Der König von Spanien schickt einen Fischer los, um nach der schönsten Perle der Welt zu suchen. Beim Perlentauchen verirrt dieser sich in das Reich der Wasserkönigin. In ihrer Grotte empfängt die Hoheitsvolle den Eindringling, ist aber keineswegs geneigt, seinen unverhofften Besuch zu entschuldigen. Launisch aufgelegt, will sie den Ärmsten ertränken lassen.
Doch die Hofdamen Weißperle, Rosaperle und Schwarzperle haben Mitleid mit dem gutaussehenden jungen Mann und versuchen, ihre Herrin zur Milde zu bewegen. Die Flehenden bekommen Verstärkung durch den königlichen Gesandten, der dem Fischer unauffällig nachgetaucht ist. Die spanische Flagge führt er mit sich, damit er sich ausweisen kann. Er deklamiert im Namen seines Souveräns, worauf alle in Ehrfurcht niedersinken. Von König Philipp II. hat man hier unten nur Gutes gehört. Der Gesandte erläutert den Auftrag des Fischers, die schönste Perle zu finden, und die Königin ist geneigt, das Anliegen zu unterstützen. Er darf überall suchen und die Hofdamen der Herrscherin über die Schätze des Meeres beraten ihn dabei. Obwohl die Lagerhaltungl beträchtlich ist, bereitet es Schwierigkeiten, eine Perle zu finden, die den königlichen Schatzmeister tatsächlich entzücken könnte.
In einem Ballett sind Perlen selbstverständlich personifiziert. Eine Muschel nach der anderen erscheint auf der Wasserbühne, doch der Fischer schüttelt abweisend den Kopf. Selbst Rosaperle, Schwarzperle und Weißperle, die sich opfern wollen, finden keine Gnade vor seinen Augen. Als Notlösung könnte man die drei Perlen, welche die Feen verkörpern, miteinander zu einem Diadem verknüpfen, aber die Wasserkönigin kommt auf eine bessere Idee.
Als letzte Übung wird eine goldene Muschel auf die Bühne geschoben. Langsam öffnet sich die schützende Schale und wer tritt heraus? Es ist niemand anders, als die Königin von Spanien! Wer hätte so etwas gedacht?
Über Raum und Zeit setzt der Bühnenausstatter sich hinweg. Das Wasserschloss verschwindet und verwandelt sich in den königlichen Palast von Madrid. Prinzessin Eboli leitet das Zeremoniell und lässt goldene Karossen auffahren. Erhaben ertönt die spanische Hymne. Niemand im Publikum hat noch Zweifel an Spaniens Glorie und Herrlichkeit, sofern er in historischen Kategorien denken kann.
Anmerkung:
Giuseppe Verdi hatte den gleichen Ehrgeiz wie seine Komponistenkollegen Rossini und Donizetti, die Erstaufführung einiger seiner Opern in Paris, dem damaligen Mittelpunkt der musikalischen Welt, starten zu lassen. In französischer Sprache komponiert, wurde für die eigenen Landsleute die italienische Version 'Don Carlos' erst später nachgereicht. Dem Diktat der Pariser Operndirektion musste auch Verdi sich beugen, Beflissenheit zeigen und ein Ballett abliefern. Es kam überhaupt nicht darauf an, den Text dem Inhalt der Oper anzupassen. Verdi war es recht, denn ohne den Bezug zum Inhalt der Oper konnte man unter anderen Voraussetzungen das Tanztheater isolieren und separat aufführen lassen. Musikhistorisches Interesse führt in heutiger Zeit dazu, vom Gewohnten abzuweichen und der Musikgeschichte die Ehre zu geben. Gelegentlich wird der alte Vorwurf verwertet, um einem erstaunten Publikum eine Kuriosität vorzuführen.
„La Pérégrina“ bezeichnet man die zur Zeit zweitkostbarste Perle der Welt. Ihre Herkunft ist der Golf von Panama. Das Prunkstück von der Größe eines Taubeneis hat eine bewegte Geschichte und befand sich zu allen Zeiten auf Wanderschaft. Ursprünglich war das Kleinod im Besitz des spanischen Königshauses, von wo die Perle durch Heirat und Vererbung nach England gelangte. Napoleon erfreut sich zeitweise ihres Besitzes und heute befindet sie sich in Gewahrsam einer wohlhabenden und einflussreichen Frau - es ist Elizabeth Taylor. Zu gegebenen Anlässen betont der edle Tropfen ihr Dekolletee.
***
musirony 2009 - Engelbert Hellen