Erstes Bild:
Zunächst wird der Bösewicht vorgestellt. Iago, von Ärger und Eifersucht zerfressen, drückt seinen bedrohlichen Konflikt in einem Eröffnungstanz aus. Rodrigo gesellt sich zu. Schnell gewinnt das Motiv die volle Intensität des Orchesters und springt dann zum Tanz der Verschwörer über.
Nach einem kurzen Dialog mit seiner Frau Emilia erscheint Desdemona als Lichtgestalt. Von der Celesta begleitet charakterisiert ihr Solo Liebe und Sehnsucht zum angetrauten Gemahl.
Pompös vom Orchester illustriert tanzt Othello sein solo mit Bravour und bringt seine Machtpotenz und Überlegenheit zum Ausdruck.
Endlich kommt der ‚Pas de deux’ zwischen dem liebenden Paar, in dem die Streicher in sanften Tönen schwelgen und die Klarinette warmherzige Gefühle ausdrückt. Emilia und Desdemona treten noch einmal kurz gemeinsam auf und danach darf Iago seinen Rachegefühlen freien Lauf lassen. Das Orchester ist außer Rand und Band.
Zweites Bild:
Ein gewaltiger Sturm, mit dem der zweite Akt des Ballettes beginnt, hat sich zur Ruhe gelegt. Die Schlacht ist gewonnen und der siegreiche Othello darf sich erneut in einem ‚Pas de deux’ in Liebe mit der Gattin vereinen. Nachdem die Leidenschaft verebbt ist, sorgen Horn und Violine für einem stillen Epilog.
Mit festlichen Tänzen wird Othellos Sieg über die Türken von der Bevölkerung gefeiert. Das Fest entgleitet, weil Rodrigo und Cassio feindlich aufeinander losgehen, um den „Tanz der Dolche“ vorzuführen. Othello ist wütend und enthebt Cassio seines militärischen Ranges.
Drittes Bild:
Desdemona verhält sich taktisch falsch, indem sie aus sozialem Mitleid für Cassio ein gutes Wort einlegt. Von Iago geschickt vorbereitet, entwickelt Othello rasende Eifersucht und glaubt sich von seiner Gattin verraten. Der dritte Pas de deux zwischen dem edlen Paar mündet in die Katastrophe. Othello attackiert sein liebendes Weib und erwürgt es im Affekt.
Emilia und Cassio klären Desdemonas Unschuld auf, doch die Reue kommt zu spät. Dem Mohren von Venedig bleibt nur der Suizid.
Anmerkungen:
Zeitweise war die Republik Venedig die Beherrscherin des Mittelmeeres, eine Position, die ihr von den Türken, den Saraszenen und den Spaniern streitig gemacht wurde. Welchen politischen Ränken es zu verdanken ist, dass ein Saraszene (Othello war kein Äquatorialafrikaner – Mohr ist mit Maure identisch) im venezianischen Militär zur Führungsspitze aufsteigen konnte, wird nicht erläutert. Es ist nachvollziehbar, dass andere ihm den Rang missgönnten und der Doge, um die Position des Mohren zu stärken, es befürwortete, die liebliche Desdemona zur Gattin zu nehmen. In Venedig konnte das Paar nicht langfristig glücklich sein, denn der Krieg mit türkischen Piraten forderte eine starke Hand. So musste Othello mit der frisch angetrauten Gemahlin den Wohnort nach Zypern verlegen, um militärische Operation von hier aus zu leiten. Von der Schlacht siegreich im Sturmgebraus zurückgekehrt, nehmen die tragischen Ereignisse im zweiten Akt ihren Lauf, so wie der Ballettbesucher sie aus der Verdi-Oper kennt.
Loris Tjeknavorian beherrscht die Kunst der Orchesterbehandlung in vollen Maße. Er benutzt das Leitmotiv um Charaktere, Zustände oder Situationen zu schildern und bringt die einzelnen Gruppen und Instrumente des Orchesters so zum Einsatz wie es zur Stimmung passt. Das sehnsüchtige Liebesmotiv kann unmittelbar auf die bedrohliche Situation folgen.
Erwähnt sei, dass Boris Blacher ebenfalls ein Ballett komponiert hat, welches den Titel „Der Mohr von Venedig“ trägt.
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musirony 2007 - Engelbert Hellen