Schöne Oper - selten gehört
Peter Maxwell Davies [geb. 1934]
Miss Donnithorne's Maggot
Miss Donnithornes Grille
Musiktheater für Mezzosopran und Instrumentalensemble
englisch gesungen
Libretto von Rudolph Stow
Uraufführung am 09.03.1974 in der Townhall Adelaide
Dauer ca. 30min.
HANDLUNG
Um das Geschehen verfolgen zu können muss man die Vorgeschichte kennen:
Miss Donnithorne, die Tochter eines reichen und einflussreichen Richters der East India Company beschließt, vier Jahre nach dessen Tod, einen Marineoffizier zu ehelichen. Die Hochzeit lässt die betuchte Dame sich etwas kosten: Das adrette Brautkleid unterstreicht ihre figürlichen Vorzüge. Eine rosige Hochzeitstorte auf der mit frischem Grün geschmückten Tafel ist für den Verzehr gedacht und erwartet die Gäste. Miss Donnithorne wartet ebenfalls – auf den Bräutigam. Doch der Angebetete lässt sich nicht blicken – nicht heute, nicht morgen und nicht übermorgen. Was ist mit ihm geschehen? Wohin ist er plötzlich entschwunden? Niemand konnte es ihr sagen und es wurde nie bekannt, welche Motive der Vermisste für seine Abwesenheit gehabt haben könnte.
Zeit ist vergangen, bevor der Handlungsfaden der Oper einsetzt. Aus unerfüllter Liebe ist die Braut verrückt geworden und aus Trotz hat sie sich in ihr Haus eingeschlossen. Mit niemandem redet sie ein Wort. Dabei ist sie sehr gesprächig und hält anhaltende Monologe mit sich selbst. Ihre Person bleibt ein Leben lang der einzige Dialogpartner. Freundliche Nachbarn reichen ihr hin und wieder ein bisschen Schonkost durch den schmalen Türschlitz.
Im Verlauf der Oper werden wir Zeuge in welcher Weise sich ihr Wahnsinn entwickelt. Sie begrüßt die Einwohner von Sydney, von denen sie die meisten für verdienstvolle Armselige hält. Sie freue sich über deren Anwesenheit und eröffne nun die Feierlichkeiten zu ihrem festlichen Tag. Das üppige Bankett sei gerichtet. Ihrer Bosheit lässt die Geknickte freien Lauf: Der Kuchen stehe auf dem Tisch. Zum Abendessen gäbe es Truthahn mit Kichererbsen. Mögen alle daran ersticken!
Die folgenden sechs Bilder und eine instrumentale Nocturne für Soloaltflöte wirken unsäglich und lassen an Köstlichkeit keine Wünsche unbefriedigt. Wirklich ambitioniert klettert die Sportlerin mal vorwärts, mal rückwärts über das gusseiserne Kopfgelände des freistehenden Brautbetts. Manchmal liegt Miss Donnithorne in Rückenlage auf der Matratze und strampelt mit den Beinen oder schlägt einen Purzelbaum. Der modische spitzenbesetzte victorianische Schinkensack ist auszumachen, wenn die Miss ihre Beine spreizt oder andere Verrenkungen macht. Gut, es schaut niemand zu und in den eigenen vier Wänden kann man sich verbiegen wie man will. Aber weiß die Gute nicht, dass im abgedunkelten Zuschauerraum die Reihen mit Opernbesuchern lückenlos gefüllt sind? Schreckhaft veranlage männliche Charaktere bekommen einen roten Kopf, wenn die Situation unvermutet dezent aber in unzüchtiger Weise ausufert.
Die Titelhelden gießt ihren Wahn in gefühlvolle Gedichte, die meisten tragen Symbolgehalt und beziehen sich auf unerfüllte Liebe. Die Hochzeitstorte, obwohl von einfliegenden Honigbienen längst vernascht – der Rest ist zu Staub verfallen – steht sinnbildlich für die Abwesenheit des Ehemanns und der damit verbundenen permanenten Abstinenz erotischer Genüsse. Vergessen wird Miss Donnithorne den Heißgeliebten nie! Auf welchen Meeren schaukelt der Seemann herum, falls er noch lebt. Ostsee. Nordsee, Südsee? Keiner will es ihr sagen!
„Ich komme! Ich komme! Oh Herz, ich bin treu wie du es bist.
Ich bin gefährlich wie eine Birnenblüte, die bei Berührung fällt,
ich bin Jungfrau. Oh Chevalier,
Ich komme.“
Bemerkung:
Die Oper bezieht sich auf eine durch viele Legenden umrankte wahre Geschichte. Das Libretto des Einpersonen-Stücks überträgt eine Alltagsszene aus den Wahnvorstellungen der isoliert lebenden Ms. Donnithorne und ringt der Situation, die im Prinzip tieftragisch ist, unentwegt urkomische Züge ab. Die betrogene Braut soll der Legende nach ihr Hochzeitskleid nie abgelegt haben und die Hochzeitstorte war bei der Bergung ihrer Leiche zu Staub zerfallen. Der Weg zum Friedhof war ihr erster Ausflug seit 30 Jahren.
Charles Dickens widmete ihr zum Gedenken den Charakter der Miss Havisham in seinem Roman „Great Expectations“ (1861). In Erinnerung kommt dem Opernbesucher auch der Einakter von Francis Poulenc „La voix humaine“.
Gegenwärtig ist Jaroslava Maxova eine überragende Darstellerin der Titelfigur
© 2011 – Raphael Lübbers