EXPOSÉ
Der umstrittenen Aufführung der zweiteiligen Version an der Mailänder Scala ging ein Festakt in Persepolis voraus, der nur den Part umfasst, der sich mit der Person des römischen Kaisers Heliogabalus befasst. Wir wollen es gleich vorwegnehmen, dass nicht seine Biographie, sondern der Ruf von Hemmungslosigkeit und Dekadenz, so wie die edlen Römer den verworfenen Orientalen gern sahen, Béjarts Produktion den Namen gaben. In der Tat geht die erotische Freizügigkeit der Darstellung extrem weit, fußt in der Überwindung der männlichen und weiblichen Dualität und setzt ihren Ursprung in der Kombination von Lust und Grausamkeit afrikanischer und asiatischer Ausprägung längst vergangener Zeiten. Man operiert auf drei Ebenen, der musikalischen, der tänzerischen und der kostümbildnerischen und bietet dem Enthusiasten entweder empörte Ablehnung oder lukullischen Genuss. Der Besucher hat die Möglichkeit tief zu schürfen oder lustvoll an der Oberfläche zu verweilen. Einen Handlungsfaden gibt es nicht, trotzdem sollen der Lebensgeschichte des syrischen Sonnenpriesters ein paar Ausführungen nachgestellt werden.
Sein amtlicher Name war Marcus Aurelius Antoninus, sein Schmusename wurde ihm später von den Historikern angehängt. Seine Lebensspanne umfasste 18 Jahre, seine Regierungszeit lief von 218 bis 222 n.Chr. Er entstammte einer syrischen Priesterkaste, die in Emessa ihre Wurzeln hatte. Mir fünf Jahren wurde das Kind schon Sonnenpriester und in eine bizarre Welt von Magie und Esoterik hineingestoßen, die sich kindlichem Verständnis noch entzieht. Vier Frauen, die alle mit erstem Vornamen Julia hießen und ihn zu manipulieren versuchten, saßen wie Kröten an seinem Lebensweg und intrigierten, bis er auf dem Kaiserthron saß und ihn wieder verlassen musste. Das Feiern von Orgien war seine Lieblingsbeschäftigung. Alles was das Hirn sich vorstellen kann, wurde auch ausprobiert. Konservativen Adelskreisen war der Emporkömmling suspekt. Drei Ehefrauen sind von Münzprägungen bekannt, die alle den Titel Augusta trugen. Die Tragödie des frühreifen Knaben bestand darin, seine abstrusen religiösen Vorstellungen orientalischen Ursprungs mit römischer Tradition und Staatskunst nicht kombinieren zu können. So nahm das Schicksal seinen Lauf und bescherte ihm einen gewaltsamen Tod.
Hans Werner Henze hat 1972 ein Orchesterwerk „Heliogabalus Imperator“ komponiert. Die umfangreiche und ungewöhnliche Besetzung lässt aufhorchen: Flöten, Trompeten, Klarinetten, Fagott, Marimba, Marimbula, Gitarre, Fingerzimbeln, japanische Tempelglocken, Boo-bam, Kastagnetten, Glockenspiel, chinesisches Becken und vier Kuhglocken und was der Instrumente und Geräusche mehr sind, gelangen zum Einsatz. Es entsteht eine Klangkulisse, die vom Ohr absolut nicht mehr zu definieren ist, die Hingabe der Tänzer aber beflügelt. Dieser befremdend und künstlich wirkende Sound bildet anteilig den akustischen Hintergrund der Ballettmusik zu Héliogabale, von Béjart originell und verwirrend in Szene gesetzt.
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musirony 2008 - Engelbert Hellen