töchter des Meeresgottes, die in der Gestalt von Schwänen aus dem Schilf heranschwimmen, um nicht nur der Musik, sondern auch dem Musikanten nahe zu sein. Prinzessin Wolchowa hat ein Auge auf ihn geworfen, denn ihr wurde einst verkündet, dass das Schicksal ihr einen Sterblichen zum Gemahl bestimmt habe. Als Schwan kann man natürlich mit einem Menschen keinen konstruktiven Dialog führen. Deshalb verwandeln sich Wolchowa und ihre Schwestern in schöne Jungfrauen und schon ist die Aufmerksamkeit des Jünglings geweckt und der Kontakt hergestellt. Die Meeresprinzessin und der holde Jüngling erklären sich in poetischen Worten gegenseitig ihre Liebe und Wolchowa schenkt ihrem Liebsten zum Abschied drei goldene Fischflossen. Wenn er fette Fische angeln will, soll er bald wiederkommen, Wolchowa wird ihm die Fangplätze zeigen und dem lieben Burschen einen schönen Kranz aus Seerosen flechten. Der Meeresgott hat mitbekommen, was sich abspielt, macht von seiner Autorität Gebrauch und befielt seinen Töchtern, unverzüglich abzutauchen.
Drittes Bild:
Die ganze Nacht hat Ljubawa Buslajewna auf Sadko gewartet. Die Mittagsglocken erklangen bereits und er ist nicht heimgekehrt. Seine Frau kommt sich verlassen vor und sieht ihr junges Glück entschwinden. Seine Gedanken erheben sich wie weiße Falken und enteilen in ferne Länder, um dort sein Glück zu machen, klagt sie. Lange ist es her, dass er süße Liebesworte zu ihr sprach. Wahrscheinlich ist er ihrer überdrüssig, weil ihre Schönheit im Begriff ist zu verwelken. Endlich sieht sie ihn kommen.
Sadko ist noch ganz benommen von den Erlebnissen der Nacht. Hat er nur geträumt oder ist mit ihm ein Wunder geschehen? Voller Duft war die Nacht und das Schilfrohr rauschte im Wind. Weiße Schwäne und schöne Jungfrauen hat er zu Gesicht bekommen. Ljubawa kann mit seinen Phantasien nichts anfangen und schaut ihn verständnislos an. War er bei einem Gastmahl und trauert nun, weil der Becher an ihm vorüber gegangen ist? Wurde ihm nicht der Platz zuteil, der ihm zukommt? In der Tat wurde ihm der Becher nicht gereicht und man habe ihn verspottet. „Was ist mit dir mein Guter?“ Ljubawa hört sinnlose Reden und dumme Worte von ihm! Er soll sich nicht ins Unglück stürzen! Weiber haben lange Haare, aber ihr Verstand sei nichts wert, setzt Sadko seine Weisheit gegen ihren Unmut. Er sagt seiner Frau Lebewohl und stürzt aus dem Haus.
Viertes Bild:
Am Ilmensee herrscht reges Treiben. Fremde Kaufleute sind mit ihren Schiffen angereist und zeigen der staunenden Menge ihre Schätze. Die Stadtväter haben sich versammelt und Njeschata singt ein Loblied auf Nowgorod. Sadko, der hochachtbare Kaufmann, wie die Menge ihn spöttisch bezeichnet, hat sich vorgeschlagen, für die die Händler von Nowgorod Waren aufzukaufen. Doch leider hat er kein Geld!. Sadko stellt die Behauptung auf, dass im Ilmensee ein goldener Fisch lebe, den er zu fangen gedenke. Solch ein großartiges Wunder gibt es im Ilmensee nicht, bestreitet die belustigte Menge. Doch Sadko wettet und setzt seinen Kopf gegen den Reichtum der Kaufleute. „Deinen Kopf hast du gewettet, doch deine Prahlerei ist wirklich nicht schön“ kommentiert der Chor. Es wird aufgeschrieben, was er sagte und der Prahler wird sehen, wie ihm sein Haupt von der Schulter rollen wird.
Doch zu aller Erstaunen ist aus dem See plötzlich eine geheimnisvolle weibliche Stimme zu hören:
„Sadko, goldene Fische wirst du fangen,
reich und glücklich wirst du sein.
Ferne Meere wirst du befahren,
ferne Länder wirst du sehen.
Dein werde ich sein für alle Zeit!“
Man fährt auf den See hinaus, das Netz wird eingezogen und Sadko entnimmt ihm drei Fische mit goldenen Flossen. Ein solches Wunder wurde von Anbeginn in Nowgorod noch nie gesehen. Sadko hat gesiegt und die Kaufleute haben die Wette verloren. Sie müssen theoretisch ihre Warenbestände herausgeben, aber großzügig verzichtet der edle Sadko auf den Zugewinn.
