Das Libretto wird geplant – Die Skizze
Wenn der Texter einen historischen Stoff auswählt, den er bearbeiten will, sollte er sich zunächst über den Handlungsträger Gedanken machen, an dem sich seine Affinität entzündet hat. Sein gesellschaftliches und soziales Umfeld, sowie seine möglichen Dialogpartner, welche die Zeitgeschichte festgeschrieben hat, entstehen vor seinem geistigen Auge. Der Zeitraum, in dem die Handlung spielt, muss abgesteckt werden und sollte nicht zu knapp bemessen sein. Alle Personen die geschichtlich von Bedeutung sind können entweder persönlich agieren oder in den Dialogen vorkommen.
Es wird sich als zwingend notwendig erweisen, fiktive Personen hinzuzufügen oder einzumischen, damit die Handlung lebendig vorbei gleitet und die Emotionen des Zuschauers wachgerüttelt werden. Historischer Stoff trocken vorgetragen, führt zu Desinteresse und Ablehnung. Eine individuelle Handlung von Liebe und Zurückweisung, Rache und Eifersucht, Krieg und Niederlage sollen die Grundfeier bilden, auf welche die Aktionen sich stützten. Die Kulisse, vor der sie abspielen, muss Neugier und Wohlgefallen erwecken.
Nicht alles muss zwingend so ablaufen, wie die Weltgeschichte es vorgeschrieben hat. Charaktereigenschaften der Handelnden dürfen angepasst und fiktive Handlungen hinzugefügt werden.
Zeitsprünge sind zu beachten und auf das biologische Alter der Figuren ist Rücksicht zunehmen. Sorgfältige Recherche ist erforderlich, damit nicht Personen zusammengebracht werden, deren Auftreten nicht plausibel ist. Wenn spektakuläre Begebenheiten zur Verfügung stehen, wird es sich als hilfreich erweisen, diese in den Handlungsstrang einzubauen.
Die einzelnen Situationen müssen geordnet und in einen Rahmen gestellt werden. Es empfiehlt sich, zeitliche Abstände durch Vorhangsenken abzugrenzen und einzelnen Akte wiederum in Bilder oder Szenenwechsel aufzuteilen. Symphonische Einlagen wie Ballett und Tänze lockern auf, Zwischenspiele lassen den Zuschauer verweilen, um das Geschaute zu vertiefen. Prolog und auch Epilog sind nur dann, einzurichten, wenn die Handlung es als dienlich erscheinen lässt. Eine Ouvertüre oder wenigstens ein Vorspiel stimmen den Zuschauer ein, auf das, was ihn an Historie erwartet.
An der Mentalität des Verfassers liegt es, ob er seinen Entwurf bereits im Kopf fertig gestellt hat und ihn nur noch abtippen muss oder ob ihm seinen besten Einfälle erst während des Schreiben kommen. Der Regelfall dürfte so aussehen, dass die Entwicklung des Dramas lediglich bis zum dritten Bild in seinem Kopf vorliegt und alles weitere erst noch 'gesponnen' werden muss. Eventuell hat er auch sein Quellenstudium nicht ernst genommen und muss nachschlagen, um Erweiterungen und Korrekturen im Handlungfortlauf vorzunehmen.
Wenn der Texter seine letzte Szene geschrieben hat und das Wörtchen 'VORHANG' unter seinen Erguss setzt, prüft er ob das Werk auch abendfüllend sein wird. 120 Minuten sollten es schon sein, wenn es kein Einakter werden sollte. Hat er 10 Szenen augearbeitet, entfallen auf einen Akt etwa zwölf Minuten. Hat er genügend 'Fleisch' hineingepackt oder muss er die Handlung vertiefen oder erweitern? Durch Wiederholen der Verse und einfügen von reiner Symphonik lassen sich Zeitabläufe strecken.
Anschließend sollten die einzelnen Segmente des Entwurf nochmals durchgesehen und addiert werden, zum Beispiel:
2 Liebesduette - 2 Quartette - 6 Ensemble-Szenen - 4 Monologe - 4 Chöre – usw.
2 Tänze - 2 Zwischenspiele - 1 Ouvertüre
oder so ähnlich.
Wenn alles in Ordnung und der Handlungsablauf lückenlos und verständlich ist, ist der Entwurf anbietbar.
Derjenige, der den Entwurf ersonnen hat, ist nicht der Librettist, sondern unterzeichnet 'nach einem Entwurf von …'
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April 2010 musirony - Engelbert Hellen