Eine neue Überraschung steht an, eine Menge kleinerer Fische, die im Netz zurückgeblieben sind, haben sich in Goldbarren verwandelt, die nun ebenfalls Sadko gehören. Das Volk ist verblüfft. Sadko wird zum größten Kaufmann von Nowgorod erklärt. Er verteilt das Gold an die Armen, damit sie an den Ständen entlang kaufen können, um einzukaufen. Njeschata komponiert eine Hymne und spielt auf seiner Gusli zu Ehren Sadkos.
Die Zuschauer im Parkett und auf den Rängen werden ungeduldig. Sie wollen endlich das „Hindulied“ hören. Diese Bravourarie wird allerdings nicht von Sadko, sondern von deinem indischen Kaufmann gesungen.
„Unzählig sind die Diamanten in den steinernen Höhlen,
unzählig sind die Edelsteine im südlichen Meer
und die Wunder im fernen Indien.
Im warmen Meereswasser gibt es den
wunderbaren Stein Rubin.
Auf diesem Stein befindet sich der Vogel Phönix,
in der Gestalt einer Jungfrau.
Alle Lieder des Paradieses singt er wunderbar.
Entfaltet er seine Schwingen, bedeckter das Meer.
Wer den Vogel hört, der vergisst alles.“
Der normannische und der venezianische Kaufmann kommen natürlich auch zu ihrem Solovortrag.
Zeit ist vergangen. Die Abreise in die weite Welt steht bevor. Sadko nimmt Abschied von Nowgorod, seinen prächtigen Kirchen und seinen tüchtigen Menschen. Sadko bedankt sich bei den Handelsherren. Auch er wird bald auf dem blauen Meer weilen. In fremde Länder wird er ziehen. Seine schnellen Schiffe sind gerüstet, und die Gefolgschaft wartet auf ihn. Ljubawa Buslajewna wirft sich ihm entgegen, um seine Abreise zu verschieben. Der helle Mond ist hinter den ziehenden Wolken versunken. Der Geliebte lässt sie im Stich und verschwindet auf alle Zeiten. Der Opernchor verbreitet Abschiedsstimmung. Töricht fragt er die Theaterbesucher, zu welchem Zweck mehr als dreißig Schiffe auf das weite Meer hinausziehen. Hat er nicht mitbekommen, was Sadko plant?
Fünftes Bild:
Seit seiner Abreise aus Nowgorod sind zwölf Jahre vergangen. Güter aus aller Herren Länder stapeln sich auf den Schiffen. Ein leichter Wind kräuselt die Wellen und die stolzen Segler bewegen sich in Richtung Heimat. Doch plötzlich geschieht etwas Unerwartetes. Das Führungsschiff, welches Sadko befehligt, bewegt sich nicht vom Fleck. Die Ursache kann man nur vermuten und Sadko glaubt, dass der Meeresgott ihm zürnt, weil er seine Tochter genau so sträflich vernachlässigte, wie Ljubawa. Jetzt müssen Opfer gebracht werden! Es werden Schätze ins Wasser geworfen, aber an Plunder ist der Meeresgott nicht interessiert. Mit Kunsthandwerk aus Gold und Elfenbein sind seine Vitrinen im unterirdischen Palast reichlich bestückt. Sadko beabsichtigt, dem Herrscher, der die Wellen bewegt, ein Menschenleben anzubieten. Die Lose werden etikettiert und ins Wasser geworfen. Alle Zettelchen tanzen auf den Wellen, nur das Los mit Sadkos Namen geht unter und kommt nicht wieder hoch. Ist das nicht ein deutliches Zeichen, dass die Meeresprinzessin ihn erwartet? Ein Brett wird auf die Wellen geschoben um Sadko - seelisch gut vorbereitet - seinem Schicksal zu überlassen. Der Wind greift in die Segel, das Schiff kommt in Fahrt und setzt seinen Kurs fort. An der Reling stehen die Gefährten und winken, während ein Strudel den wagemutigen Sadko mit seiner Gusli nach unten zieht. Dort hat man sich auf seine Ankunft bereits vorbereitet.
Sechstes Bild:
Ohne seine Gelassenheit zu verlieren, hat Sadko etliche tausend Kilometer hinter sich gelassen und verspürt endlich Sand unter den Füßen. In seiner Luftblase ist er am Meeresgrund angekommen und hat nun Gelegenheit, den traumhaften Palast des Meereskönigs zu bewundern. Ausgewählte Fische von außergewöhnlicher Form und Farbenpracht schwimmen im Vorgarten herum und begleiten Sadko in den Thronsaal. Die Meeresjungfrauen, die Sadko schon kennt, deren Namen er aber nicht behalten hat, liegen in ihrer Muschel, die ihnen auch als Schlafstudio dient. Der Meereskönig sitzt auf seinem Thron und hält in der rechten Hand seinen Dreizack. Mit dem diesem Instrument regelt er seit alter Zeit die Fluten. Königliche Hoheit ist zornig, weil Sadko es in den vergangenen Jahren an Dankbarkeit hat fehlen lassen. Doch Wolchowa versteht es, den Zürnenden zu beruhigen. Sadko spielt auf seiner Gusli eine liebliche Weise und schon bald ist der Friede hergestellt.
Welche Lustbarkeiten werden Sadko angeboten? Natürlich Meeresballett! Der Ballettmeister zeigt sein Programm, welches er im Kollektiv mit seinem fortschrittlichen Regisseur ausgearbeitet hat. Liebreizende Ballettmädchen winden Kränze aus aus Wasserlilien und Seerosen, während ältere Sirenen aus Algen Pullover stricken. Delphine schießen Purzelbäume und Kraken wedeln furchterregend mit ihren Fangarmen. Tintenfische verdunkeln vorübergehend die Szene, wenn Bildwechsel ist.
Der Meeresgott erklärt, dass er seine Tochter dem reichen Kaufmann aus Nowgorod geben will. Die großen Flüsse wie Nil, Amazonas, Mississippi und Bramaputra sind erschienen und haben Geschenke aus ihrer Heimat mitgebracht. Das Festmahl ist angerichtet. Sadko spielt zum Tanz auf, nachdem die Tafel aufgehoben wurde.
Seine Hand ist so flink, dass man Finger überhaupt nicht mehr erkennen kann. Die Meereskönigin entwickelt für ihr Alter noch beachtliches Temperament und wirbelt den Meereskönig herum, bis sich auf der Wasseroberfläche eine Sturmflut entfesselt. Plötzlich erscheint ein gigantischer Kriegsheld im Palast. Er reißt Sadko die Gusli aus der Hand zerschlägt sie auf einem Felsbrocken in Trümmer, damit auf der Erde endlich Ruhe einkehren kann. Die Macht des Meeresgottes ist vorübergehend gebrochen und ein Strudel zieht Sadko und Wolchowa nach oben. Auf den Schwingen von Weißkopfseeadlern werden die Liebenden davongetragen.
Siebtes Bild:
An den Gestaden des Ilmensees wird Sadko abgesetzt. Während Wolchowa ihm ein Schlummerlied singt, wird sie von tiefer Zuneigung ergriffen. Sie erkennt, dass ihre Liebe keine Zukunft hat und respektiert, dass Sadko bereits verheiratet ist. Sie opfert sich für sein Glück und seine Heimatstadt Nowgorod. Damit diese immer frisches Wasser hat, verwandelt sie der Meeresgott in den Wolchow-Fluss. Die Idee ist zwar ein bisschen kraus, aber in dieser Transformation kann sie Sadko immer nahe sein, wenn er sie mit seinen Schiffen befährt.
„Der Traum ging am Ufer entlang,
der Schlummer über die Wiese.
Der Traum suchte den Schlummer,
er fragt den Schlummer:
Wo schläft Sadko,
der junge Held?
Bajubaj, bajubaj, bajubaj.
Mein Sadko schläft auf der grünen Wiese,
am grünen Ufer,
im grünen Schilf!
Ich habe ihn in den Schlaf gesungen,
meine zarte Liebkosung
hat er nicht mehr wahrgenommen.
Sein Lied hat mein wissendes Herz gefangen.
Bajubaj, bajubaj, bajubaj."
Plötzlich hört Sadko in seiner unmittelbarer Nähe eine Stimme. Wer kann das sein? Wer schon? Niemand muss lange rätseln, denn jeder sieht, wie Ljubawa Buslajewna beherzt auf ihn zuläuft und den Vermissten in ihre Arme schließt. Die Zuschauer sind gerührt:
„Stürmische Winde umwehten mich,
dichter Regen ging auf mich nieder.
Alle Christenmenschen verlachten mich,
alle Nachbarn der Reihe nach.“
„Was klagst du, was heulst du und weinst du?
Du bist keine Witwe, im Leid verlassen,
du bist meine geliebte Frau.
Ich bin der Fahrt durch die weite Welt überdrüssig
und will dein Herz nicht mehr betrüben.“
Sadko entschuldigt sich in aller Form für sein Fehlverhalten und Ljubawa Buslajewna verzeiht ihrem Gemahl von ganzem Herzen. Jetzt ist wieder jemand zu Hause, der ihr die Zeit verkürzt und mit dem sie die langen Abende verplaudern kann.
Die Stadtbewohner kommen näher und begrüßen den Heimkehrer. Alle freuen sich über den neuen Fluss und hören von Sadko die Geschichte seiner Entstehung. Er berichtet, dass der Meereszar ihnen seine Tochter schenkte und Wolchowa in einen Fluss verwandelte. Der Opernchor weiß sich vor Jubel nicht zu lassen und findet kein Ende.
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© März 2010, musirony - Engelbert Hellen